Die Zwangsvollstreckung des Weiterbeschäftigungsanspruchs in der Praxis

von Gastbeitrag, veröffentlicht am 23.06.2022
Rechtsgebiete: Arbeitsrecht|2314 Aufrufe

Ein Gastbeitrag von Dr. Frank Hahn, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Stuttgart

Ein Titel in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren ist zumeist wertlos, wenn er im Zweifel nicht im Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden kann. Dies gilt insbesondere für den Anspruch auf Weiterbeschäftigung. In der Praxis ist es fast üblich, dass der Arbeitgeber den Einwand erhebt, der titulierte Weiterbeschäftigungsanspruch sei zu unbestimmt und daher der Zwangsvollstreckung nicht zugänglich. Allerdings stellt die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte keine hohen Hürden hinsichtlich der Bestimmtheit des Titels nach § 253 Abs. 2 ZPO auf.

Da der Anspruch auf Weiterbeschäftigung eine unvertretbare Handlung ist, deren Vornahme ausschließlich vom Willen des Schuldners, also des Arbeitgebers abhängt und im Gegensatz zur Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO ein aktives Tun erfordert, erfolgt die Zwangsvollstreckung nach § 62 Abs. 2 ArbGG, § 888 ZPO.

Der Titel muss verdeutlichen, um welche Art von Beschäftigung es geht. Er könnte lauten (vergleiche das Formular P.X. der demnächst erscheinenden 6. Auflage des Münchener Prozessformularbuchs Arbeitsrecht, Bd. 6):

„An das Arbeitsgericht

                                       Antrag nach § 888 ZPO
Az: ...
In der Zwangsvollstreckungssache
                                                  A/B GmbH

beantrage ich namens und in Vollmacht des Gläubigers:

Gegen die Schuldnerin wird wegen der Nichtvornahme der arbeitsvertragsgemäßen Weiterbeschäftigung des Gläubigers als Geschäftsstellenleiter gemäß dem Urteil des Arbeitsgerichts ... vom ..., Az: ..., ein Zwangsgeld festgesetzt und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Zwangshaft."

Ausschließlich zuständig für den Antrag ist das Prozessgericht des ersten Rechtszugs (§ 62 Abs. 2 ArbGG, § 802 ZPO), mithin das Arbeitsgericht. Dieses entscheidet durch Beschluss bei fakultativer mündlicher Verhandlung und vorheriger Anhörung des Schuldners, § 62 Abs. 2 ArbGG, § 891 ZPO. Der Beschluss ist Vollstreckungstitel, § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO.

Es ist aber auch ausreichend, wenn eine Verurteilung zur Beschäftigung als Angestellter" erfolgt und sich aus dem Titel ergibt, mit welcher Art der Tätigkeit der Arbeitnehmer beschäftigt war. Dabei sind bei der Auslegung des Urteils die in Bezug genommenen Unterlagen mit zu berücksichtigen. Gründe, die bereits Gegenstand des Erkenntnisverfahrens bis zum Erlass des Titels waren, können im Zwangsvollstreckungsverfahren nicht angeführt werden.

Macht der Arbeitgeber geltend, ihm sei es unmöglich geworden, den Arbeitnehmer gemäß dem in erster Instanz erstrittenen Titel weiter zu beschäftigen, so muss er dies im Zwangsvollstreckungsverfahren gemäß § 888 ZPO substantiiert dartun. Der Arbeitgeber trägt insoweit die Darlegungs- und Beweislast.

Der Gläubiger, also der Arbeitnehmer, muss bei seinem Antrag nach § 888 ZPO weder das Zwangsmittel noch das Zwangsmaß angegeben. Setzt das Gericht ein Zwangsgeld fest, ist dies zwingend mit der Festsetzung von ersatzweiser Zwangshaft zu verbinden. Das Gericht verhängt sogleich Zwangshaft, falls die Anordnung eines Zwangsgelds in Verbindung mit ersatzweiser Zwangshaft unzureichend wäre.

Für die Festsetzung von Zwangsmitteln gilt der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ein festzusetzendes Zwangsgeld hat sich an dem Interesse des Gläubigers an der Durchsetzung der titulierten Forderung, die in vermögensrechtlichen Streitigkeiten ihren Ausdruck im Wert des Streitgegenstands der Hauptsache findet, und an der
Hartnäckigkeit des Schuldners, mit dem dieser die Erfüllung unterlässt, zu orientieren.

Umstritten ist, ob der Erfüllungseinwand des Schuldners zulässig und vom Gericht in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen festzustellen ist, oder ob der Gläubiger, d. h. der Arbeitgeber, Vollstreckungsgegenklage nach § 62 Abs. 2 ArbGG, § 767 ZPO zu erheben hat.

Der Umstand, dass der Arbeitgeber eine weitere Kündigung ausgesprochen hat, hindert eine Zwangsgeldfestsetzung nach § 888 ZPO nicht. Macht der Arbeitgeber im Zwangsgeldfestsetzungsverfahren nach § 888 ZPO geltend, er habe schwerwiegende Gründe für eine Nichtweiterbeschäftigung des Arbeitnehmers, hätte es ihm freigestanden, einen Antrag auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung unter Darlegung der diesbezüglichen Voraussetzungen zu stellen. Das bedeutet, dass die Vollstreckung dem Arbeitgeber einen nicht zu ersetzenden Nachteil" hätte erbringen müssen, § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG.

Allerdings kann im Fall der Nichtvornahme der Weiterbeschäftigung keine Zwangsgeldfestsetzung erwirkt werden, wenn der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers oder ein vergleichbarer Arbeitsplatz nicht mehr existiert.

Gegen den Beschluss, der den Antrag des Gläubigers zurückweist oder für den Schuldner ein Zwangsmittel anordnet, ist nach überwiegender Ansicht sofortige Beschwerde nach § 78 ArbGG, §§ 577, 793 ZPO statthaft.

Wird ein Zwangsgeld nach § 888 ZPO auf Antrag des Gläubigers verhängt, der Vollstreckungstitel dann aber aufgehoben, hat der Schuldner in entsprechender Anwendung von § 812 Abs. 1 Satz 2 BGB einen Rückforderungsanspruch gegen den Staat. Gegen den Gläubiger steht dem Schuldner dann ein Anspruch nach § 62 Abs. 2 ArbGG, § 717 Abs. 2 ZPO zu (vergleiche hierzu das Formular P.V. der demnächst erscheinenden 6. Auflage des Münchener Prozessformularbuchs Arbeitsrecht, Bd. 6).

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