Arachnophobie: Ich glaub, ich spinne....

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 14.04.2024
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht1|749 Aufrufe

Klasse. Der Angeklagten wurde Unfallflucht vorgeworfen. Sie leidet (angeblich) unter Arachnophobie. Ich dachte da sofort an den Film Tarantula von Jack Arnold. Wie aber wird ein Fall für das Beck-Blog daraus? Ganz einfach: Die Angeklagte erfindet sich eine (plausible?) Geschichte, mit der sie erklären möchte, dass sie in einer Tiefgarage nicht bemerkte, beim Türaufmachen ein anderes Fahrzeug beschädigt zu haben. Köstlich. Immerhin: Das AG Calw hat die Geschichte geglaubt. Spitze!

 

Die Angeklagte wird auf Kosten der Staatskasse, die auch ihre notwendigen Auslagen trägt, freigesprochen.

 Gründe: 

 I.

 Hinsicht des angeklagten Sachverhalts wird auf den Strafbefehl vom …, gegen den die Angeklagte form- und fristgerecht Einspruch eingelegt hat, verwiesen.

 II.

 Nach der durchgeführten Hauptverhandlung hat das Gericht folgenden Sachverhalt festgestellt:

 Am 21.10.2023 gegen 21:49 Uhr saß die Angeklagte bei geschlossener Türe auf dem Rücksitz des PKW Audi A4 Avant mit dem amtlichen Kennzeichen …, welcher sich geparkt im Parkhaus … befand. Die Zeugin G. war in das Fahrzeug auf den Fahrersitz eingestiegen und wollte später mit der Angeklagten und den weiteren beiden Zeuginnen, die sich noch außerhalb des PKW befanden, aus dem Parkhaus ausfahren, um jeweils nach Hause zu fahren. Der PKW befand sich, so wie die Fahrerin, die Zeugin G. diesen am Morgen dort geparkt hatte, in Ruhestellung und war vollständig ausgeschaltet und mit Handbremse gesichert.

 Plötzlich vermeinte die Angeklagte, die an einer schweren Arachnophobie leidet, auf ihrem Körper ein Krabbeln, welches sie einer Spinne zuordnete. In Panik stieß sie darauf die hintere rechte Fahrzeugtüre auf, so dass diese, wie von ihr aufgrund ihrer Erregung nicht vorhergesehen und wahrgenommen, gegen den auf dem rechts daneben gelegenen Parkplatz ordnungsgemäß abgestellten und verlassenen PKW Ford Kuga mit dem amtlichen Kennzeichen … des Geschädigten … stieß und dort wohl eine helle Lackantragung und eine kleine Delle verursachte, was die Angeklagte aufgrund ihrer Phobie in diesem Augenblick nicht bemerkte.

 Nachdem die Angeklagte sich beruhigt hatte, als sie festgestellt hatte, dass es sich um keine Spinne gehandelt hatte, begutachtete sie unter anderem mit der Zeugin G. die von ihr geöffnete Türe des Audi A4 Avant und fand dort keinerlei Schäden oder Auffälligkeiten. Daraufhin fuhr die Zeugin G. mit der Angeklagten in deren Einvernehmen und den weiteren beiden Zeuginnen davon, ohne dass sie bzw. die Angeklagte auf eine feststellungsbereite Person wartete oder ohne dass die Angeklagte sonst die Feststellung ihrer Person und Unfallbeteiligung ermöglicht hätte.

 III.

 Die Angeklagte war – vorrangig – aus rechtlichen Gründen freizusprechen, da das festgestellte Verhalten bereits aus rechtlichen Gründen den Tatbestand des § 142 StGB und einer anderen Strafnorm nicht erfüllt, weshalb es auf den wohl auch aus tatsächlichen Gründe zum Freispruch führenden nicht nachweisbaren Vorsatz bezüglich eines Unfalls im Straßenverkehr, eines relevanten Fremdschadens und der eigenen Unfallbeteiligung nicht mehr ankommt.

 Das Tatbestandsmerkmal des Unfalls im Straßenverkehr im Sinn des § 142 StGB umfasst ein solches Verhalten, wie das der Angeklagten in ihrer konkreten festgestellten Situation, nicht.

 1. Wie die gesamten Tatbestände des materiellen Strafrechts müssen sämtliche ihrer einzelnen Tatbestandsmerkmale den verfassungsrechtlichen Vorgaben namentlich der Bestimmtheit genügen. Diese umfasst nicht nur die spezifische Wortlautgrenze aus Art. 103 Abs. 2 GG, sondern auch die darin und im allgemeinen Rechtsstaatsgebot in Art. 20 Abs. 1 GG liegende allgemeine Normbestimmtheit. Dies gebietet die Erkennbarkeit, Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der namentlich durch die Tatbestandsmerkmale vermittelten Grenze des strafrechtlich sanktionierten Verhaltens (vgl. v. Arnauld, Rechtssicherheit, passim). Um das Merkmal des Unfalls im Straßenverkehr nicht ins Unbestimmte zu überdehnen, muss es jedenfalls so verstanden werden, dass es Konstellationen, wie die vorliegende, nicht erfasst, in denen eine nicht mit der Fahrzeugsteuerung befasste Person beim bloßen Aufenthalt im gesicherten, nicht in Bewegung befindlichen und jedenfalls auch nicht im „verkehrsanschließendem Betrieb“ befindlichen Kraftfahrzeug, ohne unmittelbaren Zusammenhang mit einem Verkehrsvorgang, aus einem nicht im Straßenverkehr liegenden Grund ohne Verletzung von besonderen straßenverkehrsrechtlichen Pflichten einen Schaden an einem anderen Kraftfahrzeug verursacht.

 2. Denn der Begriff des Unfalls im Straßenverkehr ist im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben auszulegen.

 a) Im Sinn des § 142 StGB ist er seit der Neuregelung der Vorschrift 1940 nicht legal definiert und nicht aus sich selbst oder dem grammatikalischen Wortlaut umfassend im Hinblick auf die vorliegend fragliche Umgrenzung verständlich. Erkennbar ist allerdings, dass der Unfall, welcher als plötzliches, unvorhergesehenes bzw. ungewolltes Ereignis vor allem aus Sicht des Verletzten verstanden werden kann (vgl. etwa BGH NJW 2002, 626), in einer konstitutiven spezifischen Verknüpfung zum Straßenverkehr zu stehen hat. Diese wird im wesentlich darin formuliert, dass der Unfall mit dem Straßenverkehr und seinen („typischen“) Gefahren ursächlich zusammenhängen muss (vgl. zunächst RGSt 75, 355, 360; BGHSt 24, 382, 383; NJW 1956, 1806, 1807; VRS 11 (1956), 425, 426; VRS 21 (1961), 113, 117; 31 (1966), 421, 422). Daraus folgt wiederum, dass allgemeine Gefahren einen Gegenbegriff dazu darstellen, die sich nur zufällig oder jedenfalls „beiläufig“ im Straßenverkehr verwirklichen (vgl. etwa OLG Hamm NJW 1982, 2456) oder aber unmittelbare Folge ausschließlich verkehrsfremden Verhaltens sind (OLG Köln NStZ-RR 2011, 354). Was wiederum konkret bzw. im Wesen diese „typischen“ besonderen Gefahren von verkehrsfremden bzw. bloß -koinzidenten abgrenzt, bleibt dagegen unklar.

 b) Systematisch finden sich keine wesentlichen Hinweise aus anderen geltenden Normen. Der Gesetzgeber lässt vielmehr erkennbar weiterhin den Begriff unter Kenntnis der bestehenden Auslegung offen bzw. bezieht sich darauf (vgl. BayObLG NJW 1980, 299, 300). Seit 1940 ist der konkrete Bezug zu § 7 StVG auf die Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs ausdrücklich entfallen. Die Sonderregeln im Flugverkehr greifen etwa vom Schließen der Türen nach dem Einstieg bis zu ihrem Öffnen zum Aussteigen ein (Art. 5 ff. des Abkommens über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen vom 14.9.1963; vgl. Fahrner, HdbIntErm, § 2 Rn. 158), stehen aber in gänzlich anderem Normkontext.

 c) Historisch verwies die erste Vorgängernorm des § 142 StGB, der § 22 des Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen vom 3. Mai 1909 (RGBl. 1909, 437-444) zum Begriff des Unfalls im Straßenverkehr auf den dortigen § 7, der den Fall regelte, dass „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt“ wird. Durch die Verordnung vom 2. April 1940 (RGBl. 1940 I 606) wurde nur explizit der Kreis der Verpflichteten über den Fahrzeugführer auf alle (potentiellen) Unfallteilnehmer erweitert, zum Unfall aber nichts ausgesagt. Das Reichsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 9.10.1941 auch vor dem Hintergrund dieser Erweiterung gleichlaufend die heute gängige Definition entwickelt, dass als Unfall im Straßenverkehr jedes Ereignis anzusehen ist, das mit dem Straßenverkehr und seinen Gefahren in ursächlichem Zusammenhang steht und zur Verletzung eines Menschen oder zur Beschädigung einer Sache geführt hat (RGSt 75, 355, 360; zur Historie ausführlich BayObLG NJW 1980, 299, 300). Es hat damit erkennbar funktional die Gefahr des Betriebs des Fahrzeugs durch die Gefahr des Straßenverkehrs ersetzt und im Sinne weitergehender Pönalität entsprechend den damaligen Rahmenbedingungen extensiv geprägt.

 d) Sinn und Zweck des § 142 StGB einschließlich seines verkehrsbezogenen Unfallbegriffs mag auch in der rechtsstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes sein, den besonderen Gefahr der Beweisvereitelung durch die Mobilität der Unfallbeteiligten und die typische Anonymität der Unfallsituation dadurch entgegenzuwirken, dass dem Beteiligten zu seiner Entscheidung, auch in unliebsamen Situationen mitzuwirken oder abzuwarten, zusätzlich die erheblichen möglichen Kosten strafrechtlicher Verfolgung und Sanktionierung motivierend mitgegeben werden. Anders als nach dem Willen des Verordnungsgebers von 1940 erheben sich heute jedoch erhebliche Bedenken daran, ohne weiteres dafür die Pönalisierung und Kriminalisierung potentiell größter und sonst rechtstreuer Bevölkerungsteile dafür zu nutzen. Das Interesse aus der allgemeinen vorrechtlichen Moralität, Schadensereignisse zugunsten der Geschädigten aufzuklären, kann nur dann verfassungsrechtlich gerechtfertigt bleiben, wenn es verhältnismäßig im Sinne der Strafbedürftigkeit und -würdigkeit herausragt und vor allem hinreichend rechtssicher bestimmt, mithin vorhersehbar und nachhaltig umgrenzt ist (vgl. ähnlich bereits BGH NJW 2002, 626; näher überzeugend auch AG Dortmund, Beschluss vom 01.09.2020 – 723 Cs – 268 Js 1007/20 – 276/20, BeckRS 2020, 36782). Das bei Sachbeschädigungen stets (und nicht nur bei Vorgängen im Straßenverkehr) bestehende Feststellungsinteresse des Geschädigten und die Anonymität von Vorgängen in der Öffentlichkeit reichen zur Legitimation der Bestrafung nach § 142 StGB nach dessen Schutzzweck gerade nicht aus (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Niehaus, 28. Aufl. 2024, StGB § 142 Rn. 4).

 Eben diese Anforderungen zu erfüllen, muss die sprachliche Verbindung vom „Unfall im Straßenverkehr“ dienen. Die von der ständigen, jedenfalls ganz herrschenden Rechtsprechung damit regelmäßig verbundene Definition einer ursächlichen verkehrstypischen bzw. spezifischen Gefahr steht jedoch selbst in der Gefahr einer Tautologie (vgl. AG Dortmund a.a.O.). Jedenfalls darf vom verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt der Bezug des Unfalls zum Straßenverkehr nicht so vage sein, dass er für einen unbefangenen Betrachter lediglich zufällig, wenn nicht willkürlich wirken würde, insbesondere wenn der verständige Dritte bei entsprechender Betrachtung nicht mit einer strafrechtlichen Erfassung rechnen würde (vgl. Weigend JR 1993, 115, 116; soweit auch MüKoStGB/Zopfs, 4. Aufl. 2021, StGB § 142 Rn. 34).

 3. Alleine der an das Unfallereignis anschließenden Mobilität der Verursacher einer Personen- bzw. Sachschädigung im Straßenverkehr kann dabei nicht die entscheidende Rolle zukommen. Gleiches gilt für die isolierte Tatsache, dass ein sich im fließenden oder ruhenden Verkehr befindliches Fahrzeug irgendwie – egal in welcher Weise – am Ende beschädigt wurde (vgl. zu beidem etwa LG Düsseldorf NStZ-RR 2011, 355, 356).

 4. Der erforderliche Bezug des Unfallhergangs im Verhältnis zum Straßenverkehr kann sich als Ansatzpunkt, zunächst regelmäßig, an einem erkennbaren äußeren Erscheinungsbild oder faktischer Funktionalität des unfallauslösenden Vorgangs in Bezug auf den Straßenverkehr festmachen (vgl. auch BGH a.a.O.; BayObLGSt 1986, 70). Je geringer evident jedoch eine solche faktische Beziehung ausfällt und je weniger das Ereignis von einem Unfall ohne zwingenden Bezug zum Straßenverkehr heraustreten lässt, muss umso größer und einsichtiger ein klarer normativer Bezug über die Betriebsgefahr im Verkehr oder die spezifischen Pflichten für die Teilnehmer bzw. aus der Teilnahme am Straßenverkehr bestehen und erkennbar sein (vgl. etwa AG Tiergarten, NJW 2008, 3728 m.w.N.).

 5. Beim vorliegenden Schaden durch phobiebedingtem „panischen“ Öffnen einer Türe eines noch völlig bewegungslosen, ausgeschalteten Kraftfahrzeugs liegt der Bezug zum Bild des Unfalls im Straßenverkehr fern. Das Fahrzeug fand sich weder in Bewegung noch war es zu diesem Zweck noch in Betrieb oder bereits gestartet.

 Es bedarf zunächst der, freilich anerkannten Gleichsetzung des ruhenden mit dem fließenden Verkehr, indes muss darüber hinaus das Bild des ruhenden Verkehrs auch auf das bloße Sitzen in dem genannten Fahrzeug, ohne Zusammenhang etwa mit dem Bewegungsakt des Ein- oder Aussteigens zu dessen zukünftiger oder gerade beendeter Benutzung gebracht werden. Auch dass ein Wegfahren demnächst in der Folge durch die Zeugin geplant war, ändert daran nichts, auf die Dauer des Sitzens durch die mit dem Fahrvorgang völlig unbefasste Angeklagte kann es namentlich nicht ankommen. Ähnlich ist ein Verkehrsbezug konsequent bei Benutzung des abgestellten LKW zu verkehrsfremden Verwendungen wie der Nutzung einer Pumpmaschine eines Tankwagens.

 Die Situation stellt sich vorliegend auch anders als beim weiterhin in der Wertung umstrittenen Be- und Entladen von haltenden oder parkenden Fahrzeugen dar. Bei Letzteren kann ggf. nach den konkreten Umständen ein innerer Zusammenhang mit der Funktion eines Kraftfahrzeugs als Verkehrs- und Transportmittel angenommen werden (vgl. OLG Stuttgart NJW 1969, 1726; OLG Köln NStZ-RR 2011, 354; OLG Koblenz MDR 1993, 366), der richtigerweise in der unmittelbaren Vorbereitung oder Beendigung des verkehrstypischen Transportzweckes besteht und in straßenverkehrsrechtlichen Rücksichtnahmepflichten seinen Ausdruck finden kann. Entsprechend könnte auch beim konkreten Einsteigen in das bzw. Aussteigen aus dem Fahrzeug unmittelbar vor bzw. nach der Fahrt ein solcher Bezug angenommen werden. Dieser kann sich aber nicht einfach auf den gesamten Aufenthalt einer Person in einem Fahrzeug und dessen Unterbrechungen durch sie bezogen werden.

 In diesem Sinn hat sich keine straßenverkehrsspezifische Gefahr verwirklicht, mithin eine besondere Gefahr, die (gerade) dem Straßenverkehr eigen ist (vgl. BGH NJW 2002, 626). Der Schaden wurde verursacht durch die phobiebedingte Panikreaktion der Angeklagten auf ein wahrgenommenes Tier. Ähnlich wie bei den Fällen, in denen wegen verwirklichter reiner Tiergefahr ein straßenverkehrstypisches Ereignis verneint wurde (BayObLG NJW 1980, 299: „Wären sie einander anderswo begegnet, so hätte es auf gleiche Weise zu den gleichen Verletzungen … kommen können.“), muss dies nach Überzeugung des Gerichts auch hier als alleinige Ursache bei bloßem äußeren Rahmen in einem parkenden PKW angesehen werden.

AG Calw Urt. v. 7.3.2024 – 8 Cs 33 Js 364/24, BeckRS 2024, 4145

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Ich denke, dass das Urteil von einer Frau stammt, die die Phobie der Geschlechtsgenossin nachvollziehen kann. Ernsthaft wird es bei Bienen und Wespen im Cockpit...

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