OLG Celle: Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern und Beschlussanfechtung wegen fehlerhafter Entsprechenserklärung

von Dr. Cornelius Wilk, veröffentlicht am 13.07.2018

Das OLG Celle hat mit Urteil vom 27. Juni 2018 (9 U 78/17) zur Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern gemäß Ziff. 5.4.2 DCGK und zur Anfechtbarkeit von Wahl- und Entlastungsbeschlüssen wegen fehlerhafter Entsprechenserklärung nach § 161 AktG Stellung genommen.

Gegenstand der Entscheidung sind Beschlussmängelklagen gegen die Aufsichtsratswahl- und Entlastungsbeschlüsse der Jahreshauptversammlung 2016 der Volkswagen AG. Gestützt waren die Klagen u.a. auf die Behauptung, die Gesellschaft verfüge infolge der Aufsichtsratswahlen nicht mehr über die nach ihrer Einschätzung angemessene Anzahl von unabhängigen Aufsichtsratsmitgliedern gemäß Ziff. 5.4.2 DCGK; damit sei die Entsprechenserklärung unrichtig.

In seiner Entscheidung verneint der Senat das Vorliegen von Anfechtungsgründen.

Die zum Hauptversammlungszeitpunkt gültige Entsprechenserklärung begründe keinen der Entlastung entgegenstehenden eindeutigen und schwerwiegenden Gesetzesverstoß. Das Merkmal der Unabhängigkeit nach Ziff. 5.4.2 S. 1 DCGK sei jenseits der Regelbeispiele in S. 2 nicht hinreichend bestimmt. Angesichts dieser Unschärfe sei eine Fehlerhaftigkeit der Entsprechenserklärung nicht mit der im Beschlussmängelrecht erforderlichen Eindeutigkeit festzustellen. Zu berücksichtigen sei ferner, dass der Gesellschaft bei der Beurteilung der Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder eine breite Einschätzungsprärogative zukomme. Die gerichtliche Nachprüfbarkeit beschränke sich damit auf Fälle evident fehlender Unabhängigkeit.

Selbst bei unterstellter Unrichtigkeit der Entsprechenserklärung, so der Senat, ergebe sich kein hinreichend schwerwiegender Gesetzesverstoß. Denn die dem angeblichen Fehlen der Unabhängigkeit zugrunde liegenden Informationen (z.B. Verflechtungen der Volkswagen AG mit den Familien Porsche und Piëch) seien allgemein bekannt gewesen.

Auch für die Wahlbeschlüsse ergebe sich kein Anfechtungsgrund. Zum einen beruhe die Wahl auf wirksamen Wahlvorschlägen des Aufsichtsrats. Denn selbst wenn die Wahlvorschläge im Widerspruch zur Entsprechenserklärung gestanden hätten, würde dies nicht zur Nichtigkeit der Wahlvorschläge führen. Zum anderen bleibe die Hauptversammlung frei, auch solche Beschlüsse zu fassen, die im Widerspruch zur Entsprechenserklärung stünden. Eine Anfechtbarkeit könne sich nur dann ergeben, wenn sich – anders als hier – die abstimmenden Aktionäre über die Abweichung nicht im Klaren seien und der Hauptversammlungsbeschluss auf einem entsprechenden Informationsdefizit beruhe.

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