Beiwohnungsunwilligkeit

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 12.10.2012
Rechtsgebiete: arglistige TäuschungEheaufhebungFamilienrecht1|3975 Aufrufe

 

In der FamFR 2012, 435 ff widmet sich Reinhard Voppel der Frage, wann eine Ehe wegen arglistiger Täuschung aufgehoben werden kann. Unter dem schönen (mir bis dato als Wort unbekannten) Begriff der Beiwohnungsunwilligkeit berichtet er über eine Entscheidung des OLG Zweibrücken (Urteil v. 17.06.2005 – 2 UF 230/04):

 

Die Beteiligten hatten am 16.04.2002 geheiratet.

 

Die Ehefrau ist von Beruf Hotelfachfrau. Sie hat ihn, der in einem Obst- und Gemüsegeschäft seiner Schwester tätig ist, im Jahr 2000 kennen gelernt. Er hat in der Türkei den Wehrdienst verweigert und sodann in der Bundesrepublik Deutschland Asylantrag gestellt. Die nach Zurückweisung seines Antrags eingelegte Klage wurde nach der Heirat der Parteien und Aufenthaltsgestattung zurückgenommen.

 

Zu geschlechtlichen Handlungen kam es während der Ehe nicht.

 

Ende August 2004 erfolgte die Trennung. Noch am 31.08.04 erhob sie Eheaufhebungsklage.

 

Sie behauptet, er habe sich geweigert, mit ihr Geschlechtsverkehr durchzuführen. Einzige Erklärung hierfür sei, dass er sie nur zu dem Zweck geheiratet habe, eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland zu erlangen. Er sei von Anfang an nicht gewillt gewesen, mit ihr die Ehe zu vollziehen. Damit habe er sie arglistig über seine wahren Absichten getäuscht.

 

Dem mochte das OLG nicht folgen:

 

Zunächst stellt bloßes Verschweigen ungünstiger Umstände im Allgemeinen noch keine arglistige Täuschung dar. Hinzukommen muss jeweils, dass mit dem Verschweigen eine Offenbarungspflicht verletzt wird. Eine allgemeine Offenbarungspflicht besteht jedoch im Zusammenhang mit der Eheschließung nicht. Soweit es um Heirat aus Liebe mit der Folge sexueller Annäherung der Partner geht, handelt es sich grundsätzlich um subjektive Empfindungen, die nicht offenbarungspflichtig sind und deren Verschweigen keine arglistige Täuschung darstellt. Hier macht die Ast. nicht einmal geltend, dass sich die Parteien vor der Ehe über ihre Vorstellungen des späteren gemeinsamen Zusammenlebens in der Ehe ausgesprochen haben. Zu Kontakten sexueller Art vor der Eheschließung hat die Ast. klargestellt, dass eine solche Lebensweise auf Grund ihrer Religion nicht in Betracht gekommen sei. Sonstige Umstände, auf Grund derer die Ast. zum Ausdruck gebracht haben könnte, dass es ihr nach der Heirat auf den Vollzug der Ehe (mit Kinderwunsch) ankommt, sind weder vorgetragen noch erkennbar.

 

Abgesehen davon ist eine arglistige Täuschung nicht erwiesen. Nach Ansicht des Senats lässt sich nicht feststellen, dass der Ag. bereits vor der Heirat nicht gewillt war, die Ehe zu vollziehen. Nach Anhörung der Parteien durch den Senat bleibt offen, wer von den Parteien die fehlenden Intimitäten des Ehelebens zu verantworten hat. Verfehlt ist der Ansatz des Familiengerichts, allein auf Grund der Attraktivität der Ast. nur in der Person des Ag. die Ursache zu sehen. Die vom Erstgericht in diesem Zusammenhang aufgezählten möglichen Ursachen sind reine Vermutungen, für die es keinerlei konkrete Anhaltspunkte gibt. Zur Frage einer homosexuellen Neigung verweist die Berufung mit Recht auf die Behauptung der Ast. hin, der Ag. habe ein Verhältnis zu einer anderen Frau. Was das äußere Erscheinungsbild der Ast. angeht, könnte ihre Attraktivität ebenso für die Richtigkeit der Darstellung des Ag. sprechen, die Ast. habe sich ihm verweigert. Zu berücksichtigen ist weiter, dass die Parteien über einen längeren Zeitraum hinweg zusammengelebt haben, ganz überwiegend in einer eigens gekauften Ehewohnung. Der Ag. hat die Ast. durch Übernahme der Finanzierungskosten unterstützt. Obwohl die Ast. von Anfang an den Austausch von Intimitäten vermisst haben will, hat sie sich trotz Auswirkungen mit Krankheitswert nicht etwa alsbald getrennt, sondern mit dem Ag. über Jahre hinweg zusammengelebt und diesen – wie die Bescheinigungen gegenüber der Ausländerbehörde vom Oktober 2002 und Juni 2003 zeigen – aktiv unterstützt. Hinzu kommt, dass der Ag. durchaus Gründe für die fehlenden sexuellen Kontakte mitgeteilt hat. Bereits in erster Instanz hat er insbesondere auf die Einmischung durch die Familie der Ast. und rituelle Gebräuche hingewiesen. Das ist von der Ast. gegenüber dem Senat bestätigt worden. So haben ihre Mutter und Schwester zur Ausübung des ersten Geschlechtsverkehrs vor der Hochzeitsnacht ein Ehebett herrichten wollten, was der Ag. abgelehnt hat. Schließlich gab es in der Hochzeitsnacht nach Darlegung des Ag. unterschiedliche Ansichten zu deren Ablauf, insbesondere hinsichtlich religiöser Verrichtungen. Nach alledem vermag der Senat nicht zur Überzeugung zu gelangen, dass der von der Ast. vermisste eheliche Geschlechtsverkehr auf einen schon vor der Heirat gefassten Entschluss des Ag. zurückzuführen ist; damit verbietet sich zugleich die Schlussfolgerung, dem Ag. sei es bei Eingehung der Ehe allein um den Erhalt der Aufenthaltserlaubnis gegangen.

Schönes Wochende allerseits

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