Gebührenbescheide gegen Klimaaktivisten in Berlin durch VG Berlin für rechtswidrig befunden

von Dr. iur. Fiete Kalscheuer, veröffentlicht am 02.10.2023
Rechtsgebiete: Öffentliches Recht|2054 Aufrufe

Das Bundesland Berlin erließ Gebührenbescheide gegen Klimaaktivisten, die sich auf Straßen festgeklebt hatten – und scheiterte damit nun vorerst vor dem Verwaltungsgericht (VG) Berlin in einem Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz (vgl. Beschl. v. 21.09.2023, VG 1 L 363/23). Ein genauerer Blick auf die Gebührenordnungen der Länder und des Bundes zeigt: Dieser Verfahrensausgang ist keine Selbstverständlichkeit. In anderen Bundesländern oder bei Einschreiten der Bundespolizei haben Gebührenbescheide gegen Klimaaktivisten bessere Erfolgsaussichten. Hinsichtlich des richtigen Umgangs mit Klimaaktivisten gehen damit nicht nur die Meinungen auseinander, sondern auch die Rechtslagen.  

Der Beschluss des VG Berlin

Mit Beschluss vom 21.09.2023 hat das VG Berlin vorerst entschieden: Die Erhebung von Gebühren von Klimaaktivisten, die sich auf der Straße festkleben, und dann durch die Polizei entfernt werden, ist in Berlin rechtswidrig. Dieses Ergebnis ist aber gerade auch den Besonderheiten der Rechtslage in Berlin geschuldet.

Die Polizei in Berlin kann eine Anordnung erlassen, aufgrund derer sich die Klimaaktivisten von der Straße zu entfernen haben (sog. Platzverweis), und diese, sollten sie der Anordnung nicht nachkommen, vollstrecken (sog. Vollstreckung im gestreckten Verfahren; vgl. § 8 Abs. 1 VwVfG-Bln i.V.m. § 6 Abs. 1 VwVG)). Sie kann aber unter bestimmten Voraussetzungen auch mit dem Willen der Betroffenen (sog. unmittelbare Ausführung; vgl. § 15 ASOG Bln) oder gegen deren Willen (sog. Sofortvollzug; vgl. § 8 VwVfG-Bln i.V.m. § 6 Abs. 2 VwVG) ohne vorherige Anordnung eingreifen. Vollstreckt sie eine vorherige Anordnung im Wege des gestreckten Verfahrens oder greift sie gegen den Willen der Betroffenen im Wege des Sofortvollzugs ein, kann sie unmittelbaren Zwang anwenden oder im Wege der Ersatzvornahme vorgehen. Eine Ersatzvornahme liegt nach der Rechtslage in Berlin nur vor, wenn es um die Durchsetzung einer vertretbaren Handlung geht (vgl. § 8 Abs. 1 VwVfG-Bln i.V.m. § 10 VwVG). Ersetzt verlangen kann die Polizei nur die Kosten für eine unmittelbare Ausführung oder eine Ersatzvornahme, für diese aber nur dann, wenn Gefahren für Personen, Sachen oder Tiere im Raum stehen, nicht also bei jeder Gefahr für die öffentliche Sicherheit (vgl. Ziff. 8 der Anlage 1 zur PolBenGebV).

Das VG Berlin hat nun in einem Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz, in dem Klimaaktivisten sich gegen Gebührenbescheide gewehrt haben, entschieden, dass beim Entfernen der Klimaaktivisten von der Straße keine unmittelbare Ausführung vorliege, weil die Maßnahme nicht dem Willen der Klimaaktivisten entspreche. Es handele sich auch nicht um eine Ersatzvornahme, da die Entfernung von der Straße keine vertretbare Handlung sei. Selbst wenn es sich um eine Ersatzvornahme handeln würde, läge aber keine Gefahr für Personen, Sachen oder Tiere vor, sondern nur für den Straßenverkehr. Damit könne nach keiner der in Ziff. 8 der Anlage 1 zur PolBenGebV enthaltenen Varianten eine Gebühr für das Handeln der Polizei verlangt werden.

Die Rechtslage in anderen Bundesländern und für die Bundespolizei

Da das Erheben von Gebühren wegen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht bundeseinheitlich, sondern durch jedes Bundesland selbst geregelt wird, kann die Rechtslage in anderen Bundesländern abweichen. Dasselbe gilt für Einsätze der Bundespolizei.

Keine Abweichung zu der Rechtslage in Berlin besteht im Ergebnis in Schleswig-Holstein. In Schleswig-Holstein gibt es das Rechtsinstitut der unmittelbaren Ausführungen gar nicht und es kann eine Gebühr für Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs nur bei Ausübung gegen Sachen oder Tiere erhoben werden. Zwar ist die Erhebung von Gebühren für eine Ersatzvornahme nicht auf die Beseitigung von Gefahren für Personen, Sachen oder Tiere beschränkt (vgl. § 1 Satz 1 Nr. 2 VVKVO-SH), sodass in Schleswig-Holstein Gebühren von Klimaaktivisten erhoben werden könnten, wenn man in dem Vorgehen der Polizei eine Ersatzvornahme sehen würde. Dies hatte das VG Berlin, wie oben angeführt, allerdings verneint, weil keine vertretbare Handlung vorliege, und auch in Schleswig-Holstein dürfte dies nicht anders zu beurteilen sein. Dafür spricht, dass die Anwendung von Gewalt gegenüber den Betroffenen einer Maßnahme stets der zentrale Anwendungsfall des unmittelbaren Zwangs war und die Umdeutung des Wegtragens von Klimaaktivisten in eine Ersatzvornahme die Grenzen zwischen beiden Rechtsinstituten verwischen würde.

Eindeutig anders als in Berlin ist die Rechtslage dagegen etwa für Einsätze der Bundespolizei. Nach der besonderen Gebührenverordnung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMIBGebV) ist die Anwendung unmittelbaren Zwangs sowohl im gestreckten Verfahren als auch bei Sofortvollzug unbeschränkt gebührenpflichtig (vgl. Anlage 1, Abschnitt 2, Ziff. 1.4 bzw. 2.2), sodass es hier auf eine Abgrenzung zur Ersatzvornahme nicht ankommt. Gleiches gilt in Bayern (vgl. Art. 75 Abs. 3 PAG-Bay i.V.m. § 1 Nr. 8 PolKV-Bay).

Leon Watermann                                                                        Fiete Kalscheuer

 

 

 

 

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