Urteile zur einrichtungsbezogenen Impflicht

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 20.05.2022
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|1707 Aufrufe

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 27.4.2022 (1 BvR 2649/21) eine Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen, die sich gegen § 20a, § 22a und § 73 Abs. 1a Nr. 7e bis 7h des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) richtet. Darin ist die auf bestimmte Einrichtungen und Unternehmen des Gesundheitswesens und der Pflege bezogene Pflicht geregelt, eine COVID-19-Schutzimpfung, eine Genesung von der COVID-19-Krankheit oder eine medizinische Kontraindikation für eine Impfung nachzuweisen (sogenannte „einrichtungs- und unternehmensbezogene Nachweispflicht“). Die angegriffenen Vorschriften verletzten die Beschwerdeführer nicht in ihren Rechten insbesondere aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG. Soweit die Regelungen in die genannten Grundrechte eingriffen, seien diese Eingriffe verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Der Gesetzgeber habe im Rahmen des ihm zustehenden Einschätzungsspielraums einen angemessenen Ausgleich zwischen dem mit der Nachweispflicht verfolgten Schutz vulnerabler Menschen vor einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 und den Grundrechtsbeeinträchtigungen gefunden. Trotz der hohen Eingriffsintensität müssten die grundrechtlich geschützten Interessen der im Gesundheits- und Pflegebereich tätigen Beschwerdeführer letztlich zurücktreten. Zu berücksichtigen sei dabei auch, dass das besonders betroffene Personal in Heil- und Pflegeberufen eine besondere Verantwortung gegenüber den von ihm behandelten und betreuten Personen habe.

Für die arbeitsgerichtliche Praxis steht damit fest, dass die gesetzliche Regelung nicht mehr in Zweifel gezogen werden kann. In etwaigen Kündigungsrechtsstreitigkeiten wird sich die Diskussion dann eher auf das Ultima-ratio-Prinzip und die Interessenabwägung verlagern. Hierzu passt ein neueres Urteil des ArbG Lübeck (13.4.2022 - 5 Ca 189/22), bei dem es allerdings nicht in erster Linie um eine Missachtung des einrichtungsbezogenen Impflicht ging, sondern um die Art und Weise, wie der Nachweis geführt worden ist. Demgemäß ging es auch nicht um eine personenbedingte, sondern um eine verhaltensbedingte Kündigung:

Die Klägerin ist bei der beklagten Klinik seit 2001 als Krankenschwester beschäftigt. Auf die Anweisung der Arbeitgeberin im Zuge der Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht, den Impf- bzw. Genesenenstatus nachzuweisen oder ein ärztliches Impfunfähigkeitszeugnis vorzulegen, hat sie eine Bescheinigung vorgelegt, die eine sechsmonatige vorläufige Impfunfähigkeit ausweist und die Unterschrift einer Ärztin aus Süddeutschland enthält. Die Bescheinigung wurde aus dem Internet ausgedruckt. Eine - sei es digitale - Besprechung mit der Ärztin fand nicht statt. Die Beklagte hat das Gesundheitsamt informiert und außerdem der Klägerin im Januar 2022 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31. Juli 2022 gekündigt. In ihrer Kündigungsschutzklage führte die Klägerin u.a. aus, dass die Vorlage einer solchen Bescheinigung nicht zu beanstanden sei und § 20a IFSG weitere arbeitsrechtliche Maßnahmen der Arbeitgeberin gegenüber ihren Beschäftigten ausschlösse. Allein das Gesundheitsamt könne in dieser Situation handeln und eine ärztliche Untersuchung der betroffenen Mitarbeiterin veranlassen. Dem ist das Arbeitsgericht nicht gefolgt. Die hilfsweise ordentliche Kündigung unter Einhaltung der geltenden Kündigungsfrist sei aufgrund des Fehlverhaltens der Klägerin sozial gerechtfertigt und damit wirksam gewesen. Dagegen sei die fristlose Kündigung angesichts der sehr langen Betriebszugehörigkeit unverhältnismäßig gewesen. Die Vorlage einer vorgefertigten ärztlichen Impfunfähigkeitsbescheinigung, ohne dass vorher eine Untersuchung erfolgt ist, stelle eine sehr schwere Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten dar, die das Vertrauen in eine ungestörte weitere Zusammenarbeit auch ohne vorherige Abmahnung zerstöre. Es hätte der Klägerin klar sein müssen, dass die vorgelegte Bescheinigung zwar bei der Arbeitgeberin den Anschein eines ärztlichen Zeugnisses erwecken würde, aber in Wahrheit nicht auf einer ärztlichen Untersuchung beruhte. Aus § 20a IFSG ergäbe sich für eine solche Konstellation kein arbeitsrechtliches Kündigungsverbot.

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