COVID-19 Impfung: Aus fünf mach sechs mach sieben … – ein strafrechtliches Problem?

von Markus Meißner, veröffentlicht am 28.02.2021
Rechtsgebiete: Corona2|3505 Aufrufe

Die Rede ist von der Anzahl an Impfdosen des COVID-19 Impfstoffes Comirnaty (BNT162b2), die laut Europäischer Arzneimittelagentur (EMA) als Zulasssungsbehörde aus einem Fläschchen entnommen werden dürfen. Zum besseren Verständnis sind in diesem Zusammenhang insbesondere folgende Hintergrundinformationen von Bedeutung:

  • Der Impfstoff Comirnaty (BNT162b2) wird vor intramuskulärer Verabreichung mit einer Kochsalzlösung verdünnt, so dass ein anwendungsbereiter Impfstoff entsteht.
  • Jede Impfdosis muss 0,3 ml des Impfstoffes enthalten
  • Impfstoff aus mehreren sog. Durchstechflaschen darf nicht zu einer Dosis vereint werden („keine Mischung“)
  • Wenn in einer Durchstechflasche eine Menge von weniger als 0,3 ml übrig bleibt, muss der Rest verworfen werden.

Was bisher geschah …

Dies zugrunde gelegt, erfolgte laut europäischer Fachinformation im Dezember 2020 zunächst eine Zulassung für fünf Impfdosen. Nach bereits kurzer Zeit, stellte sich jedoch heraus, dass es – abhängig insbesondere vom verwendeten Impfbesteck sowie der Schulung des medizinischen Personals – auch möglich war, sechs Impfdosen mit der vorgeschriebenen Menge von jeweils 0,3 ml des Impfstoffes aus einer Ampulle zu entnehmen.[1] Eine entsprechende Diskussion in medizinischen Fachkreisen wurde auch schnell von der Politik aufgenommen und bereits zwischen Weihnachten und Silvester schrieb das Bundesgesundheitsministerium an die Bundesländer, dass „bei sorgfältiger Vorgehensweise die Entnahme von sechs Dosen grundsätzlich möglich sei“.[2] Nichtsdestotrotz herrschte angesichts der anderslautenden Zulassung durch die EMA eine Verunsicherung, die zur Folge hatte, dass die Verimpfung einer sechsten Dosis nicht überall umgesetzt wurde. Anfang Januar 2021 reagierte dann die Europäische Arzneimittelagentur und genehmigte eine Änderung der Zulassung, die es nunmehr formal erlaubte, sechs statt wie bislang fünf Dosen nach Verdünnung aus einer Ampulle zu entnehmen.[3] Die europäische Fachinformation wurde entsprechend angepasst.[4]

Art der Anwendung

Comirnaty sollte nach dem Verdünnen intramuskulär verabreicht werden (…).

Nach dem Verdünnen enthalten die Durchstechflaschen von Comirnaty sechs Dosen von je 0,3 ml des Impfstoffs. Um sechs Dosen aus den einzelnen Durchstechflaschen zu entnehmen, sollten Spritzen und/oder Nadeln mit geringem Totvolumen verwendet werden. Die Kombination aus Spritze und Nadel mit geringem Totvolumen sollte ein Totvolumen von nicht mehr als 35 Mikrolitern haben. Wenn Standardspritzen und – nadeln verwendet werden, reicht das Volumen möglicherweise nicht aus, um eine sechste Dosis aus einer  einzelnen Durchstechflasche zu entnehmen.

 

Interesanterweise, aber dies nur nebenbei bemerkt, führte die veränderte Zulassung in der Folge auch dazu, dass seitdem vom Hersteller weniger Ampullen an die Bestellerländer ausgeliefert werden, da die Bestellungen „immer auf einer Gesamtzahl von Dosen beruhten und nicht von Ampullen“…[5]

Die aktuelle Situation …

Wie sich auch der Presse entnehmen lies, wurden in Deutschland in den letzten Wochen nunmehr vermehrt Fälle bekannt, in denen es  medizinischen Personal immer wieder gelang, aus einer Ampulle (verdünnten) Impfstoffes sogar sieben Impfdosen á 0,3 ml zu entnehmen.[6] Eine erneute Anpassung der Zulassung durch die Europäische Arzeimittelagentur erfolgte – jedenfalls bislang – nicht. Man könnte sich über diesen Umstand nunmehr einfach freuen, da innerhalb derselben Zeit mehr Menschen geimpft werden können. Es stellt sich jedoch insbesondere für das mit dem Impfen befasste medizinische Personal in diesem Zusammenhang die konkrete Frage, wie mit der aus einer Ampulle aufgezogenen siebten Dosis umzugehen ist und insbesondere ob die Verimpfung einer solchen siebten Dosis - entgegen der Zulassung des Impfstoffes durch die Europäische Arzeimittelagentur – unter Umständen auch ein „strafrechtliches Problem“ darstellen kann.

Eine vorstellbare „Konstellation“

Einem in einem Impfzentrum beschäftigten Arzt, der über entsprechend geeignetes Material (Spritzen und Nadeln) sowie Fertigkeit verfügt, gelingt es, immer wieder einmal, aus einer Durchstechflasche verdünnten Impfstoffes insgesamt sieben Spritzen á 0,3 ml aufzuziehen. Entsprechend der behördlichen Zulassung verimpft er sechs dieser Dosen, wohingegen er die siebte Spritze im Kühlschrank belässt. Auf dem Nachhauseweg fährt er spontan bei seiner 73-jährigen Mutter vorbei und verabreicht dieser die „siebte Impfspritze“, wissend darum, dass sich seine Mutter aufgrund ihres Alters aktuell noch nicht in der Personengruppe befindet, die derzeit entsprechend der Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) priorisiert geimpft wird.[7]

Hier kein Fall der §§ 299a, 299b StGB

Gewährt die Mutter des Arztes ihrem Sohn – wie hier – als Gegenleistung für die Impfung keinen „Vorteil“, scheidet eine Strafbarkeit wegen Bestechung bzw. Bestechlichkeit im Gesundheitswesen aus (§§ 299a, 229b StGB) aus. Selbst wenn man die in letzter Zeit politisch von verschiedener Seite geforderte Strafbarkeit für sog. „Impfdrängler“[8], was auch immer man hierunter verstehen mag, einführen würde, würde eine solche Strafbarkeit die vorgenannte Konstellation wohl ebenfalls nicht erfassen, da die Mutter in keiner Weise „drängelte“, sondern ihr Sohn „spontan“ vorbeifuhr, wissend, dass die Spritze mit der siebten Dosis ansonsten am Ende des Tages weggeworfen werden würde.

Diebstahl geringwertiger Sachen (§ 242 StGB i.V.m. § 248 StGB)?

Eigentümer des Impfstoffes ist der Bund, der auch die Kosten für die Impfung trägt. Gewahrsam an dem in einem Impfzentrum vorhandenen Impfstoff wird wiederum dessen Betreiber haben, wobei regional unterschiedlich sein kann, wer dies im Einzelfall ist. In § 6 Abs. 1 S. 2 der aktuellen CoronaImpfV vom 08.02.2021 heißt es hierzu:[9] „Die Impfzentren werden von den Ländern oder im Auftrag der Länder errichtet und betrieben“.

Jedenfalls wird sich für den in einem Impfzentrum beschäftigten Arzt die Spritze mit der siebten Impfdosis als eine für ihn fremde bewegliche Sache darstellen, die er sich durch die Mitnahme aneignet. Die Spritze mit dem Impfstoff hat hierbei auch einen wirtschaftlichen (Verkehrs)wert, der mit umgerechnet wohl etwa 16-17 € zu beziffern sein wird, was jedoch für die Frage der Strafbarkeit gem. § 242 StGB dahinstehen kann, da es auf den wirtschaftlichen Wert der entwendeten Sache für den Tatbestand des Diebstahls nach h.M. nicht ankommen soll.[10]

„Retten“ könnte den Arzt in der konkreten Situation jedoch das Vorliegen eines tatbestandsausschließenden Einverständnisses, was dann zu bejahen wäre, wenn der Arzt davon ausgehen durfte, dass eine Verimpfung auch der sieben Dosis nicht gegen den Willen des Gewahrsamsinhabers erfolgte. Für eine solche Annahme des Arztes könnte sprechen, dass die siebte Spritze, würde sie angesichts der aktuell auf sechs Dosen begrenzten Zulassung nicht verimpft werden, entsorgt werden müsste. Betrachtet man sich auch die eingangs dargestellte Diskussion um den Jahreswechsel 2020/2021 im Vorfeld der durch die EMA vorgenommenen Änderung von fünf auf sechs Dosen, so konnte der Arzt m.E. davon ausgehen, dass er, solange für die Impfdosis keine Mischung von verschiedenen Ampullen stattfand, diese materiell arzneimittelrechtlich verimpfen darf. Was bleibt ist das formal arzneimittelrechtliche Problem der fehlenden Zulassung. Fraglich ist auch, ob das Einverständnis unter der Bedingung steht, dass die durchgeführte Impfung nicht gegen die CoronaImpfV vom 08.02.2021 verstößt, was sie jedoch tut, da das Vorgehen des Arztes die nach der CoronaImpfV vom 08.02.2021 vorgenommene Priorisierung der zu impfenden Personen nicht beachtet.

Um auf der sicheren Seite zu sein, wäre einem Impfzentrum vor diesem Hintergrund derzeit m.E. anzuraten, stets eine „Notfall-Liste“ an Personen zur Hand zu haben, bei denen sichergestellt ist, dass diese ebenfalls – entsprechend der aktuellen Empfehlung der STIKO und in Einklang mit der CoronaImpfV – zu der aktuell zu impfenden Gruppe gehören. Diese Personen könnten dann ggfs. kurzfristig informiert werden, sollten vereinbarte Impftermine nicht eingehalten werden oder aber eine siebte Impfdosis zur Verfügung stehen. Dass eine derartige Lösung in der aktuellen Pandemie-Situation zweifelsohne die bessere Lösung darstellt, als zur Verfügung stehen Impfstoff wegzuwerfen, liegt auf der Hand!

[1] https://www.aerztezeitung.de/Politik/Comirnaty-kommt-die-Zulassung-fuer-...

[2] https://www.aerztezeitung.de/Medizin/Ueberschuessiger-COVID-19-Impfstoff...

[3] https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ema-genehmigt-entnahme-von-sechst...

[4] https://www.ema.europa.eu/en/documents/product-information/comirnaty-epa...

[5] https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/coronavirus/impfstof...

[6] https://www.aerztezeitung.de/Nachrichten/NRW-erlaubt-siebte-Dosis-aus-Co...

[7] Vgl. https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/ImpfungenAZ/COVID-19/Impfemp...

[8] Vgl. https://www.tagesschau.de/inland/verstoesse-impfreihenfolge-103.html; https://www.nordbayern.de/region/wut-uber-impfdrangler-das-ist-kriminell...

[9] https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975226/1851894/e195f7a8ee3e...

[10] BeckOK StGB/Wittig StGB § 242 Rn. 3

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2 Kommentare

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Wer sich gegen Corona impfen lässt, der erlaubt diesen Eingriff in seine körperliche Unversehrheit unter der stillschweigenden Bedingung, daß die Impfung ordnungsgemäß, also entsprechend den Vorgaben der EMA, vorgenommen wird.

Wenn aus Sparsamkeitsgründen oder aus welchen Gründen auch immer in einem Impfzentrum das Personal vorsätzlich den Patienten nicht die volle von der EMA vorgegebene Dosis verabreicht, sondern einen Teil des Impfstoffes unterschlägt bzw. vorsätzlich zurückbehält, dann könnten die Voraussetzungen für die stillschweigende Einwilligung der Patienten in die Impfung und damit für den Eingriff in ihre körperliche Unversehrheit wohl nicht mehr vorliegen.

Impfpersonal, das vorsätzlich und ohne individuelle Einwilligung weniger Impfstoff verabreicht als vorgeschrieben, macht sich also wohl der (wegen der Spritzen-Nadel) gefährlichen Körperverletzung strafbar, und auch eine Anweisung durch Vorgesetze lässt weder Tatbestand noch Rechtswidrigkeit entfallen. 

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Diejenigen in Amt und Verantwortung tragenden Politiker, welche den Vertrag mit den Imppstoffherstellern und Lieferanten derart geändert haben, daß die Hersteller und Lieferanten nun genausoviel Geld bekommen sollen wie ursprünglich vereinbart, aber nun weniger Liter Impfstoff liefern müssen als ursprünglich vereinbart, könnten sich vielleicht auch strafbar gemacht haben.

Wären sie GmbH-Geschäftsführer, wäre ihr Verhalten möglicherweise als Untreue zu bewerten.

Allerdings werden an öffentliche Amtsträger und Politiker üblicherweise nicht so strenge Anforderungen gestellt, wie an GmbH-Geschäftsführer.

Obwohl eigentlich beide in eigener Verantwortung fremde Geschäfte führen, und man daran denken könnte, beiden gruppen vergleichbare Treuepflichten aufzuerlegen.

Allerdings ist das politisch wohl nicht gewollt, und mit dem Hinweis darauf, daß Politiker zwecks größerer Flexibilität mehr Handlungsspielraum haben sollten, vielleicht auch vertretbar.

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