Polizeibewerber mit Trunkenheitsvorstrafe: "Kirche im Dorf lassen", meint das OVG Saarlouis

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 10.12.2023
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1617 Aufrufe

Eigentlich war der Antragssteller ein guter Bewerber für den Polizeidienst.  Er hat auch die notwendigen Tests bestanden. Aber: Etwa 4 Jahre vor dem Einstellungstermin hatte er eine fahrlässige Trunkenheitsfahrt (§ 316 Abs. 2 StGB) "hingelegt". Er hatte danach ein anerkanntes Schulungsmodell absoviert und eine Sperrfristaufhebung (§ 69a Abs. 7 StGB) erreicht.  Gleichwohl war das der Einstellungsbehörde im Saarland nicht geheuer. Kann ich auch nachvollziehen. Gleichzeitig muss man aber auch vielleicht manchmal "die Kirche im Dorf lassen" und den Sachverhalt einmal neutral von außen betrachten. Genau dazu fordert nun das OVG auf: Die Grenzen des der Behörde zukommenden Beurteilungsspielraums könnten nämlich überschritten sein....Der Polizeibewerber konnte dabei zwar nicht die Einstellung erreichen, aber die Verpflichtung zu einer Neubescheidung. Immerhin. Glückwunsch an ihn!

 

Unter teilweiser Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 4. Oktober 2023 – 2 L 1275/23 – wird der Antragsgegner verpflichtet, über die Bewerbung des Antragstellers auf Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts unverzüglich erneut zu entscheiden.

 Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

 Die Kosten beider Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.

 Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 3.981,63 € festgesetzt.

 Gründe: 

 I.

 Der 1997 geborene Antragsteller erstrebt seine Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst des Saarlandes als Beamter auf Widerruf zum Einstellungstermin 1.10.2023.

 Er war mit Strafbefehl vom 10.12.2019 wegen eines am 30.10.2019 begangenen fahrlässigen Vergehens der Trunkenheit im Verkehr (1,31 Promille) verurteilt worden. Nachdem er vom 21.1. bis 6.2.2020 erfolgreich einen Kurs „Modell zur Sperrzeitverkürzung/Mainz 77“ absolviert hatte – in dem Teilnahmezertifikat des TÜV Süd ist ausgeführt, dass der Antragsteller die Kursziele erreicht und seine Einstellung zu Alkoholkonsum und dessen Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit geändert habe –, hob das Landgericht Landau in der Pfalz die im Strafbefehl ausgewiesene Sperrfrist von weiteren sechs Monaten durch Beschluss vom 20.3.2020 mit sofortiger Wirkung auf, da unter den fallrelevanten Umständen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festzustellen sei, dass der Antragsteller nicht länger ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist.

 Unter dem 23.1.2023 bewarb der Antragsteller sich als Kommissaranwärter für den gehobenen Polizeivollzugsdienst. Im Bewerbungsfragebogen verneinte er die Frage nach einer gerichtlichen Verurteilung und bejahte die Frage, ob ein Straf- oder Ermittlungsverfahren gegen ihn anhängig war oder ist, unter Hinweis auf das Verfahren wegen Trunkenheit im Verkehr.

 Nach Bestehen des Sporttestes und eines schriftlichen Tests sowie Absolvierung eines Auswahlgesprächs erhielt er die Mitteilung vom 14.3.2023, er sei vorbehaltlich u.a. einer Zuverlässigkeitsprüfung zur Einstellung vorgesehen. In dem insoweit von ihm auszufüllenden Bewerberbogen bejahte er unter Anführung der Verkehrsstraftat sowohl die Frage nach einer gerichtlichen Verurteilung als auch nach einem anhängig gewesenen Straf- oder Ermittlungsverfahren. Im Anschluss erfolgte die polizeiärztliche Tauglichkeitsuntersuchung.

 Mit Bescheid vom 21.7.2023 lehnte der Antragsgegner die Einstellung wegen der rechtskräftigen Verurteilung ab. In den Polizeivollzugsdienst könne nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 SPolLVO nur eingestellt werden, wer gerichtlich nicht bestraft sei, weswegen eine Einstellung aktuell nicht in Betracht komme; eine Ausnahme nach § 3 Abs. 2 SPolLVO komme aufgrund der Schwere der Tat nicht in Betracht. Zudem lasse die Schwere der Tat im Sinn des § 3 Abs. 1 Nr. 5 SPolLVO auf eine fehlende charakterliche Eignung schließen.

 Der Antragsteller hat Widerspruch eingelegt und am 14.8.2023 beim Verwaltungsgericht beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, das auf Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst zum Einstellungstermin Oktober 2023 gerichtete Bewerbungsverfahren des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts fortzuführen.

 Seit dem 15.9.2023 zielt der Antrag wegen des herannahenden Einstellungstermins (1.10.2023) auf vorläufige Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf, hilfsweise auf Neubescheidung der Einstellungsbewerbung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.

 Der Antragsgegner hat im erstinstanzlichen Verfahren klargestellt, dass die Bewerbung einzig wegen des Ergebnisses der Zuverlässigkeitsprüfung abgelehnt worden sei und dass im Fall eines Erfolgs des Antragstellers im einstweiligen Anordnungsverfahren eine Planstelle zur Verfügung stünde.

 Das Verwaltungsgericht hat Haupt- und Hilfsantrag durch Beschluss vom 4.10.2023 zurückgewiesen. Die erstrebte „vorläufige“ Berufung in das Beamtenverhältnis bedinge, sollte sie überhaupt möglich sein, eine Vorwegnahme der Hauptsache, die nur ausnahmsweise gerechtfertigt sein könne, wenn glaubhaft gemacht ist, dass der Erfolg in der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist. Fallbezogen fehle bei der gebotenen vertieften Prüfung der Sach- und Rechtslage jedenfalls ein Anordnungsanspruch, weswegen auch der ursprünglich unter dem 14.8.2023 gestellte Antrag, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, das Bewerbungsverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts fortzuführen, ohne Erfolg hätte bleiben müssen. Der Antragsgegner habe – wozu im Einzelnen ausgeführt wird – sein durch § 3 Abs. 2 SPolLVO eröffnetes Ermessen, ob vorliegend von der Vorgabe, dass der Einstellungsbewerber gerichtlich nicht bestraft ist, eine Ausnahme zugelassen werden kann, fehlerfrei ausgeübt und den ihm bezüglich der von § 3 Abs. 1 Nr. 5 SPolLVO umfassten charakterlichen Eignung des Antragstellers zustehenden Beurteilungsspielraum mit seiner Annahme, angesichts der 2019 erfolgten Verurteilung wegen einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt bestünden berechtigte Zweifel an der charakterlichen Eignung des Antragstellers, nicht überschritten.

 Am 5.10.2023 hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt und diese am 10.10.2023 begründet.

 II.

 Die Beschwerde ist zulässig; insbesondere ist unter den gegebenen Umständen ein Rechtsschutzinteresse trotz zwischenzeitlichen Verstreichens des regulären Einstellungstermins gegeben. In der Sache hat die Beschwerde nach Maßgabe des Beschlusstenors teilweise Erfolg.

 Das Beschwerdevorbringen des Antragstellers, das den Umfang der seitens des Senats vorzunehmenden Prüfung gemäß § 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO begrenzt, gibt Veranlassung, die erstinstanzliche Entscheidung in Bezug auf den Hilfsantrag, dem stattzugeben ist, abzuändern.

 Das Bestehen eines Anordnungsgrundes liegt angesichts des bereits verstrichenen Einstellungstermins offen zu Tage; ein Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht.

 Der Antragsteller rügt, die Vermutung des Verwaltungsgerichts, der Beschluss des Landgerichts über die Aufhebung der Sperrfrist habe sich nicht in der seitens des Antragsgegners beigezogenen Ermittlungsakte befunden, sei unzutreffend und die Annahme, der Antragsgegner habe sein Ermessen jedenfalls im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens (nach Erhalt des landgerichtlichen Beschlusses) fehlerfrei betätigt, finde in den dortigen Schriftsätzen des Antragsgegners keine Stütze. Insbesondere habe der Antragsgegner sich nicht damit auseinandergesetzt, dass das Landgericht dem Antragsteller die charakterliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bescheinigt habe. Die nachträgliche Argumentation des Antragsgegners, es bestehe ein besonderer Bezug zwischen der Verkehrsstraftat und dem Aufgabenbereich eines Polizeivollzugsbeamten und der Hinweis auf ein in einem Disziplinarverfahren ergangenes Urteil des Bundesverwaltungsgerichts verfingen nicht, da der Antragsteller zum Zeitpunkt der Tat kein Beamter gewesen sei, er den sich aus der Tat ergebenden charakterlichen Mangel beseitigt habe und seither erhebliche Zeit verstrichen sei, in welcher der Antragsteller sich, wozu – das erstinstanzliche Vorbringen wiederholend – näher ausgeführt wird, positiv entwickelt habe (u.a. Lehramtsstudium, freiwillige Nachmittagsbetreuung, Förderung von Schülern im Rahmen des Programms „Aufholen nach Corona“). Ebenso wenig treffe die Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts, weil eine fahrlässige Trunkenheitsfahrt ein abstraktes Gefährdungsdelikt sei, handele es sich um eine für die Einschätzung der charakterlichen Eignung schwerwiegende Tat, zu, denn der vorgesehene Strafrahmen und der Umstand, dass erst ab der Grenze von 1,1 Promille nicht mehr eine Ordnungswidrigkeit, sondern eine Straftat vorliege, belegten das Gegenteil. Ausweislich der Ausführungen des Antragsgegners in seinen Schriftsätzen vom 30.8.2023 und vom 18.9.2023 habe dieser der Dauer der zwischenzeitlich verstrichenen Zeit angesichts der noch laufenden Tilgungsfrist ausdrücklich keine Bedeutung beigemessen, weswegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Antragsgegner habe den Zeitablauf in einer seiner Pflicht zur Ermessensausübung gerecht werdenden Weise gewürdigt, fehlerhaft sei. Das Verwaltungsgericht verkenne, dass die Möglichkeit des § 3 Abs. 2 SPolLVO, Ausnahmen zuzulassen, das Vorliegen einer noch verwertbaren Verurteilung voraussetze, und vermenge die nach § 3 Abs. 2 SPolLVO zu treffende Ermessensentscheidung und den auf die charakterliche Eignung bezogenen Beurteilungsspielraum des Antragsgegners. Schließlich habe der Antragsgegner seine eigene Feststellung, dass sich anlässlich des Auswahlgesprächs keinerlei Anhaltspunkte für einen charakterlichen Mangel ergeben haben, nicht in seine Ermessensbetätigung eingestellt und lehne dies weiterhin ab, obwohl die dortigen Bewertungen (Allgemeines Auftreten, Selbstkompetenz, Sozialkompetenz, Fachkompetenz) die persönliche Eignung beträfen und der Antragsteller insoweit als in besonderem Maße geeignet bewertet worden sei. Dass das Verwaltungsgericht dennoch meine, die Erkenntnisse aus dem Auswahlgespräch seien nicht geeignet, die Entscheidung des Antragsgegners in Frage zu stellen, sei nicht nachvollziehbar und es verletze den Anspruch des Antragstellers auf Gewährung rechtlichen Gehörs, dass ihm nach Beiziehung der Dokumentation des Auswahlgesprächs im erstinstanzlichen Verfahren keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden sei. Ein vom Verwaltungsgericht nicht beanstandeter Ermessensfehler komme auch darin zum Ausdruck, dass der Antragsgegner es schriftsätzlich als erschwerend bezeichnet habe, dass der Antragsteller die Tat im Alter von 21 Jahren und 11 Monaten begangen habe, und dies im Nachhinein damit zu rechtfertigen versuche, dass nur gemeint sei, dem Antragsteller könne nicht zu Gute gehalten werden, dass es sich um eine Jugendverfehlung gehandelt habe. Nicht gewürdigt sei schließlich, dass der Antragsteller die Trunkenheitsfahrt von Anfang an angegeben habe, im Auswahlgespräch hierauf nicht angesprochen worden sei, er nach der vorläufigen Einstellungszusage die Tat im Bewerberbogen erneut angeführt habe und er angesichts der erst anschließend im April erfolgten polizeiärztlichen Untersuchung und des dann bis zur Absage durch Bescheid vom 21.7.2023 verstrichenen Zeitraums nicht mehr mit einer Relevanz der Verkehrsstraftat habe rechnen müssen und daher im Juni sein Studium aufgegeben habe.

 Der Antragsgegner hat im Beschwerdeverfahren klargestellt, dass sich der Beschluss des Landgerichts über die Aufhebung der Sperrfrist entsprechend dem Vortrag des Antragstellers und entgegen der Vermutung des Verwaltungsgerichts in der beigezogenen Ermittlungsakte befunden hat und ihm bekannt gewesen ist. Indes sei die dort festgestellte charakterliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht gleichzusetzen mit der vorliegend zu beurteilenden charakterlichen Eignung für die Einstellung in den Polizeivollzugsdienst. Letztere sei nicht gegeben.

 Diese Einschätzung des Antragsgegners beruht im Kern auf der Annahme, die Verurteilung des Antragstellers wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr schließe wegen der Schwere der Tat eine ausnahmsweise Nichtberücksichtigung im Einstellungsverfahren aus. Insoweit hat der Antragsgegner seiner Entscheidung einen unrichtigen Sachverhalt bzw. keine allgemeingültigen Wertmaßstäbe – Schwere der Tat – zugrunde gelegt.

 Die charakterliche Eignung eines Einstellungsbewerbers ist ein Unterfall der persönlichen Eignung. Hierfür ist die prognostische Einschätzung entscheidend, inwieweit der Bewerber der von ihm zu fordernden Loyalität, Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit, Fähigkeit zur Zusammenarbeit und Dienstauffassung gerecht werden wird. Dies erfordert eine wertende Würdigung aller Aspekte des Verhaltens des Einstellungsbewerbers, die einen Rückschluss auf die für die charakterliche Eignung relevanten persönlichen Merkmale zulassen. Die Ablehnung der Einstellung setzt nicht die Feststellung voraus, dass ein Bewerber ungeeignet ist. Es genügen berechtigte Zweifel an seiner (charakterlichen) Eignung. Der pflichtgemäßen Beurteilung des Dienstherrn ist es überlassen, welchen (sachlichen) Umständen er bei seiner Auswahlentscheidung das größere Gewicht beimisst und wie er den verfassungsrechtlichen Grundsatz des gleichen Zugangs zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung verwirklicht. Für die Einstellung in den Polizeidienst sind höhere Anforderungen an die Gesetzestreue zu stellen, denn die Verhinderung und Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten gehört zu den Kernaufgaben des Polizeivollzugsdienstes. Eigene Verstöße in diesem Bereich sind grundsätzlich geeignet, Zweifel an der persönlichen Eignung des Bewerbers zu begründen. Selbst ein einmaliges Fehlverhalten, das nicht zu einer Verurteilung geführt hat, kann Zweifel an der charakterlichen Eignung begründen, wenn es die charakterlichen Mängel des Bewerbers deutlich zu Tage treten lässt.

 Der Antragsgegner hat die Ablehnung der Einstellung in seinem Bescheid ausschließlich auf die Schwere der Tat gestützt und im gerichtlichen Verfahren auf die Einwendungen des Antragstellers ergänzend ausgeführt, die durch die Verurteilung begründeten Zweifel an der Eignung würden durch den positiven Eindruck, den der Antragsteller anlässlich des Auswahlgesprächs vermittelt habe, und die überdurchschnittliche Benotung der Kompetenzen „Allgemeines Auftreten, Selbstkompetenz, Sozialkompetenz und Fachkompetenz“ nicht ausgeräumt. Wenngleich diese Sichtweise nicht zwingend erscheint, überschreitet der Dienstherr mit diesbezüglichen Erwägungen seinen Beurteilungsspielraum keineswegs. Denn allein ihm obliegt es, ein persönlichkeitsbedingtes Werturteil darüber abzugeben, ob und inwieweit der Bewerber den fachlichen und persönlichen Anforderungen des konkreten Amtes und der Laufbahn entspricht. Die verwaltungsgerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle hat sich darauf zu beschränken, ob der Dienstherr den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob er von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachwidrige Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat. Gemessen hieran kann nicht beanstandet werden, dass der Antragsgegner dem Umstand einer strafgerichtlichen Verurteilung ein höheres Gewicht beimisst als der Tatsache, dass der Antragsteller im Auswahlgespräch einen positiven persönlichen und fachlichen Eindruck vermittelt hat, und die durch eine Verurteilung grundsätzlich naheliegenden Zweifel an dessen charakterlicher Eignung von daher nicht bereits als durch ein positives Auftreten ausgeräumt ansieht.

 Dennoch verkennt die Einschätzung des Antragsgegners, die Verkehrsstraftat wiege so schwer, dass sie im Einstellungsverfahren eine Einstellung ausschließe, fallrelevante Umstände, die den zur Beurteilung anstehenden Sachverhalt wesentlich prägen.

 § 3 Abs. 1 Nr. 2 SPolLVO bringt (ungeachtet der im vorliegenden Eilrechtsschutzverfahren nicht zu vertiefenden Frage, ob es dem Wesentlichkeitsgrundsatz genügt, dass die Einstellungsvoraussetzungen auf der Grundlage der sehr weit gefassten Ermächtigung in den §§ 9 ff. SBG in der Polizeilaufbahnverordnung und nicht durch den Landesgesetzgeber selbst geregelt sind, und der ebenfalls nicht zu vertiefenden Frage, ob es dem rechtlichen Kontext gerecht wird, zusätzlich zu dem dem Dienstherrn vorbehaltenen Werturteil über die charakterliche Eignung gemäß Abs. 1 Nr. 5 nach Maßgabe des Abs. 2 eine Art Ermessensentscheidung vorzusehen) den allgemein anerkannten Grundsatz zum Ausdruck, dass vorbestraften Bewerbern ungeachtet ihrer Befähigung und fachlichen Leistung der Zugang zu einem Amt des Polizeivollzugsdienstes im Einklang mit Art. 33 Abs. 2 GG verwehrt werden kann. Wenngleich dieser Ansatz mit Blick auf die Dienstaufgaben eines Polizeivollzugsbeamten ganz offensichtlich sachgerecht ist, verbietet sich eine schematische Handhabung. In welchem Umfang eine Tat und eine Verurteilung Rückschlüsse auf einen charakterlichen Mangel zulassen, hängt vielmehr von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere von der Schwere der Tat bzw. dem Gewicht des Tatvorwurfs, ab. In diesem Zusammenhang kann etwa eine Rolle spielen, ob es um eine Vorsatztat oder um fahrlässiges Handeln, möglicherweise um ein einmaliges persönlichkeitsfremdes Versagen, geht, oder ob die Tat bzw. die Art ihrer Begehung auf eine erhebliche kriminelle Energie oder auf ein mangelndes Unrechtsbewusstsein des Täters schließen lassen.

 Fallbezogen liegt die aus Sicht des Antragsgegners entscheidungserhebliche Annahme einer besonderen Schwere der Verkehrsstraftat mehr als fern. Zwar belegt eine Blutalkoholkonzentration von 1,31 Promille (Verkehrskontrolle um 1:16 Uhr) einen vorangegangenen nicht nur geringfügigen Alkoholkonsum und damit ein am Tattag leichtsinniges Handeln verbunden mit einer Fehleinschätzung des alkoholbedingt eingeschränkten Leistungsvermögens; auch handelt es sich, wie das Verwaltungsgericht betont, um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, das unter Strafe gestellt ist, um das Allgemeininteresse an einer sicheren Verkehrsteilnahme zu schützen. Andererseits lassen die festgestellten Ausfallerscheinungen (nicht geblinkt, die Mittellinie bzw. eine Sperrfläche überfahren, verwaschene Aussprache) einen regelmäßigen Konsum größerer Alkoholmengen eher fernliegend erscheinen; zudem ist die Verhängung einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen durchaus moderat. In der Tatbegehung kommt auch vor dem Hintergrund, dass es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt, keinerlei kriminelle Energie zum Ausdruck.

 Nicht nachvollziehbar ist, dass das Verwaltungsgericht die Erwägung, gerade aus der Eintragung einer Straftat ins Bundeszentralregister in Zusammenschau mit deren Tilgung erst nach Zeitablauf folge, dass der Gesetzgeber Tat und Verurteilung für so schwerwiegend halte, dass diese dem Betroffenen im Rechtsverkehr vorgehalten werden solle, als sachgerecht erachtet. Da alle rechtskräftigen Entscheidungen, durch die ein deutsches Gericht auf Strafe erkennt, gemäß § 4 Nr. 1 BZRG in das Register einzutragen sind und die Tilgungsfrist nach § 46 Abs. 1 Nr. 1 BZRG mindestens fünf Jahre beträgt, erschließt sich nicht, dass die Tatsache der Eintragung und der Maßgeblichkeit der fünfjährigen Tilgungsfrist Rückschlüsse auf eine besondere Schwere der Tat erlauben könnten.

 Ebensowenig überzeugt der Hinweis, die Trunkenheitsfahrt wiege schwer, weil sie insoweit einen besonderen Bezug zum Aufgabenbereich der Polizei aufweise, als diese dienstlich mit dem Führen von Kraftfahrzeugen betraut sei. In der insoweit zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts stand nicht die charakterliche Eignung auf dem Prüfstand, sondern es ging im Rahmen eines Disziplinarverfahrens um die im Ergebnis verneinte Frage, ob sich eine einmalige außerdienstliche Trunkenheitsfahrt bei einem Beamten, der dienstlich nicht mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs betraut ist, als Verletzung einer Dienstpflicht und damit als ein Dienstvergehen darstellt. Die charakterliche Eignung des Antragstellers mit Blick auf die dienstliche Notwendigkeit, Einsatzfahrzeuge zu führen, prognostisch in Zweifel zu ziehen, unterstellt, dass die Besorgnis besteht, er werde seinen Dienst im alkoholisierten Zustand verrichten; für die Berechtigung einer solchen Besorgnis bietet die Aktenlage keinerlei Anknüpfungspunkte.

 Der Antragsgegner nimmt – mit Billigung des Verwaltungsgerichts – im weiteren an, der Umstand, dass seit dem Trunkenheitsdelikt vier Jahre verstrichen seien, in denen der Antragsteller beanstandungsfrei am Straßenverkehr teilgenommen hat, sei schon angesichts der im Bundeszentralregistergesetz vorgesehenen Tilgungsfrist von fünf Jahren, die noch nicht abgelaufen sei, ohne Relevanz. Diese Sichtweise beruht erkennbar, auch wenn das Verwaltungsgericht dies anders zu sehen scheint, auf der bereits unter dem Gesichtspunkt „Schwere der Tat“ angesprochenen Annahme, vor Ablauf der Tilgungsfrist sei für eine nach § 3 Abs. 2 SPolLVO ergehende Ausnahmeentscheidung kein Raum. Das Bundeszentralregistergesetz bietet dieser Annahme indes keinen tauglichen Anknüpfungspunkt. So regelt § 51 Abs. 1 BZRG, dass die Tat und die Verurteilung der betroffenen Person im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht mehr zu ihrem Nachteil verwendet werden darf, wenn die Eintragung über die Verurteilung im Register getilgt worden oder zu tilgen ist. Dies ist allerdings nicht gleichbedeutend mit der Annahme, die Tat und die Verurteilung „müssten“ der betroffenen Person im Rechtsverkehr so lange vorgehalten werden, wie die Eintragung über die Verurteilung im Register noch nicht tilgungsreif oder getilgt ist. Demgemäß ist die Frage aufgeworfen, ob der Antragsgegner seinen eigenen Beurteilungsspielraum insoweit nicht erkannt hat, als er sich irrtümlich kraft des Bundeszentralregistergesetzes gehalten gesehen hat, von einer Ausnahme abzusehen.

 Ebenso erscheint fraglich, ob eine Verkürzung des entscheidungserheblichen Sachverhalts nicht darin zu sehen ist, dass der Antragsgegner bei der Bewertung der Bedeutung der Verkehrsstraftat völlig außer Acht gelassen hat, dass der Antragsteller sich ausweislich des Beschlusses des Landgerichts Landau in der Pfalz unmittelbar im Anschluss an die Tat und die Verurteilung bemüht hat, sein Fehlverhalten aufzuarbeiten, und sich die im Interesse der Allgemeinheit bestehende Notwendigkeit, zwischen Alkoholkonsum und Autofahren zu trennen, nach der fachkundigen Einschätzung des TÜV Süd erfolgreich verinnerlicht hat. Dass das Landgericht die Kraftfahreignung bejaht und eine Verkürzung der Sperrfrist als gerechtfertigt angesehen hat, impliziert dessen Einschätzung, der Antragsteller sei sich seiner Verantwortung als Verkehrsteilnehmer bewusst geworden und werde sein künftiges Handeln daran ausrichten. Insoweit ist das Argument des Antragsgegners, die charakterliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen und die charakterliche Eignung zur Wahrnehmung eines Amtes des Polizeivollzugsdienstes seien nicht gleichzusetzen, nur bei oberflächlicher Betrachtung zutreffend. Denn in der Sache verneint der Antragsgegner die charakterliche Eignung des Antragstellers als Polizeibeamter alleine mit dem Argument, dem Antragsteller habe zur Zeit der Verkehrsstraftat die charakterliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen gefehlt und hieran könne sich vor Ablauf der Tilgungsfrist nichts Entscheidungserhebliches geändert haben.

 Schließlich überzeugt nicht, dass das Verwaltungsgericht die Erwägung des Antragsgegners in dessen Schriftsatz vom 30.8.2023, es komme erschwerend hinzu, dass der Antragsteller die Trunkenheitsfahrt im Alter von 21 Jahren und 11 Monaten begangen habe, und somit jugendliches Verhalten ausgeschlossen werden könne, mit Blick auf die ergänzenden Ausführungen im Schriftsatz vom 18.9.2023 als nicht sachwidrig erachtet hat. Denn wäre die Tat vor Vollendung des 21. Lebensjahres begangen worden, würde sie eher schwerer als danach wiegen, weil ihr ein bewusster Verstoß gegen das für Fahranfänger geltende absolute Alkoholverbot beim Führen von Kraftfahrzeugen (§§ 2a und 24c StVG) zugrunde gelegen hätte.

 Mithin bleibt festzustellen, dass die die Ablehnung der Einstellung tragende, auf die Schwere der Tat abstellende Argumentation des Antragsgegners auf objektiv unrichtigen Sachverhaltsfeststellungen aufbaut und zum Teil auch allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet. Wenngleich eine Trunkenheitsfahrt im Sinn des § 316 StGB kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat ist, belegen insbesondere deren fahrlässige Begehung und das Nichtzutagetreten krimineller Energie, dass die begangene Tat im Vergleich zu dem Spektrum möglicher Straftaten gerade nicht als schwere Straftat eingestuft werden kann.

 Demzufolge verletzt die durch die unrichtige Sachverhaltsfeststellung bzw. das Außerachtlassen allgemeingültiger Wertmaßstäbe bedingte Ablehnung seiner Einstellung den Antragsteller in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG, wonach ihm ein Anspruch darauf zusteht, dass über seine Bewerbung für ein öffentliches Amt allein nach Maßgabe von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung entschieden wird.

 Der Senat hat erwogen, ob Zielrichtung des hieraus resultierenden Anordnungsanspruchs die mit dem Hauptantrag erstrebte vorläufige Einstellung in ein Beamtenverhältnis auf Widerruf ist, oder ob mit Blick darauf, dass ein Beamtenverhältnis auf Widerruf nach Maßgabe des § 23 Abs. 4 Satz 1 BeamtStG jederzeit durch Entlassung beendet werden kann, zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes sogar weitergehend eine Verpflichtung zur sofortigen Einstellung gerechtfertigt erscheint.

 Dabei spricht hinsichtlich der beantragten vorläufigen Einstellung viel für die Sichtweise, dass die vorläufige Begründung eines Beamtenverhältnisses materiell-rechtlich unzulässig ist und es einer entsprechenden Anordnung prozessual jedenfalls im Anwendungsbereich des § 23 Abs. 4 BeamtStG nicht bedarf. Eine unmittelbare Verpflichtung zur Einstellung, wie (diesen Gedanken aufgreifend) kürzlich vom Oberverwaltungsgericht Bremen gehandhabt, steht indes in einem Spannungsverhältnis zu der rechtlichen Ausgestaltung der Eignungsbeurteilung als ein Akt wertender Erkenntnis, der dem Antragsgegner vorbehalten ist. Die Verwaltungsgerichte sind nicht befugt, die Einschätzung des Dienstherrn durch eine eigene zu ersetzen. Demzufolge liegt die Erwägung, dass der Dienstherr seine Auswahlentscheidung ausweislich der unter dem Vorbehalt der Zuverlässigkeitsprüfung erteilten Einstellungszusage bereits grundsätzlich dahingehend ausgeübt habe, dass eine Einstellung erfolgen soll – so das Oberverwaltungsgericht Bremen unter den dortigen Gegebenheiten –, aus Sicht des Senats nur nahe, wenn sich nach Aktenlage aufdrängt, dass der Dienstherr sich bei rechtsfehlerfrei festgestelltem Sachverhalt (hier: keine besondere Schwere der Tat) entschieden hätte bzw. nunmehr entscheiden würde, aus der Trunkenheitsfahrt keine negativen Schlussfolgerungen für die charakterliche Eignung zu ziehen, also die nach § 3 Abs. 2 SPolLVO in Betracht kommende Ausnahme zuzulassen.

 Problematisch erscheint desweiteren, dass die Verpflichtung des Dienstherrn zu einer sofortigen Einstellung des Bewerbers zur Erledigung des Hauptsacheverfahrens führen würde, so dass der Dienstherr im Fall einer regelmäßig jedenfalls nicht von vornherein auszuschließenden erneuten, diesmal beurteilungsfehlerfreien Prüfung der charakterlichen Eignung mit einem für den Bewerber negativen Ergebnis darauf angewiesen wäre, ein neues Verfahren in Gestalt eines Widerrufsverfahrens nach § 23 Abs. 4 BeamtStG einzuleiten.

 Vor diesem Hintergrund bleibt der Hauptantrag ohne Erfolg und es ist dem auf die Verpflichtung des Antragsgegners zielenden Hilfsantrag, über die Bewerbung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden, stattzugeben. Dies wird mit Blick auf Art. 33 Abs. 2 GG zeitnah geschehen müssen.

 Festzuhalten bleibt, dass die bisherigen Erwägungen des Antragsgegners zur Bedeutung des Verkehrsdelikts im Rahmen der Beurteilung der charakterlichen Eignung des Antragstellers entweder die Grenzen des Beurteilungsspielraums überschreiten oder sich – jedenfalls ohne nähere Plausibilisierung – zumindest in dessen Grenzbereich bewegen.

OVG Saarlouis Beschl. v. 3.11.2023 – 1 B 133/23, BeckRS 2023, 30480

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