Keine Auslieferung wegen Trunkenheitsfahrt mit 0,56 Promille

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 24.04.2023
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht2|1652 Aufrufe

Irgendwie gibt es ja den Spruch von den Kanonen und den Spatzen. So kommt es mir bei Lektüre dieser Entscheidung vor. Da wollte Polen die Auslieferung per Europäischem Haftbefehl. Die Besonderheit: Der Betroffene hatte sich in Polen strafbar gemacht, weil er mit 0,56 Promille gefahren war. Ohne feststellbare alkoholbedingte Ausfallerscheinungen wäre das bei uns nur eine OWi (§ 24a StVG). Nachfragen in Polen hatten nicht deratige Ausfallerscheinungen bestätigen können. So kam das OLG Celle zu dem Schluss, dass der Betroffene nicht festgenommen werden darf. Vollkommen richtig.

 

Die Auslieferung des Verfolgten an die polnischen Justizbehörden zur Vollstreckung der in dem Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts Poznan vom 01.02.2022 (Az.: III Kop 8/22) bezeichneten Freiheitsstrafe von 1 Jahr aus dem Urteil des Amtsgerichts Grodzisk Wielkopolski vom 19.06.2013 (Az. VII K 376/13) ist unzulässig.

 Gründe: 

 I.

 Die polnischen Justizbehörden betreiben auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts Poznan vom 01.02.2022 (Az.: III Kop 8/22) die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafvollstreckung.

 Ausweislich des dem Senat in deutscher Übersetzung vorliegenden Europäischen Haftbefehls hat das Amtsgericht Grodzisk Wielkopolski (Az. VII K 376/13) den Verfolgten am 19.06.2013 zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Verfolgte war in der Hauptverhandlung nicht anwesend. Das in dem Urteil festgesetzte Strafmaß beruhte auf einer zuvor zwischen dem Verfolgten und der zuständigen Staatsanwaltschaft getroffenen Vereinbarung über dessen Höhe. Nachfolgend wurde die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung durch Beschluss des Amtsgerichts Nowy Tomysl (Az. II Ko 581/18) vom 13.11.2018 widerrufen. Die Freiheitsstrafe ist von dem Verfolgten noch vollständig zu verbüßen.

 Nach den Angaben in dem Europäischen Haftbefehl führte der Verfolgte bei der ihm zur Last gelegten Straftat am 25.03.2013 gegen 17.25 Uhr in der S. K. in der Ortschaft N. T. in der W. W. ein Kraftfahrzeug der Marke O. V. mit dem amtlichen Kennzeichen … und stand hierbei ausweislich der bei ihm durchgeführten Atemalkoholkontrolle und der festgestellten Atemalkoholkonzentration von 0,56 mg/l unter Alkoholeinfluss.

 Auf Nachfrage der Generalstaatsanwaltschaft Celle haben die polnischen Justizbehörden mit Schreiben vom 01.04.2022 mitgeteilt, dass sich aus den der Verurteilung des Verfolgten zugrundeliegenden Aktenvorgängen keine Anhaltspunkte für einen Fahrfehler des Verfolgten zum Tatzeitpunkt ergeben hätten.

 Der Verfolgte hat von dem Auslieferungsverfahren noch keine Kenntnis. Er ist seit dem Jahr 2010 in Deutschland aufhältig und war seit dem unter verschiedenen Wohnanschriften, zuletzt in T., amtlich gemeldet.

 Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Zuschrift vom 17.06.2022 beantragt, über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden. Sie erachtet die Auslieferung für unzulässig, da es bei der dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegenden abgeurteilten Tat des Verfolgten an der nach § 3 Abs. 1 IRG erforderlichen beiderseitigen Strafbarkeit fehle.

 Der Senat hat die Entscheidung über den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft im Hinblick auf das beim Bundesgerichtshof anhängige Vorlageverfahren 4 ARs 13/21 zunächst zurückgestellt.

 II.

 Auf den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden, war festzustellen, dass eine Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Vollstreckung der in dem Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts Poznan vom 01.02.2022 (Az.: III Kop 8/22) bezeichneten Freiheitsstrafe unzulässig ist.

 1. Der Senat ist zu einer Entscheidung über den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft berufen.

 Vor dem Hintergrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 24.11.2020 (Rs. C-510/19, juris), wonach die Generalstaatsanwaltschaften in Deutschland aufgrund ihrer gesetzlich geregelten Weisungsgebundenheit nicht als „vollstreckende Justizbehörde“ i.S. von Art. 3 ff. des Rahmbeschlusses des Rates vom 13.06.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten (RB-EuHB) anzusehen sind, obliegt die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung im Rahmen des Anwendungsbereichs des RB-EuHB dem Oberlandesgericht. Daher ist das Oberlandesgericht zu einer Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung auch dann verpflichtet, wenn die Generalstaatsanwaltschaft die Auslieferung aufgrund eines nicht in ihrem Ermessen stehenden Auslieferungshindernisses für offensichtlich unzulässig erachtet und sie deshalb nicht bewilligen will, hieran aber dadurch gehindert ist, dass sie nicht als „vollstreckende Justizbehörde“ i.S. von Art. 3 ff. RB-EuHB anzusehen ist (vgl. BGH, 4 ARs 13/21; Beschluss v. 18.08.2022).

 2. Die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Vollstreckung der in dem o.g. Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts Poznan vom 01.02.2022 bezeichneten Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgericht Grodzisk Wielkopolski vom 19.06.2013 (Az. VII K 376/13) ist unzulässig.

 Die Zulässigkeit der Auslieferung zur Verfolgung oder zur Vollstreckung setzt nach § 3 Abs. 1 IRG voraus, dass die dem Auslieferungsersuchen zugrundeliegende Tat des Verfolgten auch nach deutschem Recht eine rechtswidrige Tat ist, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, oder bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts auch nach deutschem Recht eine solche Tat wäre. Dies gilt auch, wenn dem Ersuchen ein Europäischer Haftbefehl zugrunde liegt (vgl. § 81 Nr. 1 IRG; Art. 4 Nr. 1 des Rahmenbeschlusses Europäischer Haftbefehl). Das Erfordernis der Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit entfällt nur dann, wenn es sich um eine sog. Katalogtat i.S. von Art. 1 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses handelt.

 Die vorliegend in dem Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts Poznan vom 01.02.2022 näher beschriebene Tat des Verfolgten, welche seiner Verurteilung durch das Amtsgericht Grodzisk Wielkopolski vom 19.06.2013 zugrunde lag, stellt keine Katalogtat im vorgenannten Sinne dar. Daher wäre die Auslieferung des Verfolgten nur zulässig, wenn die Tat auch nach deutschem Recht strafbar wäre. Auf der Grundlage des in dem Europäischen Haftbefehl mitgeteilten Tatgeschehens käme insoweit lediglich eine Strafbarkeit wegen Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 StGB in Betracht. Voraussetzung hierfür wäre in objektiver Hinsicht, dass sich der Verfolgte zur Tatzeit im Zustand alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit befunden hat. Diese wäre tatbestandlich nur dann gegeben, wenn bei dem Verfolgten eine relative oder absolute Fahruntüchtigkeit vorgelegen hätte. Ob dies der Fall war, ist anhand des in dem Europäischen Haftbefehl mitgeteilten Tatgeschehens, das zu der dem Auslieferungsersuchen zugrundeliegenden Verurteilung geführt hat, zu prüfen. Aus dem mitgeteilten Sachverhalt ergeben sich insoweit über die auf der Grundlage der gemessenen Atemalkoholkonzentration von 0,56 mg/l festgestellte Alkoholisierung des Verfolgten hinaus keine Anhaltspunkte für einen alkoholbedingten Fahrfehler. Die Annahme einer relativen Fahruntüchtigkeit kommt deshalb nicht in Betracht. Daher müsste tatbestandlich eine absolute Fahruntüchtigkeit bei ihm vorgelegen haben. Dies wäre nur bei einer festgestellten Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,1 o/oo zu bejahen. Nach den Angaben in dem Europäischen Haftbefehl wurde dem Verfolgten jedoch weder eine Blutprobe zwecks Ermittlung der Blutalkoholkonzentration entnommen noch sind Feststellungen zu Art und Menge des von ihm vor der Tat konsumierten Alkohols getroffen worden. Seine Verurteilung beruht allein auf der zum Tatzeitpunkt gemessenen Atemalkoholkonzentration von 0,56 mg/l. Indes reicht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Oberlandesgerichte der Messwert der Atemalkoholkonzentration allein für die Feststellung der Blutalkoholkonzentration nicht aus. Denn er bietet nach derzeitigem Stand der medizinischen Wissenschaft und Forschung nicht die in einem Strafverfahren erforderliche Sicherheit für die Bestimmung des Wertes der Blutalkoholzentration (vgl. BGH, NStZ 1995, 539; KG, DAR 2008, 273; OLG Stuttgart, Beschluss vom 17.04.2009 – 2 Ss 159/09 –, juris; OLG Naumburg, Beschluss vom 05.12.2000 – 1 Ws 496/00 – juris; Kudlich in BecKOK StGB, 55. Edition, Stand 01.11.2022, § 315c Rd. 27 mwN). Eine hohe Atemalkoholkonzentration stellt allenfalls ein starkes Indiz für eine Fahruntüchtigkeit dar, lässt aber die Annahme einer absoluten Fahruntüchtigkeit nicht zu (vgl. OLG Stuttgart, aaO). Für eine Verurteilung wegen Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB bedarf es deshalb zumindest eines weiteren, tragfähigen Indizes für die Fahruntüchtigkeit des Täters. Da im vorliegenden Fall des Verfolgten jedoch – wie bereits ausgeführt – neben dem Wert der Atemalkoholkonzentration keine weiteren ihn belastenden Indizien festgestellt worden sind, scheidet eine Strafbarkeit der ihm in dem Europäischen Haftbefehl zur Last gelegten Tat nach § 316 StGB aus.

 Nach alledem steht der Auslieferung des Verfolgten an die polnischen Justizbehörden das Zulässigkeitshindernis der fehlenden beiderseitigen Strafbarkeit nach § 3 Abs. 1 IRG entgegen.

OLG Celle Beschl. v. 22.2.2023 – 2 AR (Ausl) 45/22, BeckRS 2023, 3233

 

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2 Kommentare

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Wahnsinn. Ein Jahr Gefängnis (ohne Bewährung) nur wegen eines Atemalkoholtests (mit zwefelhafter Genauigkeit)! Man zweifelt an den demokratischen Zuständen in Polen, wenn das deren Ernst ist. Was ist das dort nur für eine Justiz! Polen ist m.E. nicht so richtig geeignet für Europa, wenn die Justiz dort solche Willkürmaßnahmen anordnet.

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Im Ergebnis hat der Verfolgte jetzt mehrere Jahre Deutschland aufgebrummt bekommen, da die Polen mit diesem haftbefehl in ganz Europa wedeln können (und werden), was im Ergebnis darauf hinauslaufen kann, dass er überall erst einmal in Auslieferungshaft kommt - mindestens bis das zuständige Gericht sich den Fall angesehen hat . Langsam wird mir Europa suspekt. Der EH ist sicher eine feine Sache, um Drogenbaronen o.ä. die Hölle heiß zu machen. Aber so ein Fall ist schon grotesk.

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