Der Arbeitgeber als "Super-Nanny" alleinerziehender Betriebsratsmitglieder?

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 28.06.2010

Vor lauter Getöse über die Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit durch den Zehnten Senat des BAG ist eine andere Entscheidung des BAG vergangene Woche beinahe untergegangen: Der Arbeitgeber muss im erforderlichen Umfang die Kosten erstatten, die einem alleinerziehenden Betriebsratsmitglied während einer mehrtägigen auswärtigen Betriebsratstätigkeit durch die Fremdbetreuung seiner minderjährigen Kinder entstehen (BAG, Beschluss vom 23.06.2010 - 7 ABR 103/08).

Die Antragstellerin ist alleinerziehende Mutter zweier 11 und 12 Jahre alten Kinder und Mitglied des Betriebsrats. Für zwei Sitzungen des Gesamtbetriebsrats und die Teilnahme an einer Betriebsversammlung war sie insgesamt zehn Tage ortsabwesend. Für die Betreuung ihrer Kinder während dieser Zeit nahm sie fremde Hilfe in Anspruch und entlohnte diese mit 600 Euro. Die Erstattung dieses Betrages verlangte sie vom Arbeitgeber.

Anders als die Vorinstanzen hat das BAG dem Antrag der Frau entsprochen. Nach § 40 Abs. 1 BetrVG trägt der Arbeitgeber die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten. Dazu gehören auch die Aufwendungen, die einzelne Betriebsratsmitglieder zur Erfüllung ihrer Betriebsratsaufgaben für erforderlich halten dürfen, nicht aber sämtliche Kosten, die nur irgendwie durch die Betriebsratstätigkeit veranlasst sind. Grundsätzlich nicht erstattungsfähig sind insbesondere Aufwendungen, die der persönlichen Lebensführung zuzuordnen sind. Vom Arbeitgeber zu tragen sind nach Überzeugung des Gerichts aber Kosten, die einem Betriebsratsmitglied dadurch entstehen, dass es die Betreuung seiner minderjährigen Kinder für Zeiten sicherstellen muss, in denen es außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit Betriebsratsaufgaben wahrzunehmen hat. Das ergebe die verfassungskonforme Auslegung des § 40 Abs. 1 BetrVG. Das Betriebsratsmitglied befinde sich in einem solchen Fall in einer Pflichtenkollision zwischen seinen betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben und der Pflicht zur elterlichen Personensorge. Nach Art. 6 Abs. 2 GG sind Pflege und Erziehung der Kinder nicht nur „das natürliche Recht der Eltern“, sondern auch „die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“. Dementsprechend dürfe dem Betriebsratsmitglied durch die gleichzeitige Erfüllung beider Pflichten kein Vermögensopfer entstehen. Dem Anspruch stehe auch nicht entgegen, dass in dem Haushalt des Betriebsratsmitglieds noch eine volljährige berufstätige Tochter lebte, welche die Betreuung ihrer jüngeren Geschwister abgelehnt hatte. Die Antragstellerin habe daher die entstandenen Betreuungskosten von insgesamt 600 Euro auch der Höhe nach für erforderlich halten dürfen.

Die Vermutung liegt nahe, dass das Gericht seine Rechtsprechung bei nächster Gelegenheit auch auf vergleichbare Fälle, insbesondere die Kinderbetreuung während der Teilnahme des Betriebsratsmitglieds an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen (§ 37 Abs. 6 BetrVG), ausdehnen wird.

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