OWi-Urteilsgründe fehlen = meist nicht schlimm

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 26.08.2020
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht2|2423 Aufrufe

Ist die Rechtsbeschwerde statthaft, so ist das Fehlen von Urteilsgründen ein sicherer Aufhebungsgrund. Beim Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde schaut dies (wie viele Blogleser*innen wissen) anders aus. Hier ist trotzdem noch ein Zulassungsgrund erforderlich. Das Fehlen der Gründe selbst ist kein solcher Zulassungsgrund.

 

Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 4. Februar 2020 wird verworfen.

 Der Betroffene hat die Kosten seiner nach § 80 Abs. 4 Satz 4 OWiG als zurückgenommen geltenden Rechtsbeschwerde zu tragen (§ 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

 Gründe: 

 Der Senat merkt lediglich an:

 Entgegen § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 1 StPO enthält die Rechtsmittelschrift schon keine Rechtsbeschwerdeanträge. Insoweit geht der Senat in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens des § 300 StPO davon aus, dass der Betroffene unter Beanstandung sachlichen Rechts das Urteil insgesamt anficht und dessen Aufhebung sowie die Zurückverweisung der Sache erstrebt.

 Mit Blick auf die Höhe der Geldbuße bedarf die Rechtsbeschwerde hier der Zulassung, die nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zur Wahrung des rechtlichen Gehörs erfolgen kann. Der Zulassungsantrag war jedoch zu verwerfen, da kein Zulassungsgrund im Sinne des § 80 Abs. 1 OWiG vorliegt.

 1. Die allgemeine Sachrüge erfordert die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des sachlichen Rechts nicht, weil der vorliegende Einzelfall keine Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch zu schließen. Klärungsbedürftige Fragen des materiellen Rechts sind nicht ersichtlich.

 Der auf die Sachrüge zu beachtende Umstand, dass das Amtsgericht das Urteil nicht mit Entscheidungsgründen versehen hat, obwohl kein Anwendungsfall des § 77b OWiG gegeben ist, führt allein nicht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde (BGHSt 42, 187, Senat, Beschluss vom 22. November 2010 - 3 Ws (B) 585/10 -; OLG Düsseldorf DAR 2020, 49; OLG Celle, Beschluss vom 2. November 2017 - 3 Ss (OWi) 231/17 -, BeckRS 2017, 131691; OLG Brandenburg, Beschluss vom 21. November 2011 - 53 Ss-OWi 450/11 -, BeckRS 2011, 26750; OLG Stuttgart, Beschluss vom 3. August 2009 - 5 Ss 1249/09 -, juris).

 Dass vorliegend ein mit Gründen versehenes Urteil innerhalb von fünf Wochen zu den Akten zu bringen war, folgt bereits aus der gesetzlichen Regelung gemäß den §§ 46 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1, 275 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO und betrifft insoweit keine Rechtsfrage, die entscheidungserheblich, klärungsbedürftig und abstraktionsfähig ist (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.).

 Die bei rechtsfehlerhaftem Nichtvorliegen von Urteilsgründen lediglich nicht auszuschließende Möglichkeit, dass die Zulassung der Rechtsbeschwerde geboten sein kann, ersetzt nicht die Voraussetzungen des § 80 Abs. 1 OWiG (vgl. BGH, Senat und OLG Brandenburg jeweils a.a.O.). Dies heißt indes nicht, dass das Fehlen von Urteilsgründen im Einzelfall nicht zur Begründetheit des Zulassungsantrages führen kann (vgl. BGH, Senat und OLG Brandenburg jeweils a.a.O.). Erforderlich ist in einem solchen Fall die Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 80 Abs. 1 OWiG anhand des Bußgeldbescheides, des Zulassungsantrages und sonstigen Umständen, wie zum Beispiel nachgeschobenen Gründen oder dienstlichen Äußerungen (vgl. BGH, Senat und OLG Brandenburg jeweils a.a.O.). Denn auf die erhobene Sachrüge können die Voraussetzungen zur Zulassung der Rechtsbeschwerde häufig ohne Kenntnis von Urteilsgründen geprüft werden (BGH a.a.O.). Dies gilt insbesondere bei massenhaft auftretenden Bußgeldverfahren wegen einfacher Verkehrsordnungswidrigkeiten, die in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine Schwierigkeiten aufzeigen und bei denen nach den Gesamtumständen ausgeschlossen werden kann, dass die Zulassungsvoraussetzungen nach § 80 OWiG vorliegen (BGH, Senat und OLG Brandenburg jeweils a.a.O.). All dies folgt schon daraus, dass es sich bei dem Zulassungsverfahren um ein Vorschaltverfahren handelt (vgl. Hadamitzky in Karlsruher Kommentar, OWiG 5. Aufl., Rdn. 5), bei dem ermittelt wird, ob ein Rechtsbeschwerdeverfahren durchzuführen ist (vgl. OLG Brandenburg a.a.O.).

 Kann jedoch bei tatsächlich und rechtlich schwierigen Ordnungswidrigkeiten ohne Kenntnis der Urteilsgründe nicht ohne weiteres beurteilt werden, ob die Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen, und können solche Zweifel auch nicht unter Heranziehung der oben genannten Erkenntnismöglichkeiten ausgeräumt werden, so führt in einem solchen Einzelfall das Fehlen von Urteilsgründen zur Begründetheit des Zulassungsantrages (vgl. BGH, Senat und OLG Brandenburg jeweils a.a.O.).

 Konkrete Anhaltspunkte, aus denen sich in dem hier einfach gelagerten Bußgeldverfahren ergeben könnte, dass bei einer ordnungsgemäßen Begründung des Urteils möglicherweise ein Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gegeben wäre, sind aus den Gesamtumständen nicht ersichtlich. Wie sich aus dem Urteilstenor, dem Bußgeldbescheid vom 16. September 2019, dem Hauptverhandlungsprotokoll und dem Eichschein ergibt, ist der Betroffene wegen eines am 1. Juni 2019 begangenen, fahrlässigen (einfachen) Rotlichtverstoßes, der mittels eines geeichten Gerätes in einem standardisierten Messverfahren festgestellt und zu dem in der Hauptverhandlung ein Polizeibeamter gehört worden ist, unter Berücksichtigung einer Voreintragung zu einer Geldbuße von 115,00 € verurteilt worden. Dem Bußgeldbescheid ist ferner zu entnehmen, dass der Betroffene durch einen Lichtbildvergleich als Fahrzeugführer identifiziert worden ist. Die Lichtbilder sind in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen worden.

 Soweit in dem Zulassungsantrag vorgebracht wird, dass Unterlagen wie Eichschein und Fotoanlagen für sich genommen nicht geeignet seien, den Betroffenen der ihm zur Last gelegten Ordnungswidrigkeit zu überführen, betrifft dies die Beweiswürdigung des Amtsgerichts, auch wenn diese in schriftlicher Form nicht vorliegt. Damit kann der Rechtsmittelführer jedoch nicht gehört werden. Abgesehen davon, dass es allein Sache des Tatrichters ist, das Ergebnis der Beweisaufnahme zu würdigen (vgl. BGHSt 41, 376, juris), prüft das Rechtsbeschwerdegericht die Beweiswürdigung im Zulassungsverfahren grundsätzlich nicht auf Rechtsfehler, weil ein derartiger Verstoß regelmäßig - so auch hier - nicht abstraktionsfähig, sondern auf den Einzelfall bezogen ist und folglich keinen Zulassungsgrund darstellen kann (vgl. Senat, Beschlüsse vom 13. März 2019 - 3 Ws (B) 89/19 - und 22. Januar 2018 - 3 Ws (B)21/18 - m.w.N.).

 2. Auch unter dem Gesichtspunkt der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung hat der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde keinen Erfolg, da nichts dafür ersichtlich ist, dass die Zulassung der Rechtsbeschwerde geboten wäre, weil anderenfalls im Hinblick auf eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen würden (vgl. Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 17. Aufl., § 80 Rdn. 4). Es wirkt sich nur im Einzelfall aus, dass das Amtsgericht rechtsfehlerhaft von einer schriftlichen Begründung des Urteils abgesehen hat, denn aufgrund des Verfahrensganges ist eine Wiederholungsgefahr nicht zu erwarten. Dies folgt aus der dienstlichen Erklärung der Tatrichterin, wonach sie wegen einer einmonatigen Erkrankung, anschließenden Urlaubs und des nachfolgenden pandemiebedingten Notdienstes erst am 22. April 2020 Kenntnis von dem Rechtsmittel des Betroffenen erlangt und aufgrund des Zeitablaufs keine Erinnerung mehr an den Termin habe, so dass ihr die Abfassung der Urteilsgründe nicht möglich sei.

 Einer weitergehenden Begründung bedarf der Beschluss nicht (§ 80 Abs. 4 Satz 3 OWiG).

KG Beschl. v. 17.7.2020 – 122 Ss 63/20, BeckRS 2020, 18390

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2 Kommentare

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Immerwieder interessant wie sehr Gerichte ihre Fehlenscheidungen mit absätzelangen Aktenzeichen von Fällen oder Betrachtungen, gerne von Beck, spicken, obwohl es in Deutschland kein Fallrecht gibt und vorangegangene Entscheidungen ohne Belang sind. Wie jemand richtig sagte geht es nicht um Recht, sondern um Begründungsfindung und Findung des Richters, der bereit ist, sich einer, noch so abstrusen, Begründung anzuschließen.

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Immer wieder interessant wie Leute wie Sie, also ohne jede Ahnung, hier kommentieren.

Nur so viel: Aufgabe des Rechtsbeschwerdegerichts ist es, auf eine einheitliche Rechtsprechung zu achten. Würde es vom Inhalt anderer Oberlandesgerichte abweichen, müssten es die Sache dem BGH vorlegen. Daher ist es essentiell, sich mit den entsprechenden Entscheidungen auseinanderzusetzen.

Das muss man als Laie nicht verstehen. Man sollte dann aber vielleicht auch nicht so einen Blödsinn darunter schreiben, wie Sie.

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