BGH: Verfassunsgrechtliche Grundlage für Zwangsbehandlung von Betreuten fehlt

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 18.07.2012
Rechtsgebiete: Familienrecht9|4398 Aufrufe

Aufgrund urlaubs- und krankheitsbedingter Ausfälle bin ich derzeit auch als Betreuungsrichter tätig.

Da platzt gestern eine Pressemitteilung des BGH ins Haus, die ich den Lesern dieses Blogs nicht vorenthalten will, da sie aus meiner Sicht einen tiefgreifenden Einschnitt im Betreuungsrecht darstellt.

Völlig ungeklärt erscheint die Rechtslage für die behandelnden Ärzte bis zu einem Tätigwerden des Gesetzgebers.

Der u.a. für das Betreuungsrecht zuständige XII. Zivilsenat  hat in zwei Verfahren entschieden, dass es gegenwärtig an einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden gesetzlichen Grundlage für eine betreuungsrechtliche Zwangsbehandlung fehlt.

In beiden Verfahren begehrten die Betreuerinnen die Genehmigung einer Zwangsbehandlung der wegen einer psychischen Erkrankung unter Betreuung stehenden, einwilligungsunfähigen und geschlossen untergebrachten Betroffenen. Diese benötigen wegen ihrer Erkrankung zwar eine medikamentöse Behandlung, lehnen die Behandlung krankheitsbedingt aber ab. Die Anträge der Betreuerinnen blieben vor dem Amtsgericht und dem Landgericht erfolglos. Mit den von den Landgerichten zugelassenen Rechtsbeschwerden verfolgten die Betreuerinnen ihre Anträge auf betreuungsgerichtliche Genehmigung der Zwangsbehandlung weiter. Der XII. Zivilsenat hat beide Rechtsbeschwerden zurückgewiesen.

Im Rahmen des Wirkungskreises der Gesundheitsvorsorge kann einem Betreuer die Befugnis übertragen werden, an Stelle des Betroffenen in dessen ärztliche Behandlung einzuwilligen. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats umfasste dies auch die Befugnis, einen der ärztlichen Maßnahme entgegenstehenden Willen des Betroffenen zu überwinden, wenn der Betroffene geschlossen untergebracht war und das Betreuungsgericht die Unterbringung zur Heilbehandlung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB genehmigt hatte. Hieran hält der Bundesgerichtshof nicht mehr fest. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Das Bundesverfassungsgericht hatte in zwei grundlegenden Beschlüssen aus dem Jahr 2011 (BVerfG FamRZ 2011, 1128 und FamRZ 2011, 1927) entschieden, dass die Zwangsbehandlung eines im strafrechtlichen Maßregelvollzug Untergebrachten nur auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig ist, das die Voraussetzung für die Zulässigkeit des Eingriffs bestimmt. Die weitreichenden Befugnisse der Unterbringungseinrichtung und die dadurch eingeschränkten Möglichkeiten der Unterstützung und Begleitung durch Außenstehende setzten den Untergebrachten in eine Situation außerordentlicher Abhängigkeit, in der er besonderen Schutzes auch dagegen bedürfe, dass seine grundrechtlich geschützten Belange etwa aufgrund von Eigeninteressen der Einrichtung oder ihrer Mitarbeiter bei nicht aufgabengerechter Personalausstattung oder aufgrund von Betriebsroutinen unzureichend gewürdigt würden.

Diese Vorgaben sind nach Auffassung des Bundesgerichtshofs im Wesentlichen auf die Zwangsbehandlung im Rahmen einer betreuungsrechtlichen Unterbringung zu übertragen. Zwar ist der Betreuer im Rahmen seines Wirkungskreises grundsätzlich zur Vertretung des Betroffenen befugt. Besonders gravierende Eingriffe in die Rechte des Betroffenen bedürfen aber schon aus verfassungsrechtlichen Gründen einer ausdrücklichen gerichtlichen Genehmigung; insoweit ist die sich aus den §§ 1901, 1902 BGB ergebende Rechtsmacht des Betreuers eingeschränkt. So müssen etwa besonders gefährliche ärztliche Maßnahmen nach § 1904 BGB, eine Sterilisation nach § 1905 BGB, eine geschlossene Unterbringung nach § 1906 BGB und die Aufgabe der Mietwohnung eines Betroffenen nach § 1907 BGB zuvor durch das Betreuungsgericht genehmigt werden.

Eine entsprechende gesetzliche Grundlage für die gebotene staatliche Kontrolle des Betreuerhandelns fehlt hingegen hinsichtlich einer Zwangsbehandlung des Betroffenen. Jene muss nach Auffassung des Bundesgerichtshofs inhaltlich den gleichen Anforderungen genügen, die das Bundesverfassungsgericht im Rahmen des strafrechtlichen Maßregelvollzugs aufgestellt hat. Die materiellen Vorschriften des Betreuungsrechts, insbesondere § 1906 BGB als Grundlage für eine bloße Freiheitsentziehung, und die Verfahrensvorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) genügen diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.

Die vollständigen Entscheidungen sind noch nicht veröffentlicht

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9 Kommentare

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Bedeutet das, dass der Betreuer (mit Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmung) auch dann nicht anstelle des Betreuten einwilligen kann, wenn dieser sich zwar nicht derart gegen die Behandlung wehrt, dass man ihn festschnallen u.ä. muss, aber doch deutlich erklärt, die Behandlung/Operation nicht zu wollen?

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Das hieße aber doch, dass der Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge praktisch leerläuft, solange der Betreute noch einen natürlichen Willen bilden kann.

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Gast123 schrieb:

Das hieße aber doch, dass der Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge praktisch leerläuft, solange der Betreute noch einen natürlichen Willen bilden kann.


So ist es wohl - bis der Gesetzgeber handelt

Hopper schrieb:
Gast123 schrieb:

Das hieße aber doch, dass der Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge praktisch leerläuft, solange der Betreute noch einen natürlichen Willen bilden kann.

So ist es wohl - bis der Gesetzgeber handelt

 

Dann ist es wohl am besten der Gesetzgeber macht garnichts, oder er zementiert endlich, dass gegen den erklärten WILLEN,  ob der nun frei oder natürlich oder sonstwas ist, jegliche Behandlung, was in der Psychiatrie sowieso nur das herumgepfusche im Hirnstoffwechsel ist, verboten ist.

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JG Bischoff schrieb:

Hopper schrieb:
Gast123 schrieb:

Das hieße aber doch, dass der Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge praktisch leerläuft, solange der Betreute noch einen natürlichen Willen bilden kann.

So ist es wohl - bis der Gesetzgeber handelt

 

Dann ist es wohl am besten der Gesetzgeber macht garnichts, oder er zementiert endlich, dass gegen den erklärten WILLEN,  ob der nun frei oder natürlich oder sonstwas ist, jegliche Behandlung, was in der Psychiatrie sowieso nur das herumgepfusche im Hirnstoffwechsel ist, verboten ist.

Und was passiert mit demjenigen, der eine akute Psychose hat und sich selbst gefährdet? Sterben lassen, weil er nicht behandelt werden will?

Für Ärzte ist das schon eine schwierige Situation.

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pensch schrieb:
JG Bischoff schrieb:

Hopper schrieb:
Gast123 schrieb:

Das hieße aber doch, dass der Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge praktisch leerläuft, solange der Betreute noch einen natürlichen Willen bilden kann.

So ist es wohl - bis der Gesetzgeber handelt

 

Dann ist es wohl am besten der Gesetzgeber macht garnichts, oder er zementiert endlich, dass gegen den erklärten WILLEN,  ob der nun frei oder natürlich oder sonstwas ist, jegliche Behandlung, was in der Psychiatrie sowieso nur das herumgepfusche im Hirnstoffwechsel ist, verboten ist.

Und was passiert mit demjenigen, der eine akute Psychose hat und sich selbst gefährdet? Sterben lassen, weil er nicht behandelt werden will? Für Ärzte ist das schon eine schwierige Situation.

 

Die Selbstgefährdung kann man durch einen sogenannten "weichen Raum" komplett ausschlieißen.
Das Soteria Konzept gibt es schon lange und es funktioniert auch. Es erfordert nur qualifiziertes Personal und keine Wärter.

Man stirbt nicht an ein "Psychose" sondern höchstens an dem was man in der Psychiatrie "Heilbehandlung" nennt.

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Besonders gravierende Eingriffe in die Rechte des Betroffenen bedürfen aber schon aus verfassungsrechtlichen Gründen einer ausdrücklichen gerichtlichen Genehmigung [...] die gebotene staatliche Kontrolle des Betreuerhandelns ...

Bin ich der Einzige, der hier Parallelen zur Zirkumzision nicht einwilligungsfähiger Minderjähriger sieht? "... Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft." Art. 6 (2), 2 GG

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