Von den AVB Wassersportkasko 2012 habe ich keine Ahnung

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 22.01.2024
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|713 Aufrufe

....gleichwohl mag diese Entscheidung die/den ein*e oder andere*n Verkehrsrechtler*in interessieren. Es geht um ein auf der Schlei beschädigtes Boot der Klägerin und Kaskoansprüche gegen ihre Versicherung. Leitsätze: Die AVB Wassersportkasko 2012 gebieten nicht, dass der Inhaber einer Fahrererlaubnis das versicherte Boot eigenhändig steuert. Hilfeleistung für Havaristen ist unter Sportbootführern üblich. Wer sich zum Zweck der Hilfeleistung einem havarierten Boot annähert, handelt fahrlässig, aber nicht grob fahrlässig, wenn er sich nicht der genauen Lage einer Untiefe vergewissert und dabei mit geringer Geschwindigkeit fährt.

 

Hier der Volltext:

 Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.783,19 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 02.12.2022 zu zahlen.

 Die Widerklage wird abgewiesen.

 Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

 Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

 Der Streitwert wird auf 9.066,37 € festgesetzt (4.783,19 € für die Klage, 4.283,18 € für die Widerklage).

 Tatbestand: 

 Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer Bootskaskoversicherung.

 Die Klägerin ist Eigentümerin eines Motorbootes Typ G. C, Baujahr 2001, Bootsname N. Das Boot war mit zwei sogenannten Z-Antrieben mit je 147 kW ausgestattet. Bei dieser Antriebsform befindet sich die Motoren im Rumpf des Bootes, der Antrieb selbst ist am Spiegel befestigt. Das Boot wird über den Schaft und den Propeller der Antriebe gesteuert. Es hat einen Tiefgang von 90 cm. Die Klägerin unterhielt bei der Beklagten eine Wassersportkaskoversicherung für das Boot. Vereinbart waren die Allgemeinen Bedingungen für die Kasko-Versicherung von Wassersportfahrzeugen, Fassung Januar 2012 (AVB Wassersport Kasko 2012). Wegen der Einzelheiten wird auf die Bedingungen Blatt 74 f. der Akte verwiesen.

 Am 09.10.2021 befuhr die Klägerin mit ihrem Ehemann, dem Zeugen H., die Schlei in Richtung Ka... schleiaufwärts. Gegen 12:35 Uhr leisteten sie Schlepphilfe für das Segelboot M., das kurz vor Ka...-Gr. westlich des Fahrwassers in der Mündung Neue Gr... Aue auf Grund gelaufen war. Dabei steuerte der Ehemann der Klägerin die N.. Die Klägerin ist Inhaberin des Sportbootführerscheins ..., ihr Ehemann hat keinen Sportbootführerschein. Nachfolgend meldete die Klägerin der Beklagten Schäden am Antrieb, wobei die Ursache der Schäden streitig ist. Die Klägerin trug in das Logbuch unter Vorkommnisse ein: „Seglerhilfe mit Grundberührung in Ka..., 54 Grad 40‘ 20.7“ N, 9‘ 56‘ 36“ E“. Sie übersandte die Logbuchseite mit E-Mail vom 27.04.2022 an die Beklagte mit Angaben zum Ablauf des Manövers. Wegen der Einzelheiten wird auf die E-Mail vom 27.04.2022, Anlage B1, Bezug genommen. Die Beklagte holte ein Gutachten des Sachverständigen F. ein. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten vom 25.04.2022, Anlage B 7, Bezug genommen. Die Klägerin ließ die Antriebe reparieren. Hierfür wandte sie 9.566,37 € auf. Die Beklagte zahlte hiervon 50% abzüglich einer Selbstbeteiligung in Höhe von 500,00 €, insgesamt 4.283,18 €.

 Die Klägerin behauptet, das Motorboot sei beim Versuch, das Segelboot abzuschleppen, durch eine Grundberührung beschädigt worden. Sie hätten die eigene Geschwindigkeit verringert, vom Segler hätten sie die Angabe erhalten, dieser habe ein Tiefgang von 180 cm. Man sei langsam und behutsam vor die M. gefahren, um dort eine Leine aufzunehmen. Noch vor Ankunft habe sich der erste Antrieb in die Sicherheitseinstellung, den sogenannten Beach-Modus geschaltet. Zu diesem Zeitpunkt habe die N. Grund berührt. Der zweite Antrieb sei in den Beach-Modus hochgefahren, sodann habe die N. langsam aus dem Schlamm befreit werden und die Rettungsaktion fortgesetzt werden können. Die M. habe abgeschleppt und befreit werden können. Das Navigationssystem habe eine Tiefe von 2 m angezeigt, die Fahrrinne sei nicht verlassen worden.

 Die Klägerin beantragt,

 die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.783,19 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.12.2022 zu zahlen.

 Die Beklagte beantragt,

 die Klage abzuweisen, sowie widerklagend,

 die Klägerin zu verurteilen, an sie 4.283,18 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

 Die Klägerin beantragt,

 die Widerklage abzuweisen.

 Die Beklagte ist der Auffassung, die Klägerin habe die Schäden vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt. Sie behauptet, die Klägerin habe ihr und dem Sachverständigen F. gegenüber einen falschen Unfallort und Ablauf angegeben. Deswegen sei sie – die Beklagte – leistungsfrei. Sie ist der Ansicht, die Klägerin habe die N. selbst steuern müssen. Sie behauptet, an der angeblichen Unfallstelle weise ein Seezeichen auf die Untiefe hin, in den Seekarten sei ein weißes Kreuz in grünem Umkreis eingezeichnet, danach sei der Bootsführer gehalten, die Tiefe zu loten. Bei guter Seemannschaft habe sie sich dem bereits auf Grund gelaufenen Havaristen nur unter ständigem Loten und zusätzlicher Vergewisserung durch Staken nähern dürfen. Die Antriebe seien bereits vor Eintritt des Schadens manuell in den Beach-Modus geschaltet worden. Die Schadenschilderungen der Klägerin und des Zeugen H. seien nach den Feststellungen des gerichtlich beauftragten Gutachters unwahr. Es habe nur einen Anfahrtversuch gegeben, bei dem sich die Motoren bereits im Beach-Modus befunden hätten. Der Schaden sei technisch nur dadurch erklärlich, dass trotz Kenntnis von der Untiefe die Klägerin und der Zeuge H. nicht ständig die Tiefe überwacht hätten. Das Manöver sei mit höchster Propellerleistung und überhöhter Geschwindigkeit gefahren worden.

 Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30.05.2023 Bezug genommen. Das Gericht hat weiter Beweis erhoben durch Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. K.. Wegen des Ergebnisses wird auf das Gutachten vom 26.06.2023 sowie das Ergänzungsgutachten vom 08.08.2023 Bezug genommen.

 Entscheidungsgründe: 

 Die Klage ist begründet, die Widerklage unbegründet.

 1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch aus einem Kaskoversicherungsvertrag gemäß § 1 VVG, 3.1 AVB Wassersportkasko.

 1.1. Dass ein Versicherungsvertrag bestand, der die Deckung von Schäden am Boot in der geltend gemachten Höhe grundsätzlich vorsieht, steht nicht im Streit.

 1.2. Ebenfalls steht fest, dass der Versicherungsfall eingetreten ist. Versichert ist nach Nr. 3 AVB Wassersportkasko 2012 die Beschädigung des Fahrzeugs durch Unfall, Strandung oder An-Grund-Geraten. Das Boot der Klägerin ist durch Grundberührung beschädigt. In der Kaskoversicherung muss der Versicherungsnehmer darlegen und beweisen, dass ein Unfall o. ä. Ereignis im Sinne der Versicherungsbedingungen stattgefunden hat. Kann der Sachverhalt im Einzelnen nicht aufgeklärt werden, steht jedoch fest, dass die Schäden nach Art und Beschaffenheit nur auf einem Unfall im versicherten Zeitraum beruhen können, reichen diese Feststellung aus, um die Einstandspflicht des Versicherers zu begründen (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.04.2021, 12 U 333/20, Rn. 55). Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass das Motorboot der Klägerin durch Auflaufen auf eine Untiefe beschädigt worden ist. Dafür spricht schon das Vorbringen der Beklagten. Das von ihr vorgelegte Schadengutachten des Sachverständigen F. ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Beschädigungen dem Auflaufen auf eine Untiefe zugeordnet werden können. Auch der Sachverständige K. hat in seinem Gutachten vom 26.06.2023 ausgeführt, dass der Schaden an den Antrieben durch langsames Auflaufen auf eine Untiefe entstanden sein kann. Es liegt nahe, dass am Antrieb Schäden entstehen, wenn laufende Propeller den Grund berühren. Eine andere Schadensursache benennt auch die Beklagte nicht und ist für das Gericht deshalb auch nicht ersichtlich.

 1.3. Ein Ausschluss nach Ziffer 6.1 der Versicherungsbedingungen greift nicht. Ausgeschlossen sind danach Schäden, die vorsätzlich von dem Fahrzeugführer herbeigeführt worden sind. Zudem ist der Versicherer berechtigt, seine Leistungen in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeiführt.

 Dass die Klägerin den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat, steht nicht fest. Gelingt dem Versicherungsnehmer der Nachweis des Versicherungsfalls, trifft den Versicherer die Beweislast in vollem Umfang, dass er der Versicherungsnehmer oder einer seiner Repräsentanten den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat (vgl. OLG Karlsruhe, am angegebenen Ort).

 1.3.1. Vorsätzlich hätte die Klägerin gehandelt, wenn sie beim Einfahren in einen Flachwasserbereich gewusst und gewollt hätte, dass es zu einer Beschädigung der Antriebe kommen könnte. Zwar wusste die Klägerin, dass in ihrer Nähe eine Untiefe war. Dies war offensichtlich, da dort bereits ein Segelboot aufgelaufen war. Nicht ersichtlich ist indessen, dass sie auch nur billigend in Kauf genommen hat, selbst in das Flach einzufahren und dadurch ihr Boot zu beschädigen.

 Erfahrungsgemäß handelt es sich bei den meisten Segelbooten – wie auch hier – um Kielboote, die einen erheblich größeren Tiefgang als Motorboote haben. Es spricht deshalb alles dafür, dass die Klägerin davon ausging, sich bei der Annäherung von der Fahrwasserseite auch in Richtung des Bugs des Havaristen in ausreichend tiefem Wasser halten zu können. Dies gilt auch dann, wenn die Klägerin den Antrieb vor der Grundberührung manuell in den hochgeklappten sogenannten Beach-Modus geschaltet haben sollte, wie dies die Beklagte behauptet. Zwar ergäbe sich daraus, dass sie die Gefahr einer Grundberührung erkannt hätte, diese Verfahrensweise aber gerade Schäden wie die vorliegenden verhindern sollte. Dies legt nahe, dass sie darauf vertraute, ihr Boot nicht zu beschädigen. Das Gericht hat deshalb keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin Schäden an den Antrieben billigend in Kauf nahm.

 1.3.2. Die Klägerin handelte auch nicht grob fahrlässig. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit muss es sich bei einem grob fahrlässigen Verhalten um ein auch in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Fehlverhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt (vgl. Baumann in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. 2009, § 81 Herbeiführung des Versicherungsfalles, Rn. 67). Die Beweislast für die Voraussetzungen der groben Fahrlässigkeit liegt beim Versicherer.

 Im Ergebnis handelte die Klägerin fahrlässig, grob und unentschuldbar war ihr Fehlverhalten aber nicht:

 1.3.2.1. Grundberührungen an sich sind weder ungewöhnlich noch unentschuldbar.

 Die Schlei als gewundener Meeresarm der Ostsee hat eine durchschnittliche Breite von nur 1,3 km und Tiefe von 3 m. In der Schlei befinden sich zahlreiche flache Zonen, mit sandigen, schlammigen und steinigen Untergründen, die nicht immer durch Seezeichen gekennzeichnet sind. Der Wasserstand der Schlei schwankt im Tagesverlauf, je nach Windrichtung sind Strömungen bis zu 4 kmh an Engstellen möglich. Grundberührungen durch Boote sind bei diesen Bedingungen häufig und bleiben im Regelfall ohne Schäden.

 Auch an der von der Klägerin benannten Unfallstelle ist es nicht ungewöhnlich und mithin auch nicht unentschuldbar, dass Boote auflaufen.

 Diese liegt an einer engen Passage des Fahrwassers. Dem Gericht ist aus eigener Anschauung und aus Gesprächen mit Seglern bekannt, dass wegen der schwierigen Verhältnisse an dieser Untiefe häufig Boote auflaufen – so wie ja auch die M. aufgelaufen ist.

 Das an dieser Stelle häufig stark befahrene und auch von Berufsschifffahrt genutzte Fahrwasser verläuft in südlicher Richtung nicht in direkter Linie zwischen dem Brückenkopf des Hafens Gr. und der Steuerbordfahrwassertonne Nummer 23, vielmehr ragt eine Untiefe in die Linie Gr./Tonne 23 hinein. Auch kann dem Steuerbordtonnenstrich (gedachte Gerade von Fahrwassertonne zu Fahrwassertonne) von Tonne 23 zu Tonne 25 nicht sicher gefolgt werden, da das Fahrwasser sich in westlicher Richtung krümmt, so dass im Tonnenstrich die Untiefentonne El. Nord und die Backbordtonne 26 liegen. Westlich des Fahrwassers wird es in diesem Bereich abrupt flach bis zu 0,8 m bei mittlerem Wasserstand. Dort befindet sich auch nicht – wie dies die Beklagte behauptet – ein Hinweiszeichen, wie es in der von der Beklagten vorgelegten Karte durch einen grünen Kreis mit einem weißen Kreuz gekennzeichnet ist. In der von der Beklagten herangezogenen Navigationsapp O. – deren Funktionen dem Gericht bekannt sind – bedeutet dieses Symbol vielmehr, dass ein Nutzer der App zu dieser Position dem Anbieter einen besonderen Hinweis gegeben hat. Ein derartiges Seezeichen gibt es hingegen nicht und befindet sich auch nicht an dieser Stelle. Die Klägerin hat diese App nicht benutzt und muss dies auch nicht.

 1.3.2.2. Nicht fahrlässig war, dass sie ihrem Ehemann, dem Zeugen H., bei dem Schleppmanöver das Steuer überließ. Dadurch hat die Klägerin keinerlei gesetzliche oder vertragliche Pflichten verletzt. Zwar führen Verstöße gegen Führerscheinvorschriften nach 6.2.9 der AVB Wassersportkasko 2012 zu einem Haftungsausschluss. Ein solcher Verstoß lag indessen nicht vor. Die N. war nach § 4, 5 Sportbootsführerscheinverordnung auf einer Seeschifffahrtsstraße führerscheinpflichtig. Die Schlei ist im Bereich der angeblichen Unfallstelle Seeschifffahrtsstraße. Nach § 12 Abs. 1 Satz 4 Sportbootführerscheinverordnung darf der Schiffseigentümer nicht anordnen oder zulassen, dass ein Fahrzeug ohne die hierfür vorgeschriebene Fahrerlaubnis geführt wird. Zwar hat der Zeuge H. keine Fahrerlaubnis für das Sportboot. Er führte das Boot indessen nicht selbst, indem er Ruder ging. Gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 Sportbootführerscheinverordnung führt ein Sportboot nicht, wer es unter ständiger Aufsicht des Schiffsführers steuert. Der Zeuge H. befand sich unter Aufsicht der Klägerin. Die Klägerin war an Deck anwesend, wach und konnte dem Rudergänger jederzeit Anweisungen erteilen. Im Übrigen ist es weder auf Sportbooten noch in der Berufsschifffahrt vorgeschrieben oder auch nur üblich, dass der Schiffsführer eigenhändig durchgehend, in schwierigen Situationen oder überhaupt steuert.

 1.3.2.3. Der Umstand, dass die Klägerin das Fahrwasser möglicherweise verlassen hat, war für sich genommen nicht sorgfaltswidrig. Die Schlei ist auch außerhalb des Fahrwassers grundsätzlich befahrbar und wird auch in unbetonnten Bereichen befahren. Führer von Sportbooten sind nicht gehalten, sich stets und überall an das Fahrwasser zu halten, dies wäre vielmehr unüblich.

 1.3.2.4. Dass die Klägerin ungeeignetes Kartenmaterial verwendete, das die Wassertiefe nicht aufwies, ist nicht ersichtlich.

 1.3.2.5. Sorgfaltsanforderung war aber, sich an die in den Seekarten deutlich erkennbare Untiefe südwestlich der Fahrwassertonne 23 langsam heran zu tasten und die Wassertiefe über ein Lot ständig zu kontrollieren. Es spricht viel dafür, dass die Klägerin diesem Maßstab nicht entsprochen hat. Bei Annäherung an den Bug des Havaristen bestand die Gefahr, in flaches Wasser zu geraten. Die Klägerin hätte sich in Seekarten der genauen Position und des Verlaufs der Untiefe vergewissern müssen. Dann hätte sie auch erkannt, dass die Annäherung an den nach Süden zeigenden Bug des Havaristen riskant war, da die 2-Meter-Tiefenlinie in südlicher Richtung weiter in Richtung Fahrwasser verlief.

 Grob fahrlässig wäre es in dieser Situation gewesen, wenn die Klägerin das Boot mit überhöhter Geschwindigkeit geführt hätte, bei der sie nicht zügig aufstoppen konnte. Dass in ein erkennbares Flach, auf dem schon ein anderes Boot festsitzt, und das deutlich in den Karten eingezeichnet ist, nur langsam eingefahren werden darf, leuchtet jedem ein. Dass die Klägerin ihr Boot mit überhöhter Geschwindigkeit geführt hat, steht indessen nicht fest. Soweit unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von der Beklagten ins Feld geführten Entscheidung des LG Neubrandenburg (Urteil vom 14.04.2021, 3 O 3 537/19). Dort war der Schiffsführer trotz Kenntnis des Risikos einer Grundberührung ungebremst in einen Untiefenbereich gefahren, seine Geschwindigkeit betrug 20 kn, das fünffache der hier gefahrenen.

 Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass die Klägerin das Boot mit höchstens 4 kn geführt hat. Dass bei der Havarie die Geschwindigkeit in diesem Bereich gelegen haben muss, hat der Sachverständige K. festgestellt. Bei höheren Geschwindigkeiten wären nach seinen Ausführungen Risse und Brüche in den Aluminiumbauteilen entstanden. Risse und Brüche seien aber im Schadengutachten nicht dargestellt, so dass dieser Fall ausgeschlossen werden könne. Das Gericht hat keine Veranlassung, an diesen Feststellungen des Sachverständigen zu zweifeln. Dass höhere Geschwindigkeiten zu tiefergehenden Schäden an den Antrieben und am Boot führen können, leuchtet ohne weiteres ein. Plausibel ist eine hohe Geschwindigkeit auch nicht: Ein Schleppmanöver – hier die Annahme einer Leine – mit hoher Geschwindigkeit einzuleiten, wäre besonders gefährlich, sinnlos und deshalb ungewöhnlich. Gründe, aus denen die Klägerin oder der Zeuge H., die auf das Gericht einen besonnenen Eindruck machten, so unvernünftig handeln sollten, sind nicht erkennbar.

 Die Geschwindigkeit von bis zu 4 kn entspricht dagegen nach Auskunft des Sachverständigen normalem Manövrierverhalten und begründet deshalb keine grobe Fahrlässigkeit.

 1.3.2.6. Ebenso ergibt sich keine grobe Fahrlässigkeit aus dem von der Klägerin in ihrer persönlichen Anhörung geschilderten Ablauf, man sei zunächst langsam an den Bug des Havaristen herangefahren, dann sei ein Motor in den Beach-Modus gegangen, man habe sich dann erst frei gefahren, und dann noch einmal neben dem Segler die Leine angenommen. Zwar hätte ein sorgfältiger Schiffsführer möglicherweise den Schleppversuch gänzlich abgebrochen, wenn er bemerkte, dass die Wassertiefe nicht zum gefahrlosen Freischleppen ausreichte. Auch wäre die Annäherung an das Heck gefahrloser gewesen, da dort – aus Fahrtrichtung des Havaristen – das Wasser mutmaßlich tiefer war. Dieser Sorgfaltsverstoß wiegt indessen nicht schwer, denn es war wahrscheinlich, dass die Wassertiefe auf der zum Fahrwasser gewandten Seite des Havaristen bei dem geringen Tiefgang der N. ausreichen würde.

 Gegen einen strengen Bewertungsmaßstab spricht zudem, dass Hilfeleistung für Havaristen unter Sportbootführern üblich ist und nach den Erfahrungen des Gerichts jedenfalls als sittliche Verpflichtung angesehen wird, selbst wenn keine Gefahr für Leib oder Leben des Havaristen besteht. Es liegt auf der Hand, dass Schleppmanöver mit erhöhten Risiken verbunden sind. Es ist nicht unentschuldbar, diese Risiken bei der Hilfeleistung für andere einzugehen, da jeder Sportbootführer selbst einmal auf fremde Hilfe angewiesen sein kann. Uneigennützige gegenseitige Hilfeleistung ist nicht nur im Interesse aller Schiffseigner, sondern auch der Versicherer, da dadurch Schäden an Booten durch Strandung, Kollision und Materialbruch verhindert werden können, Aufwendungen für Schleppen und Bergen werden vermieden. Die Bereitschaft zu diesen mitunter komplexen Manövern würde sinken, würden einfache, alltägliche Fehler den Versicherungsschutz gefährden.

 1.3.3. Das Verhalten der Klägerin bei der Schlepphilfe war mithin allenfalls fahrlässig, grobe Fahrlässigkeit kann das Gericht hingegen nicht feststellen.

 1.4. Die Beklagte ist auch nicht wegen der Verletzung einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung nach Nr. 15 der AVB Wassersportkasko 2012 leistungsfrei. Nach Nr. 14.3 ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, dem Versicherer alle im Zusammenhang mit dem Versicherungsfall gestellten Fragen nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig zu beantworten. Dass die Klägerin falsche Angaben zum Versicherungsfall, also zu Unfallort und -ablauf, gemacht hat, steht nicht fest.

 1.4.1. Sie hat die Unfallstelle in ihrem Schreiben vom 27.04.2022 (Anlage B1) nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig falsch angegeben. Die Klägerin hat ausdrücklich die Position als „ca.-Angabe“ bezeichnet, sie stand auch ausdrücklich unter dem Vorbehalt, dass die Position nachträglich ermittelt worden sei. Damit hat sie – für die Beklagte deutlich verständlich – klar gemacht, dass die Angabe unzutreffend sein kann.

 Hier spricht zudem alles dafür, dass die Klägerin sich geirrt hat. Die angegebene Position befindet sich am Rande des Flachs, also in der Nähe der Unfallstelle, allerdings noch im Fahrwasser. Dass sie während der Grundberührung und des Schleppmanövers die eigene Position nicht überprüft und festgehalten hat, ist verständlich, sie musste in diesem Moment das Manöver leiten. Gleiches gilt für ihre Angabe, sie habe die Fahrrinne nicht verlassen. Auch hier liegt ein Irrtum der Klägerin nahe. Wie oben ausgeführt ist der Verlauf des Fahrwassers an der Unfallstelle nicht einfach zu bestimmen. Auch dass der Zeuge H. in seiner Aussage immer noch davon ausging, sich während des gesamten Manövers im Fahrwasser befunden zu haben, spricht dafür, dass die beiden sich schlicht über den Fahrwasserverlauf geirrt haben.

 1.4.2. Ebenso hat die Klägerin nicht nachweislich vorsätzlich falsche Angaben zum Ablauf des Manövers gemacht. Sie hat dort angegeben, man sei nicht ins Flach gefahren, es habe sie völlig überrascht, dort auf Grund zu fahren.

 Dass diese Angabe falsch ist, steht nicht fest. Selbst wenn, wie der Sachverständige K. ausführt, die Antriebe nicht automatisch in den Beach-Modus nach Grundberührung gefahren sind, sondern die Klägerin oder der Zeuge H. die Flachwassereinstellung von Hand durchgeführt haben, so schließt dies nicht aus, dass die Klägerin davon überrascht war, aufzulaufen, weil sie sich über den Verlauf der Untiefe irrte und darauf vertraute, dass das Wasser tief genug war. Auch können die Antriebe sich automatisch in den Flachwassermodus gestellt haben oder von der Klägerin erst nach Grundberührung in diesen gestellt worden seien.

 Daraus, dass die Zeugen S. und S.E. in ihrer Vernehmung angegeben haben, es habe nur einen Anfahrt- und Schleppversuch gegeben, ergibt sich ebenfalls nicht, dass die Klägerin falsche Angaben über gegenüber der Beklagten gemacht hat. Die Zeugen S. konnten sich an viele Einzelheiten nicht erinnern: der Zeuge S. hat selbst eingeräumt, sich an die genauen Details nicht mehr erinnern zu können. Er konnte sich ebenso wie die Zeugin S.E. nicht daran erinnern, dass das Boot der Klägerin eine Grundberührung hatte. Die Zeugen waren nach ihren Angaben unter Zeitdruck, weil sie die Brückenöffnung in Ka... nicht verpassen wollten. Sie haben angegeben, sich aufgrund des Zeitablaufs auch nicht mehr an Details erinnern zu können.

 Ebenso ergibt sich keine falsche Angabe daraus, dass sie nicht angegeben hat, der Zeuge H. habe das Boot gesteuert. Zum einen hat diese Angabe keinerlei Auswirkungen auf die Feststellung des Versicherungsfalls oder den Umfang der Leistungspflicht (Nr. 15.3 AVB), da sie als Schiffsführerin nicht verpflichtet war, das Boot eigenhändig zu steuern. Zum anderen hat die Klägerin gegenüber der Beklagten auch nicht angegeben, eigenhändig gesteuert zu haben.

 Die Klägerin hat auch nicht falsch angegeben, sich vor dem Manöver nach dem Tiefgang des Havaristen erkundigt zu haben. In ihrer E-Mail vom 27.04.2022 hat sie zwar erklärt, laut Aussage der Eigner habe der Segler einen Tiefgang von 1,80 m gehabt. Selbst wenn man dies als Erklärung dahingehend versteht, dass die Zeugen S. und S.E. der Klägerin dies vor der Grundberührung gesagt haben sollen, so wäre diese Angabe nicht nachweislich falsch. Zwar konnten die Zeugen sich an eine Frage nach deren Tiefgang nicht erinnern. Die Zeugin S.E. konnte eine solche Frage aber auch nicht ausschließen. Der Zeuge S. glaubte, die Frage sei nicht gestellt worden, konnte sich aber nach eigenen Angaben an viele Einzelheiten wegen des Zeitablaufs auch nicht mehr erinnern.

 1.5. Die Schadenshöhe steht zwischen den Parteien nicht im Streit.

 Die ersatzfähigen Reparaturkosten in Höhe von 9.566,37 € sind damit abzüglich der Selbstbeteiligung in Höhe von 500,00 € vollständig zu erstatten. Abzüglich der gezahlten 4.283,18 € verbleibt damit die Klageforderung.

 2. Aus den vorgenannten Gründen hat die Widerklage keinen Erfolg. Die Beklagte ist aus dem Versicherungsvertrag verpflichtet, den geltend gemachten Unfallschaden zu ersetzen.

 3. Aufgrund des Schriftsatzes der Klägerin vom 13.11.2023, zu dem die Beklagte nicht mehr Stellung nehmen konnte, war nicht wieder in die Verhandlung einzutreten, das Gericht hat den Sachvortrag nicht berücksichtigt, auf den Sachvortrag in diesem Schriftsatz kam es für die Entscheidung nicht mehr an.

 4. Verzugszinsen kann die Klägerin ab Erfüllungsverweigerung gemäß § 286 Abs. 2 Nr.3 BGB verlangen.

 5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Vollstreckbarkeitsentscheidung aus § 709 ZPO.

 6. Die Wertfestsetzung folgt aus § 45 Abs. 1 Satz 1 GKG. Für den Gebührenstreitwert werden Klage und Widerklage zusammengerechnet.

AG Schleswig Urt. v. 24.11.2023 – 2 C 6/23, BeckRS 2023, 35638

 

 

 

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