ArbG Braunschweig - Erfolgreiche Klagen auf Vergütungsdifferenzen freigestellter Betriebsratsmitglieder bei der Volkswagen AG

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 07.07.2023
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|1422 Aufrufe

Nach dem viel beachteten Urteil des BGH in Strafsachen zur Untreuestrafbarkeit wegen überhöhter Betriebsratsvergütung bei der Volkswagen AG (BGH 10.01.2023, Az. 6 StR 133/22, NZA 2023, 301) dürfte in nicht wenigen Unternehmen die Vergütung (insbesondere der freigestellten) Betriebsratsmitglieder auf den Prüfstand gestellt werden. Sollte die Prüfung ergeben, dass eine verbotene Begünstigung vorliegt, muss diese unverzüglich abgestellt werden. VW hat daher in einigen Fällen eine Kürzung der Vergütung vorgenommen. In dem jetzt vom ArbG Braunschweig entschiedenen Fällen hatten zwei freigestellte Betriebsratsmitglieder Vergütungsdifferenzen eingeklagt, nachdem die Volkswagen AG Gehaltskürzungen vorgenommen hatte.

In dem ersten Fall war der Kläger bei Übernahme des Betriebsratsamtes im Jahr 2002 in die Entgeltstufe 13 des auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrags eingruppiert und erhielt zuletzt eine Vergütung nach der Entgeltstufe 20. Die Beklagte nahm auf der Grundlage einer Vergleichsgruppenbetrachtung mit Wirkung ab Oktober 2022 eine Rückstufung des Klägers in die Entgeltstufe 18 vor und kürzte die Vergütung um ca. 640,00 Euro brutto monatlich. Der Kläger hat die Vergleichsgruppenbildung der Beklagten als nicht nachvollziehbar angegriffen und sich auf eine ihm im Jahr 2015 angebotene Stelle berufen, die eine Vergütungsentwicklung – unstreitig - bis zumindest in die Entgeltstufe 20 beinhaltet. Die Beklagte verteidigt die von ihr vorgenommene Vergleichsgruppenbildung und hat vorgetragen, sie sehe sich durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofes zu einer strengen Vergleichsgruppenbetrachtung gezwungen. Die 3. Kammer des Arbeitsgerichts Braunschweig hat der Klage unter Hinweis auf die dem Kläger im Jahr 2015 angebotene Stelle stattgegeben. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 10.01.2023 stehe der Berücksichtigung dieses Stellenangebotes unter dem Gesichtspunkt einer „hypothetischen Karriere“ nicht entgegen. Es habe sich um eine tatsächlich zu besetzende Stelle gehandelt, für die sich der Kläger nicht aufgrund seiner Tätigkeit im Betriebsrat, sondern der zuvor übertragenen Aufgaben und den dort gezeigten Leistungen qualifiziert habe. Die Stelle habe der Kläger mit Rücksicht auf eine kurz zuvor im Betriebsrat übernommene Funktion abgelehnt.

In dem zweiten Fall war ein Mitarbeiter Ende 2016 vor der Übernahme des Betriebsratsamtes (Mai 2017) von der Entgeltstufe 12 in die Entgeltstufe 13 höhergruppiert worden. Die Beklagte nahm mit Wirkung ab dem Oktober 2022 eine Rückgruppierung in die Entgeltstufe 12 vor und kürzte das Gehalt des Klägers für die Monate Februar und März 2023 um ca. 280,00 Euro brutto monatlich. Sie begründet die Rückgruppierung damit, dass die Höhergruppierung des Klägers Ende 2016 in die Entgeltstufe 13 im unmittelbaren Zusammenhang mit der Amtsübernahme ohne erkennbare Änderung seiner Tätigkeit erfolgt sei. Der Kläger macht geltend, die Höhergruppierung habe auf einer bereits im April 2016 vollzogenen Erweiterung seines Tätigkeitsbereichs beruht. Auch hier die 3. Kammer des Arbeitsgerichts Braunschweig der Klage unter Hinweis auf den Vortrag des Klägers zu übernommenen Zusatzaufgaben als Grundlage für die Höhergruppierung stattgegeben. Sie hat festgestellt, dass die Beklagte dieser Darstellung des Klägers nicht entgegengetreten ist.

Die Entscheidungen sind ein Diskussionsbeitrag um die Grenzen einer „hypothetischen Karrierebetrachtung“ und mildern durch die differenzierende Betrachtungsweise ein wenig den apodiktisch formulierten Standpunkt Sicht des BGH.

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