Der BGH und der hypothetische BZR-Auszug

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 04.01.2012
Rechtsgebiete: BGHBZRGStrafrechtVerkehrsrecht|2747 Aufrufe

Das LG hatte eine ausländische Verurteilung zu lasten des Angeklagten in die Strafzumessung eingestellt - der BGH fordert eine hypothetische BZRG-Prüfung:

 

Keinen Bestand haben dagegen die gegen den Angeklagten Georgi B. verhängten Einzelstrafen sowie die Gesamtstrafe.
a) Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen absolvierte der inzwischen 35-jährige Angeklagte im Alter von 17 bzw. 18 Jahren in Bulgarien seinen Militärdienst, beging „Fahnenflucht“ und wurde deshalb in Bulgarien zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Ferner hat er in Bulgarien „noch weitere Freiheitsstrafen verbüßt“ (UA S. 8 f.), zu denen das Urteil – anders als beim Angeklagten Boris B. - keine Einzelheiten mitteilt. Weitere Vorstrafen hat das Landgericht nicht festgestellt.
Bei der Bemessung der gegen den Angeklagten Georgi B. wegen Beihilfe zur Vergewaltigung verhängten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten hat die Strafkammer – an erster Stelle – zu Lasten des Angeklagten angeführt, dass sich dieser, „obwohl er bereits in Bulgarien freiheitsentziehende Maßnahmen erlitten hat, nicht von der Begehung der vorliegenden Taten [hat] abschrecken lassen“ (UA S. 40). Ferner hat sie die „vorgenannten … straf-schärfenden Gesichtspunkte“ sowohl bei der Bemessung der wegen versuchter Nötigung verhängten Geldstrafe als auch der Gesamtstrafe berücksichtigt (UA S. 42).
b) Dies hält einer Überprüfung nicht stand.
aa) Zwar dürfen bei der Strafzumessung auch rechtskräftige ausländische Vorstrafen berücksichtigt werden, wenn die Tat nach deutschem Recht strafbar wäre (vgl. BT-Drucks. 16/13673 S. 6 f. mwN). Sind sie zur Bewertung des Vorlebens des Täters im Sinne des § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB relevant, müssen in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union ergangene Verurteilungen grundsätzlich sogar „mit gleichwertigen tatsächlichen bzw. verfahrens- und materiellrechtlichen Wirkungen versehen werden … wie denjenigen, die das innerstaatliche Recht den im Inland ergangenen Verurteilungen zuerkennt“ (vgl. Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Nr. 5 der Erwägungsgründe des Rahmenbeschlusses 2008/675/JI des Rates der Europäischen Union vom 24. Juli 2008 zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren). Dabei ist nicht Voraussetzung, dass es sich um eine nach § 54 BZRG im Bundeszentralregister eingetragene ausländische Vorstrafe handelt (BGH, Beschluss vom 1. August 2007 – 5 StR 282/07, NStZ-RR 2007, 368, 369; zur geplanten Neuregelung der Eintragung ausländischer Verurteilungen: vgl. BT-Drucks. 17/5224 [dort v.a. § 53a BZRG]).
bb) Die Verwertbarkeit einer ausländischen Verurteilung in einem in Deutschland geführten Strafverfahren zum Nachteil des Beschuldigten setzt grundsätzlich aber ebenfalls voraus, dass diese – würde es sich um eine Verurteilung nach deutschem Recht handeln – nicht tilgungsreif wäre.
Dies ergibt sich für im Bundeszentralregister eingetragene ausländische Verurteilungen aus §§ 51 Abs. 1, 56 Abs. 1 Satz 1 BZRG (gegebenenfalls in Verbindung mit § 63 Abs. 4 BZRG), gilt aber auch für dort nicht eingetragene ausländische Vorstrafen. Grundlage hierfür ist § 58 BZRG, nach dem eine aus-ländische Verurteilung, auch wenn sie nicht in das Bundeszentralregister einge-tragen ist, als tilgungsreif gilt, sobald eine ihr vergleichbare Verurteilung im Gel-tungsbereich des Gesetzes über das Zentralregister und das Erziehungsregister tilgungsreif wäre. Liegt eine solche Tilgungsreife vor, besteht – schon nach
dem Willen des Gesetzgebers – das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG (gegebenenfalls in Verbindung mit § 63 Abs. 4 BZRG); denn tilgungsreife „aus-ländische Verurteilungen [können] nicht in größerem Umfang zu seinem Nach-teil berücksichtigt werden als entsprechende deutsche Bestrafungen“ (BT-Drucks. VI/477 S. 25 [zu § 52 BZRG]; BayObLG, Urteil vom 17. März 1978 – RReg 2 St 429/77, BayObLGSt 1978, 39, 41; ebenso Götz/Tolzmann, BZRG, 4. Aufl., § 58 Rn. 6, 7; Hase, BZRG, 2003, § 58 Rn. 1; Rebmann, NStZ 1985, 529, 530). Dies entspricht auch dem Rahmenbeschluss 2008/675/JI des Rates der Europäischen Union vom 24. Juli 2008, der – etwa in Art. 3 Abs. 1 – darauf verweist, dass in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union ergangene frühere Verurteilungen im Strafverfahren „mit gleichwertigen Rechtswirkungen versehen werden wie im Inland ergangene frühere Verurteilungen“.
cc) Kommt mithin bei einer dem Tatrichter bekannt gewordenen, von ihm zum Nachteil des Beschuldigten berücksichtigungsfähigen ausländischen Vor-strafe in Betracht, dass diese – würde es sich um eine deutsche Verurteilung handeln – im Falle ihrer Eintragung im Bundeszentralregister tilgungsreif wäre (ohne dass eine Ausnahmeregelung - etwa die in § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG - eingreift), muss er die für die Tilgungsreife erforderlichen Feststellungen treffen und bewerten (vgl. dazu auch § 56 Abs. 1 Satz 2 BZRG) und dies im Urteil darlegen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 1. August 2007 – 5 StR 282/07, NStZ 2007, 368, 369; BayObLG, Urteil vom 17. März 1978 – RReg 2 St 429/77, BayObLGSt 1978, 39, 41; ferner BGH, Beschluss vom 3. Februar 1999 – 5 StR 705/98).
dd) Auf dieser Grundlage kann das landgerichtliche Urteil keinen Bestand haben. Denn der Senat kann die nach der Rechtsprechung des Bundes-gerichtshofs auf die Sachrüge hin gebotene Prüfung, ob die Strafkammer beim Angeklagten Georgi B. das (in Betracht kommende) Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG (gegebenenfalls in Verbindung mit § 63 Abs. 4 BZRG) missachtet hat, mangels hinreichender Feststellungen nicht überprüfen. Dies führt zur Aufhebung der Aussprüche über die Einzelstrafen sowie die Gesamtstrafe.

 

BGH, Beschl. vom 19.10.2011 - 4 StR 425/11 -

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