EuGH zu Fehlern im Massenentlassungsverfahren

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 19.07.2023
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|1321 Aufrufe

Unternehmen, die vor Entlassungen in größerem Umfang stehen, müssen vor Ausspruch der Kündigungen die formellen Vorgaben des § 17 KSchG beachten. Mit § 17 KSchG setzt der Gesetzgeber die Massenentlassungs-Richtlinie 98/59/EG um, sodass es vor allem auf die Rechtsprechung des EuGH ankommt. Fraglich ist, ob Fehler im Verfahren auf die Wirksamkeit der Kündigungen durchschlagen. Konkret geht es um die Frage, ob die Verpflichtung des Arbeitgebers der zuständigen Behörde eine Abschrift zumindest bestimmter Bestandteile der schriftlichen Mitteilung, die er den Arbeitnehmervertretern für Konsultationszwecke zugeleitet hat, zu übermitteln, den betroffenen Arbeitnehmern Individualschutz gewährt und im Falle ihrer Verletzung die Unwirksamkeit der Kündigung nach sich zieht. Der EuGH verneint dies in einer neueren, auf Vorlage des BAG ergangenen Entscheidung (13.7.2023 - C-134/22, BeckRS 2023, 16848). Hierfür werden folgende Gründe genannt:

Zum einen ermögliche die Übermittlung der fraglichen Informationen es der zuständigen Behörde nur, sich u. a. über die Gründe der geplanten Entlassungen, die Zahl und die Kategorien der zu entlassenden Arbeitnehmer sowie den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, einen Überblick zu verschaffen. Sie könne daher nicht voll und ganz auf die übermittelten Informationen vertrauen, um die bei einer Massenentlassung in ihre Zuständigkeit fallenden Maßnahmen vorzubereiten.

Zum anderen werde der zuständigen Behörde im Verfahren der Konsultation der Arbeitnehmervertreter keine aktive Rolle zugewiesen. Sie sei nämlich nur die Adressatin einer Abschrift bestimmter Bestandteile der fraglichen Mitteilung, im Gegensatz zu ihrer aktiven Rolle in späteren Abschnitten des Verfahrens. Im Übrigen setze die fragliche Übermittlung weder eine vom Arbeitgeber einzuhaltende Frist in Gang, noch schaffe sie eine Verpflichtung für die zuständige Behörde.

Daher erfolge die Übermittlung nur zu Informations- und Vorbereitungszwecken, damit die zuständige Behörde gegebenenfalls ihre weiteren Befugnisse wirksam ausüben könne. Somit solle die Verpflichtung, Informationen zu übermitteln, es ihr ermöglichen, die negativen Folgen beabsichtigter Massenentlassungen so weit wie möglich abzuschätzen, damit sie, wenn ihr diese Entlassungen später angezeigt werden, in effizienter Weise nach Lösungen für die dadurch entstehenden Probleme suchen kann. In Anbetracht des Zwecks dieser Informationsübermittlung und der Tatsache, dass sie in einem Stadium erfolgt, in dem der Arbeitgeber die Massenentlassungen nur beabsichtigt, solle sich die zuständige Behörde nicht mit der individuellen Situation jedes einzelnen Arbeitnehmers befassen, sondern die beabsichtigten Massenentlassungen allgemein betrachten.

Klärungsbedürftig bleibt, wie sich andere denkbare Fehler im Konsultations- und Anzeigeverfahren auf die Kündigung auswirken. Hier zeichnen sich bereits jetzt weitere Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH ab.

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