Verteidigererklärung: Muss abgenickt werden!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 04.08.2021
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|2993 Aufrufe

Verteidigererklärungen - häufig schriftlich vorbereitet - sind schön für Gericht und StA. Sie machen es i.d.R. entbehrlich, den Angeklagten lange löchern zu müssen. Und wenn sie schriftlich vorliegen, können sie als Einlassung einfach ins Urteil eingefügt werden. Gleichwohl ist Vorsicht geboten. Die Verteidigererklärung muss nämlich noch zur Einlassung gemacht werden. Dies geschieht i.d.R. durch die sinngemäße Erklärung des Angeklagten: "Das soll meine Einlassung sein." Findet so etwas nicht statt, ist die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft. Na ja - und das Gericht muss sich auch immer darüber klar sein, dass so eine Verteidigererklärung nicht so eine "richtige" Einlassung ist...

 

Darüber hinaus ist die Beweiswürdigung fehlerhaft.

Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts; die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob ihm Rechtsfehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene Anforderungen gestellt worden sind (st. Rspr. des BGH; vgl. BGH, Urteil vom 03.06.2015 – 5 StR 55/15 = NStZ-RR 2015, 255 m. w. N.). Die Beweise sind erschöpfend zu würdigen. Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGH, Urteil vom 13.12.2012 – 4 StR 33/12 – BeckRS 2013, 00984 m. w. N.). Aus den Urteilsgründen muss sich ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (BGH a. a. O. m. w. N.). Im Rahmen der erforderlichen Beweiswürdigung muss das Landgericht von der Einlassung des Angeklagten ausgehen und diese so vollständig und genau wiedergeben, wie es erforderlich ist, damit das Revisionsgericht prüfen kann, ob der Tatrichter unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise zu Recht die Einlassung als unwiderlegbar seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat (vgl. BGH, Urteil vom 30. 09.2010 – 4 StR 150/10, teilweise abgedruckt in NStZ-RR 2013, 134, 135 m. w. N.).

Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung der Kammer nicht gerecht.

a)

Zwar hat die Strafkammer ihrer Beweiswürdigung zum Tatgeschehen zunächst die Einlassungen der Angeklagten zugrunde gelegt, die in der Hauptverhandlung in Form von Verteidigererklärungen abgegeben worden waren und ausgeführt, diese seien durch die Aussage der Zeugin L teilweise bestätigt, im Übrigen konkretisiert und ergänzt worden. Demgegenüber werde die Aussage der Zeugin L durch die Aussagen der Zeugen B und I nicht entkräftet.

Die Strafkammer hat jedoch bereits verkannt, dass keine rechtlich verwertbare Einlassung der Angeklagten vorliegt. Aber selbst wenn dies der Fall wäre, hat die Strafkammer den Beweiswert der Einlassungen der Angeklagten verkannt. Eine eigene mündliche Einlassung der Angeklagten ist nicht erfolgt. Es erfolgte lediglich die Verlesung einer schriftlich vorbereiteten Erklärung durch die Verteidiger.

Bei in der Hauptverhandlung verlesenen schriftlichen Ausführungen des Verteidigers, in denen er Angaben des schweigenden Angeklagten wiedergibt, muss der Angeklagte diese Erklärung bestätigen oder erklären, dass er sie als eigene Einlassung verstanden wissen will (vgl. BGH, Urteil vom 11.03.2020 2 StR 69/19, NStZ 2021, 180, BGH, Beschluss vom 28.6.2005 – 3 StR 176/05, NStZ-RR 2005, 353; MüKoStPO/Miebach StPO § 261 Rn. 199 m.w.N.).

Daran fehlt es hier. Auch wenn vorliegend die verlesenen Erklärungen (jedenfalls betreffend den Angeklagten zu 1)) in „Ich-Form“ verfasst sind, ist dem Hauptverhandlungsprotokoll eine solche Erklärung der Angeklagten nicht zu entnehmen. Fehlt die allein durch die Sitzungsniederschrift nachweisbare ausdrückliche Bestätigung des Angeklagten, liegt rechtlich keine verwertbare Einlassung vor (KK-StPO/Schneider, 8. Aufl. 2019, StPO § 243 Rn. 89).

Zum Gegenstand der Hauptverhandlung wird danach lediglich der mündliche Vortrag durch die Verteidiger. Eine Überprüfung, ob die zusammenfassende Darstellung der Einlassungen in den Urteilsgründen zutreffend und vollständig ist, ist dem Senat ohne Rekonstruktion der Hauptverhandlung nicht möglich (vgl. BGH NStZ 2004, 163; 2004, 392). Nur wenn die Strafkammer die Verlesung der Schriftstücke angeordnet und durchgeführt hätte, wären die Urkunden in ihrem Wortlaut in die Hauptverhandlung eingeführt worden und hätten von der Revision als Maßstab zur Überprüfung der Beweiswürdigung herangezogen werden können (BGH, NStZ 2007, 349). Eine solche Anordnung ist dem Hauptverhandlungsprotokoll nicht zu entnehmen.

Aber selbst wenn man vom Vorliegen einer rechtlich verwertbaren Einlassung ausgehen wollte, hat die Strafkammer den Beweiswert der Einlassungen verkannt. Bei einer Einlassung mittels Verteidigererklärung hat das Gericht zu berücksichtigen, dass dieser von vornherein nur ein erheblich verminderter Beweiswert zukommt, da es sich um schriftliches, situativ häufig nicht hinterfragbares Verteidigungsvorbringen handelt (vgl. BGH Urteil vom 24.04.2003 – 3 StR 181/02, NStZ 2003, 498 (499); BGH, Beschluss vom 30.10.2007 – 3 StR 410/07, NStZ 2008, 476 (477); BGH, Beschluss vom 08.01.2009 – 5 StR 578/08; Löwe/Rosenberg/Becker, 27. Aufl., StPO § 243 Rn. 82, 85; KK-StPO/Schneider, 8. Aufl. 2019, StPO § 243 Rn. 91). Derartige in der Hauptverhandlung verlesene Einlassungen sind nur bedingt einer Glaubhaftigkeitsprüfung zugänglich, weil es sich faktisch nicht um eine mündlich abgegebene Sachäußerung handelt, aus der ein unmittelbarer Eindruck des Aussageverhaltens gewonnen werden könnte (BGH Beschluss vom 30.10.2007 – 3 StR 410/07, NStZ 2008, 476 (477)). Der Beweiswert dieses Einlassungssurrogats bleibt substanziell hinter der dem gesetzlichen Leitbild der Einlassung entsprechenden, nicht nur persönlich und mündlich, sondern auch in freier Rede und vollständig getätigten Äußerung zurück (BGH, NStZ 2021, 180).

Den Urteilsgründen ist indes nicht zu entnehmen, dass die Strafkammer sich des verminderten Beweiswertes der Einlassungen der Angeklagten bewusst war. Dies wäre vorliegend allerdings umso mehr geboten gewesen, als ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls Rückfragen nicht gestattet waren und sich die Kammer folglich überhaupt keinen eigenen Eindruck von den Angeklagten verschaffen, eine Glaubhaftigkeitsprüfung der Einlassungen der Angeklagten also nicht vornehmen konnte.

OLG Hamm, Urt. v. 1.6.21 - 5 RVs 33/21

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen