Maskenpflicht im Sitzungssaal: Verteidiger kann man rauswerfen!
von , veröffentlicht am 02.07.2023Die Coronazeit hat uns allen viel abverlangt. Das gilt auch für Hauptverhandlungen. So wunderte es mich nicht, als ich gerade un der NStZ von dieser Entscheidung des OLG Oldenburg las. Der Verteidiger wollte im Oktober 2022 keine Maske aufsetzen, obgleich dies sitzungspolizeilich beim AG angeordnet war. Das AG warf den Verteidiger daraufhin aus dem Sitzungssaal, obgleich grundsätzlich zu diesem Zeitpunkt schon ein halbes Jahr in Niedersachsen keine Maskenpflicht mehr bestand. Das OLG Oldenburg fand das ok.
Der Antrag des Betroffenen, die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Aurich vom 21.10.2022 zuzulassen, wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.
Gründe:
Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.
Zwar kommt bei Verletzung elementarer Verfahrensgrundsätze, wozu auch das Recht auf Mitwirkung eines Verteidigers gehört, eine Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung in Betracht. Eine solche Verletzung lässt sich der Verfahrensrüge aber nicht entnehmen:
Ein Vorsitzender war zu Hochzeiten der Pandemie gem. § 176 GVG grundsätzlich berechtigt, vom Verteidiger das Aufsetzen einer Mund-Nasen-Bedeckung zu verlangen (vergleiche OLG Celle, NdsRpfl 2021, 251; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 9.8.2021, 202 ObOWi 860/21, juris). Ob diese Anordnung allerdings auch im Oktober 2022 noch ermessensfehlfrei gewesen ist, erscheint zweifelhaft, da bereits ab 3.4.2022 in Niedersachsen die generelle Maskenpflicht für Innenräume weggefallen war. Das kann aber dahinstehen, da sich der Verteidiger der Anordnung letztlich gebeugt und an der Verhandlung nach kurzer Abwesenheit weiter teilgenommen hat.
Sollte der Verteidiger zuvor des Saales verwiesen worden sein, könnte dies -eine Angemessenheit der Anordnung unterstellt im Hinblick auf § 177 GVG problematisch sein, da dort Verteidiger nicht genannt sind und eine Ausnahme vom BGH (NJW 1977, 437) nur für Extremfälle als denkbar angesehen worden ist. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass sogar die Pflicht zum Tragen einer Robe bei grundsätzlicher Weigerung in Anwendung des § 176 GVG zur Zurückweisung für die Sitzung führen kann (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 65. Aufl. § 176 GVG RN 11). Ob die „Roben-Rspr.“ auch auf die Missachtung einer Anordnung, die dem Gesundheitsschutz dient, übertragen werden kann, ist gleichwohl zweifelhaft, auch wenn eine Aussetzung der Verhandlung und Auferlegung der Kosten nach § 145 Abs. 4 StPO allenfalls beim Pflichtverteidiger oder zumindest notwendiger Verteidigung in Betracht kommt (ablehnend: Kirch-Heim, Die Störung der Hauptverhandlung, NStZ 2014, 431).
Soweit die Generalstaatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang auf den Beschluss des Senats vom 3.1.2022 (MDR 2022, 272) verweist, war die Anordnung von Ordnungsmitteln dort deshalb zulässig, weil – nicht: selbst dann, wenn – der Rechtsanwalt sich selbst verteidigt hat.
Ob ein Verweis aus dem Saal unter dem einen oder anderen Gesichtspunkt -Extremfall oder Anwendung der „Roben-Rspr.“- rechtmäßig gewesen wäre, bedarf aber ebenfalls keiner Klärung.
Eine Verletzung des Rechts auf Verteidigung hätte allenfalls dann angenommen werden können, wenn nach Verweis des Verteidigers aus dem Saal ein Antrag auf Unterbrechung bis zur -nach ca. 4 Minuten erfolgten Beschaffung einer Maske gestellt und abgelehnt worden wäre. Dass ein solcher Antrag gestellt worden ist, wird jedoch nicht geltend gemacht.
Soweit der Verteidiger insbesondere rügt, die Anordnung der Maskenpflicht sei deshalb unzulässig gewesen, weil er über ein Attest, dass ihn von dieser Pflicht befreie, verfüge, ist die Rüge unter diesem Gesichtspunkt nicht ordnungsgemäß ausgeführt worden, weil der nähere Inhalt des Attestes nicht mitgeteilt wird, so dass der Senat nicht prüfen kann, ob das Amtsgericht überzogene Anforderungen an den Inhalt gestellt hat.
Der Senat weist darauf hin, dass er zumindest für zukünftige Hauptverhandlungen die Anordnung einer Maskenpflicht, von Ausnahmefällen -z.B. einer akuten Atemwegsinfektion der betreffenden Person abgesehen, als ermessensfehlerhaft ansehen würde, wobei in diesen Ausnahmefällen eine Maske gestellt oder Gelegenheit zur Beschaffung gegeben werden müsste.
Von einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 80 Abs. 4 S. 3 OWiG abgesehen.
OLG Oldenburg Beschl. v. 17.1.2023 – 2 Ss(OWi) 8/23, BeckRS 2023, 2518
Ich finde das nicht ok...
Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
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1 Kommentar
Kommentare als Feed abonnierenWas natürlich auch ich in meiner beruflichen Tätigkeit als Detektiv bemerkt habe und bis zur vollständigen Aufhebung gewartet habe.
Die auf den Notbetrieb beschränkten Gerichte haben einen großen Rückstau abzubauen: Rund 30.000 Verhandlungen mussten wegen der Coronakrise bisher schon vertagt werden. Justizministerin Alma Zadic (Grüne) will den Betrieb langsam wieder hochfahren, aber gleichzeitig "die Gerichte Corona-frei halten". Deshalb werden Masken und Plexiglas eingesetzt - und die Möglichkeit der Video-Verhandlung erweitert.
Einvernahme per Videotechnologie wird erweitert
Insgesamt wurden an den Gerichten seit Mitte März 41.668 Verhandlungen abberaumt. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres wurden allerdings auch 9.600 Termine abgesagt - und somit kam man auf rund 30.000 wegen der Covid-19-Gefahr verschobene Verhandlungen, erläuterte Zadic im Gespräch mit der APA.
Um den Rückstau nicht noch weiter zu vergrößern, wird mit einer Novelle zum 1. Corona-Maßnahmengesetz die Möglichkeit der Einvernahme per Videotechnologie auch auf die Zeugen, Sachverständigen, Dolmetscher etc. im Zivilverfahren erweitert. An den Zivilgerichten darf aktuell nur in dringlichsten Fällen - wenn Leben, Sicherheit oder Freiheit in Gefahr sind - verhandelt werden. Da in Zivilprozessen zwingend eine mündliche Verhandlung durchzuführen ist, kam es hier zu großem Rückstau.
Die Beschränkung auf dringlichste Fälle wird aufgehoben. Aber richtigen "Normalbetrieb" wird es, wie Zadic im Gespräch mit der APA feststellte, noch länger nicht geben können. Und nicht überall besteht die Möglichkeit, durch große Säle den nötigen Abstand zu gewährleisten. Deshalb wird erlaubt, dass (befristet bis 31. Dezember) die gesamte mündliche Verhandlung per Videokonferenz durchgeführt wird.
Voraussetzung ist, dass die Verfahrensparteien zustimmen - und die nötige Ausstattung haben. "Eine Verpflichtung zu deren Anschaffung besteht nicht", wird in den Gesetzes-Erläuterungen klargestellt. Und darauf hingewiesen, dass man die Zahl der Personen im Verhandlungsraum auch durch Zuschaltungen aus anderen Räumen im selben Gerichtsgebäude minimieren kann.
Gesetz tritt mit 7. Mai in Kraft
Beibehalten wird der Aufruf der Rechtssache vor dem Verhandlungssaal - um den Grundsatz der Öffentlichkeit von Verfahren zu wahren. Auch Zuhörer sind zugelassen, aber nur so viele, dass die Schutzmaßnahmen eingehalten werden können. Das Gesetz wird am Mittwoch im Nationalrat eingebracht, nächste Woche beschlossen und tritt nach dem Bundesrats-Beschluss am 7. Mai in Kraft.
Den weitgehend bereits erlaubten Einsatz von Videotechnologie im Strafverfahren wird Zadic in einer Verordnung konkretisieren. Beschuldigte, die in Untersuchungshaft sitzen, können per Videokonferenz einvernommen werden. Dies auch in Geschworenenverfahren - wobei einerseits die Geschworenen, durch Plexiglasscheiben getrennt, alle in einem Saal sitzen müssen, und andererseits sicherzustellen ist, dass Richter, Staatsanwälte und Verteidiger alle Beteiligten sehen können. Ist eine Video-Verhandlung nicht möglich, obliegt dem Richter die Entscheidung, ob vertagt oder (unter Wahrung der Schutzvorschriften) "normal" verhandelt wird.