Tagessatzhöhe bestimmen durch Schätzung: Schwierig

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 18.12.2023
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|797 Aufrufe

Offenbar kommt der Angeklagte aus einem Land, in dem es nicht so wundernar wie bei uns in Deutschland ist. Und irgendwie blieb für das Gericht unklar, wovon er denn so lebt. Offenbar sagte er: "Von Ersparnissen!" Das OLG fand angesichts dieser Feststellungen eine Schätzung des Tatgerichts auf eine Tagessatzhöhe von 50 Euro nicht für richtig:

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 1. August 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.

 II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Würzburg zurückverwiesen.

 Gründe: 

 I.

 Das Amtsgericht hat den Angeklagten am 23.03.2023 wegen fahrlässigen Gebrauchs eines Kraftfahrzeugs ohne Versicherungsschutz zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 50 Euro verurteilt. Die hiergegen jeweils auf die Höhe des verhängten Tagessatzes beschränkten Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht mit Urteil vom 01.08.2023 als unbegründet verworfen. Mit seiner gegen das Berufungsurteil gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts.

 II.

 Die statthafte (§ 333 StPO) und auch im Übrigen zulässige (§ 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO), wegen der jeweils wirksamen Berufungsbeschränkung des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft auf die Bemessung der Tagessatzhöhe nur noch diese betreffende Revision des Angeklagten ist begründet. Die Berufungskammer hat die Tagessatzhöhe auf 50 Euro festgesetzt, ohne dies rechtsfehlerfrei zu begründen. Die Darlegungen beschränken sich auf den vagen Hinweis, dass der Angeklagte „zuletzt in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen, auch von Ersparnissen, lebte“. Weshalb sich hieraus unter Berücksichtigung des § 40 Abs. 2 StGB eine Tagessatzhöhe von 50 Euro ergeben soll, bleibt im Dunkeln.

 1. Das Landgericht unternimmt nicht den Versuch, das nach § 40 Abs. 2 Satz 1 StGB erzielbare Nettoeinkommen zu bestimmen, sondern schätzt ein solches in Höhe von 1.500 Euro pro Monat, ohne auch nur ansatzweise die konkreten Schätzgrundlagen, von denen es ausgeht, darzulegen. Dies stellt nicht nur ein einfach gesetzliches Begründungsdefizit dar, weil das Revisionsgericht nicht in die Lage versetzt wird, die Richtigkeit der getroffenen Entscheidung nachzuprüfen (OLG Köln, Beschluss vom 23.03.2021 – III-1 RVs 50/21 bei juris; KG, Beschluss vom 19.11.2019 – [3] 121 Ss 143 = OLGSt StGB § 219a Nr. 1; MüKo-StGB/Radtke 4. Aufl. § 40 Rn. 121), sondern auch einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Willkürverbot (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschl. v. 01.06.2015 – 2 BvR 67/15 = wistra 2015, 388 = DAR 2015, 576 = NStZ-RR 2015, 335 = NZV 2016, 48 = NStZ-RR 2016, 46 = StV 2016, 554).

 2. Das erzielbare Nettoeinkommen in Höhe von 1.500 Euro, das das Landgericht zugrunde gelegt hat, versteht sich auch nicht etwa von selbst. Die Berufungskammer hat von vornherein nicht in ihre Überlegungen eingestellt, dass das erzielbare Nettoeinkommen mit Blick auf die allgemein bekannte, äußerst prekäre Einkommenssituation in dem Heimatland des Angeklagten nicht mit der in der Bundesrepublik Deutschland vorherrschenden durchschnittlichen Einkommenssituation gleichgesetzt werden kann.

 3. Soweit die Berufungskammer zusätzlich auf ein Urteil des Amtsgerichts Würzburg vom 18.10.2021 verweist, ohne die sich daraus ergebenden Fakten mitzuteilen, ist dies schon deswegen rechtsfehlerhaft, weil ein Strafurteil aus sich heraus verständlich sein muss (st.Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 17.08.2023 – 2 StR 215/23 bei juris; 13.06.2023 – 1 StR 126/23 = NZWiSt 2023, 376; Urt. v. 22.03.2023 – 6 StR 324/22 = NStZ-RR 2023, 141) und deshalb Bezugnahmen auf Schriftstücke oder andere Urteile außerhalb des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO nicht zulässig sind (vgl. nur BGH, Urt. v. 22.03.2023 – 6 StR 324/22 = NStZ-RR 2023, 141; 10.08.2022 – 6 StR 519/21, bei juris; Beschluss vom 28.06.2022 – 6 StR 511/21 = ZInsO 2022, 1740 = StraFo 2022, 367 = GmbHR 2022, 1033 = wistra 2022, 473 = NStZ-RR 2022, 342).

 III.

 Aufgrund der aufgezeigten Mängel ist das angefochtene Urteil auf die Revision des Angeklagten mit den Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO) und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere (kleine) Strafkammer des Landgerichts Würzburg zurückzuverweisen.

BayObLG Beschl. v. 18.10.2023 – 202 StRR 76/23, BeckRS 2023, 31058

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