Vergewaltigung im Zustand des Schlafwandelns?

von Dr. Michaela Hermes, LL.M., veröffentlicht am 17.02.2024
Rechtsgebiete: StrafrechtWeitere ThemenMedizinrecht|1262 Aufrufe

Wer schläft sündigt nicht, sagt ein altes Sprichwort. Ein Schlafender ist kein Vergewaltiger. Oder doch? Mit dieser Frage hatte sich das LG Lübeck, Urteil vom 14.02.2024 - Az. 7a KLs 559 Js 20243/19 (1/23), beschäftigt.

Der Fall

Vor Gericht stand der ehemaliger Staatsanwalt Philipp M. Er war angeklagt im März 2019 seinen damals acht Jahre alten Sohn vergewaltigt und sexuell missbraucht hatte. Zweifel an der Tat bestanden nie. Die Tat, wird von der Anklage so beschrieben: "Er fasste in die Pyjamahose des Jungen, berührte dessen Geschlechtsteil und auch den Anus des Jungen" (vgl. beck-aktuell).

Kurz darauf soll der Vater das Schlafzimmer verlassen haben. Er gab später an, sich an nichts erinnern zu können und verteidigte sich damit, die Tat während des Schlafwandelns begangen zu haben. Auch ein medizinisches Gutachten soll diese Vermutung unterstützt haben.

Das LG Lübeck glaubte dem Angeklagten nicht und verurteilte den Ex-Staatsanwalt zu einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung. Das Gericht war überzeugt, dass der Mann bei Begehung der Tat bei Bewusstsein gewesen war und folgte damit der Nebenklage, vertreten durch die Mutter des Jungen. Dass der Ex-Staatsanwalt sich überhaupt noch vor Gericht verantworten muss, ist das Ergebnis eines Klageerzwingungsverfahrens (§ 172 StP0) beim Oberlandesgericht Schleswig. Dieses musste entscheiden, ob ein hinreichender Tatverdacht vorlag. Die Staatsanwaltschaft hatte das Verfahren zunächst eingestellt. Weder die Kieler Staatsanwaltschaft noch die Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holstein sahen eine Verurteilung des ehemaligen Kollegen als wahrscheinlich an.

Schlafwandeln als Ausrede oder schwer objektivierbare Erkrankung

Ab und zu beschäftigen Fälle, bei denen der Täter behauptet, die Tat nicht bewusst, sondern im Zustand des Schlafwandelns begangen zu haben die Gerichte. Aufsehen erregte ein Fall im Jahr 2010 vor einem  Strafgericht in Kalifornien, dem Superior Court of Los Angeles County.

Stephen R. hatte, damals gerade 25-jährig hatte seine 17 Jahre ältere Freundin bei einem Wochenendausflug getötet. Auch er gab an, schlafgewandelt zu haben und deswegen handlungsunfähig gewesen zu sein. Richter Gary J. Ferrari des Superior Court of Los Angeles County wertete diese Verteidigung als Rabulistik, eine auf Spitzfindigkeiten oder Wortklauberei beruhende Argumentationsweise. Mehrere Sachverständige wurden zu dem Fall gehört:

Dr. Daniel Amen, ein Psychiater machte mit Stephen R. ein „S.P.E.C.T scan“. S.P.E.C.T Single Photon Emission Computered Tomography steht für eine Untersuchungsmethode, bei der sich der Stoffwechsel der Organe in einer 3D Darstellung graphisch darstellen lässt. Er stellte fest, dass Stephen R. aufgrund seiner Gehirnstruktur Probleme mit der Impuls- und Affektkontrolle und der Handlungsplanung haben könnte.

Dr. Pierce, ein Psychologe, fand in mehreren klinischen Untersuchungen heraus, dass der Angeklagte im Zustand des Schlafwandelns zu komplexen Handlungen, wie Auto fahren fähig sein könnte. Planbar seien die Handlungen in diesem Stadium des Bewusstseins nicht. 

Die Fallauswertung ähnlich gelagerter Fälle durch einen von dem amerikanischen Gericht bestellten Sachverständigen reichte der Jury jedoch nicht, anzunehmen, dass ein Schlafwandler im Stadium der Unzurechnungsfähigkeit in der Lage sei, einen anderen Menschen umzubringen. Denn im Nachhinein konnte kein Sachverständiger zu 100 % sagen, was in der Tatnacht passiert war, da die Untersuchungen mittels Elektroden am Kopf des Täters erst später durchgeführt wurden. 

Der Urteilsspruch für Stephen R. lautete  „26 years to life in prison“, also auf eine lebenslange Freiheitsstrafe mit der frühesten Möglichkeit zur Begnadigung nach 26 Jahren.  

Schlafwandeln (Somnambolismus)

Schlafwandeln gehört zu den schwer objektivierbaren Erkrankungen, die eine eigene ICD 10-GM-2012 Klassifizierung haben. Unter F 51.3  des ICD-Code -Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen- findet sich folgende Definition: „Schlafwandeln oder Somnambulismus ist ein Zustand veränderter Bewusstseinslage, in dem Phänomene von Schlaf und Wachsein kombiniert sind. Während einer schlafwandlerischen Episode verlässt die betreffende Person das Bett, häufig während des ersten Drittels des Nachtschlafes, geht umher, zeigt ein herabgesetztes Bewusstsein, verminderte Reaktivität und Geschicklichkeit. Nach dem Erwachen besteht meist keine Erinnerungen an das Schlafwandeln mehr.“

Das Urteil des LG Lübeck ist noch nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft hat angekündigt, zu prüfen, ob Revision einzulegen sei. In Anbetracht der Prozessgeschichte und der mehrfachen Einstellung bei ansonsten unbestrittener Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch eines Kindes sollte das gut überlegt sein.

 

 

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