Regelfahrverbot: Umgangsrechtsprobleme als persönliche Härte?

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 24.01.2024
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|684 Aufrufe

Unverhältnismäßig hart wirkende Härten können einen Grund darstellen, von einem Regelfahrverbot abzusehen. Im wesentlichen spielen dabei berufliche Härten eine Rolle in der Rechtsprechung. Aber auch sonstige, vor allem persönliche Härten, können ein Regelfahrverbot unverhältnismäßig hart wirken lassen. Das BayObLG hat hierzu gerade entschieden und ganz OLG-like das großzügige AG-Urteil kassiert. Zudem hat es dem AG erklärt, was/wie zu prüfen ist:

 

 a) Aufgrund der auch von den Gerichten zu beachtenden Vorbewertung des Verordnungsgebers in § 4 Abs. 1 BKatV ist das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG indiziert, so dass es regelmäßig der Anordnung eines Fahrverbotes als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme bedarf. Diese Bindung der Sanktionspraxis dient der Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer und der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der durch bestimmte Verkehrsverstöße ausgelösten Rechtsfolgen. Zu diesen Rechtsfolgen zählt nicht nur die Frage, ob gegen einen Betroffenen in der Regel ein Fahrverbot zu verhängen ist (§ 4 Abs. 1 Satz 1 BKatV), sondern auch, wie sich aus § 4 Abs. 1 Satz 2 BKatV ergibt, die in der Regel festzusetzende Dauer des aufgrund einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG verwirkten Fahrverbots. Ebenso wie von der Verhängung eines Regelfahrverbots nur dann gänzlich abgesehen werden kann, wenn wesentliche Besonderheiten in der Tat oder in der Persönlichkeit des Betroffenen anzunehmen sind und deshalb der vom Bußgeldkatalog erfasste Normalfall nicht vorliegt, ist der Tatrichter vor einem Abweichen von der im Bußgeldkatalog vorgesehenen Regeldauer des Fahrverbots gehalten zu prüfen, ob der jeweilige Einzelfall Besonderheiten aufweist, die ausnahmsweise die Verkürzung oder ein Absehen rechtfertigen können und daneben eine angemessene Erhöhung der Regelbuße als ausreichend erscheinen lassen. Hier wie dort können dabei sowohl außergewöhnliche Härten als auch eine Vielzahl minderer Erschwernisse bzw. entlastender Umstände genügen, um eine Ausnahme zu rechtfertigen (st.Rspr., vgl. nur BayObLG, Beschluss vom 10.07.2023 – 201 ObOWi 621/23 bei juris m.w.N.; OLG Bamberg, Beschluss vom 18.03.2014 – 3 Ss OWi 274/14 = DAR 2014, 332). Dabei ist für das Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte kennzeichnend, dass sie einerseits nicht durch zumutbare Maßnahmen abgefedert werden kann (vgl. nur KG, Beschluss vom 27.02.2023 – 122 Ss 16/23 bei juris = BeckRS 2023, 5142) und andererseits die Folgen der Vollstreckung des Fahrverbots für den Betroffenen in zeitlicher und/oder persönlicher Hinsicht über die typischerweise mit einem Fahrverbot verbundenen Erschwernisse und Unannehmlichkeiten hinausgehen (Burhoff [Hrsg.]/Deutscher, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl., Rn. 1473).

 Neben Fällen besonderer Härte kommt ein Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbots als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme auch dann in Betracht, wenn sie ihren Sinn verloren hat, weil die Tat lange zurückliegt, die für eine lange Verfahrensdauer maßgeblichen Umstände außerhalb des Einflussbereichs des Betroffenen liegen und dieser sich in der Zwischenzeit verkehrsordnungsgemäß verhalten hat. Steht – wie hier – ein mehrmonatiges Fahrverbot im Raum, wird diesem Umstand selbst bei einer langen Verfahrensdauer im Regelfall nicht durch einen gänzlichen Wegfall des Fahrverbots, sondern nur durch eine angemessene Herabsetzung seiner Dauer Rechnung zu tragen sein. Maßgeblich ist insoweit der Zeitraum zwischen der Tat und der letzten tatrichterlichen Verhandlung (vgl. nur BayObLG a.a.O. m.w.N.).

 b) Dies zugrunde gelegt begegnen die Erwägungen des Amtsgerichts rechtlichen Bedenken.

 aa) Zum einen lag zwischen der Tatzeit und der Aburteilung durch das Amtsgericht ein Zeitraum von weniger als 1 Jahr 2 Monaten und damit deutlich weniger als der Zeitraum, ab welchem ein Absehen von der Verhängung bzw. eine Verkürzung des Fahrverbots überhaupt erst in Betracht zu ziehen sind. Erst eine Zeitdauer von etwa zwei Jahren ist in diesem Zusammenhang geeignet, den Sinn des Fahrverbots infrage zu stellen. Angesichts der exorbitanten Geschwindigkeitsüberschreitung wäre im Übrigen auch in diesem Fall eine Abwägung durch den Tatrichter erforderlich gewesen (BayObLG a.a.O.).

 bb) Zum anderen vermag die Wertung des Amtsgerichts, die Einschränkung des Umgangsrechts des Betroffenen mit seinen Kindern im Falle der Verhängung eines Fahrverbots stelle eine außergewöhnliche Härte dar, nicht zu überzeugen.

 (1) Nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung kann sich eine außergewöhnliche Härte für einen Betroffenen sowohl aus beruflichen als auch aus sozialen Gründen ergeben. Ersteres ist beispielsweise der Fall, wenn eine massive Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz, mithin die konkrete Gefahr einer Existenzvernichtung vorliegt (BayObLG, Beschluss vom 31.07.2019 – 202 ObOWi 1244/19 bei juris [Rn. 6] = BeckRS 2019, 17044 m.w.N.; OLG Bamberg NZV 2010, 46 m.w.N.). Dabei hat das Gericht die Gefahr positiv festzustellen und die seiner Einschätzung zugrunde liegenden Tatsachen in den Urteilsgründen eingehend darzulegen (BayObLG a.a.O.). Für die Frage, ob die Auswirkungen des Fahrverbots auf nahestehende dritte Personen eine außergewöhnliche Härte darstellen, kann nichts anderes gelten.

 Die Frage, ob eine Einschränkung des Umgangsrechts das Absehen von einem Fahrverbot rechtfertigt, war, soweit ersichtlich, erst ein einziges Mal Gegenstand der obergerichtlichen Rechtsprechung. Das OLG Zweibrücken hat in diesem Zusammenhang entschieden, dass bei Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz eines Betroffenen und bei gleichzeitiger Einschränkung des Umgangsrechts das Absehen von einem Fahrverbot im konkreten Fall nicht zu beanstanden war (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 10.12.2015 – 1 OWi 1 Ss Bs 57/15 = ZfSch 2016, 294). Dass ein solches Absehen auch ohne das Vorliegen einer konkreten Existenzgefährdung rechtlich nicht zu beanstanden gewesen wäre, ist der vorgenannten Entscheidung nicht zu entnehmen.

 (2) Unter Berücksichtigung der vorgenannten strengen Maßstäbe erreichen die festgestellten Auswirkungen des Fahrverbots auf das Umgangsrecht mit seinen Kindern allein nicht den Schweregrad, der an das ausnahmsweise Absehen von der Verhängung zu stellen ist.

 Dem Betroffenen ist zuzugestehen, dass sein Umgangsrecht mit seinen Kindern gemäß Art. 6 GG Verfassungsrang genießt und dass die vom Amtsgericht festgestellten schlechten öffentlichen Verkehrsverbindungen in Verbindung mit der beträchtlichen Entfernung zwischen dem Wohnort des Betroffenen und dem Wohnort der Mutter der Kinder sowie den eingeengten finanziellen Verhältnissen zu einer erheblichen Erschwerung der faktischen Umgangsmöglichkeiten mit den Kindern während der Dauer der Vollstreckung des Fahrverbots führen werden, sollte es dem Betroffenen nicht gelingen, einen Freund oder Bekannten als kostenlosen Fahrer zu gewinnen.

 Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass selbst ein zweimonatiges Entfallen der persönlichen Umgangsmöglichkeit des Betroffenen mit seinen Kindern nicht den Schweregrad einer Existenzvernichtung erreicht, zum einen deshalb, weil ein bestimmtes Maß an Kontakt mit den Kindern auch über die Nutzung elektronischer Medien aufrechterhalten werden kann, vor allem aber, weil die Folgen, anders als bei der Existenzgefährdung, regelmäßig nicht über die Dauer des Fahrverbots hinausreichen. Konkrete Feststellungen dahingehend, dass die Einschränkung des persönlichen Umgangsrechts des Betroffenen mit seinen Kindern für die Dauer von zwei Monaten ausnahmsweise die konkrete Gefahr gravierender Folgen für deren seelische oder persönliche Entwicklung mit sich ziehen würde, dass sie über die Dauer der Verhängung eines Fahrverbots hinausreichen würden, hat das Amtsgericht nicht getroffen. Dieses beschäftigt sich lediglich mit der abstrakten Möglichkeit einer solchen Auswirkung, ohne hierzu jedoch konkrete Feststellungen zu treffen. Dies genügt jedoch ebenso wenig, wie die abstrakte Erwägung, dass ein Fahrverbot möglicherweise berufliche Folgen für den Betroffenen nach sich ziehen könnte. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Ausübung des Umgangsrechts des Betroffenen mit seinen Kindern in Anbetracht der schlechten Verkehrsverbindungen zwar deutlich erschwert, aber eben nicht schlechterdings unmöglich ist, zumal das Amtsgericht auch keine Feststellungen zu der Frage getroffen hat, warum es dem Betroffenen nicht möglich sein sollte, einen Freund oder Bekannten zumindest an einzelnen Tagen um die kostenlose Ausübung der Fahrdienste zu bitten. Soweit die Verteidigung des Betroffenen geltend macht, die Mutter der Kinder bestünde auf der strikten Einhaltung des vereinbarten Umgangsrechts, führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung des Sachverhalts, denn im Falle des Vorliegens außergewöhnlicher Umstände (beispielsweise einer schweren Erkrankung des Betroffenen), die einem Elternteil die Ausübung des Umgangsrechts mit seinen Kindern temporär unmöglich machen, ist es den Eltern zuzumuten, eine gemeinsame Regelung zur Wahrnehmung des Umgangsrechts während der Fortdauer der außergewöhnlichen Umstände zu treffen. Soweit die Verteidigung andeutet, dass sich die Mutter einer solchen Regelung verschließen könnte, sind seitens des Gerichts keine konkreten Tatsachen festgestellt.

 III.

 1. Aufgrund des aufgezeigten sachlich-rechtlichen Rechtsfehlers ist auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hin das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Lichtenfels zurückzuverweisen.

 2. Für die neuerliche Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

 a) Nachdem der Betroffene einen schweren Verkehrsverstoß begangen hat, für den ein mehrmonatiges Regelfahrverbot vorgesehen ist, hat der Tatrichter für den Fall, dass er erneut zum Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte gelangen sollte, zu prüfen und abzuwägen, ob zu deren Abwendung die Reduzierung der Dauer des Fahrverbots ausreicht (OLG Hamm, Beschluss vom 03.03.2022 – 5 RBs 48/22 bei juris [Rn. 51] = BeckRS 2022, 5633 m.w.N.).

 b) Sofern das Amtsgericht Prozessverhalten des Betroffenen bei der Frage, ob ein langer Zeitablauf ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots rechtfertigt, heranziehen möchte, hat es zu berücksichtigen, dass zulässiges Verteidigungsverhalten nicht zum Nachteil des Betroffenen gewertet werden darf. In diesem Zusammenhang hätte das Gericht zu erörtern, aufgrund welchen konkreten Verhaltens des Betroffenen es von einer Überschreitung des zulässigen Verteidigungsverhaltens ausgeht.

 c) Sollte das Amtsgericht erneut von der Verhängung des Regelfahrverbots bei gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße absehen, wird es zu beachten haben, dass gemäß § 24 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 5 StVG i.V.m. § 17 Abs. 2 OWiG der Bußgeldrahmen für den hier vorliegenden Vorwurf der fahrlässigen Ordnungswidrigkeit maximal bis 1.000 Euro reicht.

BayObLG Beschl. v. 7.11.2023 – 201 ObOWi 1115/23, BeckRS 2023, 35645

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