(erfolglose) Verfassungsbeschwerde wegen 80 Euro

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 02.02.2024
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|971 Aufrufe

Irgendwie denkt man häufig: Verfassungsgerichte beackern doch gaaaanz wichtige Fälle mit großer Bedeutung. Wenn man aber Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte zu OWi-Sachen ließt, dann wird klar: Auch Allerweltsfälle landen dort. Im nachfolgenden Fall etwa war ein rasender Rechtsanwalt unzufrieden damit, dass er 80 Euro zahlen sollte. So setzte er (fast) alle Hebel in Bewegung. Der letzte Hebel aber, die Verfassungsbeschwerde, war wirkungslos. Letztlich lag dies vor allem an der Nichtbeachtung des Subsidiaritätsgrundsatzes und einer schlechten Begründung, die das Verfassungsgericht "selektiv, unvollständig, verzerrt" nannte:

 

Die Verfassungsbeschwerde wird als unzulässig zurückgewiesen.

 Gründe: 

 I.

 Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine Verurteilung zu einer Geldbuße von 80 Euro.

 1. Mit Bußgeldbescheid vom 27. August 2020 setzte der Kreis I gegen den Beschwerdeführer, einen Rechtsanwalt, eine Geldbuße von 80 Euro fest. Er habe, so der Vorwurf, am 17. Juli 2020 in H auf der B 56 in Fahrtrichtung B als Führer eines Personenkraftwagens die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h nach Toleranzabzug um 27 km/h überschritten. Als Beweismittel ist im Bußgeldbescheid ein von einem stationären Geschwindigkeitsmessgerät des Typs „Jenoptik TraffiStar S350“ erstelltes Lichtbild aufgeführt.

 Der Beschwerdeführer, der nicht bestreitet, den Wagen gefahren zu haben, legte gegen den Bußgeldbescheid Einspruch ein. Sein Verteidiger forderte anschließend mit Schreiben vom 14. September 2020 bei der Bußgeldstelle des Kreises verschiedene Unterlagen an, darunter die „Lebensakte (Reparaturen, Wartungen, Updates und regelmäßige Überprüfungen der Anlage)“ des Geschwindigkeitsmessgeräts. In einem Schreiben an den Kreis vom 23. November 2020 trug der Verteidiger vor, dass der Beschwerdeführer infolge eines Wendemanövers auf der von ihm befahrenen Straße vor der Erfassung durch das Geschwindigkeitsmessgerät kein geschwindigkeitsbegrenzendes Verkehrszeichen passiert habe. In einem Schreiben an das für das Verfahren nach Einspruch zuständige Amtsgericht Geilenkirchen vom 23. März 2021 verlangte der Verteidiger zu der zuvor zitierten „Lebensakte“ die Vorlage einer Dokumentation über den ordnungsgemäßen Einbau des geeichten Geschwindigkeitsmessgeräts in die stationäre Messanlage.

 In dem vom Amtsgericht Geilenkirchen durchgeführten Hauptverhandlungstermin vom 16. Juni 2021 stellte der Verteidiger des Beschwerdeführers Beweisanträge, die auf die Vorlage einer Dokumentation über den Einbau des Geschwindigkeitsmessgeräts in die stationäre Messanlage sowie auf die Vorlage der verkehrspolizeilichen Anordnung zu dem geschwindigkeitsbeschränkenden Verkehrszeichen gerichtet waren. Das Amtsgericht lehnte diese Anträge jeweils ab und verurteilte den Beschwerdeführer mit Urteil vom selben Tag wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 80 Euro. Es begründete die Verurteilung des Beschwerdeführers unter anderem damit, dass er das Verkehrszeichen nach eigener Einlassung einzig aus dem Grund nicht gesehen habe, weil er vor dem Schild „durch ein absolut verkehrswidriges und riskantes Wendemanöver“ die Fahrtrichtung geändert habe. Damit könne der Wegfall des Fahrlässigkeitsvorwurfs nicht begründet werden.

 Den vom Beschwerdeführer gegen das amtsgerichtliche Urteil gestellten und mit Schriftsatz vom 21. August 2021 begründeten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde verwarf das Oberlandesgericht Köln mit Beschluss vom 22. Oktober 2021 als unbegründet. Der Beschwerdeführer erhielt den Beschluss am 23. November 2021 per Post.

 Eine Anhörungsrüge erhob der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts nicht.

 2. Mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2021, der beim Verfassungsgerichtshof am selben Tag elektronisch eingegangen ist, hat der Beschwerdeführer gegen das Urteil des Amtsgerichts Geilenkirchen und den Beschluss des Oberlandesgerichts Köln Verfassungsbeschwerde erhoben. Die gerichtlichen Entscheidungen verletzten ihn in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 4 Abs. 1 LV i. V m. Art. 103 Abs. 1 GG sowie in seinem Anspruch auf ein faires Verfahren und auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 4 Abs. 1 LV i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG. Sie verstießen zudem gegen das Willkürverbot aus Art. 4 Abs. 1 LV i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG.

 Sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt, weil sich das Amtsgericht nicht mit seinem Vorbringen auseinandergesetzt habe, dass er ortsfremd gewesen sei und das geschwindigkeitsbeschränkende Verkehrszeichen nicht passiert habe. Zudem sei seine Fahrtroute anders gewesen als vom Gericht angenommen. Sein Anspruch auf ein faires Verfahren und auf effektiven Rechtsschutz sei zum einen dadurch verletzt, dass das Amtsgericht der Bußgeldbehörde auf seine Beweisanträge hin nicht aufgegeben habe, die Dokumentation zum Einbau des Messgeräts in die Messstation sowie die verkehrspolizeiliche Anordnung zu dem geschwindigkeitsbeschränkenden Verkehrszeichen vorzulegen. Zum anderen habe das Amtsgericht es abgelehnt, das Verfahren im Hinblick auf das beim Bundesverfassungsgericht anhängige Verfassungsbeschwerdeverfahren 2 BvR 1167/20 auszusetzen. Schließlich sei es zu einem vom Amtsgericht nicht ausreichend berücksichtigten massiven Datenschutzverstoß der Bußgeldbehörde dadurch gekommen, dass diese eine Abfrage beim Fahreignungsregister unternommen habe, bevor seine Fahrereigenschaft festgestanden habe. Das amtsgerichtliche Urteil verstoße zudem gegen das Willkürverbot, weil das Amtsgericht in den Urteilsgründen unter Ziffer IV. von einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 41 km/h ausgegangen sei.

 An dem Beschluss des Oberlandesgerichts beanstandet der Beschwerdeführer, dass jener – nach seiner Ansicht – ausdrücklich und ausschließlich auf ein Urteil des Amtsgerichts Siegburg Bezug nehme. Bereits daran sei zu erkennen, dass der Richter sich nicht im gebotenen Umfang mit dem Rechtsbeschwerdevorbringen auseinandergesetzt, sondern im Copy-and-Paste-Verfahren Fragmente aus anderen Entscheidungen ohne Überprüfung und Auseinandersetzung mit dem zu entscheidenden Fall in den Beschluss eingefügt habe.

 1. Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1, § 59 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG durch die Kammer zurückgewiesen, weil sie unzulässig ist. Sie wird den gesetzlichen Anforderungen an ihre Begründung in weiten Teilen nicht gerecht und genügt im Übrigen dem verfassungsprozessualen Grundsatz der Subsidiarität nicht. Ob die Verfassungsbeschwerde darüber hinaus insgesamt auch deshalb unzulässig ist, weil der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts keine Anhörungsrüge erhoben und damit den Rechtsweg nicht erschöpft hat, kann danach dahinstehen.

 a) In weiten Teilen genügt die Verfassungsbeschwerde schon nicht den gesetzlichen Anforderungen an ihre Begründung.

 aa) Gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 55 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 VerfGHG bedarf die Verfassungsbeschwerde einer substantiierten Begründung, die sich nicht lediglich in der Nennung des verletzten Rechts und in der Bezeichnung der angegriffenen Maßnahme erschöpfen darf. Vielmehr muss die Begründung bestimmte formale und inhaltliche Anforderungen erfüllen (vgl. VerfGH NRW, Beschlüsse vom 24. August 2021 – VerfGH 55/21.VB-1, juris, Rn. 7, vom 30. August 2022 – VerfGH 16/22.VB-1, juris, Rn. 10, und vom 13. Juni 2023 – VerfGH 21/22.VB-3, juris, Rn. 12).

 Inhaltlich muss ein Beschwerdeführer für eine ordnungsgemäße Begründung substantiiert darlegen, dass die von ihm behauptete Verletzung eines Grundrechts oder grundrechtsgleichen Rechts möglich ist (VerfGH NRW, Beschlüsse vom 16. Juni 2020 – VerfGH 42/20.VB-2, juris, Rn. 11, und vom 13. Juni 2023 – VerfGH 21/22.VB-3, juris, Rn. 12). In einer Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung muss er sich dafür hinreichend mit der Begründung der angefochtenen Entscheidung und den für den behaupteten Grundrechtsverstoß geltenden verfassungsrechtlichen Maßstäben auseinandersetzen (vgl. VerfGH NRW, Beschlüsse vom 29. Oktober 2020 – VerfGH 131/20.VB-2, juris, Rn. 10, und vom 4. April 2022 – VerfGH 125/21.VB-3, juris, Rn. 11). Insoweit bedarf es einer ins Einzelne gehenden, argumentativen Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung auf der Ebene des Verfassungsrechts am Maßstab der als verletzt gerügten grundrechtlichen Positionen (VerfGH NRW, Beschlüsse vom 16. März 2021 – VerfGH 121/20.VB-1, juris, Rn. 8, und vom 18. Januar 2022 – VerfGH 191/20.VB-1, juris, Rn. 13). Die Verfassungsbeschwerde muss auf diese Weise, weil der Verfassungsgerichtshof kein „Superrevisionsgericht“ ist, die Möglichkeit aufzeigen, dass die angefochtene fachgerichtliche Entscheidung auf einer grundsätzlichen Verkennung des Gewährleistungsgehalts des als verletzt gerügten Grundrechts beruht (VerfGH NRW, Beschlüsse vom 31. März 2020 – VerfGH 14/20.VB-1, DVBl 2021, 260 = juris, Rn. 6, und vom 16. Juni 2020 – VerfGH 42/20.VB-2, juris, Rn. 11). Die Begründung der Verfassungsbeschwerde darf sich nicht in der Rüge eines Verstoßes gegen einfaches Recht erschöpfen (VerfGH NRW, Beschluss vom 14. Juli 2020 – VerfGH 74/19.VB-3, juris, Rn. 6).

 Den inhaltlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung wird nicht genügt, wenn die Verfassungsbeschwerde zu den tragenden Erwägungen des Fachgerichts nur selektiv und unvollständig vorträgt (vgl. VerfGH NRW, Beschlüsse vom 10. Februar 2021 – VerfGH 113/20.VB-2, juris, Rn. 15 f., und vom 23. April 2021 – VerfGH 181/20.VB-3, juris, Rn. 22). Dasselbe gilt, wenn dem Verfassungsgerichtshof der Entscheidungsinhalt nur subjektiv verzerrt unterbreitet wird (vgl. VerfGH NRW, Beschlüsse vom 22. September 2020 – VerfGH 72/20.VB-3, juris, Rn. 13, und vom 18. Januar 2022 – VerfGH 191/20.VB-1, juris, Rn. 16).

 bb) Dies zugrunde gelegt, ist die Beschwerdebegründung, die sich nahezu vollständig mit der vom Beschwerdeführer in Ablichtung vorgelegten Begründung seines Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde deckt, inhaltlich unzureichend, soweit sie eine Verletzung von Art. 4 Abs. 1 LV i. V. m. Art. 103 Abs. 1 GG und des Anspruchs auf ein faires Verfahren und auf effektiven Rechtsschutz durch die unterlassene Verfahrensaussetzung und die gerichtliche Behandlung eines Datenschutzverstoßes der Bußgeldbehörde rügt. Dasselbe gilt, soweit sie eine Verletzung des Willkürverbots aus Art. 4 Abs. 1 LV i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG geltend macht.

 (1) Die Verfassungsbeschwerde behauptet zwar, die Gerichte hätten unter Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 LV i. V. m. Art. 103 Abs. 1 GG wesentliches Vorbringen des Beschwerdeführers nicht beachtet. Dabei benennt sie jedoch weder den insoweit geltenden verfassungsrechtlichen Maßstab vollständig noch befasst sie sich in Auseinandersetzung mit diesem hinreichend mit den angefochtenen gerichtlichen Entscheidungen.

 Den verfassungsrechtlichen Maßstab für eine Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör aus Art. 4 Abs. 1 LV i. V. m. Art. 103 Abs. 1 GG benennt die Verfassungsbeschwerde nur verkürzt. Insbesondere geht sie nicht darauf ein, dass die Feststellung einer Gehörsverletzung nur dann in Betracht kommt, wenn sich eine Verletzung der Pflicht des Gerichts, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen, aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (vgl. VerfGH NRW, Beschluss vom 15. Juni 2021 – VerfGH 94/20.VB-3, juris, Rn. 31). Überdies muss es auf das Vorbringen auf Grundlage der materiellen Rechtsauffassung des Gerichts überhaupt ankommen (vgl. VerfGH NRW, Beschluss vom 4. April 2022 – VerfGH 125/21.VB-3, juris, Rn. 12).

 Der Auseinandersetzung mit den angefochtenen gerichtlichen Entscheidungen fehlt hiernach ein ausreichender Maßstabsbezug. Die Verfassungsbeschwerde gibt den Inhalt der gerichtlichen Entscheidungen überdies nur selektiv, unvollständig und verzerrt wieder. Von einer vertieften Auseinandersetzung mit ihren tragenden Erwägungen sieht sie ab. So blendet sie beispielsweise aus, dass das Amtsgericht sogar auf der Grundlage der Einlassung des Beschwerdeführers zu einem ihn treffenden Fahrlässigkeitsvorwurf gelangt ist. Sie geht auch nicht darauf ein, was daraus folgt, dass der im amtsgerichtlichen Urteil wiedergegebene Fahrweg des Beschwerdeführers im Einklang mit seiner im Sitzungsprotokoll vom 26. Mai 2021 wiedergegebenen Aussage steht. Insoweit lässt sie zudem offen, warum es auf das von ihr angesprochene Detail der Fahrtroute und dessen angeblich fehlerhafte Feststellung durch das Gericht überhaupt ankommt. Soweit die Verfassungsbeschwerde schließlich den Beschluss des Oberlandesgerichts anspricht, findet eine inhaltliche Auseinandersetzung damit so gut wie nicht statt. Vielmehr greift sie aus der Beschlussbegründung mit dem dort an einer Stelle erwähnten Amtsgericht Siegburg selektiv nur einen einzelnen Aspekt heraus. Eine Gehörsverletzung durch ein Übergehen erheblichen Verteidigungsvorbringens zeigt sie damit nicht schlüssig auf.

 (2) Soweit die Verfassungsbeschwerde – bezogen auf das amtsgerichtliche Verfahren – eine Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren und auf effektiven Rechtsschutz durch die unterlassene Verfahrensaussetzung und die gerichtliche Behandlung eines Datenschutzverstoßes der Bußgeldbehörde rügt, liegt es ähnlich. Es fehlt sowohl an der Benennung des für die gerügte Grundrechtsverletzung geltenden verfassungsrechtlichen Maßstabs als auch der Darlegung, warum in der als fehlerhaft angesehenen Rechtsanwendung ein Verfassungsverstoß liegen soll.

 (3) Im Ergebnis nicht anders verhält es sich schließlich im Hinblick auf den von der Verfassungsbeschwerde – bezogen auf das amtsgerichtliche Urteil – gerügten vorgeblichen Verstoß gegen das Willkürverbot. Schon den für einen Verstoß geltenden verfassungsrechtlichen Maßstab benennt sie nicht (siehe zum strengen Willkürmaßstab VerfGH NRW, Beschlüsse vom 3. September 2019 – VerfGH 17/19.VB-3, juris, Rn. 3, und vom 16. Juni 2020 – VerfGH 69/19.VB-1, juris, Rn. 9). Zudem fehlt es der Verfassungsbeschwerde an einer maßstabsbezogenen, ins Einzelne gehenden, argumentativen Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung. Stattdessen zitiert die Verfassungsbeschwerde aus der Entscheidung des Amtsgerichts wieder nur selektiv und unvollständig, indem sie unerwähnt lässt, dass das Gericht unter Ziffer II. der Urteilsgründe von einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 27 km/h ausgegangen ist.

 b) Soweit der Beschwerdeführer in Bezug auf das amtsgerichtliche Urteil eine Verletzung seines Anspruchs auf ein faires Verfahren und auf effektiven Rechtsschutz dadurch rügt, dass das Amtsgericht der Bußgeldbehörde auf seine Beweisanträge nicht aufgegeben hat, die Dokumentation zum Einbau des Messgeräts in die Messstation sowie die verkehrspolizeiliche Anordnung zu dem geschwindigkeitsbeschränkenden Verkehrszeichen vorzulegen, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil sie den verfassungsprozessualen Grundsatz der Subsidiarität nicht wahrt.

 aa) Über das Gebot der Rechtswegerschöpfung gemäß § 54 Satz 1 VerfGHG hinaus ist der Beschwerdeführer nach dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gehalten, vor ihrer Erhebung alle ihm nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (VerfGH NRW, Beschluss vom 27. April 2021 – VerfGH 43/21.VB-1, juris, Rn. 7). Dafür muss ein Beschwerdeführer auch diejenigen prozessualen Möglichkeiten ergreifen, mit denen er mittelbar bewirken kann, dass die beanstandete Grundrechtsverletzung verhindert oder beseitigt wird und die Inanspruchnahme verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes im Wege des außerordentlichen Rechtsbehelfs der Individualverfassungsbeschwerde nicht (mehr) erforderlich ist (VerfGH NRW, Beschlüsse vom 20. Dezember 2019 – VerfGH 45/19.VB-1, NWVBl 2020, 160 = juris, Rn. 8, vom 29. November 2022 – VerfGH 6/22.VB-3, juris, Rn. 9, und vom 13. Juni 2023 – VerfGH 21/22.VB-3, juris, Rn. 9). Vor diesem Hintergrund muss der Betroffene eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens, der die Zugänglichmachung bestimmter, von ihm zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens für erforderlich gehaltener Unterlagen oder Daten verlangt, diesen Anspruch bereits mittels eines Antrags auf Herausgabe beziehungsweise Zugänglichmachung gegenüber der Bußgeldstelle geltend machen und im Falle von dessen Ablehnung einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 Abs. 1 Satz 1 OWiG stellen (VerfGH NRW, Beschlüsse vom 13. Juni 2023 – VerfGH 21/22.VB-3, juris, Rn. 9, und VerfGH 30/22.VB-1, juris, Rn. 8; VerfGH BW, Urteil vom 16. Januar 2023 – 1 VB 38/18, NZV 2023, 214 = juris, Rn. 28; VerfGH BY, Entscheidung vom 13. Januar 2022 – Vf. 61-VI-19, juris, Rn. 40; LVerfG BB, Beschluss vom 18. Februar 2022 – VfGBbg 48/20, juris, Rn. 24; VerfGH RP, Beschluss vom 22. Juli 2022 – VGH B 30/21, NZV 2022, 427 = juris, Rn. 22).

 bb) Aus der Verfassungsbeschwerde ergibt sich nicht, dass der Beschwerdeführer dem genügt hat. Selbst wenn er die Dokumentation zum Einbau des Messgeräts in die Messanlage sowie die verkehrspolizeiliche Anordnung zu dem geschwindigkeitsbeschränkenden Verkehrszeichen von der Bußgeldbehörde hinreichend konkret verlangt hätte (vgl. zur notwendigen Konkretisierung VerfGH RP, Beschluss vom 13. Dezember 2021 – VGH B 46/21, NStZ 2022, 236 = juris, Rn. 48), was bereits zweifelhaft ist, ist nichts dafür dargetan oder ersichtlich, dass er nach einer ablehnenden Entscheidung einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 Abs. 1 Satz 1 OWiG gestellt hat.

 c) Nach alledem kann dahinstehen, ob die Verfassungsbeschwerde insgesamt auch deshalb unzulässig ist, weil der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts, durch den er sich selbstständig in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sieht, keine Anhörungsrüge gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 356a StPO (vgl. dazu VerfGH SL, Beschluss vom 27. April 2018 – Lv 1/18, NZV 2018, 275 = juris, Rn. 19) erhoben hat. Wird mit der Verfassungsbeschwerde eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gerügt, so gehört eine Anhörungsrüge an das Fachgericht allerdings grundsätzlich zu dem Rechtsweg, von dessen Erschöpfung die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde gemäß § 54 VerfGHG abhängig ist (VerfGH NRW, Beschluss vom 13. Oktober 2020 – VerfGH 117/20.VB-3, juris, Rn. 12). Wird sie nicht erhoben, obwohl sie statthaft und nicht von vornherein aussichtslos ist, hat das zur Folge, dass die Verfassungsbeschwerde insgesamt unzulässig ist, wenn sich die in der Verfassungsbeschwerde behauptete Gehörsverletzung auf den gesamten Streitgegenstand des fachgerichtlichen Verfahrens erstreckt (VerfGH NRW, Beschluss vom 22. März 2022 – VerfGH 131/21.VB-3, juris, Rn. 11).

 2. Von einer weiteren Begründung der Zurückweisung wird gemäß § 58 Abs. 2 Satz 4 VerfGHG abgesehen.

VerfGH NRW Beschl. v. 12.12.2023 – VerfGH 143/21.VB-3, BeckRS 2023, 37121

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