Beurlaubung eines (Mit-)Angeklagten in der Hauptverhandlung: Heißes Pflaster

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 16.12.2018
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1986 Aufrufe

Die Beurlaubung eines der Mitangeklagten ist eigentlich eine gute Sache. Aber auch revisionsträchtig. Hier ging es gerade noch einmal gut:

 

Die Rüge, mit welcher der Angeklagte beanstandet, am vierten Hauptverhandlungstag,
dem 24. Oktober 2017, sei entgegen § 338 Nr. 5 i.V.m.
§ 230 Abs. 1 bzw. §§ 140, 145 StPO in seiner Abwesenheit und der seiner
Verteidiger verhandelt worden, dringt nicht durch.

a) Dieser Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

aa) Die Anklage legte dem Angeklagten gewerbsmäßigen Bandenbetrug
(§ 263 Abs. 5 StGB) sowie gewerbs- und bandenmäßige Urkundenfälschung
(§ 267 Abs. 4 StGB) zur Last. Nachdem sich u.a. der Angeklagte und T. ,
gegen den zu diesem Zeitpunkt noch in demselben Verfahren verhandelt
wurde, geständig zu den geschilderten Betrugsvorwürfen eingelassen hatten,
beantragten die beiden Verteidiger, sie und den Angeklagten von der Wahrnehmung
des nächsten Verhandlungstermins am 24. Oktober 2017 nach
§ 231c StPO zu beurlauben. Diesem Antrag entsprach die Kammer mit
Beschluss vom 17. Oktober 2017, in welchem sie ankündigte, am nächsten
Termin allein die Tatkomplexe "Führerscheine" und "Falschgeld" (vgl. dazu das
Urteil vom heutigen Tage in der Sache 3 StR 251/18) verhandeln zu wollen.
Bezüglich dieser Fälle war der Beschwerdeführer nicht angeklagt. Am
24. Oktober 2017 ließ sich T. zu den Vorwürfen der Urkundenfälschung in
vier Fällen aus dem Tatkomplex "Führerscheine" geständig ein; zudem
wurde ein Käufer eines lettischen Führerscheins als Zeuge vernommen, der
- abweichend von T. s Einlassung - bekundete, er sei nicht von einer
"Totalfälschung", sondern von der - wenngleich rechtswidrigen - Mitwirkung
eines lettischen Verkehrsbeamten ausgegangen. Nach Abtrennung wurde
gegen T. an anderen Tagen weiterverhandelt. In der Beweiswürdigung des
gegen T. ergangenen Urteils hat das Landgericht dessen Einlassung in
dem - sich freilich weder auf den Schuld- noch Strafausspruch auswirkenden -
Nebenpunkt, auch die Käufer seien von Totalfälschungen ausgegangen, mit der
Aussage des genannten Zeugen als widerlegt angesehen.
bb) Der Beschwerdeführer macht u.a. geltend, der Verfahrensteil vom
24. Oktober 2017 habe die Überzeugungsbildung des Landgerichts beeinflusst,
inwieweit der geständigen Einlassung des Mitangeklagten T. zu folgen sei,
und sich damit auf seine Verurteilung ausgewirkt. Denn das Landgericht habe
die Verurteilung in den zehn Fällen aus dem Betrugskomplex auch darauf
gestützt, dass das Geständnis des Angeklagten mit T. s Geständnis,
welches aber nur als Einheit zu bewerten sei, übereinstimme. Hätten seine Verteidiger
die Verhandlung am 24. Oktober 2017 verfolgt, hätten sie T. s
Geständnis hinterfragt.

b) Die Verfahrensrüge ist unbegründet. Der Beschluss vom
17. Oktober 2017 über die Beurlaubung ist wirksam (§ 231c StPO). Das Land-
gericht hat nur den angekündigten Verfahrensstoff verhandelt und damit
seine Zusage eingehalten. Der Angeklagte ist auch nicht von dem am
24. Oktober 2017 verhandelten Verfahrensteil betroffen.

aa) Insoweit ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:

(1) Zur Verfahrenserleichterung kann das Tatgericht in eng begrenzten
Ausnahmefällen dem Angeklagten und/oder seinem Verteidiger nach seinem
zurückhaltend auszuübenden Ermessen nach äußerst sorgfältiger Abwägung
gestatten, einem Verhandlungsteil fernzubleiben. Dabei muss es vorsichtig
vorausschauen, ob tatsächlich auszuschließen ist, dass nicht doch Verfahrensstoff
verhandelt wird, der - wenn auch nur mittelbar - sich auf den den beurlaubten
Angeklagten betreffenden Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch auswirken
kann (LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 231c Rn. 1, 5, 11). Auf den Inbegriff des
Hauptverhandlungsteils, welchem der Angeklagte entschuldigt ferngeblieben
ist, darf das Urteil gegen diesen nicht gestützt werden (§ 261 StPO). Ergibt sich
während der Verhandlung, dass entgegen der Prognose der Inhalt dieses Verhandlungsteils
doch den beurlaubten Angeklagten betreffen kann, ist die Verhandlung
gegebenenfalls zu unterbrechen; jedenfalls ist dieser Verhandlungsteil
zu wiederholen
(LR/Becker, aaO Rn. 21). Ob indes der Angeklagte und sein
Verteidiger jenseits des zumindest mittelbaren Betroffenseins sich der Erkenntnis
neuer Verteidigungsmöglichkeiten durch den Verhandlungsteil begeben,
haben sie zu entscheiden; deswegen sind nach § 231c Satz 1 StPO
entsprechende Anträge zwingende Befreiungsvoraussetzungen (LR/Becker,
aaO Rn. 3, 6). Es muss zweifelsfrei feststehen, dass sich die Frage, die in dem
betreffenden Verfahrensabschnitt verhandelt werden soll, unter Berücksichtigung
aller verfahrensbedeutsamen Umstände, namentlich der Beweislage, als
deutlich abgrenzbarer, den abwesenden Angeklagten nicht betreffender Verhandlungsgegenstand darstellt, sodass sich das Ergebnis des in Rede
stehenden Verhandlungsteils - wie immer es ausfällt - nicht auf ihn auswirkt
(vgl. zur vorübergehenden Abtrennung eines Verfahrens BGH, Urteil vom
5. Oktober 1983 - 2 StR 298/83, BGHSt 32, 100, 102).

(2) Nach diesen Grundsätzen wird eine Befreiung in der Regel in
Betracht kommen, wenn im betreffenden Verhandlungsabschnitt eine andere
prozessuale Tat, welche dem beurlaubten Angeklagten nicht zur Last
gelegt wird, verhandelt wird
(siehe nur BGH, Urteil vom 5. Oktober 1983
- 2 StR 298/83, aaO S. 101 f.). Anders wird es indes liegen, wenn zwischen den
verschiedenen Taten ein Zusammenhang besteht und eine für diesen Zusammenhang
relevante Tatsache aufgeklärt werden soll
(BGH, Urteil vom
5. Oktober 1983 - 2 StR 298/83, aaO S. 101 f.). Solches ist etwa bei einem
gemeinsamen Grundsachverhalt (LR/Becker, aaO Rn. 5), insbesondere
beim Vorwurf von Bandentaten (dazu nur BGH, Beschlüsse vom 30. Juli 2009
- 3 StR 562/08, BGHR StPO § 231c Betroffensein 2; vom 6. August 2008
- 3 StR 547/08, NStZ 2010, 289, 290), anzunehmen. Will das Tatgericht die
Überführung des schweigenden oder bestreitenden Angeklagten vornehmlich
auf die Belastung durch den Mitangeklagten stützen und vernimmt es zur Beurteilung
der Glaubhaftigkeit von dessen Einlassung und dessen Glaubwürdigkeit
Zeugen, ist der abwesende Angeklagte betroffen, auch wenn die Zeugen zu
anderen ihm nicht vorgeworfenen Taten aussagen (BGH, Beschluss vom
11. Dezember 1984 - 1 StR 609/84, juris Rn. 26 f.). Allein der Umstand, dass
der befreite Angeklagte vollgeständig ist, schließt nicht aus, dass sein Verteidigungsinteresse
durch den betreffenden Verfahrensteil berührt sein kann
(BGH, Beschluss vom 16. Februar 2012 - 3 StR 462/11, BGHR StPO § 231c
Betroffensein 4).

bb) An diesen Grundsätzen gemessen ist der Angeklagte auch nicht
"potentiell" betroffen.

(1) Seine Beteiligung an den anderen prozessualen Taten der
Geldfälschung (§ 146 StGB) und der Urkundenfälschung durch Verkauf der
Führerscheine (§ 267 Abs. 1 Variante 3 StGB) stand nicht in Rede, erst recht
nicht als Bandenmitglied. Aber auch soweit der Hauptverhandlungsteil die Beurteilung
von T. s Einlassung betraf, ist nach dem hier gegebenen Verfahrensablauf
eine Auswirkung ausgeschlossen. Denn das Landgericht hat seine
Überzeugungsbildung von der Beteiligung des Angeklagten in den Betrugsfällen
nur auf einen Ausschnitt aus T. s Einlassung gestützt, nämlich nur soweit
sie den Betrugskomplex betraf. Dies ergibt sich bereits unmittelbar aus den
Formulierungen des Landgerichts in der Beweiswürdigung. Es hat das
den Angeklagten betreffende Verfahren für entscheidungsreif gehalten,
wenngleich es sich zu einer abschließenden Würdigung von T. s Einlassung
bezüglich aller diesem zur Last gelegten Taten nicht imstande gesehen hat.
Deswegen hat das Tatgericht das Verfahren gegen T. zur Aufklärung des
Tatkomplexes "Führerscheine" fortgeführt. Indes hat es an der Beteiligung des
Angeklagten an den Betrugstaten keine Zweifel gehabt; dies hat es als gesichertes
Beweisergebnis erachtet, unabhängig davon wie sich die weitere
Beweislage in den anderen beiden Tatkomplexen "Führerscheine" und "Falschgeld"
darstellen würde (zu einer solchen Konstellation vgl. BGH, Urteil vom
5. Oktober 1983 - 2 StR 298/83, aaO S. 103).

(2) Ob dem Angeklagten und seinen Verteidigern durch ihr Fernbleiben
weitere Verteidigungsmöglichkeiten entgangen sind, unterfällt, wie ausgeführt,
nicht dem Betroffensein im Sinne des § 231c StPO. Ein solch weiter Anwendungsbereich
kommt diesem Tatbestandsmerkmal nicht zu. Mithin kommt es
nicht darauf an, ob und in welchem Umfang der Angeklagte sein Verteidigungsverhalten
erfolgsversprechender hätte einrichten lassen können, wenn
seine Verteidiger die Beweisaufnahme zum Tatkomplex "Führerscheine“
verfolgt hätten. Der Angeklagte und seine Verteidiger hatten es mit einem
entsprechenden Beurlaubungsantrag in der Hand, ob sie an sämtlichen Verhandlungsteilen
teilnehmen wollten oder nicht.

BGH, Urteil vom 4.10.2018 - 3 StR 283/18

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen