Digitales Update für die Juristenausbildung: Anhörung im Bundestag

von Martin Fries, veröffentlicht am 10.12.2020

Am Anfang war – vermutlich das Editorial von Katrin Gierhake in der NJW 19/2019 (pdf). Gierhake formulierte seinerzeit mit großer Dringlichkeit:

Will man die Universität wieder zu einer Universität machen, zu einem Ort des schöpferischen Geistes, des Erkenntnisvermögens und der Vernunft, muss bei den Juristen eine Reform her, die vom Ende des Studiums her gedacht wird. Und das bedeutet: Wir müssen den Examensstoff radikal reduzieren. Dieser Befund ist zwingend.

Also bitte Konzentration auf die Grundlagen und die Methodik und bitte viel weniger Auswendiglernen. Und – das ist der zweite Impuls aus jüngerer Zeit – trotz aller Kürzung des Examensstoffs doch bitte insgesamt mehr Digitalisierung in die juristische Ausbildung integrieren. Baden-Württemberg hat es mit seinem § 3 Abs. 2 S. 2 JaPrO im vergangenen Jahr zaghaft vorgemacht, in NRW wird gerade intensiv gerungen, aber den Jurastudierenden mag das alles kaum reichen. Sie finden Verbündete in zwei Oppositionsfraktionen im Deutschen Bundestag, die das Thema mit zwei Anträgen (Antrag der FDP in BT-Drucks. 19/23121 und Antrag der Linken in BT-Drucks. 19/24643) auf die Agenda des Rechtsausschusses gebracht haben. Dort findet am morgigen Freitag eine öffentliche Anhörung zur Anpassung der Juristenausbildung an das digitale Zeitalter statt.

Rückenwind fürs E-Examen

Ein Blick in die acht vorab eingereichten Stellungnahmen der Sachverständigen zeigt: Man ist sich in vielen Punkten erstaunlich einig. Praktisch nur Zustimmung erfährt der Vorschlag, Klausuren mittel- und langfristig am Computer schreiben zu lassen. Auch der Vorschlag, dabei die Nutzung von Datenbanken und/oder Kommentaren freizugeben, trifft überwiegend auf große Begeisterung. Mit den Worten von Heribert Anzinger:

Der gebotenen Ausrichtung der juristischen Staatsexamina an den zeitgemäßen Anforderungen der juristischen Tätigkeit würde es entsprechen, auch die Nutzung juristischer Datenbanken während der Prüfung zu gestatten. Zukünftige Juristinnen und Juristen müssen weniger wissen und dafür mehr können. Dazu gehören auch Recherchekompetenzen.

Andere Vorschläge zur Gestaltung der Examensprüfungen stoßen hingegen auf einige Skepsis. Das Strecken der Examensklausuren über mehrere Termine (sog. Abschichten) lehnen mehrere Sachverständige kategorisch ab. Gespalten ist das Meinungsbild auch bei der Frage, ob die Zweitkorrektur von Examensklausuren als unvoreingenommene Vollkorrektur ohne Kenntnis der Erstnote erfolgen sollte und inwieweit eine Erhöhung der Prüfervergütung sachgerecht ist.

Mehr Legal Tech in der Lehre, aber nicht unbedingt in die Ausbildungsgesetze

Was Neuerungen bei den Studien- und Prüfungsinhalten anbetrifft, setzen die Sachverständigen überwiegend auf die Förderung innovativer Lernangebote und auf die Einrichtung spezieller Legal-Tech-Professuren. Ein weniger klares Stimmungsbild gibt es demgegenüber bei der Frage, ob das gesetzliche Curriculum für Studium und Referendariat um Aspekte der Digitalisierung ergänzt werden sollte. Die Einschätzungen variieren unter anderem im Hinblick darauf, inwieweit ein bloßer Appell im Gesetz eine grundlegende Modernisierung des Lehr- und Wissenschaftsbetriebs bewirken kann. Was eine Eingrenzung des Prüfungsstoffs jenseits von Digitalisierungs-Fragen anbetrifft, sprechen die Sachverständigen dann aber wieder mit einer Stimme und sehen großen Kürzungsbedarf. Mit den Worten von Elisa Hoven:

Durch das Staatsexamen soll festgestellt werden, ob KandidatInnen „juristisch denken“ können; ob die juristische Methodik beherrscht, problemorientiert gearbeitet, sauber subsumiert, gut argumentiert und verständlich formuliert werden kann. Das alles lässt sich problemlos mit Klausuren aus den Kernbereichen der jeweiligen Fächer abprüfen; alles andere sollte aus dem Prüfungsstoff gestrichen werden.

Reform der juristischen Ausbildung: Ein Evergreen ohne Aussicht auf Effekte?

Was wird bleiben von der Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages? Die Sachverständige Barbara Dauner-Lieb weist mit Recht darauf hin, dass Juristinnen und Juristen schon immer darüber diskutiert haben, wie sie ihre Ausbildung verbessern können. Hinzu kommt: Mit Blick auf die Zahl und Bedeutung der noch im Spätherbst angestoßenen anderen Legislativprojekte ist die Realisierung weitergehender Reformideen kurzfristig unwahrscheinlich, insbesondere wenn sie aus der Opposition heraus angestoßen wurden. Es erscheint allerdings nicht unwahrscheinlich, dass die Früchte der morgigen Anhörung in den Koalitionsvertrag der nächsten Regierungsparteien mit aufgenommen werden. Das Thema verdient also Aufmerksamkeit!

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