Fahrlehrer macht sich an Fahrschülerinnen ran: Widerruf der Fahrlehrererlaubnis

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 20.08.2022
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht1|4206 Aufrufe

Auch ich kenne aus früheren Zeiten komische Geschichten von Fahrlehrern, die gerne einmal Grenzen überschritten. Ganz klar: Das ist nicht in Ordnung. Und so war es hier auch. Der Fahrlehrer war übergriffig. Die Strafjustiz half den Opfern nicht. Gut immerhin, dass ihm die Fahrlehrererlaubnis entzogen wurde:

 

Die Klage wird abgewiesen.

 Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

 Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

 Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 Tatbestand: 

 Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen den Widerruf seiner Fahrlehrerlaubnis, die Rückgabe seines Fahrlehrerscheins und gegen die Festsetzung von Verwaltungsgebühren.

 Der am ... 1965 geborene Kläger ist Fahrlehrer und betreibt eine Fahrschule in BStadt. Er ist seit dem 07.07.2006 Inhaber einer Fahrlehrerlaubnis der Klasse BE und seit dem 06.03.2009 der Klasse A. Die Registernummer im Fahrlehrerverzeichnis lautet 3/2006. Weiterhin ist er Inhaber einer Fahrschulerlaubnis vom 08.04.2010 für die Klassen BE und A.

 Am 20.11.2012 stellte eine ehemalige Fahrschülerin des Klägers, die damals 16-jährige G. H., Strafanzeige gegen den Kläger. Sie gab gegenüber der Polizeiinspektion B-Stadt u. a. an, er habe ihr ab der zweiten Fahrstunde (14.11.2012) und in den darauffolgenden regelmäßig und für einen kurzen Moment seine Hand auf ihren Oberschenkel gelegt und zwischen die Schenkel geschoben. Am 20.11.2012 habe er ihr im Rahmen einer Pause am I. ihre Reiterhose betreffend ins Ohr geflüstert, dass „die ziemlich geil aussehen“ würden. Zudem habe er gesagt, dass sie generell „geil“ aussehe und sie einen „geilen Arsch“ habe. Außerdem habe er gefragt, ob sie ein Problem mit derartigen Komplimenten habe, weil sie abweisend reagiert habe. Darüber hinaus gab sie an, er habe sie „Süße“ oder „Schätzchen“ genannt.

 Das Verfahren wurde mit staatsanwaltlicher Verfügung vom 08.03.2013 mit der Begründung eingestellt, dass kein Straftatbestand durch das von der Anzeigenerstatterin angegebene Verhalten erfüllt sei.

 Am 18.08.2017 erstattete die zum damaligen Zeitpunkt noch minderjährige Zeugin E. (geb. ….) zusammen mit ihrer Mutter Strafanzeige bei der Polizeiinspektion B-Stadt. Die ehemalige Fahrschülerin des Klägers erklärte u. a., dass der Kläger während der praktischen Fahrstunden im Juli und Anfang August 2017 seine linke Hand vermehrt auf ihren rechten Oberschenkel gelegt habe und mit der Hand beginnend am unteren Teil des Oberschenkels hochgefahren sei, bis er mit der Handaußenseite bzw. dem kleinen Finger ihren Intimbereich berührt habe. Er habe mit seiner Hand auf ihrer Bekleidung immer wieder auf und ab vom Knie bis zum Intimbereich gerieben. Dies sei so bis zum 05.08.2017 gegangen. Daneben habe er einmal im Rahmen eines Gespräches Komplimente über ihre Haare gemacht und sie aufgefordert, sich einmal beim Duschen zu filmen und ihm diesen Film dann zu zeigen. Zudem habe er sie einmal auf die Hand geküsst. Er habe ihr auch den Spitznamen „süße Maus“ gegeben.

 Am 05.07.2017 machte der Kläger der Zeugin E. Komplimente, in dem er ihr bei Wh.A. schrieb: „Sportlich, sportlich […] Lady, du siehst toll aus“ und „Stimmt doch und du hast tolle Zähne“. Am 22.07.2017 und 04.08.2017 sprach der Kläger die Zeugin E. ausweislich des Wh.A. Chatverlaufs jeweils u. a. mit „süße Maus“ an.

 Am 20.09.2017 erstattete die weitere zum damaligen Zeitpunkt noch minderjährige Zeugin D. (geb. ….) in Begleitung ihrer Mutter Strafanzeige bei der Polizeiinspektion B-Stadt. Die ehemalige Fahrschülerin des Klägers erklärte u. a., dass der Kläger während der praktischen Fahrstunden im Juli und August 2017 vermehrt seine Hand auf ihren Oberschenkel, nahe des Hüftknochens, gelegt habe. Mit den Fingerspitzen habe er sie zudem dann teilweise massiert. Dieses Verhalten habe es nur gegeben, wenn keine anderen Fahrschüler oder Fahrschülerinnen auf der Rückbank des Fahrzeuges waren. Er habe ihre Hand auch vom Lenkrad genommen und geküsst. Später habe er dann auch versucht, an ihrem Finger zu knabbern, wobei sie sich dagegen gewehrt habe und den Finger weggezogen habe. Er habe ihr viele Komplimente gemacht und sie zu Beginn und zum Ende einer Fahrstunde umarmt.

 Der Kläger sprach die Zeugin D. ausweislich des Wh.A. Chatverlaufs einmal mit „Lady“ und einmal mit „Süße“ an (Bl. 19 ff. d BA 003).

 Das Amtsgericht B-Stadt erließ am 16.08.2018 einen Strafbefehl. Gegen den Kläger wurde eine Gesamtstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 30 Euro verhängt, da er sich der sexuellen Belästigung in zwei Fällen gemäß §§ 184i Abs. 1, 53 StGB schuldig gemacht habe. Ihm wurde zur Last gelegt, dass er an einem nicht näher ermittelbaren Tag zwischen dem 12.07.2017 und dem 17.08.2017 gegenüber der damaligen Fahrschülerin, der Zeugin D., geäußert habe, dass er in den Theoriestunden einsam ohne sie sei. Sodann habe er ihre Hand genommen, um diese zu küssen. Als die Zeugin dies erkannt habe, habe sie versucht, ihre Hand wegzuziehen, der Kläger habe die Hand dann aber mit zwei Händen umfasst und geküsst. Hierbei habe er in sexueller Motivation gehandelt und durch die Gegenwehr gewusst, dass die Zeugin mit dem Küssen der Hand nicht einverstanden gewesen sei, sich hierdurch vielmehr belästigt gefühlt habe. Im Rahmen einer weiteren Fahrstunde am 17.08.2017 habe die Zeugin dem Kläger erklärt, mit seinen Berührungen nicht einverstanden gewesen zu sein. Trotz dieser Aussage habe der Kläger seine Hand auf den Oberschenkel in die Nähe des Intimbereichs der Zeugin D. gelegt und den Oberschenkel gedrückt. Auch hierbei habe er in der Absicht gehandelt, ein sexuelles Interesse der Zeugin zu erregen, wobei er aufgrund deren vorangegangener Aussage gewusst habe, dass sie die Berührung nicht wünsche.

 Der anwaltlich vertretene Kläger legte am 22.02.2018 Einspruch gegen den Strafbefehl ein. Vor Beginn der Hauptverhandlung am 23.05.2018 baten die Verteidiger des Klägers um eine Rücksprache mit dem Amtsrichter. Die Rücksprache fand ausweislich eines gerichtlichen Vermerks mit der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft und der Nebenklagevertreterin statt. Die Verteidiger legten u. a. dar, dass eine Verurteilung, egal welcher Höhe, verwaltungsrechtlich den Verlust der Fahrlehr- und Fahrschulerlaubnis zur Folge habe und der Kläger und seine Familie dadurch in der wirtschaftlichen Existenz bedroht seien. Das Verfahren wurde im Einverständnis aller gegen die Auflage der Zahlung von 1500 Euro an die Mutter der Zeugin D. nach § 153a StPO eingestellt.

 Das Verfahren wegen des Verhaltens gegenüber der Zeugin E. wurde am 07.02.2018 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. In der Einstellungsmitteilung an die Zeugin E. begründete dies die Staatsanwaltschaft damit, dass es dem Kläger subjektiv nicht nachweisbar sei, vorsätzlich gehandelt zu haben. Dafür müsse ihm bewusst gewesen sein, dass die Berührungen nicht gewollt gewesen seien und sich die Zeugin E. durch diese belästigt gefühlt habe. Da die Zeugin dem Kläger nicht gesagt habe oder ausdrücklich deutlich gemacht habe, seine Brührungen nicht zu wünschen, könne der Nachweis in subjektiver Hinsicht nicht geführt werden.

 Mit Bescheid vom 05.08.2019 widerrief die Beklagte die Fahrlehrerlaubnis des Klägers für die Klassen BE und A (Ziffer 1) und forderte ihn auf, den Fahrlehrerschein nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung unverzüglich, innerhalb von drei Tagen, abzugeben (Ziffer 2), drohte im Fall der nicht fristgerechten Abgabe die Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 200 Euro an und legte dem Kläger die Kosten des Verwaltungsverfahrens in Höhe von 150 Euro auf (Ziffer 4). Mit ebenfalls am 05.08.2019 ergangenen Bescheid setzte die Beklagte die Kosten des Verfahrens auf 153,50 Euro fest. Zur Begründung verwies die Beklagte im Wesentlichen auf die Vorwürfe sexueller Belästigung im Rahmen von drei Strafanzeigen ehemaliger Fahrschülerinnen, den Zeuginnen D. und E. und der Frau H.. Darüber hinaus sei bereits 2010 gegen den Kläger wegen Beleidigung auf sexueller Basis ermittelt worden und es hätten sich 2012 und 2013 weitere Personen mit ähnlichen Vorwürfen an die Straßenverkehrsbehörde gewandt. Aufgrund dessen sei der Kläger nach dem Gesamtbild seines Verhaltens nicht mehr als zuverlässig anzusehen.

 Gegen beide Bescheide hat der Kläger am 13.08.2019 Klage erhoben. Der Kläger ist der Ansicht, er sei weiterhin zuverlässig hinsichtlich der Berufsausübung als Fahrlehrer. Die Anschuldigungen der ehemaligen Fahrschülerinnen des Klägers würden durch die Beklagte schlicht als wahr unterstellt und der Widerruf sei nur auf diese Anschuldigungen gestützt. Es handele sich aber nicht um feststehende, sondern um vom Kläger allesamt bestrittene Tatsachen. Die Beklagte hätte die Zeuginnen befragen müssen, um auf inhaltliche Zweifel und Ungereimtheiten der Anschuldigungen, die vorlägen, einzugehen. Zudem hätte die Beklagte mit dem Kläger ein persönliches Gespräch führen müssen, um eine sachgerechte Abwägung vorzunehmen. Das sei nicht geschehen. Dies sei ermessensfehlerhaft und wiederspreche der Unschuldsvermutung. Alle Verfahren gegen den Kläger seien eingestellt worden. Deswegen könnte aus dem Umstand, dass es Verfahren gegeben habe, nichts abgeleitet werden, was gegen den Kläger spreche. Vielmehr wäre die Staatsanwaltschaft, wenn sie die Aussagen der Zeuginnen als wahr bewertet hätte, zum Weiterführen der Verfahren verpflichtet gewesen. Zudem könne aus dem Ermittlungsverfahren aus 2012 nichts mehr abgeleitet werden, da dieses zu lange zurückliege. Im Übrigen seien die Anschuldigungen allesamt unzutreffend. Es sei dem Kläger aufgrund des Innenraums seines Fahrschulwagens und seiner Sitzposition überhaupt nicht möglich, seinen ehemaligen Fahrschülerinnen auf den Oberschenkel gefasst zu haben.

 Der Kläger beantragt,

 die Bescheide der Beklagten vom 05.08.2019 aufzuheben.

 Die Beklagte beantragt,

 die Klage abzuweisen.

 Sie tritt dem Vortrag des Klägers entgegen und verweist zur Begründung auf die Ausführungen im angegriffenen Bescheid. Ergänzend führt sie aus, dass sie nach Aktenlage von der inhaltlichen Richtigkeit der Aussagen der ehemaligen Fahrschülerinnen, der zwei Zeuginnen und Frau H., habe ausgehen können. Die Aussagen seien nicht widersprüchlich, sondern glaubhaft. Es sei kein nachvollziehbares Motiv ersichtlich, warum drei 16- bzw. 17-jährige Mädchen einen rund 40 Jahre älteren Fahrlehrer mit Falschaussagen belasten sollten. Die Aussagen ähnelten sich zudem, was im Hinblick auf die Aussage der im Jahre 2012 betroffenen Fahrschülerin, Frau H., bemerkenswert sei, da sich diese und die beiden Zeuginnen nicht bekannt seien. Die strafrechtliche Relevanz des Verhaltens des Klägers sei zudem für das vorliegende Verfahren unbeachtlich. Vielmehr habe die Beklagte eine eigenständige gefahrenabwehrrechtliche Einschätzung des ihr bekannt gewordenen Sachverhalts zu treffen. In die vorzunehmende Gesamtbetrachtung des Verhaltens des Klägers seien zudem die unangemessenen und distanzlosen Nachrichten per Wh.A., eine belästigendes Verhalten vorwerfende Bewertung bei Google und weitere im Jahre 2013 an die Beklagte herangetragene Vorwürfe gegen den Kläger zu berücksichtigen.

 Mit Beschluss vom 28.06.2021 hat die Kammer den Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

 Der Einzelrichter hat in der mündlichen Verhandlung vom 03.06.2022 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeuginnen D. und E.. Wegen des Inhalts wird auf die Sitzungsniederschrift vom 03.06.2022 verwiesen.

 Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung den Antrag gestellt, Beweis über die Behauptung zu erheben, der Innenraum und die Sitzposition im Fahrschulfahrzeug des Klägers lassen es nicht zu, dass der Kläger die auf den Fahrersitz zu den angegebenen Vorfallszeitpunkten sitzenden Zeuginnen auf den Oberschenkel gefasst hat. Dies wird beantragt durch Inaugenscheinnahme des Fahrzeugs des Klägers mit dem amtlichen Kennzeichen XX XX …. Der Antrag ist abgelehnt worden.

 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft verwiesen.

 Entscheidungsgründe: 

 Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.

 Die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 05.08.2019 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

 1. Die Beklagte hat in nicht zu beanstandender Weise die Fahrlehrerlaubnis des Klägers widerrufen (Ziffer 1 des Widerrufbescheides). Der formell rechtmäßige Widerruf erweist sich auch materiell als rechtmäßig. Abzustellen ist dabei auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.10.1996 - 1 B 197.96 -, juris, Rn. 5; Nds. OVG, Beschluss vom 12.10.2020 - 12 LA 35/20 -, V. n. b., S. 5).

 Rechtsgrundlage für den Widerruf der Fahrlehrerlaubnis des Klägers ist § 14 Abs. 2 Satz 1 des Fahrlehrergesetzes (FahrlG). Danach ist die Fahrlehrerlaubnis zu widerrufen, wenn nachträglich eine der in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis Nr. 4 FahrlG genannten Voraussetzungen weggefallen ist. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 FahrlG wird die Fahrlehrerlaubnis erteilt, wenn gegen den Bewerber keine Tatsachen vorliegen, die ihn für den Fahrlehrerberuf als unzuverlässig erscheinen lassen.

 Ob nachträglich Tatsachen im Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 bis Nr. 4 FahrlG eingetreten sind, die einen Fahrlehrer als berufsordnungsrechtlich unzuverlässig erscheinen lassen, ist eine im Einzelfall von der Behörde bzw. ggf. dem angerufenen Gericht zu treffende Prognoseentscheidung. Die allgemeinen gewerberechtlichen Grundsätze sind anzuwenden. Danach ist ein Gewerbetreibender dann unzuverlässig, wenn er nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben wird. Die somit erforderliche Prognose ist ein aus den vorhandenen tatsächlichen Umständen gezogener Schluss auf wahrscheinlich zukünftiges Verhalten des Gewerbetreibenden. Insoweit kommt es auf eine Gesamtschau des in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens an (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.02.1997 - 1 B 34.97 -, juris, Rn. 8; OVG NRW, Beschluss vom 29.11.2018 - 8 B 717/18 -, juris, Rn. 7 f.).

 Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 FahrlG ist der Bewerber insbesondere dann unzuverlässig, wenn er wiederholt die Pflichten gröblich verletzt hat, die ihm nach diesem Gesetz oder den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen obliegen. Diese Vorschrift ist nur ein Regelbeispiel („insbesondere“), sodass auch einmalige gröbliche Pflichtverletzungen mit einem relevanten Bezug zum Beruf die fehlende Zuverlässigkeit begründen können (vgl. Sächs. OVG, Beschluss vom 14.12.2020 - 6 B 162/20 -, juris, Rn. 15; Bay. VGH, Beschluss vom 28.01.2013 - 11 CS 12.1965 -, juris, Rn. 19). Die Prognose der Zuverlässigkeit enthält auch ein Zeitmoment. Deshalb kann im Einzelfall zu beachten sein, wann das Fehlverhalten vor Erlass der Widerrufsverfügung erfolgte (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 28.01.2013, a. a. O.).

 § 12 Satz 1 FahrlG bestimmt näher, dass Fahrlehrer die Fahrschüler gewissenhaft auszubilden haben. Dies bedeutet, dass die Ausbildung gründlich, umfassend, in jeder Hinsicht korrekt, sorgfältig und verantwortungsbewusst zu erfolgen hat (vgl. etwa VG Gelsenkirchen, Gerichtsbescheid vom 02.11.2021 - 18 K 284/21 -, juris, Rn. 17 ff). Diese Pflicht wird durch die Fahrschüler-Ausbildungsordnung (FahrschAusbO) weiter konkretisiert. Der Fahrlehrer soll nach § 3 Abs. 2 Satz 3 FahrschAusbO gegenüber dem Fahrschüler sachlich, aufgeschlossen und geduldig auftreten. Zudem wird von einem Fahrlehrer bei der Erteilung des Unterrichts ein besonderes, anderen als Vorbild dienendes, Verantwortungsbewusstsein erwartet (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28.11.2005 - 8 B 1744/05 -, juris, Rn. 15 und Beschluss vom 08.11.2005 - 8 B 1666/05 -, juris, Rn. 4). Denn der Fahrlehrer steht in einem besonderen Vertrauens- und Autoritätsverhältnis zu seinen Fahrschülern. Kraft dieses Verhältnisses müssen sich die Fahrschüler bei der Ausbildung, insbesondere der praktischen Fahrausbildung, in die Obhut des Fahrlehrers begeben, um gefahrlos das Führen eines Kraftfahrzeuges zu erlernen. Dieses Verhältnis von Lehrer und Schüler ist damit davon geprägt, dass sich der Schüler der fachlichen und persönlichen Autorität des Lehrers soweit unterwerfen muss, als dies zur Erzielung eines Lernerfolges geboten ist. Dadurch besteht bei Fahrschülern naturgemäß eine beachtliche Hemmschwelle, den Lehrer persönlich oder fachlich etwa hinsichtlich seiner Methodik oder seines sonstigen Verhaltens in Frage zu stellen. Dieses Hemmnis ist umso verstärkter, je größer der Reifeunterschied ist, der zum Lehrer besteht. Daher sind vor allem die typischerweise jugendlichen oder heranwachsenden Schüler weniger in der Lage, sich gegen persönliche Grenzüberschreitungen wie Ruppigkeiten, Beleidigungen oder aber auch sexuelle Anzüglichkeiten des Fahrlehrers zur Wehr zu setzen (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 09.02.2011 - 11 CS 10.3056 -, juris, Rn 10; VG Hannover, Urteil vom 17.12.2019 - 15 A 7795/16 -, juris, Rn. 14, m. w. N., VG Köln, Beschluss vom 22.08.2018 - 23 L 1646/18 -, juris, Rn. 8).

 Für die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „gröbliche Pflichtverletzung“ ist weiterhin zu beachten, dass der Widerruf der Fahrlehrerlaubnis die Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) wegen der zwingenden Rechtsfolge („ist zu widerrufen“) auf erhebliche Dauer ausschließt. Deshalb ist ein Fehlverhalten, das die beruflichen Pflichten nicht oder nur am Rande berührt, kein Gröbliches (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29.11.1982 - 5 B 62.81 -, juris, Rn. 3 f.).

 Gerade strafrechtlich geahndete sexuelle Übergriffe auf Fahrschülerinnen begründen - ungeachtet dessen, dass die strafgerichtlichen Feststellungen für das ordnungsbehördliche und verwaltungsgerichtliche Verfahren nicht bindend sind - regelmäßig gröbliche Pflichtverletzungen des Fahrlehrers (vgl. nur OVG NRW, Beschluss vom 07.06.2002 - 8 B636/02 -, juris, Rn. 3).

 Zudem kann auch schon ein bloß sexuell konnotiertes Verhalten (etwa nicht erwünschte verbale oder körperliche Annäherungsversuche) oder eine entsprechende bzw. anzügliche Äußerung des Fahrlehrers gegenüber einer Fahrschülerin dessen Unzuverlässigkeit begründen (vgl. etwa VG Hannover, Urteil vom 17.12.2019 - 15A7795/16 -, juris, Rn. 2, 3 und 14-21, bestätigt durch Nds. OVG, Beschluss vom 12.10.2020, a. a. O.; VG Arnsberg, Beschluss vom 20.09.2005 - 1 L 720/05 -, juris, Rn. 6 f., bestätigt durch OVG NRW, Beschluss vom 28.11.2005 - 8 B 1744/05 -, juris). Dafür muss nicht erst eine strafgerichtliche Verurteilung mit beruflichem Bezug zur Fahrlehrertätigkeit vorliegen. Zum behördlichen Widerruf kann auch ein unterhalb der Strafbarkeitsschwelle liegendes (Fehl-)Verhalten des Fahrlehrers führen, mit dem er seine beruflichen Pflichten verletzt (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 12.10.2020, a. a. O.; VG Gelsenkirchen, Gerichtsbescheid vom 02.11.2021, a. a. O., Rn. 31). Dies folgt nicht zuletzt daraus, dass der Gesetzgeber dem Schutz der sexuellen Integrität von Jugendlichen eine herausragende Stellung beimisst. Dies zeigt etwa das Jugendschutzgesetz und die auf den besonderen Schutz von Kindern und Jugendlichen bezogenen speziellen Tatbestände in den Vorschriften der §§ 174 ff. des Strafgesetzbuches (StGB).

 b) Nach diesen Maßgaben hat der Kläger seine Berufspflicht zur sachlichen sowie gewissenhaften Ausbildung seiner Fahrschülerinnen zur Überzeugung des Einzelrichters wiederholt gröblich verletzt. Dadurch hat er sich im für die rechtliche und tatsächliche Beurteilung des Sachverhalts allein maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Widerrufsverfügung - hier vom 05.08.2019 - als unzuverlässig zur Ausübung des Fahrlehrerberufs erwiesen.

 Der Einzelrichter hat keinen Zweifel daran, dass der Kläger im Juli und August 2017 gegenüber seinen damaligen Fahrschülerinnen, den Zeuginnen D. und E., sexuell übergriffiges und distanzloses Verhalten an den Tag gelegt hat. Er hat den Zeuginnen während der praktischen Ausbildungsfahrten immer wieder seine linke Hand auf deren rechtes Bein gelegt und seine Hand dabei u. a. nahe an die Hüfte und den Intimbereich der Zeuginnen gelegt. Dabei hat er mit der linken Handaußenseite auch den Intimbereich berührt. Den Oberschenkel hat er auch teils geknetet bzw. gestreichelt. Daneben hat der Kläger auch beiden Zeuginnen auf die Hand geküsst und in unangemessener Weise Komplimente gemacht und ihnen unangebrachte Kosenamen gegeben. Dieses Verhalten musste ein objektiver Dritter zudem als teils sexualisiert, teils sexuell konnotiert verstehen.

 Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeuginnen D. und E.. Daneben erfolgte eine informatorische Befragung des Klägers.

 Die vorstehenden Tatsachen ergeben sich aus den glaubhaften Einlassungen der Zeuginnen D. und E..

 Die Zeugin D. bekundete, der Kläger habe ihr während der praktischen Fahrausbildung ständig seine linke Hand auf den rechten Oberschenkel gelegt. Dabei habe die Hand so weit oben gelegen, dass er mit seinem kleinen Finger teils auch den Intimbereich berührt habe. Darüber hinaus habe er zweimal ihre Hand geküsst, wobei sie sich beim zweiten Mal dagegen gewehrt habe und sich nicht mehr erinnern könne, ob das Wehren erfolgreich gewesen oder ob es zum Kuss gekommen sei. Gegen Ende der praktischen Ausbildung habe der Kläger die Zeugin D. gefragt, ob irgendetwas sei, woraufhin sie ihm gesagt habe, dass das Oberschenkel anfassen nicht in Ordnung sei. Trotzdem habe er in derselben Fahrstunde dann wieder ihren Oberschenkel angefasst und in diesem Zusammenhang gesagt, dass er dies nicht so meine. Diese Einlassung war in sich schlüssig wie besonders detailreich. Insbesondere wurde für das Gericht deutlich, dass die Zeugin D. sich wegen der von ihr als verstörend wahrgenommenen Vorgänge, die sie in erhebliche innere Konflikte über ihr Verhältnis zu dem von ihr selbst, aber auch von ihren Brüdern und ihren Eltern geschätzten Fahrlehrer stürzten, trotz des mehrjährigen zeitlichen Abstands zu den Vorfällen an diese gut erinnern konnte. Dies entspricht der Erfahrung, nach der besondere Erlebnisse, die auch emotional begleitet werden, besser über längere Zeit in Erinnerung bleiben als alltägliche Erlebnisse.

 Weitere Realkennzeichen sprechen für die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin:

 Die Aussage war insgesamt begleitet von emotionalen Reaktionen in Anbetracht der Erinnerung an das geschilderte Verhalten des Klägers. Insbesondere befragt zu dem Moment, ab wann sie realisiert habe, dass das Verhalten ihres Fahrlehrers falsch sei, und die Zeugin schilderte, dass dies nach einer beiläufigen Bemerkung ihrer Mutter gewesen sei, wonach diese gemeint habe, dass ein Fahrlehrer eine Fahrschülerin nicht auf den Oberschenkel fasse dürfe, reagierte sie stark emotional, so dass die Verhandlung unterbrochen werden musste. Es war ihr offensichtlich unangenehm, dass sie es erst durch die Aussage ihrer Mutter realisierte und nicht bereits selbst zu dieser Erkenntnis gekommen war.

 Die Zeugin konnte auch ihr widersprüchliches Verhalten, nämlich die Fortsetzung der Fahrstunden einerseits und ihre Strafanzeige andererseits, schlüssig machen. Sie gab auf die Frage, warum sie nicht die Fahrschule oder den Fahrlehrer gewechselt habe, an, dass sie darüber nachgedacht habe, aber davon abgesehen habe, weil es ihrer damaligen Kenntnis nach zu finanziellen Nachteilen für sie gekommen wäre und sie gewusst habe, dass ihre Familie hinter ihr stünde. Außerdem hätten ihre beiden Brüder positive Erfahrungen mit dem Kläger gesammelt und der Kläger habe ein ambivalentes Verhalten mit auch sympathischen Anteilen gezeigt. Letzteres passte zu ihren Angaben, dass das Verhalten des Klägers für sie verwirrend gewesen sei, da er ein guter Fahrlehrer gewesen sei, ihr als guter Familienvater erschienen sei und ihr Fotos seiner Söhne gezeigt habe. Man habe sich auch im Auto privat unterhalten. Hier zeigten sich erhebliche innere Konflikte mit unterschiedlichen „Trajektoren“, die für Heranwachsende nach der allgemeinen Lebenserfahrung typisch sind. Außerdem habe sie sich in einem Abhängigkeitsverhältnis zu dem Kläger gefühlt, da dieser dafür hätte sorgen können, dass sie die Fahrprüfung bestehe. Der Rationalisierungsprozess entspricht demjenigen, wie er für eine noch heranwachsende Person typisch ist. Insbesondere die dem finanziellen Aspekt beigelegte Bedeutung erschließt sich vor dem Hintergrund, dass der Führerschein für Jugendliche oftmals die erste große Investition bedeutet, auch wenn diese (oftmals) von den Eltern übernommen werden mag. Die von der Zeugin D. geschilderte Ambivalenz des Miteinanders mit dem Kläger während der praktischen Ausbildung stimmt zudem mit dem in den Akten befindlichen Chatverlauf bei „Wh.A.“ überein. Dieser geht über die Vereinbarung von Terminen hinaus und hat freundschaftlichen Charakter.

 Die Zeugin D. zeigte auch keine Belastungstendenzen. Sie äußerte sich auch anerkennend zu den Qualitäten des Klägers und betonte, dass der Kläger ihr gut das Fahren beigebracht habe und sie gewusst habe, dass er ihren älteren Bruder gut ausgebildet habe und sich ihre beiden Brüder mit ihm gut verstanden hätten. Zudem versuchte sie nicht etwa zu verschweigen, dass sie sich auch gut mit dem Kläger verstanden und sich freundschaftlich mit ihm ausgetauscht hatte. Zudem äußerte sie sich im gleichen Maße detailreich zum Randgeschehen, etwa zum Aussehen ihres ehemaligen Fahrschulwagens von außen und im Innenraum, wie auch zum bereits dargestellten Kerngeschehen. Rand- und Kerngeschehen weisen auch in ähnlichem Maße Erinnerungslücken auf, welche angesichts des zwischenzeitlichem Zeitablaufs zu erwarten gewesen waren.

 Auch die Zeugin E. gab glaubhaft an, dass der Kläger ihr während der praktischen Fahrausbildung immer wieder die Hand auf das Bein gelegt habe und diese dann nach oben ging bis es zu Berührungen ihres Intimbereichs mit der linken Handaußenseite und dem kleinen Finger kam. Zudem habe der Kläger ihren Oberschenkel „gerubbelt“. Daneben habe er unangebrachte Sprüche gemacht und sie aufgefordert beim Duschen das Fenster offenzulassen, damit er reingucken könne. Dann habe er sie einmal gefragt, ob sie bei einer anschließenden Fahrstunde eines anderen Fahrschülers oder einer anderen Fahrschülerin bleiben könne, weil dies für ihn praktisch gewesen sei, da es auf der Autobahn weiter gegangen sei und man sie sonst weit hätte zurückbringen müssen. Als sie dies bejaht habe, habe er ihre Hand geküsst. Auch diese Einlassung war in sich schlüssig wie besonders detailreich und enthielt etliche weitere Wahrheitsanzeichen.

 Auch sie machte emotional auf nachvollziehbare Weise deutlich, warum sie sich das Verhalten des Klägers hat gefallen lassen, ohne den Fahrlehrer oder die Fahrschule zu wechseln, sondern erst im Nachhinein eine Strafanzeige gegen den Kläger stellte. So räumte sie auf Nachfrage des Klägervertreters insoweit ein, dass es eigentlich einfach gewesen wäre, den Fahrlehrer zu wechseln, emotional aber eine Rolle gespielt habe, dass sie nicht gewusst habe, wie sie mit der Situation umgehen solle. Sie sei von der Situation überfordert gewesen und habe gedacht, dass sie das jetzt einfach fertig mache und dann damit fertig sei. Diese Angaben erscheinen dem Einzelrichter als glaubhaft. Sie stimmen überein mit der Selbstbeschreibung der Zeugin zum Zeitpunkt der Fahrschulausbildung, welche sich auf Nachfrage des Einzelrichters als introvertierte 17-jährige beschreib. Vor diesem Hintergrund und dem Eindruck des Einzelrichters von der Persönlichkeit der Zeugin E. in der mündlichen Verhandlung, die einen introvertierten Eindruck machte, ist es auch nachvollziehbar, dass die Zeugin E. dem Kläger keine Grenzen während der Übergriffe aufzeigte und - anders als die Zeugin D. - sich nicht wehrte oder ihr Missfallen (zu einem späteren Zeitpunkt) ausdrückte. Auch bei der Zeugin E. waren keine Belastungstendenzen erkennbar. So konnte sie sich etwa nicht mehr an den belastenden Umstand erinnern, dass der Kläger ihr Kosenamen gab und ihr (neben einem Kompliment über ihre Haare) weitere Komplimente machte. Erst auf Vorhalt des „Wh.A.“ Chatverlaufs war es ihr erinnerlich, dass der Kläger sie u. a. als „süße Maus“ bezeichnete. Zudem konnte sie sich nicht mehr daran erinnern, dass der Kläger schrieb: „sportlich, sportlich (smily) Lady du siehst toll aus (smily) […] stimmt doch, du hast tolle Zähne (smily)“. Dabei handelt es sich jedoch um feststehendes Randgeschehen, welches durch die vorliegenden Chatverläufe objektiv gesichert ist. Es ist angesichts des zwischenzeitlichen Zeitablaufs zudem nachvollziehbar, dass die Zeugin sich eben nicht mehr an einzelne Komplimente erinnert, aber an das für die Entscheidung der Beklagten ausschlaggebende körperlich belästigende Verhalten.

 Für die Glaubhaftigkeit beider Zeugenaussagen spricht auch, dass sie ein ähnliches Verhalten des Klägers beschreiben. So schilderte die Zeugin E. im Gegensatz zur Zeugin D. erst auf Nachfrage, dann aber detailreich, dass der Kläger auch ihren Intimbereich mit der linken Handaußenseite bzw. dem kleinen Finger berührte. Die in den Zeugenaussagen beschriebene Position der linken Hand des Klägers auf dem jeweiligen rechten Oberschenkel der Zeuginnen stimmt im Übrigen auch überein mit den im Strafverfahren bildlich dokumentierten Angaben der Zeuginnen (siehe Bl. 57 d. BA 002 und Bl. 85 d. BA 003). Es gibt auch im Übrigen keine Hinweise darauf, dass das Aussageverhalten der Zeuginnen abgestimmt war. Dafür spricht insbesondere auch nicht, dass sich die Zeuginnen aus der Oberstufe desselben Gymnasiums kannten. Beide erläuterten glaubhaft, dass sie sich kannten, aber nicht eng befreundet waren, sondern nur ähnliche Freundeskreise hatten. Zu dem Kontakt sei es dann gekommen, weil die Zeugin E. gewusst habe, dass auch die Zeugin D. beim Kläger den praktischen Fahrunterricht habe und sie sich an sie gewandt habe, um zu erfahren, ob er auch bei ihr unangemessenes Verhalten an den Tag lege.

 Die von den Zeuginnen D. und E. geschilderten Übergriffe passen zudem zur Distanzlosigkeit im dokumentierten Chat-Verlauf mit dem Kläger bei „Wh.A.“, wobei gerade im Chat mit der Zeugin E. auffällt, dass sich der Kläger trotz rein sachlicher Anfragen zu Terminen und Antworten seitens der Zeugin E. zu übergriffigen Komplimenten veranlasst sah.

 Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die von beiden Zeuginnen in glaubhafter Weise geschilderten körperlichen Übergriffe mit denen übereinstimmen, die in der früheren Strafanzeige von Frau H. am 20.12.2012 zulasten des Klägers gemacht worden waren. Auch Frau H. beschrieb, dass der Kläger ihr mit der linken Hand auf den rechten Oberschenkel und zwischen die Schenkel gefasst habe. Außerdem ist auffällig, dass auch sie angab, dass der Kläger sie u. a. „Süße“ genannt habe. Diese Bezeichnung wählte er auch in den dokumentierten Chatverläufen mit den Zeuginnen D. und E., wobei er bei der Letztgenannten leicht abgewandelt „süße Maus“ benutzte.

 Die Aussagen der Zeuginnen werden nicht widerlegt durch die eigenen Angaben des Klägers im Rahmen seiner informatorischen Befragung. Das Vorbringen des Klägers, er habe die Klägerinnen zwar freundschaftlich bei Gelegenheit umarmt, sie geduzt und bei Gelegenheit für gelungene Fahrmanöver gelobt, aber nicht an den Beinen berührt oder auf die Hände geküsst, ist nicht glaubhaft. Insbesondere ist die Angabe, wonach es für ihn aufgrund seiner Sitzposition im Fahrschulwagen, durch die Form der Sitzwanne und der Mittelkonsole schwierig gewesen und nur durch Nachvorne-Beugen möglich gewesen wäre, die Zeuginnen am rechten Bein anzufassen, nach Überzeugung des Einzelrichters eine bloße Schutzbehauptung. Denn der Kläger gab auf Nachfrage des Gerichts selbst an, dass er auch schnell am Lenkrad sei, um verkehrslenkend in den Straßenverkehr einzugreifen. Dafür müsse er sich nur nach vorne beugen. Er könne das Lenkrad nach vorne gebeugt dann gut erreichen. Vor diesem Hintergrund erschließt es sich nicht ansatzweise, warum der Kläger mit seiner linken Hand nicht auch den rechten Oberschenkel der jeweiligen Zeugin angefasst haben können soll, wenn er doch sogar durch ein nach eigenen Angaben ungewöhnlich reaktionsschnelles Nachvorne-Beugen das aus einer weit zurückgelehnten Sitzposition noch weiter als ein Bein entfernte Lenkrad gut erreicht. Der in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag, Beweis über die Behauptung zu erheben, der Innenraum und die Sitzposition im Fahrschulfahrzeug des Klägers lassen es nicht zu, dass der Kläger die auf den Fahrersitz zu den angegebenen Vorfallszeitpunkten sitzenden Zeuginnen auf den Oberschenkel gefasst hat, durch Inaugenscheinnahme des Fahrzeugs des Klägers mit dem amtlichen Kennzeichen XX XX …, war abzulehnen. Der Beweisantrag ist bereits ungeeignet, weil er über die konkrete Sitzposition des Klägers im PKW nichts erwarten lässt. So gibt der Kläger informatorisch befragt selbst ausdrücklich an, dass es für ihn in seinem Fahrschulwagen (nur) schwierig sei, das rechte Bein einer Fahrschülerin zu fassen, weil er sich dafür nach vorne beugen müsse. Dass der Kläger während des praktischen Fahrunterrichts zum damaligen Zeitpunkt aber nicht etwa zeitweise leicht nach vorne gebeugt saß, um so das Bein der jeweiligen Zeugin zu erreichen, ist mit dem Beweisantrag gerade nicht feststellbar. Im Übrigen handelt es sich bei dem Beweisantrag auch um einen Ausforschungsbeweis. Beweisanträge sind unbeachtlich, wenn es sich um bloße „Ausforschungsanträge“ handelt, mit denen unter lediglich formalem Beweisantritt Behauptungen aufgestellt werden, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht bzw. die willkürliche, aus der Luft gegriffene Behauptungen unter Beweis stellen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.03.2006 - 1 B 91.05 -, juris, Rn. 6 m. w. N.). Eine solche Behauptung ist die, dass es der Innenraum des Fahrschulwagens des Klägers angesichts der zwingend durch diesen einzunehmenden Sitzposition es schlichtweg (physisch) unmöglich mache, dass der Kläger den auf dem Fahrersitz sitzenden Zeuginnen auf den Oberschenkel gefasst haben könne. Dies folge für den Kläger daraus, dass er aufgrund der sog. Doppelbedienung im seinem Fußraum den Beifahrersitz sehr weit nach hinten Stellen müsse. Zudem stelle er auch seine Lehne sehr weit zurück. Daraus und aus der Konstruktion des Innenraums folge die physische Unmöglichkeit der vorgeworfenen körperlichen Belästigungen. Für diese Behauptung spricht nicht einmal eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Denn - wie bereits ausgeführt - hat der Kläger selbst eingeräumt, dass ihm durch Vorbeugen eine Berührung möglich sei.

 Auch die Ausführungen des Klägers, nach denen wegen der mangelnden Verdunkelung der Scheiben seines Fahrzeugs und des Panoramadachs Vorgänge im Inneren des Autos für andere Verkehrsteilnehmer sichtbar seien und deshalb Berührungen von Fahrschülern „schwachsinnig“ seien, spricht nicht gegen die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Zeuginnen. Für einen das Verkehrsgeschehen beobachtenden Fahrlehrer ist es ohne weiteres möglich, auf höherliegende Fahrzeuge (etwa Lkw, Transporter und SUV) zu achten und beim Vorbeifahren dieser die Hand vom Oberschenkel zu entfernen. Außerdem gibt es diverse Verkehrssituationen, etwa bei Überland- und Nachtfahrten oder in weniger befahrenen Stadtgebieten, wo der Kläger deutlich weniger auf Beobachtende zu achten hatte.

 Gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers spricht auch seine deutliche Tendenz, sein Verhalten gegenüber den Zeuginnen insgesamt zu verharmlosen. Er wies zunächst einmal die Annahme zurück, es bestehe überhaupt ein Abhängigkeitsverhältnis von Fahrschülern zu Fahrlehrern. Darin zeigte sich eine im Kern unzutreffende Wahrnehmung dieses Verhältnisses. Er gab auch an, dass er im Chat mit der Zeugin E. das Kompliment zu ihren Zähnen („Stimmt doch und du hast tolle Zähne“) nur gemacht habe, weil sie ihm davon berichtet habe, dass sie ihre Zahnspange rausbekommen habe und sich enttäuscht gezeigt habe, dass er dies nicht bemerkt habe. Denn dies stellt keine Rechtfertigung dafür dar, der mit dem Fahrrad an ihm in der Stadt vorbeifahrenden Zeugin E., wie der Kläger selbst angibt, zuvor zu schreiben: „sportlich sportlich […] Lady du siehst toll aus“. Derartige Komplimente leitet der Kläger - wie er angab - aus dem freundschaftlichen Umgang mit der Zeugin E. her. Dieses von ihm selbst wahrgenommene freundschaftliche Verhältnis spiegelte sich doch gerade im Chatverlauf mit der Zeugin E. nicht wieder. Diese nutzte, wie sie auch in der mündlichen Verhandlung angab, den Chat erkennbar nur zur Terminvereinbarung. Im Übrigen gab die Zeugin zum damaligen Umgang mit dem Kläger glaubhaft an, dass der Umgang zwar freundschaftlich und nicht rein professionell gewesen sei, sie aber keine Freunde gewesen seien und dass sie sich unterhalten, aber phasenweise auch nicht unterhalten hätten.

 Darüber hinaus bleiben die Angaben des Klägers teils vage und unklar. So gab er zu einem Vorwurf der Zeugin D. betreffend eine Situation am Freibad J. an, dass er die Zeugin nicht aufgefordert habe, ihn mit unter ihre Decke zu nehmen, sondern ihr nur gesagt habe, dass sie eine Decke mitnehmen solle, weil es mit Sicherheit sehr kühl werde. Außerdem gab er an, die Zeugin D. habe ihn aufgefordert, mit ins Kino zu kommen, worauf er u. a. gesagt habe, dass er sowas generell nicht mache. Diese Äußerungen des Klägers konnten anhand des Chatverlaufs aber gerade nicht nachvollzogen werden. Zwar gab der Kläger an, dass es nach ihrer Aufforderung zum Mitkommen auch sein könne, dass er sie angerufen habe, jedoch hätte es dann auch nahe gelegen für den bereits im Strafverfahren anwaltlich vertretenen Kläger derartige ihn entlastende Umstände vorzubringen und insbesondere den entsprechenden Chatverlauf oder die Telefonliste vorzulegen.

 Aus den Schilderungen der ehemaligen Fahrschülerinnen, der Zeuginnen D. und E., ergibt sich ein in sich stimmiges Bild eines für den Kläger offenbar typischen Verhaltensmusters, wonach er in verschiedenen Situationen Verhaltensweisen offenbarte, die geeignet sind, das sexuelle Ehrgefühl der Fahrschülerinnen grob zu verletzen. Auch wenn es sein mag, dass der Kläger einzelne Äußerungen und Handlungen nicht sexuell verstanden hatte, so ändert dies nichts an der vorliegenden Einschätzung. Teils mögen diese Äußerungen und Handlungen zwar mit seiner selbst als flapsig bezeichneten Art zusammenhängen, wonach er im Rahmen der praktischen Ausbildung auch mal Dinge sage wie: „Schätzelein, du musst jetzt aber mal anders fahren“. Diese Art kann aber die Berührungen der Oberschenkel samt (durch die Hose bedeckten) Intimbereich und das Küssen der Hand der Zeuginnen nicht erklären und unter keinem denkbaren Umstand rechtfertigen. Außerdem wäre es angesichts der Stellung als Ausbildender und der damit zusammenhängenden Autoritäts- und Machtposition ohnehin die Aufgabe des Klägers gewesen, einen sexuell interessierten Eindruck stets zu vermeiden. Wer - wie der Kläger - das stark beengte Innere eines Fahrzeuges für ein völlig distanzloses und sexuell übergriffiges Verhalten nutzt, welches von der Fahrschülerin - und im Übrigen auch von einem objektiven Dritten - als sexueller Annäherungsversuch verstanden werden muss, ist nicht mehr geeignet, die verantwortungsvolle Stellung eines Fahrlehrers auszuüben (vgl. auch Bay. VGH, Beschluss vom 09.02.2011 - 11 CS 10.3056 - juris, Rn. 11).

 Die anzustellende Prognose fällt hinsichtlich des Klägers vor diesem Hintergrund unter Anlegung der oben ausgeführten Grundsätze negativ aus.

 Steht - wie vorliegend - die Unzuverlässigkeit fest, so ist die Fahrlehrerlaubnis zwingend zu widerrufen. Ein Ermessen steht der Beklagten nach dem klaren Wortlaut des § 14 Abs. 2 Satz 1 FahrlG („ist zu widerrufen“) nicht zu.

 2. Die Rechtmäßigkeit der Ziffer 2 des angegriffenen Widerrufsbescheides ergibt sich aus § 14 Abs. 4 FahrlG, wonach im Falle des Widerrufs der Fahrlehrerlaubnis der Fahrlehrerschein unverzüglich der zuständigen Behörde zurückzugeben ist.

 3. Auch die Androhung eines Zwangsgeldes zur Durchsetzung der Abgabe des Fahrlehrerscheins ist nach §§ 64 Abs. 1, 65 Abs. 1 Nr. 2, 67, 70 NPOG rechtmäßig (Ziffer 3 des Widerrufsbescheides).

 4. Ferner ist auch die in Ziffer 4 des Widerrufsbescheides erhobene Verwaltungsgebühr und der separat angegriffene Kostenfestsetzungsbescheid vom 05.08.2019, mit dem die Beklagte gegenüber dem Kläger mit Blick auf den Widerruf der Fahrlehrerlaubnis Verwaltungsgebühren in Höhe von 153,50 EUR festgesetzt hat, rechtmäßig. Es ist nicht ersichtlich, dass dieser dem Grunde oder der Höhe nach zu beanstanden wäre. Der Kläger hat hierzu auch nicht weiter vorgetragen.

 5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

VG Göttingen Urt. v. 3.6.2022 – 1 A 245/19, BeckRS 2022, 14902

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

1 Kommentar

Kommentare als Feed abonnieren

Zum Fahrschul- und Fahrlehrerrecht siehe meine Aufsätze

http://www.hansklausweber.de/html/fahrlehrer1.html

mit zahlreichen Beispielen aus der Rechtsprechung auch zu übergriffigen Fahrlehrern...

www.hansklausweber.de

0

Kommentar hinzufügen