8 Jahre Jugendstrafe wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge: Nicht mit dem BGH!

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 01.11.2019

Diese Woche hat der 1. Strafsenat des BGH eine interessante Entscheidung zur Höhe einer Jugendstrafe beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge getroffen (BGH, Beschl. v. 7.10.2019, 1 StR 206/19 = BeckRS 2019, 25540). Es geht um einen Heranwachsenden, der zum Zeitpunkt der Tatbegehung 20 Jahre und drei bzw. sieben Monate alt war. Ihm wird vorgeworfen, bei drei Gelegenheiten mit größeren Betäubungsmittelmengen, die er aus den Niederlanden bezogen hatte bzw. wollte, Handel getrieben zu haben. In einem Fall hat er drei Kilogramm Marihuana weiterverkauft, in einem Fall die Lieferung von fünf Kilogramm Marihuana in Auftrag gegeben, die jedoch beim Grenzübertritt sichergestellt wurden, und in einem Fall fünf Kilogramm Heroin an einen nicht offen ermittelnden Polizeibeamten geliefert. Die Jugendkammer verurteilte ihn deshalb wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Anstiftung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen sowie wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Einheitsjugendstrafe von acht Jahren.

Unter Hinweis auf den Stand der Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten wendete das Landgericht Jugendstrafrecht an und begründet die Verhängung der Jugendstrafe mit dem Vorliegen schädlicher Neigungen. Die Strafzumessungserwägungen schildert der BGH wie folgt:

„Zur Bemessung der Jugendstrafe hat das Landgericht ausgeführt, es habe vorrangig erzieherische Gesichtspunkte berücksichtigt und die Wirkung der verhängten Jugendstrafe gegen die weitere Entwicklung des Angeklagten abgewogen. Dem äußeren Unrechtsgehalt der Taten komme insofern Bedeutung zu, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit und die Höhe der Schuld möglich seien. Im Folgenden hat es auf die gesetzliche Strafandrohung des Erwachsenenstrafrechts abgestellt und ist dabei jeweils vom Regelstrafrahmen ausgegangen. Im Rahmen der Prüfung eines minder schweren Falles hat es im Hinblick auf Tat 3 unter anderem berücksichtigt, dass es sich bei diesem Tatgeschehen um ein überwachtes Betäubungsmittelgeschäft handelte, das ,unter Beteiligung … einer polizeilichen Vertrauensperson‘ stattfand.

Aus dem Unrechtsgehalt der Taten und der Persönlichkeit des Angeklagten hat die Jugendkammer auf ein erhebliches Erziehungsdefizit beim Angeklagten geschlossen, aus dem - ebenso wie aus der bereits verfestigten, in Entwicklung und Reife schon stark einem Erwachsenen angenäherten Persönlichkeit des Angeklagten - ein hohes Erziehungsbedürfnis folge. Trotz diverser zu seinen Gunsten zu berücksichtigender Aspekte sei daher eine lange Jugendstrafe erzieherisch notwendig. Unter vorrangiger Berücksichtigung des Erziehungsgedankens als beherrschendem Strafzweck des Jugendstrafrechts sei mit Blick auf das Erfordernis eines gerechten Schuldausgleichs auch in Anbetracht der Folgen einer langjährigen Jugendstrafe für die weitere Entwicklung des Angeklagten - insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass der Angeklagte die Haftzeit nutzen könne, um eine berufliche Qualifikation zu erwerben und eine eigenständige, von der Familie gelöstere Lebensplanung in Angriff zu nehmen - die Verhängung einer achtjährigen Jugendstrafe zur erzieherischen Einwirkung ,unbedingt erforderlich‘.“

Diese Erwägungen des Landgerichts hielten im Hinblick auf die Höhe der verhängten Jugendstrafe der revisionsrechtlichen Prüfung durch den BGH nicht stand:

„Die Strafzumessungserwägungen der Jugendkammer entsprechen aber vorliegend nicht den Anforderungen des § 18 Abs. 2 JGG. Auch bei einer - unter anderem - wegen der Schwere der Schuld verhängten Jugendstrafe ist gemäß § 18 Abs. 2 JGG die Höhe der Strafe so zu bemessen, dass die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 19. April 2016 - 1 StR 95/16 Rn. 5 mwN). Die in den gesetzlichen Regelungen des allgemeinen Strafrechts zum Ausdruck gelangende Bewertung des Ausmaßes des in einer Straftat hervorgetretenen Unrechts ist zwar auch bei der Bestimmung der Höhe der Jugendstrafe zu berücksichtigen; keinesfalls darf aber die Begründung wesentlich oder gar ausschließlich nach solchen Zumessungserwägungen vorgenommen werden, die auch bei Erwachsenen in Betracht kommen. Die Bemessung der Jugendstrafe erfordert vielmehr von der Jugendkammer, das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abzuwägen (BGH aaO mwN).

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 24. April 2019 - 2 StR 377/18 Rn. 20; Beschlüsse vom 16. April 2007 - 5 StR 335/06 Rn. 16; vom 20. März 1996 - 3 StR 10/96 Rn. 3 und vom 27. November 1995 - 1 StR 634/95 Rn. 3; in diese Richtung zudem BGH, Urteil vom 25. März 2014 - 1 StR 630/13 Rn. 31 und Beschluss vom 6. Mai 2013 - 1 StR 178/13 Rn. 9) und allgemeiner Meinung in der Literatur (Eisenberg, JGG, 20. Aufl., § 18 Rn. 9; BeckOK/Brögeler, JGG, 14. Ed., § 18 Rn. 5; Brunner/Dölling, JGG, 13. Aufl., § 18 Rn. 3; jeweils mwN) lässt sich eine länger als fünf Jahre andauernde Jugendstrafe allein erzieherisch in der Regel nicht begründen, weil eine Anstaltserziehung nur für eine Dauer von bis zu fünf Jahren Erfolg verspricht. Die Verhängung einer darüberhinausgehenden Jugendstrafe kann nur unter zusätzlicher Berücksichtigung anderer Strafzwecke - insbesondere des Schuldausgleichs - angezeigt sein.

Mit diesem Umstand hätte sich das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung erkennbar auseinandersetzen müssen, was jedoch nicht geschehen ist. Stattdessen insinuiert die Jugendkammer, dass die von ihr angeführten Ziele - Erwerb einer Berufsqualifikation, Entwicklung einer eigenständigen Lebensplanung, moralische Fortentwicklung der Persönlichkeit - nur im Rahmen einer achtjährigen Jugendstrafe erreicht werden könnten, und gewichtet diese positiven Erwartungen erkennbar stärker als die entsozialisierenden Wirkungen eines langjährigen Freiheitsentzuges. Dies steht nicht in Einklang mit der oben genannten Rechtsprechung und lässt zudem jegliche Begründung vermissen, warum die aufgeführten positiven Effekte einer Jugendstrafe vorliegend nur oder erfolgversprechender durch eine Jugendstrafe von mehr als fünf Jahren erzielbar sein sollten.“

 Der 1. Strafsenat des BGH hob das Urteil daher im Ausspruch über die Höhe der Einheitsjugendstrafe auf verwies die Sache an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurück.

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