BFH: Verwarnungsgeldzahlung des Arbeitgebers ist kein Arbeitslohn

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 14.12.2020
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1121 Aufrufe

Natürlich ist Steuerrecht nicht Teil meines Blogs. Hier aber kreuzt sich das Steuerrecht mit OWi-Sachen und zwar bei der Frage: Sind vom Arbeitgeber gezahlte Verwarngelder steuerlich zu behandeln? "Nein!", meint der BFH.

 

Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG --neben Gehältern und Löhnen-- auch andere Bezüge und Vorteile, die "für" eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden, unabhängig davon, ob ein Rechtsanspruch auf sie besteht und ob es sich um laufende oder um einmalige Bezüge handelt (§ 19 Abs. 1 Satz 2 EStG).

a) Diese Bezüge oder Vorteile gelten dann als für eine Beschäftigung gewährt, wenn sie durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst sind, ohne dass ihnen eine Gegenleistung für eine konkrete (einzelne) Dienstleistung des Arbeitnehmers zugrunde liegen muss. Eine Veranlassung durch das individuelle Dienstverhältnis ist vielmehr zu bejahen, wenn der Vorteil nur deshalb gewährt wird, weil der Zuwendungsempfänger Arbeitnehmer des Arbeitgebers ist, die Einnahmen dem Empfänger also mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis zufließen und sich als Ertrag der nichtselbständigen Arbeit darstellen, wenn sich die Leistung des Arbeitgebers also im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteile in BFHE 208, 104, BStBl II 2005, 367; vom 07.05.2014 - VI R 73/12, BFHE 245, 230, BStBl II 2014, 904, Rz 15; vom 19.11.2015 - VI R 74/14, BFHE 252, 129, BStBl II 2016, 303, Rz 10, und in BFHE 265, 239, Rz 14).

Auch der Erlass einer Forderung (§ 397 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--), die dem Arbeitgeber gegen den Arbeitnehmer zusteht, kann Arbeitslohn i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 EStG darstellen (Senatsurteile vom 27.03.1992 - VI R 145/89, BFHE 168, 99, BStBl II 1992, 837, und vom 24.05.2007 - VI R 73/05, BFHE 218, 180, BStBl II 2007, 766).

b) Nach diesen Rechtsgrundsätzen ist das FG zunächst zutreffend davon ausgegangen, den Arbeitnehmern der Klägerin sei nicht schon deshalb Arbeitslohn zugeflossen, weil die Klägerin die Verwarnungsgelder i.S. des § 56 OWiG an die zuständige Verwaltungsbehörde gezahlt hat.

aa) Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und den Senat daher bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) sind die Verwaltungsbehörden im Hinblick auf die streitgegenständlichen, von den Fahrern begangenen Parkverstöße jeweils an die Klägerin als Halterin des maßgeblichen Zustellfahrzeugs herangetreten. Dabei wurde ihr entweder im Rahmen einer schriftlichen Verwarnung mit Verwarnungsgeld und Anhörung selbst vorgeworfen, als Halterin den betreffenden Parkverstoß begangen zu haben, oder ihr wurde ein Zeugenfragebogen mit einem Überweisungsvordruck und der Aufforderung übersandt, den verantwortlichen Fahrzeugführer zu benennen oder das Verwarnungsgeld innerhalb einer Woche zu entrichten.

bb) Die darauf basierende Würdigung des FG, die Klägerin habe mit den hierauf geleisteten Zahlungen eine eigene Verbindlichkeit erfüllt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

(1) Das Wesen des Verwarnungsverfahrens besteht darin, dass das Fehlverhalten bei einer geringfügigen Ordnungswidrigkeit mit der Verwarnung nur vorgehalten wird, ohne darüber zu entscheiden (Gürtler in Göhler, OWiG, 17. Aufl., Vor § 56 Rz 4). Das Verfahren will die Durchführung eines Bußgeldverfahrens mit einer förmlichen Entscheidung "im äußersten Bagatellbereich" ersparen und eine geringfügige präventive Maßnahme genügen lassen, sofern der Betroffene sich einsichtig zeigt und von sich aus daran mitwirkt, d.h. die Verwarnung durch Zahlung wirksam werden lässt (Gürtler in Göhler, a.a.O., Vor § 56 Rz 5). Insoweit ist die Verwarnung mit Verwarnungsgeld ein mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt aus Anlass einer Ordnungswidrigkeit, die auf dem Einverständnis (d.h. der Selbstunterwerfung) des Betroffenen mit einer geringen präventiven Maßnahme in einem zusätzlichen Vorschaltverfahren beruht, das dann die Verfolgung und Entscheidung erübrigt (Gürtler in Göhler, a.a.O., Vor § 56 Rz 6). Dabei ist die Zahlung des Verwarnungsgeldes eine freiwillige Leistung, die nicht erzwungen werden kann.

(2) Betroffener i.S. des OWiG ist ungeachtet eines Tatbeitrags auch der Halter des Fahrzeugs (z.B. Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 26.02.2020 - IV-2 RBs 1/20, und Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 01.06.1989 - 2 BvR 239/88 u.a., BVerfGE 80, 109), soweit ihm gegenüber ein Verwarnungsgeld erhoben wird.

(3) Ist der Halter nach Belehrung über sein Weigerungsrecht mit der Verwarnung einverstanden und zahlt das Verwarnungsgeld, wird die Verwarnung wirksam (§ 56 Abs. 2 Satz 1 OWiG). Das Einverständnis bezieht sich nur auf die Art der verfahrensmäßigen Erledigung im Verwarnungsverfahren, nicht aber auf die Voraussetzungen sachlich-rechtlicher Art bzw. auf das Vorliegen des Bußgeldtatbestandes. Die Verwarnung kann nach erfolgter Zahlung nicht mehr wegen ihres materiellen Inhalts angefochten werden. Der Betroffene, hier der Halter, kann sich nach erklärtem Einverständnis daher auch nicht darauf berufen, eine Verwarnung hätte nicht erteilt werden dürfen, da eine Ordnungswidrigkeit nicht vorgelegen habe bzw. nicht von ihm begangen worden sei (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.03.1966 - VII C 157.64, BVerwGE 24, 8; Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11.04.2011 - 8 A 589/10). Eine Entscheidung, wer für den Verkehrsverstoß verantwortlich ist, wird nicht (mehr) getroffen, eine Zuweisung von Schuld findet nicht statt. Mit der Wirksamkeit der Verwarnung entsteht gemäß § 56 Abs. 4 OWiG ein Verfolgungshindernis eigener Art. Die Tat darf nicht mehr unter den tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten verfolgt werden.

(4) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Vorinstanz im Streitfall zutreffend entschieden, dass die Zahlung des Verwarnungsgeldes auf eine eigene Schuld der Klägerin erfolgt ist und daher nicht zu einem Zufluss von Arbeitslohn bei dem Arbeitnehmer führen kann, der die Ordnungswidrigkeit begangen hat. Die Klägerin als Betroffene hat die Verwarnung durch Zahlung des Verwarnungsgeldes sich gegenüber wirksam werden lassen. Da ihr die Verwarnung ungeachtet ihres fehlenden Tatbeitrags erteilt wurde, war nur die Klägerin Beteiligte des Verwaltungsverfahrens und nicht der Fahrer, der die Ordnungswidrigkeit begangen hatte. Unerheblich ist daher in diesem Zusammenhang, dass die Klägerin durch die Zahlung des Verwarnungsgeldes und die Nichtbenennung des Fahrzeugführers die Erteilung einer Verwarnung verbunden mit der Erhebung eines Verwarnungsgeldes bzw. die Einleitung eines Bußgeldverfahrens gegen den Fahrzeugführer vermieden hat.

Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Streitfall von dem dem Senatsurteil in BFHE 208, 104, BStBl II 2005, 367 zugrunde liegenden Sachverhalt. Denn dort hatte das FG bindend festgestellt, dass die Klägerin die Zahlung von Verwarnungsgeldern übernommen hatte, die von den bei ihr beschäftigten Fahrern wegen Verletzungen des Halteverbots erhoben worden waren. Auch im Senatsurteil in BFHE 243, 520, BStBl II 2014, 278 ging es um die Übernahme von gegen die Arbeitnehmer verhängten Bußgeldern.

c) Die Feststellungen des FG tragen indes nicht dessen weitere Würdigung, den Arbeitnehmern der Klägerin sei auch dadurch kein geldwerter Vorteil zugeflossen, weil die Klägerin ihnen keine realisierbare Forderung in Form eines vertraglichen oder gesetzlichen Rückgriffs- oder Schadensersatzanspruchs erlassen habe, da ein solcher nicht bestanden habe.

aa) Einen geldwerten Vorteil und damit Arbeitslohn i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG stellt es auch dar, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine realisierbare Forderung erlässt (Senatsurteile in BFHE 168, 99, BStBl II 1992, 837, und in BFHE 218, 180, BStBl II 2007, 766). Der Arbeitslohn fließt in einem solchen Fall in dem Zeitpunkt zu, in dem der Arbeitgeber zu erkennen gibt, dass er keinen Rückgriff nehmen wird (Senatsurteil in BFHE 168, 99, BStBl II 1992, 837), und sich der Arbeitnehmer hiermit einverstanden erklärt.

bb) Die Feststellungen des FG tragen nicht dessen Würdigung, dass ein solcher Rückgriffsanspruch im Streitfall nicht vorliege.

(1) Einen vertraglichen Regressanspruch der Klägerin hat das FG verneint, weil eine Zusage des Arbeitgebers, eine dem Arbeitnehmer bei der Arbeitsausübung auferlegte Geldstrafe oder -buße zu übernehmen, einen Verstoß gegen die guten Sitten i.S. des § 138 BGB begründe und eine derartige Vereinbarung daher nicht zur Disposition von Arbeitnehmer und Arbeitgeber stehe.

Um eine derartige, dem Arbeitnehmer auferlegte Geldstrafe oder -buße geht es nach den vorstehenden Ausführungen vorliegend aber gerade nicht. Auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25.01.2001 - 8 AZR 465/00 kann das FG sich für seine Ansicht daher nicht stützen. Denn dort geht es um den Fall eines (nicht bestehenden) vertraglichen Erstattungsanspruchs des Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber. Ebenso wenig kann das FG sich auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 01.12.2009 - B 12 R 8/08 R (BSGE 105, 66) berufen, da es auch dort --entgegen der eigenen Annahme des FG im Streitfall-- um die Übernahme eines unmittelbar gegen den Arbeitnehmer verhängten Bußgeldes durch die Arbeitgeberin ging.

Die Klägerin selbst macht zudem geltend, ihre Fahrer seien angewiesen, sich auch in solchen Gebieten an die geltenden Verkehrsregeln zu halten, für die eine Ausnahmegenehmigung nicht zu erlangen sei. Dem widerspricht die Annahme des FG, ein Anspruch der Klägerin wegen einer (Neben-)Pflichtverletzung des Arbeitnehmers sei zumindest konkludent ausgeschlossen.

(2) Das FG konnte einen gesetzlichen Anspruch der Klägerin aus einer Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 683 Satz 1, 670 BGB) nicht gestützt auf das Vorbringen der Klägerin verneinen, die Übernahme der Verwarnungsgelder sei im ausschließlich eigenbetrieblichen Interesse erfolgt. Denn dieses Vorbringen steht im Widerspruch zu ihrem weiteren Vortrag, ihre Fahrer seien angewiesen, sich auch in solchen Gebieten an die geltenden Verkehrsregeln zu halten, für die eine Ausnahmegenehmigung nicht zu erlangen sei.

cc) Das FG wird deshalb im zweiten Rechtsgang erneut zu prüfen haben, ob und wenn ja in welcher Höhe der Klägerin wegen der von ihren Fahrern unstreitig begangenen Parkverstöße ein (vertraglicher oder gesetzlicher) Regressanspruch gegen den jeweiligen Verursacher zusteht.

Sollte das FG im zweiten Rechtsgang zu dem Ergebnis gelangen, dass der Klägerin wegen der Parkverstöße ein realisierbarer (einredefreier und fälliger) Schadensersatzanspruch gegen den jeweiligen Fahrer zustand, wird es der Frage nach dem Zeitpunkt des Erlasses gemäß § 397 BGB, d.h. dem Zufluss des damit einhergehenden geldwerten Vorteils, nachzugehen haben.

Abschließend weist der erkennende Senat zur Klarstellung für den Fall, dass die Klägerin ihren Arbeitnehmern eine realisierbare Schadensersatzforderung erlassen hat, darauf hin, dass das Vorliegen von Arbeitslohn entgegen der Ansicht des FG nicht unter dem Aspekt verneint werden könnte, die Zahlung der Verwarnungsgelder sei --anders als in dem dem Senatsurteil in BFHE 243, 520, BStBl II 2014, 278 zugrunde liegenden Fall-- im überwiegend eigenbetrieblichen Interesse der Klägerin erfolgt. Denn der Senat hat in seinem Urteil in BFHE 243, 520, BStBl II 2014, 278 eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass ein rechtswidriges Tun (hier die von den Arbeitnehmern entgegen der geltenden StVO begangenen Parkverstöße) keine beachtliche Grundlage einer solchen betriebsfunktionalen Zielsetzung sein kann, und in diesem Zusammenhang ausdrücklich nicht mehr an seiner im Urteil in BFHE 208, 104, BStBl II 2005, 367 vertretenen Auffassung festgehalten. Dies gilt auch, soweit es sich --wie vorliegend-- bei den Parkverstößen regelmäßig um solche im absoluten Bagatellbereich handelt.

 

BFH NJW 2020, 3614

 

 

 

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