OWi-Klassiker: Ermächtigung zur Einspruchsrücknahme....kann in der allgemeinen Rücknahmeermächtigung liegen, wenn das Einspruchsverfahren durchgeführt werden sollte

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 28.01.2024
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|828 Aufrufe

Der Betroffene wurde nach Einspruchsbeschränkung (die eine Teilrücknahme darstellt) verurteilt. Er hatte eine allgemein übliche Vollmacht unterzeichnet, in der auch allgemein § 302 Abs. 2 StPO aufgeführt ist. Und ehrlich: Niemand würde auf die Idee kommen, dass eine daraufhin erklärte Einspruchsrücknahme ein Problem sein könnte. Das BayObLG wollte aber wohl zu dem Thema einmal was sagen:

1. Die allgemeine Ermächtigung zur Rücknahme reicht nicht

2. Die Rücknahmeermächtigung muss sich konkret auf das zurückzunehmende Rechtsmittel beziehen

3. Wenn man aber für die Rechtsmitteleinlegung des später zurückgenommenen Rechtsmittels ermächtigt ist, so reicht die allgemeine Ermächtigung dann doch.

 

I. Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Wunsiedel vom 26.06.2023 wird als unbegründet verworfen.

 II. Die Betroffene hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

 Gründe: 

 I.

 Mit Bußgeldbescheid vom 22.11.2022 setzte die Zentrale Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt gegen die Betroffene wegen einer als Führerin eines Pkws am 12.09.2022 auf einer Bundesstraße begangenen Überschreitung der außerhalb geschlossener Ortschaften zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 27 km/h gemäß § 24 Abs. 1 StVG i.V.m. §§ 3 Abs. 3 Nr. 2c, 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO eine Geldbuße von 225 Euro fest und ordnete gegen die Betroffene wegen des Regelfalls eines (benannten) beharrlichen Pflichtenverstoßes im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. StVG i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV ein mit einem vorläufigen Vollstreckungsaufschub nach § 25 Abs. 2a StVG verbundenes Fahrverbot für die Dauer eines Monats an. In der Hauptverhandlung vom 26.06.2023 beschränkte der Wahlverteidiger der Betroffenen in erlaubter Abwesenheit der mit Beschluss vom 21.06.2023 nach § 73 Abs. 2 OWiG von der Erscheinenspflicht entbundenen Betroffenen den Einspruch gemäß § 67 Abs. 2 OWiG „auf die Rechtsfolgen“. Mit dem angefochtenen Urteil vom 26.06.2023 setzte das Amtsgericht gegen die Betroffene „wegen der mit Bußgeldbescheid vom 22.11.2022 rechtskräftig festgestellten fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 27 km/h“ eine Geldbuße von 225 Euro fest und ordnete gegen die Betroffene ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats nach Maßgabe des § 25 Abs. 2a StVG an. Mit ihrer durch ihren Verteidiger jeweils fristgerecht eingelegten und begründeten Rechtsbeschwerde rügt die Betroffene die Verletzung sachlichen Rechts. Mit Zuleitungsschrift vom 26.10.2023 beantragt die Generalstaatsanwaltschaft M., die Rechtsbeschwerde durch Beschluss gemäß § 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG als unbegründet zu verwerfen.

 II.

 Mit Beschluss vom 21.12.2023 hat der nach § 80a Abs. 1 OWiG zuständige Einzelrichter die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde gemäß § 80a Abs. 1, 2. Halbsatz i.V.m. § 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

 III.

 Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthaften Rechtsbeschwerde deckt keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Betroffenen auf (§ 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).

 Der näheren Erörterung bedarf nur das Folgende:

 Die vom Verteidiger in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht erklärte Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch war wirksam, was der Senat aufgrund der erhobenen Sachrüge von Amts wegen zu prüfen hat (st.Rspr., vgl. zuletzt nur BayObLG, Beschluss vom 22.11.2023 – 202 StRR 86/23; 18.10.2023 – 202 StRR 74/23; 12.10.2023 – 202 StRR 72/23, jeweils bei juris).

 1. In der nachträglichen Beschränkung des zunächst unbeschränkt eingelegten Einspruchs liegt eine teilweise Zurücknahme des Rechtsbehelfs, die durch den Verteidiger gemäß § 67 Abs. 1 Satz 2 OWiG i.V.m. § 302 Abs. 2 StPO nur mit „ausdrücklicher Ermächtigung“ der Betroffenen erklärt werden konnte. Die nachträgliche Beschränkung des Einspruchs stellt eine teilweise Zurücknahme des Rechtsbehelfs dar (vgl. auch Löwe-Rosenberg/Jesse StPO 26. Aufl. [2014] § 302 Rn. 44), weil hierdurch der Prüfungsumfang des Gerichts reduziert wird. Dem steht nicht entgegen, dass im Falle einer Revision deren Beschränkung auf bestimmte Beschwerdepunkte, die mit der Revisionsbegründung vorgenommen wird, nicht als Teilrücknahme in diesem Sinne, sondern lediglich als Konkretisierung des zunächst offen gebliebenen Anfechtungsumfangs anzusehen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 13.06.1991 – 4 StR 105/91 = BGHSt 38, 4 = NStZ 1991, 501 = MDR 1991, 979 = BGHR StGB § 64 Ablehnung 4 = BGHR StPO § 302 Abs. 2 Beschränkung 2 = AnwBl. 1991, 599 = wistra 1991, 348 = NJW 1991, 3162 = StV 1992, 7 = BeckRS 1991, 1981; Urt. v. 23.10.1991 – 3 StR 321/91 = StV 1992, 10 = NStZ 1992, 126 = BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 25 = BGHR StGB § 46 Abs. 1 Kronzeuge 1 = BGHR StPO § 260 Abs. 3 Freispruch 3 = BGHR StPO § 302 Abs. 1 Konkretisierung 1 = MDR 1992, 393 = NJW 1992, 989 = JZ 1992, 536 = BeckRS 1991, 3190). Dieser Grundsatz, von dem dann eine Ausnahme gemacht wird, wenn die Beschränkung der Revision erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist erfolgt (BGH, Urt. v. 18.07.2013 – 4 StR 100/13 = NStZ-RR 2013, 352 = BGHR StPO § 302 Abs. 1 Rücknahme 7 = BeckRS 2013, 14337), kann auf den Einspruch nicht übertragen werden. Denn er beruht allein auf der Besonderheit des Revisionsrechts, wonach der Beschwerdeführer gemäß § 344 Abs. 1 StPO die Erklärung abzugeben hat, inwieweit er das Urteil anfechten will (KG, Beschluss vom 19.02.1999 – 2 Ss 419/98 – 5 Ws [B] 717/98 bei juris). Dagegen wird durch den Einspruch, der nach der gesetzlichen Regelung gerade keiner Begründung bedarf, der Bußgeldbescheid in vollem Umfang angefochten, sofern er nicht bereits mit der Einlegung nach § 67 Abs. 2 OWiG auf einen bestimmten Beschwerdepunkt beschränkt ist (OLG Bamberg, Beschluss vom 03.04.2018 – 3 Ss OWi 330/18 = ZfSch 2018, 588 = OLGSt OWiG § 67 Nr 5 = BeckRS 2018, 7635 m.w.N.; im Ergebnis ebenso für die Berufung: BayObLG, Beschluss vom 01.02. 2021 – 202 StRR 4/21 bei juris = BeckRS 2021, 1622; OLG Stuttgart, Beschluss vom 26.10.2010 – 2 Ss 618/10 = Justiz 2011, 104 = OLGSt StPO § 302 Nr. 10 = BeckRS 2010, 28143 und für den Einspruch gegen den Strafbefehl: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.06.2010 – III-1 RVs 71/10 = NStZ 2010, 655 = BeckRS 2010, 17408 sowie Löwe-Rosenberg/Jesse a.a.O.).

 2. Die Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch war auch mit Blick auf § 67 Abs. 1 Satz 2 OWiG i.V.m. § 302 Abs. 2 StPO rechtswirksam.

 a) Allerdings folgt dies entgegen der vereinzelt von Oberlandesgerichten vertretenen Rechtsauffassung (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 07.12.2020 – 2 Ss-OWi 1347/20 = NStZ-RR 2021, 83 = BeckRS 2020, 41406; KG, Beschluss vom 01.07.2020 – [4] 121 Ss 71/20 bei juris = BeckRS 2020, 17854) noch nicht daraus, dass dem Verteidiger eine Vertretungsvollmacht im Sinne des § 73 Abs. 3 OWiG erteilt worden war. Die hierfür angeführte Begründung, die Vorschrift des § 302 Abs. 2 StPO sei nicht anwendbar, weil es sich um eine Erklärung des Angeklagten bzw. Betroffenen handle, der von seinem Verteidiger „im Willen“ vertreten werde, erschöpft sich in einem rein formalen Argument, das überdies außer Acht lässt, dass ein Vertreter – im Gegensatz zu einem Boten, der eine fremde Willenserklärung nur übermittelt – eine eigene Willenserklärung, wenn auch in fremdem Namen abgibt, von einer eigenen Erklärung des Betroffenen deshalb nicht die Rede sein kann. Zudem setzt sich diese Ansicht über den eindeutigen Gesetzeswortlaut hinweg, ignoriert den Zweck, den diese Vorschrift verfolgt, und steht auch im Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH, Beschluss vom 20.09.1956 – 4 StR 287/56 = BGHSt 9, 356 = NJW 1956, 1727 = BeckRS 1956, 104561; ebenso: OLG München, Beschluss vom 06.12.2016 – 5 OLG 15 Ss 543/16 bei juris = BeckRS 2016, 120867). Der Wortlaut des § 302 Abs. 2 StPO differenziert gerade nicht zwischen einem Verteidiger ohne Vertretungsvollmacht und einem solchen, der zusätzlich mit einer Vertretungsvollmacht ausgestattet ist, sondern postuliert ganz allgemein für die Rechtsmittelrücknahme durch den Verteidiger eine ausdrückliche Ermächtigung durch den Angeklagten. Mit dieser Regelung soll gewährleistet werden, dass die Dispositionsbefugnis über den eingelegten Rechtsbehelf ausschließlich dem Angeklagten bzw. Betroffenen zukommt, also dessen ureigener Wille maßgeblich ist. Die Vorschrift verbietet nicht lediglich eine Rücknahme durch den Verteidiger gegen den Willen des Betroffenen, sondern versagt auch einer Rücknahme, die ohne den ausdrücklichen Willen des Angeklagten erklärt wurde, die Wirksamkeit. Hieraus ergibt sich ohne weiteres, dass eine Vertretung im Willen bei der Rechtsmittelrücknahme durch § 302 Abs. 2 StPO ausgeschlossen ist bzw. die mit der Vollmachtserteilung verbundene Vertretungsmacht gesetzlich eine Einschränkung erfahren hat.

 b) Gleichwohl ist das Amtsgericht im Ergebnis zu Recht von einer gemäß § 67 Abs. 2 OWiG in Verbindung mit § 302 Abs. 2 StPO wirksamen Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch ausgegangen, weil die ausdrückliche Ermächtigung in der unter dem 11.10.2022 vom Betroffenen unterzeichneten Vollmachtsurkunde enthalten war.

 aa) Zwar muss sich die ausdrückliche Ermächtigung zur Rechtsmittelrücknahme nach § 302 Abs. 2 StPO auf ein bestimmtes Rechtsmittel beziehen, sodass nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung die bei Übernahme des Mandats im Rahmen der Vollmachtserteilung eingeräumte allgemeine Ermächtigung zur Rücknahme von Rechtsmitteln als ausdrückliche Ermächtigung gemäß § 302 Abs. 2 StPO nicht ausreicht (vgl. nur BGH, Beschluss vom 05.06.2013 – 1 StR 168/13 = NStZ 2014, 54 = BeckRS 2013, 12151 m.w.N.).

 (bb) Allerdings genügt es den Anforderungen des § 302 Abs. 2 StPO, wenn die Vollmacht gerade für die Durchführung des konkreten Rechtsbehelfs erteilt worden war (BGH, Beschluss vom 07.05. 2019 – 2 StR 142/19; 31.08.2016 – 2 StR 267/16, jeweils bei juris). Eine derartige Konstellation lag hier vor. Zwar wurde die mit der Rücknahmeermächtigung versehene Vollmacht am 11.10.2022, also noch vor Erlass des Bußgeldbescheids erteilt. Allerdings hatte die Bußgeldbehörde vorher, nämlich am 07.10.2022 die Anhörung der Betroffenen zu dem ihr zur Last gelegten Verstoß bereits angeordnet. Bei dieser Sachlage besteht kein Zweifel daran, dass die Vollmachtserteilung gerade zu dem Zweck des als naheliegend zu erwartenden Erlasses des Bußgeldbescheids und der Einspruchseinlegung hiergegen erteilt wurde, der Verteidiger also gerade für das Einspruchsverfahren beauftragt wurde.

BayObLG Beschl. v. 21.12.2023 – 202 ObOWi 1264/23, BeckRS 2023, 39011

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