Auslagenerstattung bei Einstellung wegen Verjährung: Nur Ausnahmsweise muss der Betroffene nach Verjährung seine Auslagen selbst tragen

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 20.01.2024
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|856 Aufrufe

Der Betroffene hatte Glück (oder eine*n guten Verteidiger*in). Das Verfahrenw urde nämlcih wegen Verjährungseintritts eingestellt. Die Kostenentscheidung ging jedoch u.a. dahin, dass die Staatskasse nicht die notwendigen Auslagen des Betroffenen übernimmt. Dem gefiel das natürlich überhaupt nicht. Und seine sofortige Beschwerde hatte richtigerweise Erfolg:

 

1. Auf die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin … gegen die Auslagenentscheidung im Beschluss des Amtsgerichts Eisenach vom 23.08.2023 wird dieser aufgehoben und dahingehend neu gefasst, dass die Staatskasse auch die notwendigen Auslagen der Betroffenen … trägt.

 2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

 Gründe: 

 I.

 Gegen die Beschwerdeführerin richtete sich ein Bußgeldbescheid der Stadt Eisenach vom 16.01.2023, mit dem ihr das Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften am 29.09.2022 um 23 km/h vorgeworfen wurde. Die Ermittlung zur tatsächlichen Person der Beschwerdeführerin konnte jedoch erst am 22.12.2022 abschließend und erfolgreich durchgeführt werden. Zuvor war unter dem 19.10.2022 und dem 17.11.2022 die Halterin des Fahrzeuges mit dem die Beschwerdeführerin gefahren war, die Tochter der Beschwerdeführerin, erfolglos zur Fahrerermittlung angeschrieben worden. Infolge dessen wurde unter dem 22.12.2022 die Halteranschrift durch Polizeibeamte aufgesucht und lediglich die Beschwerdeführerin angetroffen. Aufgrund der sich in der Akte befindlichen Lichtbilder konnte die Beschwerdeführerin jedoch als Fahrerin zur Tatzeit durch die Beamten vor Ort identifiziert werden. In der Folge wurde die Beschwerdeführerin unmittelbar mit dem Tatvorwurf konfrontiert, wollte sich zu diesem aber nicht weiter äußern. Sodann erging unter dem 03.01.2023 ein förmliches Anhörungsschreiben an die Beschwerdeführerin, auf das diese jedoch nicht reagierte. Nach einem weiteren Auskunftsersuchen seitens der Stadt Eisenach erging unter dem 16.01.2023 der vorliegende Bußgeldbescheid, der der Beschwerdeführerin am 18.01.2023 zugestellt wurde. Unter dem 01.02.2023 erhob diese durch anwaltlichen Schriftsatz Einspruch und beantragte umfassende Akteneinsicht.

 Anschließend erfolgt am 26.05.2023 eine Terminierung durch das Amtsgericht Eisenach auf den 28.08.2023. Mit Schriftsatz von 20.03.2023 und 26.06.2023 wies die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin jedoch auf die ab dem 28.12.2022 eingetretene Verfolgungsverjährung hin. Das Gericht fragte daraufhin bei der Polizei an, ob am 22.12.2022 eine mündliche Anhörung der Beschwerdeführerin erfolgt sei. Mit Schreiben vom 15.07.2023 wurde seitens der Polizeiinspektion … insoweit mitgeteilt, dass keine mündliche Anhörung erfolgt sei. Infolgedessen kam es zur Terminsaufhebung und dem vorliegend teilweise angegriffenen Beschlusses des Amtsgerichts Eisenach vom 23.08.2023, Aktenzeichen 3 OWi 310 Js 10749/23. Durch diesen wurde das Verfahren gegen die Beschwerdeführerin nach § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 206 a StPO eingestellt und die Kosten der Staatskasse auferlegt. Die notwendigen Auslagen sollten jedoch durch die Beschwerdeführerin selbst getragen werden. Begründet wurde diese vorliegend einzig angegriffene Auslagenentscheidung damit, dass ohne das Verfahrenshindernis nach derzeitigen Aktenstand eine Verurteilung zu einer Geldbuße sehr wahrscheinlich erfolgt worden sei. Im Übrigen wird auf den Beschluss verwiesen.

 Gegen diesen Beschluss erhob die Beschwerdeführerin unter dem 12.09.2023 sofortige Beschwerde im Hinblick auf die Auslagenentscheidung und begründete dies insbesondere damit, dass eine Entscheidung nach § 467 Abs. 3 StPO nur bei Schuldspruchreife und damit insbesondere nach vollständig durchgeführter Hauptverhandlung und dem letzten Wort des Angeklagten möglich sei. Ähnliche Ausführungen erfolgten in einem weiteren Schriftsatz vom 13.09.2023. Auf den Inhalt der Schriftsätze wird Bezug genommen.

 Das Amtsgericht leitete die Beschwerde weiter und führte dabei erneut aus, dass ohne das Verfahrenshindernis sehr wahrscheinlich mit einer Verurteilung zu rechnen gewesen wäre. 

 Die Staatsanwaltschaft beantragte,

 die Beschwerde zu verwerfen.

 II.

 Die Beschwerde des Beschwerdeführers ist wegen der grundsätzlichen Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde in der Hauptsache auch als isolierte Kostenbeschwerde statthaft und im Übrigen zulässig, §§ 46 OWiG i.V.m. §§ 464 Abs. 3, 206a Abs. 2, 311, 306 Abs. 1 StPO. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Die Beschwerdekammer kann vorliegend in der Sache selbst entscheiden, §§ 46 OWiG i.V.m. § 309 Abs. 2 StPO. Dabei ist es auch nicht an die Ermessensentscheidung des Erstrichters gebunden, sondern übt sein eigenes Ermessen aus. Demnach war die Auslagenentscheidung dahingehend abzuändern, dass die Beschwerdeführerin von den diesbezüglichen Belastungen frei bleibt.

 Die Auferlegung der Auslagen der Beschwerdeführerin zum Nachteil derselben hat auch unter Berücksichtigung der Regelung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO keinen Bestand. So schließt sich die Kammer zunächst der Auffassung an, wonach die Vorschrift auch dann anwendbar ist, wenn die Verfahrenseinstellung vor oder außerhalb der Hauptverhandlung erfolgt. (Dazu: Meyer-Goßner/schmitt, 64. Aufl. 2021, § 467, Rdn. 16 ff. m.w.N. und BeckOK, StPO, 48. Ed. 1.7.2023, § 467, Rdn. 13 m.w.N.) Es berücksichtigt dabei insbesondere den Umstand, dass die eng auszulegende Ausnahmevorschrift keine strafähnlich wirkende Schuldfeststellung trifft und daher keinen Verstoß gegen die in Art. 6 Abs. 2 MRK verankerte Unschuldsvermutung darstellt. (MüKo, StPO, 1. Aufl. 2019, StPO § 467, Rdn. 2 m.w.N.) Nach der Vorschrift des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO kann zwar grundsätzlich von der Kostenauferlegung abgesehen werden, wenn das Gericht das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses – hier der Verfolgungsverjährung – einstellt, es aber bei Hinwegdenken dieses Hindernisses mit Sicherheit zu einer Verurteilung gekommen wäre (BGH NStZ 1995, S. 406). Dabei handelt es sich jedoch um eine Ausnahmevorschrift, die eng auszulegen ist, daher muss ein „erheblicher Tatverdacht“ bestehen (OLG Jena Beschl. v. 11.01.2007 – 1 Ws 195/05 = NStZ-RR 2007, S. 254). Hinsichtlich der insoweit zu treffenden Prognose über den mutmaßlichen Verfahrensausgang ohne Schuldfeststellung ist auf die bisherige Beweisaufnahme, notfalls auch auf die reine Aktenlage zurückzugreifen. Da das Ermessen („kann davon absehen“) jedoch erst dann und nur dann eröffnet ist, wenn das Gericht (bereits) davon überzeugt ist, dass der Betroffene, ohne das Verfahrenshindernis verurteilt werden würde, müssen zu dem Verfahrenshindemis als alleinigem der Verurteilung entgegenstehendem Umstand demnach weitere besondere Umstände hinzutreten, die es billig erscheinen lassen, dem Betroffenen die Auslagenerstattung zu versagen (BVerfG [3. Kammer des 2. Senats] Beschl. v. 26.05.2017 – 2 BvR 1821/16 = NJW 2017, S. 2459).

 Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegen die Voraussetzungen des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO vorliegend gerade nicht vor. Die gilt auch unabhängig davon, ob hinsichtlich der Beschwerdeführerin ein hinreichender und erheblicher Tatverdacht für die ihr vorgeworfene Tat bestand, worauf zumindest – im Einklang mit den Ausführungen des Amtsgerichts – sämtlich in der Akte befindlichen Unterlagen, die nach der einschlägigen obergerichtlichen eine tragfähige Verurteilung ermöglichen würden (Annahme der Fahrereigenschaft (Lichtbildvergleich), den Tatvorwurf stützendes Messprotokoll sowie Geschwindigkeitsmessblatt nebst Schulungsnachweis und Eichurkunde), hinweisen. Dies begründet sich damit, dass es vorliegend jedenfalls an dem Hinzutreten weiterer besonderer Umstände (sowie entsprechenden diesbezüglichen Ausführungen des Amtsgerichts dazu) fehlt, da das Verfahrenshindernis schon vor Erlass des Bußgeldbescheides und damit auch schon vor Einleitung des gerichtlichen Verfahrens bestand. So war vorliegend – entsprechend der polizeilichen Stellungnahme – gerade keine verjährungshemmende Anhörung der Beschwerdeführerin am 22.12.2022 erfolgt, sodass die Verjährung noch Ende Dezember 2022 eintrat. Gleichwohl erging unter dem 16.01.2023 der streitgegenständliche Bußgeldbescheid. Damit lag der Eintritt des Verfahrenshindemisses noch weit vor Eröffnung des Hauptverfahrens, sodass eine Auslagenaufbürdung auf den Betroffenen grundsätzlich auszuscheiden hat. (Dazu: Meyer-Goßner/schmitt, 64. Aufl. 2021, § 467, Rdn. 18 m.w.N. und Gercke/Temming/Zöller, StPO; 7. Auflage 2023, § 467 StPO, Rdn. 10 f. m.w.N.) Anhaltspunkte, die ausnahmsweise eine andere Einschätzung ermöglichen würden, sind hingegen weder aus der Akte, noch aus dem angegriffenen Beschlusses ersichtlich. Dies gilt umso mehr, da der Umstand des Verjährungseintritts auch von vornherein für alle erkennbar und der Eintritt des Verfahrenshindernisses vorhersehbar war, sodass die entstandenen Kosten vorliegend vielmehr der staatlichen Sphäre zuzurechnen sind und es somit bei der Regelung des § 467 Abs. 1 StPO verbleibt.

 Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 StPO analog, § 46 Abs. 1 OWiG.

LG Meiningen Beschl. v. 6.10.2023 – 6 Qs 122/23, BeckRS 2023, 32338

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