OLG Stuttgart: Ehrenvorsitz berechtigt nicht zur Teilnahme an Aufsichtsratssitzungen

von Andreas Müller, veröffentlicht am 15.05.2023

Ein Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats ist wie andere Nichtmitglieder grundsätzlich von Sitzungen des Aufsichtsrats ausgeschlossen. Das hat das OLG Stuttgart mit Urteil vom 25. Mai 2022 (20 U 76/21; BeckRS 2022, 42801) entschieden.

Mehrheitsaktionär wird Ehrenvorsitzender

Die Entscheidung betrifft den Mehrheitsaktionär einer AG, der von der Hauptversammlung zum „Ehrenvorsitzenden“ des Aufsichtsrats ernannt worden war und in der Folgezeit an mehreren Aufsichtsratssitzungen teilgenommen hatte. In diesen Teilnahmen erkennt der Senat einen eindeutigen und schweren Rechtsverstoß – was im vorliegenden Fall einer gegen die Entlastung des Aufsichtsrats gerichteten Beschlussmängelklage zum Erfolg verhalf.

Grundsätzliches Teilnahmeverbot für Nichtmitglieder

Gemäß § 109 Abs. 1 S. 1 AktG dürfen an Aufsichtsratssitzungen Personen, die weder dem Aufsichtsrat noch dem Vorstand angehören, nicht teilnehmen. § 109 Abs. 1 S. 2 AktG erlaubt das Hinzuziehen von Sachverständigen und Auskunftspersonen zur Beratung über einzelne Tagesordnungspunkte. Das grundsätzliche Teilnahmeverbot, so der Senat im Anschluss an die überwiegende Literaturansicht, gelte für alle Personen, die zum Zeitpunkt der Sitzung nicht dem Aufsichtsrat oder dem Vorstand als Organ angehören, und damit auch für Ehrenmitglieder. Bei der Ehrenmitgliedschaft handele es sich um einen bloßen Ehrentitel, der weder mitgliedschaftliche noch sonstige Organrechte verleihe.

Auch Mehrheitsmacht öffnet nicht die Tür zur Sitzung

Auch in seiner Eigenschaft als Mehrheitsaktionär in dem zwischen ihm und der AG bestehenden faktischen Konzern dürfe der Ehrenvorsitzende nicht an Sitzungen teilnehmen. Die umstrittene Frage, inwieweit eine faktische Konzernverbindung die Weitergabe von vertraulichen Informationen an verbundene Unternehmen erlaubt, lässt der Senat dabei ausdrücklich offen. Denn jedenfalls für Sitzungsteilnahmen sei auch ein Mehrheitsaktionär an die Grenzen des § 109 Abs. 1 AktG gebunden.

Ausnahmen müssen Ausnahmen bleiben

Den Ehrenvorsitzenden als Sachverständigen oder Auskunftsperson heranzuziehen, komme zwar im Einzelfall in Betracht. Dies sei aber immer zeitlich und sachlich zu beschränken. Der Aufsichtsrat habe zu jedem einzelnen Gegenstand gesondert zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 109 Abs. 1 S. 2 AktG erfüllt seien. Eine dauerhafte Teilnahmegelegenheit sei damit unvereinbar.

Bei der Entscheidung handelt es sich, soweit ersichtlich, um die erste Gerichtsentscheidung zu dieser Frage.

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