Bei 1,83 Promille ist d. E-Scooterfahrer*in absolut fahrunsicher

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 18.01.2024
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|791 Aufrufe

Mit 1,83 Promille konnte der Scooterfahrer nach einer Trunkenheitsfahrt gemessen werden. Das OLG hat es da dahinstehen lassen können, ob entsprechend der h.M die absolute Fahrunsicherheit bereits bei 1,1 Promille (wie bei anderen Kfz) oder erst bei1,6 Promille (wie beo Radfahrern) anzunehmen ist. Und das OLG hat die Fahrerlaubnisentziehung in einem solchen Falle für erforderlich angesehen:

 

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft G. wird das Urteil des Amtsgerichts Göttingen vom 10. Mai 2023 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

 Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Göttingen zurückverwiesen.

 Gründe: 

 I.

 Das Amtsgericht Göttingen verhängte gegen den Angeklagten mit Urteil vom 10. Mai 2023 eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 25 € wegen Trunkenheit im Verkehr, gewährte dem Angeklagten Ratenzahlung und ordnete daneben ein Fahrverbot für die Dauer von zwei Monaten an.

 Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Angeklagte am 5. März 2023 gegen 00:15 Uhr spontan mit einem Miet-E-Scooter die R. Landstraße in G. stadtauswärts in ordnungsgemäßer Fahrtrichtung. Bei dem verwendeten E-Scooter handelte es sich nach den weiteren Urteilsgründen um ein Elektrokleinstfahrzeug nach § 1 eKFV. Diesen nutzte der Angeklagte, um schneller bei einem Freund anzukommen, den er besuchen wollte. Der Angeklagte wurde nach ca. vier Minuten Fahrt, bei welcher er ungefähr einen Kilometer mit dem E-Scooter zurücklegte, von Polizeibeamten angehalten und kontrolliert. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Angeklagte eine Blutalkoholkonzentration von 1,83 Promille, zeigte indes keine Anzeichen für eine Alkoholisierung. Der Angeklagte verfügt seit dem 5. November 2017 über eine Fahrerlaubnis für Motorräder und seit dem 22. November 2018 auch über eine solche für Personenkraftwagen. Strafrechtlich ist er bis zur Tat nicht in Erscheinung getreten und sein Fahreignungsregister enthielt bis dahin keine Eintragungen.

 Die Anordnung der Entziehung der Fahrerlaubnis sowie die Bestimmung einer Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis lehnte das Amtsgericht ab. Das Amtsgericht führte hierzu aus, dass kein Regelfall des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB vorliege, die Indizwirkung aufgrund eines atypischen Sachverhaltes vielmehr wegfalle. Dabei sei berücksichtigt worden, dass der Angeklagte „nur“ einen E-Scooter verwendet habe, was stets mildernd, indes nicht ausschließend, bei der Prüfung eines Entfallens der Indizwirkung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB zu werten sei. Erst bei Hinzutreten weiterer mildernder Umstände soll es nach Auffassung des Amtsgerichts ggf. zur einer Ablehnung des Regelbeispiels kommen. Als solche Umstände bewertete das Amtsgericht im konkreten Fall u. a. das Zurücklegen einer nur kurzen Strecke bzw. das Fahren für nur kurze Zeit. Zudem habe sich der Angeklagte nach der Tat kritisch mit seinem Alkoholkonsum auseinandergesetzt. Die „Sanktionsschwere“ bei einer Trunkenheitsfahrt mit E-Scootern sei im allgemeinen Bewusstsein nicht so verankert, wie dies bei einer solchen mit einem Pkw aus langjähriger Übung der Fall sei. Der Angeklagte verfüge bereits seit längerer Zeit über die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen, ohne bisher mit einem verkehrswidrigen Verhalten aufgefallen zu sein.

 Hingegen sei ein Fahrverbot, eine Nebenstrafe zur zielgenauen, spürbaren und schuldangemessenen Einwirkung auf einen Täter, nach § 44 Abs. 1 Satz 3 StGB anzuordnen gewesen, da keine Maßregel nach den §§ 69, 69a StGB festgesetzt worden sei. Schuldangemessen sei die Verhängung eines Fahrverbots für die Dauer von zwei Monaten.

 Gegen dieses Urteil hat sich die Staatsanwaltschaft G. mit ihrem am 11. Mai 2023 eingelegten Rechtsmittel gewandt, das sie mit am 7. Juni 2023 beim Amtsgericht eingegangener Zuschrift als Revision benannt und zugleich mit der Sachrüge begründet hat. Sie hat beantragt, das Urteil des Amtsgerichts Göttingen vom 10. Mai 2023 im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Göttingen zurückzuverweisen.

 Die Generalstaatsanwaltschaft unterstützt das Rechtsmittel und hat beantragt, das Urteil des Amtsgerichts Göttingen vom 10. Mai 2023 (34 Cs 784 Js 13497/23) hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs insoweit aufzuheben, als dass das Amtsgericht von der Anordnung der Maßregel nach § 69 StGB abgesehen hat und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Göttingen zurückzuverweisen. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft sei innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs auf die Ablehnung der Entziehung der Fahrerlaubnis sowie der damit verbundenen Verhängung einer Sperre für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis beschränkt, da sie in ihrer Revisionsbegründung nur dieses Unterlassen beanstandet habe.

 Der Verteidiger beantragt, die Revision der Staatsanwaltschaft G. zurückzuweisen.

 II.

 Die statthafte (§ 335 Abs. 1 StPO) und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte sowie begründete, Sprungrevision der Staatsanwaltschaft G. hat nach wirksamer Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch Erfolg. Der Rechtsfolgenausspruch des Amtsgerichts hält der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand.

 1. Die Beschränkung der Revision der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch ist wirksam, da das Urteil des Amtsgerichts Göttingen die notwendigen Feststellungen enthält, um einen Schuldspruch nach § 316 Abs. 1 und 2 StGB und somit nicht nur wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 1 StVG zu begründen.

 Das Amtsgericht hat insbesondere zutreffend festgestellt, dass der Angeklagte infolge des Konsums alkoholischer Getränke nicht mehr in der Lage war, den verwendeten Miet-E-Scooter (Kraftfahrzeug im Sinne des § 1 Abs. 2 StVG) sicher zu führen. Dies folgt aus dessen festgestellter Tatzeit-Blutalkoholkonzentration von 1,83 Promille, welche seine absolute Fahruntüchtigkeit begründete.

 Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob auch für Führer eines als Elektrokleinstfahrzeug einzuordnenden E-Scooters der für Kraftfahrzeugführer geltende Grenzwert von 1,1 Promille (BGH, Beschluss vom 28. Juni 1990 – 4 StR 297/90 –, Rn. 22-23, juris; BGH, Beschluss vom 13. April 2023 – 4 StR 439/22 –, Rn. 4 und 6, juris) für die Begründung der absoluten Fahruntüchtigkeit heranzuziehen ist (dafür: Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 24. Juli 2020 – 205 StRR 216/20 –, Rn. 9 – 10, juris; KG Berlin, Urteil vom 10. Mai 2022 – (3) 121 Ss 67/21 (27/21) –, Rn. 8 – 14 und 17, juris und Beschluss vom 31. Mai 2022 – (3) 121 Ss 40/22 (13/22) –, Rn. 2, juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 4. Oktober 2021 – 1 Ss 113/21 –, Rn. 10, juris; OLG Hamburg, Urteil vom 16.03.2022 – 9 Rev 2/22, BeckRS 2022, 10351, Rn. 19 [indes ohne nähere Angaben zum verwendeten Fahrzeug, auf welches nur anhand der weiteren Ausführungen unter Rn. 23ff. geschlossen werden kann]; offengelassen: BGH, Beschluss vom 2. März 2021 – 4 StR 366/20 –, Rn. 9, juris).

 Zur Begründung eines die absolute Fahruntüchtigkeit indizierenden und jeden Gegenbeweis ausschließenden Grenzwertes hat der Bundesgerichtshof bisher auf die Notwendigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse verwiesen (für Kraftfahrer: BGH, Urteil vom 5. November 1953 – 3 StR 504/53 –, BGHSt 5, 168-179, Rn. 6, juris; BGH, Urteil vom 11. April 1957 – 4 StR 482/56 –, BGHSt 10, 265-269, Leitsatz, juris; BGH, Entscheidung vom 9. Dezember 1966 – 4 StR 119/66 –, Rn. 6ff., juris; BGH, Beschluss vom 28. Juni 1990 – 4 StR 297/90 –, Rn. 9ff., juris; für Fahrradfahrer: BGH, Beschluss vom 7. August 1963 – 4 StR 270/63 –, Rn.6f., juris; BGH, Beschluss vom 17. Juli 1986 – 4 StR 543/85 –, Rn. 4ff., juris; für Kraftradfahrer: BGH, Beschluss vom 14. März 1969 – 4 StR 183/68 –, Leitsatz 1 und Rn.13ff., juris; für das Mofa-25: BGH, Beschluss vom 29. August 1974 – 4 StR 134/74 –, Leitsatz und Rn. 8ff., juris; BGH, Beschluss vom 29. Oktober 1981 – 4 StR 262/81 –, Rn. 6ff., juris). Dabei hat der Bundesgerichtshof, dessen auf allgemein als gesichert geltenden Erkenntnissen beruhende Rechtsprechung zur absoluten Fahruntüchtigkeit vom Bundesverfassungsgericht gebilligt wurde (BVerfG, Kammerbeschluss vom 27. Juni 1994 – 2 BvR 1269/94 –, Rn. 7, juris), darauf hingewiesen, dass eine „Gleichbehandlung der Fahrer aller einspuriger Kraftfahrzeuge bedenklich“ erscheine (BGH, Beschluss vom 14. März 1969 – 4 StR 183/68 –, Rn.17).

 Das Bayerische Oberste Landesgericht und die Oberlandesgerichte Frankfurt sowie Hamburg haben dennoch ohne Rückgriff auf spezielle wissenschaftliche Erkenntnisse zur Begründung eines Grenzwertes für den Eintritt der absoluten Fahruntüchtigkeit eines als Elektrokleinstfahrzeug einzuordnenden E-Scooters allein auf die Einstufung als Kraftfahrzeug abgestellt (Bayerisches Oberstes Landesgericht, a. a. O., Rn. 10ff.; OLG Frankfurt, a. a. O., Rn. 8; OLG Hamburg a. a. O., Rn. 19). Indes werden in dem genannten Urteil des Kammergerichts Berlin vom 10. Mai 2022 durchaus belastbare Erkenntnisse – insbesondere eine Studie der Universität Düsseldorf – zur Begründung eines Grenzwertes von 1,1 Promille für die absolute Fahruntüchtigkeit für Führer von E-Scootern nach § 1 eKFV angeführt (KG Berlin, (3) 121 Ss 67/21 (27/21) –, Rn. 16 – 30, juris).

 Ob dem zu folgen ist – und ob die Erkenntnisse aus der vom Kammergericht herangezogenen Studie in den maßgebenden Fachkreisen auch allgemein und zweifelsfrei als richtig und zuverlässig anerkannt sind (vgl. BGH, Entscheidung vom 9. Dezember 1966 – 4 StR 119/66 –, Leitsatz, juris; BGH, Beschluss vom 17. Juli 1986 – 4 StR 543/85 –, Rn. 5, juris; BGH, Beschluss vom 28. Juni 1990 – 4 StR 297/90 –, Rn. 9, juris; BGH, Beschluss vom 7. August 1963 – 4 StR 270/63 –, Rn. 7, juris; BGH, Beschluss vom 11. Dezember 1973 – 4 StR 130/73 –, Rn. 13, juris; BGH, Beschluss vom 29. Oktober 1981 – 4 StR 262/81 –, Rn. 8, juris) – konnte der Senat vorliegend dahinstehen lassen, weil der Angeklagte sogar den für Fahrradfahrer geltenden Grenzwert für die Bestimmung der absoluten Fahruntüchtigkeit überschritten hat. Es ist anerkannt, dass auf die absolute Fahruntüchtigkeit auch mithilfe eines sicheren Vergleichs geschlossen werden kann (vgl. für Führer eines betriebsunfähigen abgeschleppten Fahrzeugs: BGH, Beschluss vom 18. Januar 1990 – 4 StR 292/89 –, BGHSt 36, 341-348, Rn. 20, juris; für den Luftverkehr: Pegel in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl., 2022, § 316, Rn. 51).

 Die beim Führen eines E-Scooters geforderte psycho-physische Leistungsfähigkeit sowie die von einem alkoholisiertem Zustand eines E-Scooter-Führers für andere Verkehrsteilnehmer ausgehende Gefahr sind mit denen von Führern von Fahrrädern mindestens gleichzustellen (sogar für die Annahme erhöhter Anforderungen im ... KG B., Urteil vom 10. Mai 2022 – (3) 121 Ss 67/21 (27/21) –, Rn. 21, juris). Das folgt auch aus der Begründung der Verordnung über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen am Straßenverkehr und zur Änderung weiterer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (eKFV). Danach ähneln Elektrokleinstfahrzeuge in ihren Fahreigenschaften und ihrer Verkehrswahrnehmung sowie einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von 12 km/h bis 20 km/h am stärksten denen des Fahrrads, weshalb für diese Elektrokleinstfahrzeuge verkehrs- und verhaltensrechtlich die Regelungen über Fahrräder mit Maßgabe besonderer Vorschriften gelten sollen (BRs-Drucksache 158/19 S. 23 und 38). Für ähnliche Fahreigenschaften sprechen die jeweilige Ausstattung mit zwei Rädern sowie einer Lenkstange. Beiden Fortbewegungsmitteln wohnt auch eine ähnliche Geräuschentwicklung inne. Im Falle von Gefahrenbremsungen verfügt ein E-Scooter – ebenso wie die meisten Fahrräder – über zwei voneinander unabhängige Bremsen (§ 4 Abs. 1 eKFV) sowie eine – ebenfalls an vielen Fahrrädern vorhandene – helltönende Glocke (§ 6 Satz 1 eKFV). Da E-Scooter innerhalb geschlossener Ortschaften grundsätzlich nur auf baulich angelegten Radwegen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 eKFV), aber bei fehlenden Radwegen auch auf Fahrbahnen und in verkehrsberuhigten Bereichen (§ 10 Abs. 1 Satz 2 eKFV) benutzt werden dürfen, sind sie insbesondere ähnlichen Konfliktsituationen mit Fußgängern sowie anderen Fortbewegungsmitteln wie Fahrradfahrer ausgesetzt. Daher müssen Führer eines E-Scooters das Verkehrsgeschehen mindestens ebenso aufmerksam und konzentriert verfolgen sowie zeitnah auf die Handlungen Dritter reagieren wie Führer von Fahrrädern. Aufgrund ähnlicher technischer Ausstattungen erfordert dies auch gleichgelagerte Reaktionen. Angesichts des Umstandes, dass ein E-Scooter ohne Muskelkraft betrieben werden kann, könnten hier sogar erhöhte Anforderungen vorliegen. Der Konsum von Alkohol wirkt sich gerade auf Aufmerksamkeit, Konzentrations- und Reaktionsvermögen aus. Somit mindern die alkoholbedingten Einschränkungen der psycho-physischen Leistungsfähigkeit des Führers eines E-Scooters im Sinne von § 1 Abs. 1 eKFV dessen Fähigkeit zur sicheren Teilnahme am Straßenverkehr jedenfalls nicht in geringerem Maße als die eines Nutzers eines Fahrrades. Er ist daher mindestens in gleichem Maße wie dieser für andere Verkehrsteilnehmer gefährlich, weshalb der für Fahrradfahrer geltende Grenzwert zur Bestimmung der absoluten Fahruntüchtigkeit auch hier herangezogen werden kann.

 Für Fahrradfahrer hat der Bundesgerichtshof den Grenzwert für die absolute Fahruntüchtigkeit auf 1,7 Promille festgelegt (BGH, Beschluss vom 17. Juli 1986 – 4 StR 543/85 –, BGHSt 34, 133-137, Leitsatz, juris). In der nachfolgenden obergerichtlichen Rechtsprechung sowie der Literatur wird dieser Grenzwert wegen eines nach neueren Erkenntnissen nur noch mit 0,1 Promille zu bemessenden Sicherheitszuschlags nunmehr weit überwiegend ab 1,6 Promille angenommen (Pegel, a. a. O., Rn. 44, m. w. N.).

 Da somit der für Fahrradfahrer geltende Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit überschritten worden ist, lag hier jedenfalls auch eine solche des Angeklagten vor. Damit hat sich der Angeklagte nach § 316 Abs. 1 und 2 StGB strafbar gemacht.

 2. Die Begründung, mit der das Amtsgericht trotz Vorliegens eines Regelfalls nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB von der Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB und der Bestimmung einer Sperre gemäß § 69a StGB abgesehen hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

 Wird jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so entzieht ihm das Gericht die Fahrerlaubnis, wenn sich aus der Tat ergibt, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist, § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB.

 Nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB ist der Täter in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, wenn die rechtswidrige Tat im Sinne des § 69 Abs. 1 StGB – wie hier – ein Vergehen der Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 StGB ist.

 Ein Absehen von der in solchen Fällen indizierten Regelvermutung kommt nur bei Vorliegen besonderer Umstände in Betracht und ist auf seltene Ausnahmen beschränkt (BT-Drucksache IV/651, S.17), was auch für die Nutzung von E-Scootern bei einer Tat nach § 316 StGB gilt (OLG Frankfurt, Urteil vom 8. Mai 2023 – 1 Ss 276/22 –, Leitsatz, juris). Solche besonderen Umstände können u. a. bei notstandähnlichen Lagen oder einer derart langen Verwahrung des Führerscheins vor der Urteilsfindung, durch welche der Zweck der Maßregel bereits erreicht worden ist, vorliegen (BT-Drucksache, a. a. O.).

 Die vom Amtsgericht aufgeführten Gründe tragen die Annahme eines solchen Ausnahmefalls nicht. Insbesondere kann die Nutzung eines E-Scooters als Kraftfahrzeug im Sinne des § 1 Abs. 2 StVG an sich ein Absehen von der Regelvermutung nicht begründen. Denn es handelt sich hier um einen Umstand, der den Regelfall gerade begründet. Der Gesetzgeber hat für E-Scooter keine Ausnahmeregelung geschaffen (vgl. Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 24. Juli 2020 – 205 StRR 216/20 –, Rn. 27, juris; OLG Frankfurt, a. a. O., Rn. 10). Die in § 1 Abs. 3 StVG benannten Fortbewegungsmittel unterscheiden sich von einem E-Scooter dadurch, dass sie jedenfalls auch durch Muskelkraft fortbewegt werden.

 Anders als das Amtsgericht meint, kann die Nutzung eines E-Scooters zur Verwirklichung einer Straftat der Trunkenheit im Verkehr nicht stets als mildernder Umstand bewertet werden. Die Wirkung der Vermutung geht dahin, dass eine die Ungeeignetheit positiv begründende Gesamtwürdigung nur erforderlich ist, wenn ernsthafte Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich ein Ausnahmefall ergeben könnte, dass also die Tat Ausnahmecharakter hat (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 6. September 2016 – 3 (5) Ss 473/16 –, Rn. 8, juris; Fischer, StGB, 70. Auflage 2023, § 69 Rn. 22). Die Auffassung des Amtsgerichts hätte hingegen zur Konsequenz, dass eine – bei § 69 StGB für den Regelfall gerade nicht gewollte – Gesamtwürdigung immer geboten wäre, um den „mildernden“ Umstand der Nutzung eines E-Scooters überhaupt einfließen zu lassen. Ob ausnahmsweise von der Regelvermutung abzusehen ist, hängt jeweils von den Umständen des konkreten Einzelfalles ab, nicht aber von dem genutzten Kraftfahrzeug, das den Regelfall erst begründet.

 Soweit das Amtsgericht ausführt, der Angeklagte habe sich im Nachgang kritisch mit seinem Alkoholkonsum auseinandergesetzt, ist auch das rechtsfehlerhaft. Es wird schon nicht vereinzelt, wie und in welchem Umfang der Angeklagte dies getan sowie welche Erkenntnisse er hieraus für seine Persönlichkeit gezogen haben soll. Zudem ist bereits eine Teilnahme an einem Nachschulungskurs oder an einer psychotherapeutischen Behandlung für sich genommen nicht ohne Weiteres ausreichend, um den vermuteten Eignungsmangel zu widerlegen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 6. September 2016 – 3 (5) Ss 473/16 –, Rn. 8, juris). Dies muss dann aber erst Recht für eine eigenständige Auseinandersetzung mit den Hintergründen der Straftat gelten.

 Für die Begründung eines Ausnahmefalles kann ferner nicht darauf abgestellt werden, dass der Angeklagte lediglich eine kurze Fahrstrecke zurückgelegt hat. Zwar ist es im Ausgangspunkt zutreffend, dass es gegen die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB sprechen kann, wenn ein alkoholbedingt fahruntauglicher Täter sein Fahrzeug lediglich eine kurze Strecke bewegt. Der vorliegende Fall ist aber bereits ersichtlich nicht mit einer Konstellation vergleichbar, in welcher der Täter nur eine kurze Strecke besonders vorsichtig gefahren ist, etwa zum Umparken seines Pkw oder zur Beseitigung eines verkehrswidrigen Zustandes. Bei einer Fahrdauer von ca. vier Minuten bzw. einer Fahrstrecke von ungefähr einem Kilometer handelt es sich nicht mehr um eine kurze Strecke oder Fahrdauer.

 Dass eine Trunkenheitsfahrt ein einmaliges Versagen war, rechtfertigt es im Allgemeinen ebenfalls nicht, von der Regelvermutung abzusehen (KG Berlin, Urteil vom 10. Juli 1980 – 3 Ss 103/80 –, juris), was auch für eine längere Fahrpraxis gilt (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 8. März 2007 – 2 Ws 43/07 –, Rn. 20, juris; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 24. Juli 2020 – 205 StRR 216/20 –, Rn. 38, juris). Warum der Fall hier anders liegen könnte, ist dem Urteil ebenfalls nicht zu entnehmen. Das Amtsgericht hat zudem eine längere Fahrpraxis nicht festgestellt. Den Urteilsgründen kann insoweit nur entnommen werden, der Angeklagte habe bereits vor der Tat E-Scooter benutzt. Weitere Ausführungen zur Teilnahme des Angeklagten am Straßenverkehr als Kraftfahrzeugfahrer enthält die Entscheidung hingegen nicht.

 Der weiteren Argumentation des Amtsgerichts hinsichtlich eines allgemeinen Bewusstseins über eine Sanktionsschwere ist entgegenzuhalten, dass diese nicht belegt und zur Widerlegung der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB im Rahmen einer individuellen Gefahrenprognose zudem ungeeignet ist.

 Rechtsfehlerhaft unbeachtet hat das Amtsgericht bei seiner Bewertung schließlich das Motiv des Angeklagten für die Fahrt gelassen. Dieser wollte einen Freund besuchen und nutzte den E-Scooter, um schneller voranzukommen, was – anders als z.B. in der Fallkonstellation des Umparkens des Pkw zur Beseitigung eines verkehrswidrigen Zustandes – kein anerkennenswertes Motiv darstellt.

 3. Der Rechtsfolgenausspruch ist im Gegensatz zum Antrag der Generalstaatsanwaltschaft insgesamt aufzuheben. Eine weitere Beschränkung des Rechtsmittels innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs auf das Absehen von der Entziehung der Fahrerlaubnis und der Bestimmung einer Sperrfrist für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis ist hier nicht wirksam geschehen.

 Zutreffend führt die Generalstaatsanwaltschaft zwar aus, dass die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel nur mit Ausführungen zu diesem Beschwerdepunkt begründet hat, was eine solche Beschränkung begründen könnte (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 8. Mai 2023 – 1 Ss 276/22 –, Rn. 2, juris).

 Eine Rechtsmittelbeschränkung innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs ist aber nur dann möglich, wenn solche Beschwerdepunkte betroffen sind, die einer rechtlich und tatsächlich selbständigen Beurteilung, losgelöst vom nichtangegriffenen Teil der Entscheidung, zugänglich sind; dies gilt jedoch bei der Nachprüfung einer Maßregelanordnung – auch im Falle der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB – nicht, wenn im Einzelfall eine untrennbare Wechselwirkung zum Strafausspruch besteht (BGH, Urteil vom 8. März 2000 – 3 StR 575/99 –, Rn. 8, juris). Eine solche untrennbare Wechselwirkung fehlt, wenn sich aus dem tatrichterlichen Urteil ergibt, dass der Strafausspruch nicht von der Entscheidung über die Maßregel beeinflusst ist, die Strafe also nicht wegen der Anordnung der Maßregel niedriger oder wegen ihrer Ablehnung höher angesetzt wurde, und zudem der Rechtsmittelführer auch keine zugleich für das Strafmaß und die Maßregelanordnung bedeutenden Tatsachen angreift, so dass es nur noch um die rechtliche Bewertung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Anordnung der Maßregel oder ihre Ablehnung auf dem Boden der getroffenen Feststellungen geht (Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 14. September 2020 – Ss 40/20 (40/20) –, Rn. 13, juris; OLG Dresden, Urteil vom 9. Juli 2005 – 2 Ss 130/05 –, Rn. 6 bis 10, juris).

 Da das Amtsgericht bei der Verhängung des Fahrverbots aber ausdrücklich auf § 44 Abs. 1 Satz 3 StGB abgestellt hat, ist eine Wechselwirkung zwischen dessen Anordnung und dem Absehen von der Entziehung der Fahrerlaubnis im konkreten Fall anzunehmen. Daher kann auch die Anordnung des Fahrverbots keinen Bestand haben. Dem steht die Entscheidung des Oberlandesgericht Frankfurt vom 8. Mai 2023 (1 Ss 276/22) nicht entgegen, da in jenem Fall eine solche Wechselwirkung ausgeschlossen werden konnte (Rn. 2 und 4, juris).

 Aufgrund der Ausführungen des Amtsgerichts zum Zweck des Fahrverbots, mit dem zielgenaue, spürbare und schuldangemessene Einwirkung auf den Angeklagten erreicht werden sollte, kann eine solche Wechselwirkung darüber hinaus zwischen dessen Anordnung und der verhängten Geldstrafe zumindest nicht ausgeschlossen werden, weshalb auch insoweit der Strafausspruch aufzuheben war.

 4. Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Es ist nicht ausgeschlossen, dass neue Feststellungen getroffen werden können, die geeignet sind, die Regelvermutung tragfähig zu widerlegen (vgl. OLG Frankfurt, a. a. O., Rn. 14), zumal für die Feststellung der Ungeeignetheit im Sinne des § 69 StGB der Zeitpunkt der Urteilsfindung maßgeblich ist (BGH, Beschluss vom 11. September 1991 – 3 StR 345/91 –, Rn. 3, juris). Zudem kann das Amtsgericht ggf. (weitere) Kriterien für die Bemessung der Sperrfrist (vgl. Fischer StGB, 70. Aufl., 2023, § 69a Rn. 15ff.), insbesondere prognostische Umstände (Fischer, a. a. O., Rn. 19), feststellen. Diese Feststellungen dürfen den rechtskräftigen Feststellungen zum Tathergang jedoch nicht widersprechen.

 Der Senat hebt die angefochtene Entscheidung daher im Rechtsfolgenausspruch auf und verweist die Sache mitsamt der zugehörigen Feststellungen an eine andere Abteilung des Amtsgerichts (§ 354 Abs. 2 StPO) zurück.

OLG Braunschweig Urt. v. 30.11.2023 – 1 ORs 33/23, BeckRS 2023, 36371

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