Geldstrafe trotz mehrerer Voreintragungen und Freiheitsstrafenantrag der StA

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 12.06.2023
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|3334 Aufrufe

Der Angeklagte war "kein Guter". Er hatte kräftige Vorstrafen aufzuweisen. Er war Bewährungsversager. Die StA beantragte daher für §§ 315c, 142, 52, 53 StGB, 21 StVG eine Freiheitsstrafe. Das LG Berlin entschied sich für eine empfindliche Geldstrafe. Den Antrag der StA würdigte das Gericht im Urteil nicht weiter. Die Staatsanwaltschaft legte Revision ein. Sie übersah, dass die Verletzung des § 267 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 StPO mittels der (begründungsintensiven) Verfahrensrüge geltend zu machen ist. Aber auch sonst hatte das Kammergericht nichts groß am Urteil zu meckern:

 

Die Revision der Staatsanwaltschaft Berlin gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 2. Juni 2022 wird verworfen.

 Die Landeskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

 Gründe: 

 Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c Abs. 1 Nr. 2d, Abs. 3 Nr. 1) in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt und für die Erteilung einer Fahrerlaubnis eine zwölfmonatige Sperrfrist festgesetzt. Unter anderem aufgrund des Geständnisses des Angeklagten hatte sich das Amtsgericht die Gewissheit verschafft, dass der Angeklagte im Wissen, nicht Inhaber einer Fahrerlaubnis zu sein, mit einem PKW öffentliches Straßenland befahren und hierbei einen Verkehrsunfall mit einem Fremdschaden von ca. 500 Euro verursacht hatte, um hiernach den Unfallort zu Fuß zu verlassen. Gegen das Urteil hat die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt, die sie auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat. Das Landgericht Berlin hat die Berufung mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 40 Euro verurteilt wurde; zugleich ist Ratenzahlung gewährt worden. Die Strafkammer hat u.a. ausgeführt, der Angeklagte sei zwar mehrfach vorbestraft und er habe die Taten während laufender Bewährung begangen. Die Vorverurteilungen seien aber nicht einschlägig. Dies gelte auch für die Verurteilung wegen räuberischer Erpressung, die Grundlage des jetzigen Bewährungsbruchs sei.

 Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft Berlin. Die Revisionsführerin macht geltend, die Einzelgeldstrafen und die Gesamtgeldstrafe seien bei dem mit Jugendarrest und Jugendstrafe vorbelasteten und zuletzt zu einer Bewährungsstrafe vorverurteilten Angeklagten rechtsfehlerhaft begründet, zumal die neuerlichen Straftaten während laufender Bewährung begangen worden seien. Die Strafkammer habe sich fälschlich nicht mit der Möglichkeit einer - auch ggf. unbedingt zu verhängenden - Freiheitsstrafe befasst.

 Das Rechtsmittel bleibt erfolglos. Die Strafkammer hat die Rechtsfolgen in im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgesetzt.

 A. Indem die revidierende Staatsanwaltschaft beanstandet, das Landgericht habe dadurch gegen § 267 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 StPO verstoßen, dass entgegen einem in der Verhandlung gestellten Antrag keine Freiheitsstrafe nach § 47 StGB verhängt worden sei (RB S. 2), erhebt sie eine Verfahrensrüge. Denn zumindest konkludent macht sie geltend, einen entsprechenden Antrag gestellt zu haben. Eine solche Verfahrensrüge erfüllt jedoch nicht die Formerfordernisse des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Jedenfalls hätte sie darlegen müssen, für welche Tat welcher Antrag in der Hauptverhandlung gestellt worden ist. Auch die insoweit nur wenig detailreicheren Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in der Zuschrift vom 13. September 2022 (S. 3) können dieses Säumnis der Darstellung von Verfahrenstatsachen nicht ausgleichen, zumal sie weit außerhalb der Revisionsbegründungsfrist bei Gericht eingingen.

 B. Das angefochtene Urteil leidet auch nicht unter einem sachlich-rechtlichen Fehler.

 1. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, von unzutreffenden Tatsachen ausgehen, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten Spielraums liegt (vgl. BGH StraFo 2017, 242). Nur in diesem Rahmen kann eine „Verletzung des Gesetzes“ nach § 337 Abs. 1 StPO vorliegen. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen. In Zweifelsfällen muss das Revisionsgericht die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen (vgl. für viele BGHSt 34, 345). Dabei ist der Tatrichter lediglich verpflichtet, in den Urteilsgründen die für die Strafzumessung bestimmenden Umstände darzulegen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); eine erschöpfende Aufzählung aller Strafzumessungserwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich. Was als wesentlicher Strafzumessungsgrund anzusehen ist, ist unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls vom Tatrichter zu entscheiden (vgl. BGH NStZ-RR 2012, 336 m.w.N.; Senat, Urteil vom 18. März 2021 - [3] 121 Ss 15/21 [7/21] -).

 Zunächst kann der Senat bei der hier gegebenen Sachlage der Rechtsauffassung der Generalstaatsanwaltschaft nicht beitreten, ein Verstoß gegen § 267 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 StPO verletzte in aller Regel auch das sachliche Recht. Wie die Anklagebehörde erkennt, handelt es sich jedenfalls in Bezug auf den in der Vorschrift genannten Antrag um eine Verfahrensregelung: Wenn „für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 StGB“ ein entsprechender Antrag gestellt wird, müssen „die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen wurden“. Die Vorschrift begründet - korrespondierend mit den Vorschriften über den minder schweren Fall (§ 267 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 StPO) - verfahrensrechtlich eine Erörterungspflicht für das Tatgericht, wenn es eine kurzfristige Freiheitsstrafe verhängt (§ 47 StGB) oder hiervon trotz eines anderslautenden Antrags eines Verfahrensbeteiligten absieht (vgl. für viele MüKo/Wenske, StPO, § 267 Rn. 384). Daraus ist zu schließen, dass die Erörterungspflicht jedenfalls in aller Regel dann entfällt, wenn ein entsprechender Antrag nicht gestellt wird und das Tatgericht nicht auf eine kurzzeitige Freiheitsstrafe erkennt. Dies gilt umso mehr, als sowohl die Regelung des § 47 StGB (mit beiden Absätzen) als auch das Begründungserfordernis des § 267 Abs. 3 Satz 2 StPO eine gänzlich andere Schutzrichtung haben als von der Revisionsführerin angenommen. Beide Vorschriften knüpfen die höheren Sach- (§ 47 StGB) und Begründungsanforderungen (§ 267 Abs. 3 Satz 2 StPO) gerade nicht an die (hier gegebene) Verhängung einer Geldstrafe, sondern an die Verhängung einer kurzzeitigen Freiheitsstrafe: Wenn das Tatgericht eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten verhängt, müssen die Gründe regelmäßig die Umstände angeben, die zu der Ablehnung der Geldstrafe geführt haben (vgl. Fischer, StGB 69. Aufl., § 47 Rn. 15). Denn § 47 StGB soll der Verhängung kurzer Freiheitsstrafen entgegenwirken, die als spezialpräventiv ungünstig angesehen werden (für viele Fischer, a.a.O., § 47 Rn. 2). Sie greift damit ein, wenn das Tatgericht beabsichtigt, eine Freiheitsstrafe zu verhängen, die kürzer als sechs Monate ist. Dies war hier aber gerade nicht der Fall (vgl. Senat StV 2022, 172).

 Allerdings ist der Revision zuzugeben, dass § 267 Abs. 3 Satz 2 StPO auch sachlich-rechtliche Begründungsanforderungen enthält. Hierfür findet sich in der Literatur häufig der wenig aussagekräftige Satz, die Anwendung des § 47 StGB müsse im Urteil erörtert werden, „wenn sie in Betracht kommt“ (vgl. Fischer, a.a.O.; MüKo/Wenske, StPO, § 267 Rn. 385). Abgesehen davon, dass auch mit dieser Formulierung gemeint sein dürfte, dass in der Regel die Verhängung einer kurzzeitigen Freiheitsstrafe zu begründen ist und nicht in Abgrenzung zu dieser die mildere Geldstrafe, versteht es sich auch von selbst, dass die mildere Strafart jedenfalls dann zu begründen ist, wenn sie, gemessen an der Tat und der Tatschuld, unangemessen scheinen kann und sich als besonders mild aufdrängt. Bei einem Bewährungsbruch kann dies der Fall sein (vgl. Senat StV 2022, 172).

 2. Nach diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die konkrete Bemessung der vom Landgericht festgesetzten Einzelgeldstrafen revisionsrechtlicher Überprüfung ebenso stand wie die Bemessung der Gesamtgeldstrafe. Die beanstandete Strafzumessung ist nicht in sich fehlerhaft. Sie geht nicht von unzutreffenden Tatsachen aus und verstößt auch nicht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke. Einer ausdrücklichen Befassung mit der Möglichkeit der Verhängung kurzzeitiger Freiheitsstrafen bedurfte es nach - hier allein maßgeblichen - sachlich-rechtlichen Maßstäben nicht.

 a) Die Urteilsgründe stellen dar, dass der Angeklagte die Taten am 25. Januar 2021 beging. 2016 war wegen einer Reihe von Straftaten, u.a. Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, eine richterliche Weisung gegen ihn verhängt worden. Gleichfalls 2016 musste der Angeklagte wegen Diebstahls einen vierwöchigen Arrest verbüßen. 2017 folgte eine zur Bewährung ausgesetzte (und 2019 erlassene) achtmonatige Jugendstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung in zwei Fällen. Am 11. Juni 2020 wurde der Angeklagte wegen räuberischer Erpressung zu einer - wiederum zur Bewährung ausgesetzten - Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Neue Ermittlungsverfahren, merkt die Strafkammer im Urteil an, seien „nicht anhängig“ (UA S. 6). Die Jugendjahre des Angeklagten stellt das Urteil ausführlich dar und würdigt sie als „nicht unproblematisch“ (UA S. 3).

 Die Strafkammer vermerkt in den Urteilsgründen, der Angeklagte habe bereits erstinstanzlich und folgerichtig auch in der Berufungshauptverhandlung die Taten eingeräumt, die volle Verantwortung hierfür übernommen und berichtet, „dass er sich die jetzigen Schwierigkeiten ausschließlich selbst zuzuschreiben habe“ (UA S. 6). An seine offene Bewährung habe er nicht gedacht. Bei der Strafzumessung gewichtet die Strafkammer das Geständnis mildernd und die Vorverurteilungen und insbesondere den Umstand des Bewährungsbruchs strafschärfend. Letzteres schränkt sie jedoch damit ein, die Vorbelastungen seien ausschließlich nicht einschlägig (UA S. 6). Die weiteren im Urteil bezeichneten Zumessungserwägungen betreffen die Tatschuld im engeren Sinn.

 b) Diese Ausführungen sind insgesamt knapp, halten aber revisionsrechtlicher Prüfung noch Stand.

 aa) Die Strafkammer hat die tragenden Strafzumessungsgesichtspunkte bezeichnet. Auch die Staatsanwaltschaft führt nicht aus, welche weiteren tatsächlichen Umstände hätten Beachtung finden müssen. Die Anklagebehörde würdigt die bezeichneten Gesichtspunkte, namentlich den Umstand des Bewährungsbruchs, nur anders. Dies ist aber revisionsrechtlich ohne Belang, weil die Gewichtung der wesentlichen Strafzumessungsumstände zuvörderst Sache des Tatgerichts ist (vgl. Senat StV 2022, 172).

 bb) Auch geht die Strafkammer für die Strafzumessung nicht von unzutreffenden Tatsachen aus. Zwar beanstandet die Revisionsführerin, die Kammer habe das Tatgeschehen unzutreffend als „nicht einschlägig“ bewertet. Schließlich habe der Verurteilung vom 11. Juni 2020 wegen räuberischer Erpressung zugrunde gelegen, dass der Angeklagte einen Elektrokleinroller räuberisch erpresst und damit (bereits dort) zu erkennen gegeben habe, dass er „einzig im Eigeninteresse der schnellen Fortbewegung im öffentlichen Straßenverkehr bereit ist, die Rechtsordnung wiederholt und rücksichtslos zu verletzen“ (RB S. 3).

 Der Begriff der Einschlägigkeit ist gesetzlich nicht definiert und letztlich Ergebnis einer Wertung. Damit ist bereits logisch ausgeschlossen, dass das Tatgericht seiner Strafzumessung insoweit unzutreffende „Tatsachen“ zugrunde gelegt hat. Revisionsrechtlich überprüfbar ist die strafzumessungsbezogene Bewertung des Tatgerichts der Vortat als nicht einschlägig mithin nur nach den allgemeinen Grundsätzen der Revisibiltät der Strafzumessung. Der Senat sieht sich danach gehindert, der jedenfalls vertretbaren tatrichterlichen Einschätzung, was als „einschlägig“ zu gelten hat, eine abweichende Bewertung entgegenzusetzen.

 cc) Ersichtlich verstößt die Strafzumessung auch nicht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke.

 dd) Schließlich lösen sich die hier verhängten Einzelstrafen und die Gesamtstrafe auch nicht so weit von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten Spielraums lägen. Die hier verhängte Strafart (Geldstrafe) mag als mild erscheinen. Es ist aber das Wesen des Revisionsrechts, dass die verhängte Strafe bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen ist. Diese Grenze ist hier nicht überschritten. Das Landgericht hat die bestimmenden Strafzumessungsgründe bezeichnet und gefolgert, dass es trotz der Delinquenzhistorie eine Gesamtgeldstrafe, die mit 120 Tagessätzen zu je 40 Euro empfindlich ausfällt, für ausreichend hält. Dies hat der Senat hinzunehmen (vgl. zu ähnlicher Sachlage Senat StV 2022, 172).

 C. Die Entscheidung über die Kosten und Auslagen ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.

KG Urt. v. 17.10.2022 – (3) 161 Ss 152/22 (54/22), BeckRS 2022, 29849

 

 

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