BGH: Strenge Prüfung bei Berichtigung des Urteilstenors

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 18.06.2023
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|2144 Aufrufe

Fehler im Urteilstenor kommen vor. Meist klappt es auch, einfach eine Berichtigung vorzunehmen. Der BGH hat aber gerade wieder einmal daran erinnert, dass die Anforderungen an eine Berichtigung hoch sind:

 

Eine Berichtigung der Urteilsformel nach Abschluss der mündlichen Urteilsverkündung kommt nur bei einem offensichtlichen Schreib- bzw. Verkündungsversehen in Betracht. Bei dieser Prüfung ist ein strenger Maßstab anzulegen, um zu verhindern, dass mit einer solchen Berichtigung eine unzulässige inhaltliche Abänderung des Urteils verbunden ist. Insbesondere ist in Ansehung der überragenden Bedeutung der Urteilsformel, die – anders als die schriftlichen Urteilsgründe – bei Verkündung schriftlich vorliegen muss, bei einer Berichtigung der Urteilsformel Zurückhaltung geboten. Ein der Berichtigung zugängliches offensichtliches Verkündungsversehen kann nur angenommen werden, wenn sich der Fehler ohne Weiteres aus solchen Tatsachen ergibt, die für alle Verfahrensbeteiligten – auch ohne Berichtigung – klar zutage liegen und der auch nur entfernte Verdacht einer späteren inhaltlichen Änderung des verkündeten Urteils ausgeschlossen ist, die Berichtigung also lediglich dazu dient, die äußere Übereinstimmung der Urteilsformel mit der tatsächlich beschlossenen herzustellen (st. Rspr.; vgl. Senat, Urt. v. 15.1.2015 – 2 StR 290/14, juris Rn 8 = NStZ-RR 2015, 119; v. 8.11.2017 – 2 StR 542/16, juris Rn 17 f. = BeckRS 2017, 135589 = NStZ-RR 2018, 58 [Ls]; Beschl. v. 11.11.2020 – 2 StR 48/20, juris Rn 4 = NStZ-RR 2021, 181, jew. mwN).

 bb) Hieran gemessen liegen die Voraussetzungen für die vom LG vorgenommene Berichtigung nicht vor.

 (1) Die ausweislich der Sitzungsniederschrift verkündete Urteilsformel lässt einen offensichtlichen Fehler oder eine sonstige offensichtliche Unrichtigkeit nicht erkennen.

 (2) Auch unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände vermag der Senat nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen, dass ein offensichtliches Verkündungsversehen vorliegt.

 (a) Das gilt auch in Ansehung des vom LG in seinem Berichtigungsbeschluss angeführten Umstandes, wonach in der mündlichen Urteilsbegründung dargelegt wurde, dass „die vorherige Verurteilung des Angekl. entsprechend der Regelung des § 31 II 1 JGG in das Urteil einbezogen und bei der Zumessung der neu zu bildenden Einheitsjugendstrafe berücksichtigt wurde.“

 (aa) Ausweislich des Berichtigungsbeschlusses fehlt bei der verkündeten Urteilsformel nicht nur die Einbeziehung der Vorverurteilung, sondern auch der Hinweis, dass der Angekl. zu einer „Einheitsjugendstrafe“ verurteilt wurde. Die Urteilsformel divergiert damit an 2 Stellen von dem sehr knapp gehaltenen Berichtigungsbeschluss, so dass sich nicht erschließt, warum für alle Verfahrensbeteiligten klar zu Tage gelegen haben soll, dass der Urteilsbegründung der Vorsitzenden eine höhere Verlässlichkeit beizumessen ist als der schriftlich vorliegenden und verlesenen Urteilsformel.

 (bb) Dies gilt umso mehr, als sich der Berichtigungsbeschluss weder zum Inhalt noch zum Umfang der Darstellung der Vorsitzenden in der mündlichen Urteilsbegründung zur Einbeziehung der Vorverurteilung verhält. Es bleibt auch offen, wann und wie das Gericht seinen Fehler bemerkt hat. Der Berichtigungsbeschluss wurde erst rund 6 Wochen nach Verkündung des Urteils und 1 Monat vor der Fertigstellung des Protokolls gefasst (vgl. demgegenüber zu einer am Tag der Verkündung erfolgten Berichtigung Senat, Urt. v. 15.4.1981 – 2 StR 645/80, NStZ 1983, 208 [212]).

 (b) Auch unter Berücksichtigung aller weiteren Umstände vermag der Senat nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen, dass ein offensichtliches Verkündungsversehen vorliegt.

 (aa) Die Sitzungsniederschrift weist unter der Urteilsformel keine Liste der angewendeten Vorschriften aus (§ 260 V StPO), die ggf. einen Rückschluss auf die Anwendung des § 31 II 1 JGG ermöglicht hätte (vgl. zur Zweckmäßigkeit der Liste unter der Urteilsformel Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 260 Rn 52). Im Übrigen wird § 31 JGG auch in der Liste der angewandten Vorschriften in den schriftlichen Urteilsgründen nicht erwähnt.

 (bb) Eine dienstliche Erklärung der beteiligten Berufsrichter (vgl. hierzu Senat, Urt. v. 15.4.1981 – 2 StR 645/80, NStZ 1983, 208 [212]) und ggf. der Schöffen zum Beratungsergebnis und der mündlichen Urteilsbegründung findet sich ebenso wenig in den Akten wie eine Stellungnahme durch die Sitzungsvertreterin der StA, die Nebenklagevertreterin (vgl. hierzu auch BGH, Urt. v. 16.6.1953 – 1 StR 508/52, BGHSt 5, 5 [10] = NJW 1953, 1926) bzw. die Verteidiger im Berichtigungsverfahren zur Frage der Offenkundigkeit des Verkündungsversehens auf Grund der mündlichen Urteilsbegründung oder sonstiger Verfahrensgeschehnisse. Die bei den Akten befindliche „Anlage zum Sitzungsbericht vom 4.4.2022“ der StA (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 14.1.1954 – 3 StR 752/53, NJW 1954, 730) verhält sich nicht zur Verhängung einer Einheitsjugendstrafe und der Einbeziehung der Vorverurteilung.

 (cc) Die Unwirksamkeit der Berichtigung des Urteilstenors nach Abschluss der Urteilsverkündung führt dazu, dass der Berichtigungsbeschluss im Revisionsverfahren unbeachtlich ist (vgl. Senat, Urt. v. 8.11.2017 – 2 StR 542/16, juris Rn 20 = BeckRS 2017, 135589 = NStZ-RR 2018, 58 [Ls]).

BGH, NStZ-RR 2023, 149

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