Ca. zehn Gefangene aus Guantanamo - eine Zumutung?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 06.05.2009

Seit vorgestern ist bekannt, dass die USA förmlich darum bitten "etwa zehn" Gefangene, die sie jahrelang ohne Rechtsgrundlage in Guantanamo festgehalten haben, in Deutschland aufzunehmen, eine Frage, die sich schon seit Längerem abgezeichnet hat. Es handelt sich wohl um Angehörige der uigurischen Minderheit (die immerhin aus ca. 9 Millionen Menschen besteht) aus China, die auf dem afghanischen Kriegsschauplatz gefangen genommen wurden. In der Süddeutschen Zeitung heißt es genauer, die Uiguren seien nach Pakistan geflohen und vom pakistanischen Militär 2002 an die USA ausgeliefert worden.

Man liest Widersprüchliches zur Einschätzung, ob sich Teile der uigurischen Minderheit in ihren Autonomiebestrebungen gegenüber China auch Terroristen angenähert haben (ob die betr. Gefangenen konkret dazu gehören, wäre eine weitere Frage). Es heißt, China unterdrücke die Uiguren (ähnlich wie die Tibeter) und verfahre dabei menschenrechtswidrig - es gibt entspr. Berichte von amnesty international  (Quelle: hier). Man hört auch, die USA habe damals primär aus diplomatischen Gründen, nämlich um China in ihren weltweiten "war on terror" einzubinden, die ETIM (East Turkestan Islamic Movement) als terroristische Vereinigung eingestuft. (Quelle: hier)

Die Gefangenen sollen nun nach Einschätzung der US-Behörden "unschuldig" (soll wohl heißen, nicht Angehörige von Terrorgruppen) und "ungefährlich" sein (soll wohl heißen, es ist nicht damit zu rechnen, dass sie nach ihrer Freilassung erhebliche Straftaten begehen werden). Wenn man die Richtigkeit dieser Berichte unterstellt, fragt sich, welchen vernünftigen Grund es geben kann, diese Menschen nicht in Deutschland aufzunehmen. Zeit-Online dokumentiert einige Antworten aus den Kreisen der uns (immer noch) regierenden Koalition:

"Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach befand, die USA oder die Heimatländer seien für die Aufnahme verantwortlich (...). Außerdem sei eine Aufnahme "mit einem erheblichen Risiko verbunden". Deshalb dürfe Deutschland nicht sofort laut "Ja" rufen. Schon vorher hatte Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) grundsätzliche Sicherheitsbedenken erhoben, während Außenminister Frank-Walter Steinmeier ebenso grundsätzlich für eine Aufnahme aus humanitären Gründen plädiert."

Möglicherweise hat Zeit-Online hier verkürzt zitiert. Ansonsten sind das erstaunlich einfach strukturierte Antworten der Herren Bosbach, Schäuble und Steinmeier. "Grundsätzliche" Sicherheitsbedenken  führt man an, wenn man nichts Substantiiertes sagen kann. Herr Bosbach muss wissen, dass das Heimatland (China) für die Freigelassenen eben keine Alternative ist. Nur deshalb wird ja die Frage der Aufnahme überhaupt relevant. Welche "erhebliche Risiken" Bosbach sieht - es bleibt sein Geheimnis. Wenn Herr Steinmeier für eine Aufnahme aus humanitären Gründen plädiert, hört sich das vernünftig an, aber die Frage, die doch zu allererst zu beantworten ist (und insofern hat Bosbach auch Recht): Warum werden die Gefangenen nicht in den USA aufgenommen? Natürlich sind zunächst die USA verantwortlich und sie können die Verantwortung auch nicht einfach auf andere Länder abschieben. Schon gar nicht, wenn der eigentliche Grund für die Anfrage darin bestehen sollte, dass man in den USA juristischen Ärger befürchtet, sollten die Uiguren auf dem Festland klagen. Amnesty international fordert weiterhin, die Uiguren in die USA zu lassen.

Wenn allerdings ein Leben in den USA den Gefangenen nicht zumutbar sein sollte, dann stellt sich die "humanitäre Frage", die man dann wohl kaum vernachlässigen kann. Zu berücksichtigen bei der Entscheidung: Die USA ist ein verbündeter Staat, an dessen Afghanistan-Mission sich auch Deutschland beteiligt. Die von einigen Politikern wählerwirksam verbreitete Ansicht "das geht uns Deutsche nichts an" ist vor diesem Hintergrund fragwürdig. Und in München befindet sich bereits eine Gruppe Exil-Uiguren, die offenbar so weit integriert sind, dass selbst die Münchener CSU einer Aufnahme weiterer Uiguren zustimmt (Uiguren in München willkommen - Iris Hilberth auf FR-Online), während Herr Ramsauer noch mit der gegenteiligen Behauptung auf Wählerstimmenfang geht.

Zwei Artikel möchte ich zur Lektüre empfehlen. Sie machen die Sache nicht einfacher, aber so einfach, wie sie Politiker im Wahlkampf gern haben, ist die Wirklichkeit eben nicht:

Debattenbeitrag "Komplizierte Gäste" von Torsten Kraul auf Welt-Online

Hier noch ein ausgewogener Hintergrundbericht von Albrecht Metzger zur uigurischen Autonomiebewegung in China und den möglichen Verbindungen zum Terrorismus auf qantara.de.

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6 Kommentare

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Politisch Verfolgte genießen Asylrecht (Art. 16a GG).

Können die Guantanamo-Uiguren wegen ihrer politischen Verfolgung nicht mehr zurück in die Heimat  und sind sie tatsächlich unschuldig, dann sollte mit ihnen verfahren werden, wie mit anderen politisch Verfolgten.

Fraglich ist allerdings, ob sie tatsächlich so ungefährlich sind.

Werden sie vielleicht nicht auch ungefährlich gemacht, dass eine Aufnahme in Deutschland möglich ist?

Stimmt die Mitteilung der Süddeutschen Zeitung, wonach ein Militärgericht bestätigt hat, dass sie versehentlich verhaftet und jahrelang festgehalten wurden, dann sollte der jahrelange Aufenthaltsort in Guantanamo kein Hinderungsgrund für eine Aufnahme in Deutschland sein.

 

 

 

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Lieber Herr Kollege Müller,

Ihrer Stellungnahme schließe ich mich vollinhaltlich an. Nur frage ich mich, warum "unschuldige" und "ungefährliche" Uiguren so lange festgehalten werden. Damit wären wir wieder bei der Frage, wie die US-Regierung Guantanamo aufarbeiten will.

Beste Grüsse

Bernd von Heintschel-Heinegg 

Die Unionspolitiker, die insbesondere Sicherheitsbedenken hegen, könnten sich sicher mit Senator Jim Webb aus Virginia anfreunden, denn auch er sagt einfach "No" zur Frage, ob die Uiguren in Virginia aufgenommen werden sollten. Seine nicht besonders substantiierten Bedenken gehen jedenfalls in eine ähnliche Richtung und er setzt auf "third countries" - also z.B. Deutschland. Webb vorgestern in einem Interview mit dem Fernsehsender ABC:

ABC/STEPHANOPOULOS: I want to bring Senator Webb in on this, because I know there are about 17, I believe, Chinese Uighurs, they are called, who have been ordered released by a federal court, they've determined not to be a threat to the United States. And the administration has been working on plans to bring them to Virginia. Can you accept them in your state?
WEBB: Well, let me back up for a minute. The answer is no.
STEPHANOPOULOS: No?
WEBB: No. And I'll -- and then let me explain why. But to back it up, the numbers that we've seen in my office are about 800 people have gone through Guantanamo. The majority of those who have been released, we're down to 220 to 240, so the majority of those that have been released have been released to third countries, not actually released out into the open -- you know, to where they can...
STEPHANOPOULOS: Just let out the door, right.
WEBB: Yes, right. So we don't know really where they have gone. This other group deserves due process. They deserve, in the right kind of environment, and I support what the president is doing on the military commissions, to have their cases examined, to see whether or not they should continue to be detained. The situation with the Chinese Uighurs that you're talking about, on the one hand, it can be argued that they were simply conducting dissident activities against the government of China. On the other, they accepted training from al Qaeda and as a result they have taken part in terrorism. I don't believe they should come to the United States.
STEPHANOPOULOS: Not to the United States and not Virginia.
WEBB: No, I don't believe so.
(Quelle: hier)

Wenn nun alle US-Senatoren so denken (nämklich an die Wähler daheim, die sich vor der Rache der Uiguren fürchten), dann wird deutlich, weshalb Präsident Obama auf die Freunde in Europa setzen muss: Er kann die US-Bundesstaaten offenbar nicht zwingen, die Uiguren aufzunehmen.

 

Neues zu den Uiguren:

Laut Meldung auf Spiegel -Online haben die uigurischen Gefangenen über ihre Anwältin an die Bundesregierung apelliert und um ihre Aufnahme gebeten (Interview: hier). Dabei wird ausgeführt, die Gefangenen seien nie in Ausbildungslagern der Taliban oder Al Qaida gewesen. Bundeskanzlerin Merkel wolle sogar nachgeben. Aber Innenminister Schäuble bleibe hart: Es gebe keine Rechtsgrundlage für die Aufnahme (Quelle:hier). Aber bedürfte es überhaupt einer solchen? Könnte man diese nicht schaffen? Und wie ist es mit einer Aufnahme als humanitäre Geste? Will Schäuble etwa behaupten, Deutschland sei nicht mal souverän genug, eine solche Frage zu entscheiden? Arme Bundeskanzlerin! Hat offenbar weniger Macht als ihre Kollegen in Palau:

Denn mittlerweile soll sich Palau (ein pazifischer Inselstaat mit ca. 20.000 Einwohnern) auf Bitten der US-Regierung bereit erklärt haben, die Uiguren aufzunehmen . Palau bekommt dafür von den USA Hilfszusagen in Höhe von 200 Millionen US-Dollar (also ca. 10.000 Dollar pro Einwohner) (Quelle:hier) Ich nenne das mal "diplomatischen Menschenhandel".

 

 

In einem Interview, das Spiegel-Online mit dem Präsidenten von Palau  führte, bestreitet dieser einen Zusammenhang von Hilfszusagen mit der Gefangenenaufnahme. Seine Antworten zu den Sicherheitsbedenken anderer Staaten sind erfrischend simpel und lassen mich für unseren Bundesinnenminister Schäuble beinahe Scham empfinden.

 

 

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