BAG zur AGB-Kontrolle eines arbeitsvertraglichen Freiwilligkeitsvorbehalts bei Leistungsbonus

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 05.05.2023
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|3744 Aufrufe

Freiwilligkeitsvorbehalte sind nach allgemeiner Ansicht tot (vgl. Preis, Der langsame Tod der Freiwilligkeitsvorbehalte, NZA 2009, 281). Ob sie eines natürlichen Todes gestorben sind, sei hier dahingestellt. Ein neueres Urteil des BAG 5.1.2023, BeckRS 2023, 7089), das im Übrigen auch noch zu anderen interessanten Fragen (betriebliche Übung, Schriftformklauseln, einseitige Leistungsbestimmungsrechte) Stellung nimmt, bekräftigt die hohen (kaum erfüllbaren) Anforderungen an Freiwilligkeitsvorbehalte einmal mehr. Gestritten wurde in diesem Fall über Urlaubs- und Weihnachtsgeld, das der Arbeitgeber in der Vergangenheit über einen längeren Zeitraum in wechselnder Höhe vorbehaltslos gewährt hatte. Im Arbeitsvertrag hieß es:

„Die Zahlung von Sonderzuwendungen insbesondere von Weihnachts- und/oder Urlaubsgeld liegt im freien Ermessen des Arbeitgebers und begründet keinen Rechtsanspruch für die Zukunft, auch wenn die Zahlung mehrfach und ohne ausdrücklichen Vorbehalt der Freiwilligkeit erfolgt.“

Das BAG lässt die Klausel an der AGB-Kontrolle scheitern und bestätigt damit eine frühere Entscheidung (BAG 14. 9. 2011 − 10 AZR 526/10, NZA 2012, 81 Rn. 38 f.), die allerdings ein kritisches Echo (vgl. z.B. Crisolli/Zaumseil, BB 2012, 1281) hervorgerufen hatte. Wörtlich heißt es in der Entscheidung (Rn. 25-27)

„Die Klausel ist jedoch unwirksam nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, denn sie stellt nicht auf den Entstehungsgrund etwaiger Ansprüche auf Sonderzuwendungen ab und lässt nach Maßgabe des § 305c Abs. 2 BGB die Auslegung zu, dass der Vorbehalt auch spätere Individualabreden über die Zahlung von Sonderzuwendungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld erfasst. (…) Nach § 305b BGB haben individuelle Vertragsabreden Vorrang vor Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Individualabreden können grundsätzlich alle Abreden zwischen den Vertragsparteien außerhalb der einseitig vom Verwender vorgegebenen Geschäftsbedingungen sein. Sie können sowohl ausdrücklich als auch konkludent getroffen werden. Auch nachträglich getroffene Individualabreden haben Vorrang vor kollidierenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Es kommt nicht darauf an, ob die Parteien eine Änderung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen beabsichtigt haben oder sich der Kollision mit den Allgemeinen Geschäftsbedingungen bewusst geworden sind. Mit diesem Vorrang der Individualabrede ist ein Freiwilligkeitsvorbehalt nicht zu vereinbaren, der so ausgelegt werden kann, dass er Rechtsansprüche aus späteren Individualabreden ausschließt.

Ein solch weitgehendes Verständnis des Freiwilligkeitsvorbehalts liegt hier nahe, ist aber jedenfalls nach § 305c Abs. 2 BGB ernsthaft möglich. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist aus der vertraglichen Formulierung für den Arbeitnehmer nicht klar erkennbar, dass sich diese nur auf die Verhinderung einer betrieblichen Übung bezieht. Auf den Entstehungsgrund der Leistung stellt die Vertragsklausel nicht ab. Der Wortlaut von Nr. 3 Buchst. e des Arbeitsvertrags erfasst sowohl Fälle der betrieblichen Übung und auf einer Gesamtzusage beruhende Vereinbarungen als auch konkludente und sogar ausdrückliche vertragliche Einzelabreden. Eine Beschränkung auf die Verhinderung einer betrieblichen Übung oder die Vermeidung eines entsprechenden Erklärungswerts vorbehaltloser Zahlungen lässt sich dem Wortlaut hingegen nicht entnehmen. Zwar wird in der Klausel darauf hingewiesen, dass die Zahlung von Sonderzuwendungen auch dann im freien Ermessen des Arbeitgebers liege, wenn die Zahlung mehrfach und ohne ausdrücklichen Vorbehalt der Freiwilligkeit erfolgt. Die Verwendung der Worte „auch wenn“ deutet jedoch darauf hin, dass eine anspruchsausschließende Wirkung der Zahlung gerade nicht nur im Fall einer vorbehaltlosen Gewährung der Leistung ohne ausdrückliche Vereinbarung erfolgen soll, sondern auch in anderen Fällen. Dies gilt umso mehr, als die Klausel vorliegend in Kombination mit einer einfachen Schriftformklausel (Nr. 10 des Arbeitsvertrags) verwendet wird. Dies verstärkt beim Vertragspartner des Verwenders ein Verständnis, wonach alle späteren Abreden, welche nicht in schriftlicher Form getroffen wurden, einschließlich Individualabreden, rechtlich entgegen § 305b BGB ohne Bedeutung für den Inhalt des Vertrags sein sollen.“

 

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