Vorsatzverurteilung bei Abstandsverstoß: Erst bei einem ungenügenden Sicherheitsabstand von 2/10 des halben Tachowertes

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 12.10.2019
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|2580 Aufrufe

Das BayObLG hat sich gerade mit dem Vorsatz bei Abstandsverstößen auseinandersetzen müssen. Dazu gibt es nicht wirklich viel Rechtsprechung. Das BayObLG sieht bei 2/10 des halben Tachowertes die Grenze:

 

 

I. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Kulmbach vom 19.02.2019 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Tenor in Ziffern 1 und 2. Absatz 1 des vorgenannten Urteils in der Schuldform dahingehend abgeändert wird, dass der Betroffene einer fahrlässig begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit des Nichteinhaltens des erforderlichen Mindestabstandes von einem vorausfahrenden Fahrzeug schuldig ist, und dass die gegen ihn festgesetzte Geldbuße auf 160 Euro reduziert wird.

 II. Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Die Gebühr für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird jedoch um 1/3 ermäßigt. Die dem Betroffenen im Rechtsbeschwerdeverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen werden in Höhe eines Drittels der Staatskasse auferlegt. Im Übrigen hat der Betroffene seine Auslagen selbst zu tragen.

 Gründe: 

 I.

 Das Amtsgericht Kulmbach hat gegen den verkehrsrechtlich nicht vorgeahndeten Betroffenen am 19.02.2019 wegen des Vorwurfs, „vorsätzlich als Führer eines PKW bei einer Geschwindigkeit von 129 km/h einen ungenügenden Sicherheitsabstand von weniger als 3/10 des halben Tachowertes zum vorausfahrenden Fahrzeug eingehalten zu haben“, eine Geldbuße von 360 Euro festgesetzt und gegen ihn ein mit der Vollstreckungserleichterung gem. § 25 Abs. 2 a StVG versehenes Fahrverbot für die Dauer eines Monats verhängt.

 Nach den Feststellungen steuerte der Betroffene am 25.06.2018 um 10.36 Uhr einen Pkw auf der BAB A 9 in Fahrtrichtung München, wobei er im Abschnitt 280, bei km 3,99 auf der Höhe von Himmelkron bei einer Mindestgeschwindigkeit von 129 km/h zum vorausfahrenden Fahrzeug einen Abstand von nur 19 m und damit von weniger als 3/10 des halben Tachowertes einhielt.

 Mit Stellungnahme vom 03.07.2019 hat die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt, die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Kulmbach vom 19.02.2019 als unbegründet zu verwerfen.

 Hierzu hat sich die Verteidigung in ihrer Gegenerklärung vom 01.08.2019 geäußert.

 II.

 Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 OWiG statthaften und auch sonst zulässigen Rechtsbeschwerde hat mit Ausnahme der Schuldform und der Höhe der festgesetzten Geldbuße keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).....

 ....... b) Demgegenüber konnte auf die Sachrüge hin der Schuldspruch keinen Bestand haben, soweit das Amtsgericht von einer vorsätzlichen Tatbegehung ausgeht.

 Nach den diesbezüglichen Feststellungen des Amtsgerichts hat der Betroffene, der die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h um 9 km/h überschritt, innerhalb der gesamten Beobachtungsstrecke von ca. 300 m und nicht nur im Bereich der Messstrecke, einen zu geringen und sich augenscheinlich auch nicht verändernden Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug eingehalten. Das Amtsgericht hat ausgeschlossen, dass auf der ca. 300 m langen Beobachtungsstrecke ein Einscheren eines anderen Fahrzeugs oder ein Abbremsen des vor dem Betroffenen fahrenden Fahrzeugs stattfand, das den zu geringen Abstand im Messbereich verursacht haben könnte. Es ist weiter davon ausgegangen, dass es der Betroffene „offensichtlich eilig“ hatte und das vor ihm fahrende Fahrzeug überholen wollte. Zu seinen Gunsten hat es unterstellt, dass der Betroffene davon ausgegangen ist, dass das vorausfahrende Fahrzeug auf die mittlere Spur wechseln würde, wenn der gerade stattfindende Überholvorgang abgeschlossen sein würde. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts fuhr der Betroffene „in Erwartung dieses Spurwechsels“ noch dichter auf, wobei der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug kurzfristig nur noch etwa 18 m betragen hatte (UA S. 7/8).

 Diese Ausführungen tragen trotz des erkennbaren Bemühens um eine sorgfältige Beweiswürdigung die Verurteilung wegen vorsätzlicher Tatbegehung nicht. Vorsätzliche Tatbegehung setzt voraus, dass der Betroffene die Unterschreitung des erforderlichen Abstandes erkennt und zumindest auch billigend in Kauf nimmt. Dieses voluntative Vorsatzelement wurde vorliegend nicht hinreichend begründet. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen lässt sich nicht ausschließen, dass das zu nahe Auffahren auf einer momentanen (groben) Unaufmerksamkeit des Betroffenen beruhte. Soweit das Amtsgericht aus dem Umstand, dass der Betroffene hierbei auch noch die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritt, es offensichtlich eilig hatte und nach dem Überholvorgang wieder auf die mittlere Spur einscheren wollte, einen anderen Schluss gezogen hat, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Die Annahmen des Amtsgerichts zur Motivation des Abstandsverstoßes des Betroffenen und seinem weiteren Fahrverhalten bewegen sich nämlich letztlich im Bereich bloßer Vermutungen. Weder wird im Urteil eine entsprechende Einlassung des Betroffenen mitgeteilt, die einen solchen Schluss tragfähig begründen könnte, noch vermag sich ersichtlich das Amtsgericht insoweit auf die in Augenschein genommene Videoaufzeichnung zu stützen. Allein aus der Länge der Beobachtungsstrecke von 300 Metern, auf der sich nach den amtsgerichtlichen Feststellungen keine wesentliche Abstands- oder Geschwindigkeitsänderung zeigte, kann aber nicht auf ein vorsätzliches Verhalten geschlossen werden, da angesichts der hohen Geschwindigkeit diese Strecke binnen sehr kurzer Zeit durchfahren wird und eine momentane Unaufmerksamkeit nicht auszuschließen vermag. Die Ansicht des Amtsgerichts hat ohne das Hinzutreten sonstiger für eine billigende Inkaufnahme sprechender oder gegebenenfalls indiziell beweisrelevanter Umstände - wie etwa einem Drängeln durch Setzen des Blinkers und/oder Betätigung der Lichthupe - zur Konsequenz, dass letztlich in allen vergleichbaren Fällen stets Vorsatz anzunehmen wäre (OLG Bamberg DAR 2010, 708; OLG Bamberg, Beschluss vom 19.07.2017 - 3 Ss OWi 836/17 bei juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 04.07.2018 - 2 Ss OWi 819/18; BayObLG, Beschluss vom 15.04.2019 - 202 ObOWi 442/19).

 Der Senat verkennt nicht, dass gerade bei Abstandsverstößen sonstige für eine billigende Inkaufnahme sprechende oder wenigstens in diese Richtung deutende indiziell beweisrelevante Umstände häufig nur schwer festzustellen sein werden. Von Tatvorsatz wird ohne Hinzutreten weiterer Umstände im Regelfall erst ab einem Abstand von nur noch 2/10 des halben Tachowertes ausgegangen werden können. In solchen Fällen wird Fahrlässigkeit schon deshalb kaum noch lebensnah zu begründen sein, da eine derartige Fahrweise permanent die volle Aufmerksamkeit selbst eines erfahrenen Kraftfahrers erfordert und nur ausnahmsweise mit einer momentanen groben Unaufmerksamkeit erklärt werden kann (vgl. BayObLGSt 1991, 54, 55; BayObLG, Beschluss vom 15.04.2019 - 202 ObOWi 442/19; Burhoff/Gieg Handbuch für das straßenverkehrsrechtlichen OWi-Verfahren, 5. Aufl., Rn. 140 m.w.N.).

 III.

 Der Senat kann in der Sache - wie aus Ziff. I. des Beschlusstenors ersichtlich - selbst entscheiden, sodass es einer Zurückverweisung an das Amtsgericht nicht bedarf.

 1. Im Hinblick auf den Schuldspruch ist nicht erkennbar, dass weitere relevante Feststellungen zur subjektiven Tatseite getroffen werden können, welche die Annahme einer vorsätzlichen Begehungsweise und nicht lediglich die Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt rechtfertigen könnten.

 2. Auch wegen des Rechtsfolgenausspruchs ist eine Zurückverweisung entbehrlich. Da „nur“ von einer fahrlässigen Verwirklichung des Bußgeldtatbestandes auszugehen ist, war die Geldbuße mit Blick auf fehlende Vorahndungen entsprechend dem Bußgeldbescheid vom 09.10.2018 auf 160 Euro herabzusetzen, während es wegen des gegebenen groben Pflichtverstoßes bei dem einmonatigen Regelfahrverbot verbleibt (§ 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BKatV i.V.m. laufender Nr. 12.6.3 der Tab. 2 Anhang zum BKat). Gründe, die es rechtfertigen könnten, von der Verhängung des verwirkten Fahrverbotes ausnahmsweise abzusehen, oder Anhaltspunkte für die Annahme, der Zweck des Fahrverbotes könnte allein mit einer erhöhten Geldbuße erreicht werden, sind nicht ersichtlich.

BayObLG Beschl. v. 2.8.2019 – 201 ObOWi 1338/19, BeckRS 2019, 19703

 

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