BGH nicht auf dem neuesten Stand - oder: alle schauen auf Darmstadt

von Dr. Klaus Lützenkirchen, veröffentlicht am 21.02.2009

Ein Anwaltskollege hatte im Berufungsverfahren vor dem Landgericht Darmstadt einen Vermieter zu vertreten, der Betriebskostennachforderungen geltend machte. In erster Instanz hatte der Vermieter sich selbst vertreten und obsiegt. In der zweiten Instanz hatte das Landgericht Darmstadt mit der ihm eigenen herrschenden Meinung (vgl. z.B. LG Darmstadt v. 19. 19. 1. 2005 - 7 S 148/04, NZM 2005, 453) festgestellt, dass eine stillschweigende Änderung der Umlagevereinbarung nicht in Betracht komme.

Nun nahm der Vermieter den Kollegen in Regress mit der Begründung, er habe in dem Berufungsverfahren auf den Beschluss des BGH v. 29.5.2000 (XII ZR 35/00, NJW-RR 2000, 1463) hinweisen müssen, um die falsche Entscheidung des Landgerichts zu vermeiden. Darin bestärkt ihn der BGH, weil der mit der Prozessführung betraute Rechtsanwalt seinem Mandanten gegenüber verpflichtet sei, dafür einzutreten, dass die zugunsten des Mandanten sprechenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte so umfassend wie möglich ermittelt und bei der Entscheidung des Gerichts berücksicht werden; dazu gehöre insbesondere der Hinweis auf einschlägige Urteile (BGH v. 18.12.2008 - IX ZR 179/07, BeckRS 2009 04357 = WuM 2009, 134).

Bei der Feststellung der Kausalität verweist der IX. Senat auf eine "mittlerweile gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs", wonach "die Umlegung einzelner sonstiger Betriebskosten auch aufgrund jahrelanger Zahlung durch stillschweigende Vereinbarung erfolgen" könne und verweist dabei zusätzlich auf die Entscheidung vom 7.4.2004 (VIII ZR 146/03, NJW-RR 2004, 877). Zwar sei das Gericht eigenständig zur Prüfung der Sach- und Rechtslage verpflichtet und habe daher bei eigener sorgfältiger Prüfung die einschlägige Entscheidung des BGH finden und sich mit ihr auseinander setzen müssen. Der Schadensbeitrag des Gerichts überwiege den des Anwalts aber nicht so weit, dass letzterer ganz dahinter zurücktrete.

Zum Glück wurde die Sache zur erneueten Verhandlung zurückverwiesen. Denn "mittlerweile" hat der VIII. Senat die angeblich gefestigte Rechtsprechung, insbesondere seine eigene Entscheidung v. 7.4.2004 zumindest "relativiert" (vgl. BGH v. 10.10.2007 - VIII ZR 279/06, NZM 2008, 81). Nach dieser Entscheidung wird eigentlich allgemein  davon ausgegangen, dass es zur Annahme der stillschweigenden Änderung einer Umlagevereinbarung heute der Feststellung besonderer Umstände bedarf.

Allerdings müsste sich diese Rechtsentwicklung zugunsten des Kollegen wenigstens bis Darmstadt herumsprechen. Daran bestehen Zweifel, nachdem dort 2005 noch Entscheidungen von 1982 und Sternel in der 3. Auflage von 1988 die herrschende Meinung bildeten. Da die Veränderungen auch am Ort ihrer Entstehung nicht bemerkt wurden, müsste sich jemand finden, der nachhilft.

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5 Kommentare

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Bevor man in besonderem Maße zum Stilmittel der Häme greift, sollte man sich vielleicht in besonderem Maße kundig machen.

Das haben Sie hier leider versäumt: In dem angeblich "relativierenden" Urteil vom 10.10.2007 ging es um die Frage, ob bereits einer einzigen Zahlung des Mieters ein entsprechender Erklärungswert zukommt - dass man da auf die Konkludenz der Gesamtumstände in besonderem Maße wert legt, ist nachvollziehbar. Im Urteil vom 18.12. 2008 war dagegen offenbar mehr als ein Dutzend Jahre widerspruchslos gezahlt worden. Wer diesen Unterschied nicht sehen will, verweigert sich bewusst.

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Die NZM zitiert aus der Entscheidung des BGH (vgl. BGH v. 10.10.2007 - VIII ZR 279/06, NZM 2008, 81):
"Auch mit der Rüge, durch jahrelange anstandslose Zahlung der Nebenkostenabrechnungen sei (nachträglich) eine stillschweigende Vereinbarung über die in den jeweils erstellten Abrechnungen enthaltenen Betriebskosten zwischen den Parteien zu Stande gekommen, dringt die Revision nicht durch." Scheint also doch mehr als nur eine einzige Zahlung gewesen zu sein.

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Da erweist sich einmal mehr als hinderlich, dass der Beck-Verlag den Zugriff auf die verlinkten Entscheidungen so erschwert.

Wenn Sie z.B. über dejure.org oder lexetius.com auf die Originalentscheidung zugreifen würden (http://lexetius.com/2007,3384), bräuchten Sie sich nicht mit dem Referat des Parteivorbringens zufrieden zu geben, das sich offenbar in der NZM findet, sondern könnten unter Rn. 22 in den Entscheidungsgründen finden, was der BGH selbst davon hält. Danach ging es zwar um 5 Jahre, aber in dreien davon hatte sich gar keine Nachzahlung ergeben und die letzten beiden waren in einer Nachzahlung zusammengefasst.

Ich gebe aber zu, dass für diese Feststellung ein flüchtiges Lesen nicht ausreicht. Und vielleicht ist es auch zuviel verlangt, eine Entscheidung, die man kritisch bespricht, vorher mehr als nur flüchtig zu lesen.

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Abgesehen davon, dass sich aus Tz. 19 der Entscheidung vom 10.10.2007 (www.bundesgerichtshof.de) eindeutig ergibt, dass der BGH neben der bloßen Abwicklung einer Abrechnung zusätzliche Anforderungen stellt, hat der Vorsitzende Richter des VIII. Senats des BGH, Herr Ball, auf dem Deutschen Mietgerichtstag 2008 ausdrücklich erläutert, dass allein die vorbehaltlose Zahlung oder Entgegennahme des Saldos nicht ausreicht, um eine stillschweigende Vertragsänderung anzunehmen. Es müsse ein Verhalten festgestellt werden können, an das ein Erklärungsbewusstsein zur Vertragsänderung geknüpft werden kann. Dies ist auch bei den Instanzgerichten angekommen (vgl. z.B. AG Köln v. 14.5.2008 – 220 C 422/07, DWW 2008, 260). Im Hinblick darauf können wir nur noch darüber diskutieren, ob eine Änderung der Rechtsprechung eingetreten ist oder - so Herr Ball - die bisherige Rechtssprechung des BGH (einschließlich des XII. Senats) missverstanden wurde.
Im Übrigen hat die Rechtssprechung des Landgerichts Darmstadt, auf die der IX. Senat verweist, eine ganz besondere Geschichte. Es ist nämlich nicht der einzige Regress gegen einen Kollegen, über den der IX. Senat entschieden hat. Das hat das Landgericht noch zu einem Zeitpunkt selbst besorgt (LG Darmstadt v. 26.8.2005 - 24 S 20/05, NJW 2006, 519), als sich die Änderung der BGH-Rechtsprechung noch nicht absehen ließ.
Das und die vorangegangenen Entscheidungen, die auf Sternel aufbauten, haben dem Landgericht Darmstadt damals viel Häme eingebracht. Denn in der Republik war der Eindruck entstanden, in Darmstadt sei man nicht auf der Höhe der Zeit. Nunmehr ist die Annahme gerechtfertigt, dass man in Darmstadt mit veralterter Literatur seiner Zeit voraus war. Bedauerlicherweise hilft das dem Kollegen, über den das Landgericht am 26.8.2005 selbst geurteilt und ihm vorgeworfen hat, er habe die falsche Entscheidung in der Mietsache vermeiden können, indem er die Revisionszulassung beantragt, nichts mehr.

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Entgegen dem von Ihnen erweckten Eindruck hat die zitierte Entscheidung des AG Köln ausgeführt:

"Falls der Beklagte in den ersten Jahren durch seine vorbehaltlose Zahlung noch nicht seinen Willen zu einer konkludenten Vereinbarung über die Umlage der Betriebskosten zum Ausdruck bringen wollte, so musste er spätestens nach Ablauf von fünf oder zehn Jahren erkennen, dass die Klägerin sein Verhalten so verstand oder verstehen würde. Er hat aber anschließend noch fünf weitere Jahre anstandslos Zahlungen entrichtet. Hieraus konnte die Klägerin nur schließen, dass der Beklagte mit der Umlage der Betriebskosten einverstanden war (§§ 133, 157 BGB)."

Und auch wenn ich in Köln nicht dabei war, habe ich wenig Zweifel, dass Herr Ball zwar zum Ausdruck bringen wollte, man dürfe es sich mit der Konkludenz nicht so leicht machen wie dies in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung zT geschehen ist, aber mit der Konkludenz von mindestens 10 Zahlungsvorgängen (Rn. 14 der Entscheidung vom 8.12. 2008: ab 1988, mindestens bis 1997) ebenso wenig Probleme hätte wie das AG Köln - genau so hat es ja sein eigener Senat im Jahr 2004 (9 Jahre) auch entschieden, und hiervon hat sich der VIII. Senat im Urteil vom 10.10. 2007 auch mit keinem Wort distanziert.

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