Die letzte Sekunde des steuerlichen Übertragungsstichtags - das unbekannte Wesen (BFH v. 14.3.2024 – IV R 6/21)

von StB Dr. Martin Weiss, veröffentlicht am 16.07.2024
Rechtsgebiete: Steuerrecht|2892 Aufrufe

Manchmal geht es auch im Ertragsteuerrecht um Sekunden – insbesondere bei Umwandlungen. Die Rückwirkungsfiktion des § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwStG, die die Unwägbarkeiten des Zeitpunkts der Eintragung der Umwandlungen (§ 20 UmwG) für die Steuerpflichtigen ertragsteuerlich (BMF v. 11.11.2011, BeckVerw 254520, Tz. 01.01) vermeiden soll, wird häufig auf den 31.12. des Vorjahres bezogen. Bedingung ist nach § 17 Abs. 2 Satz 4 UmwG, an den § 2 Abs. 1 UmwStG ohne „Wahlmöglichkeit“ anknüpft (zuletzt FG Düsseldorf v. 13.3.2024 – 7 K 2491/21 F, BeckRS 2024, 8760), dass „die Bilanz auf einen höchstens acht Monate vor der Anmeldung liegenden Stichtag aufgestellt worden ist“. Ist dies der Fall (oder tritt „Heilung“ nach § 20 Abs. 2 UmwG ein…), kommt die „gesetzliche Fiktion, nach der unabhängig vom Zeitpunkt des zivilrechtlichen Vermögensübergangs auf den übernehmenden Rechtsträger (Zeitpunkt der Eintragung in das Handelsregister, § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG) der Stichtag der der Umwandlung zugrunde liegenden Bilanz der steuerlich maßgebliche Übertragungsstichtag ist“, zur Anwendung (BFH v. 24.4.2008 – IV R 69/05, BeckRS 2008, 25013625).

Zum „steuerlichen Übertragungsstichtag“ des § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwStG (BMF v. 11.11.2011, BeckVerw 254520, Tz. 02.02) wird es dann teilweise komplex. Auf den Ablauf dieses Stichtags fingiert das Gesetz den Übergang des Vermögens der übertragenden Körperschaft. Auf Antrag der übernehmenden Gesellschaft (BFH v. 19.12.2018 – I R 1/17, BeckRS 2018, 43783) gilt dies bei Einbringungen unter § 20 UmwStG auch für „das Einkommen und das Vermögen des Einbringenden“ (§ 20 Abs. 5 Satz 1 UmwStG), wobei § 20 Abs. 5 Satz 2 f. UmwStG (derzeit umstrittene, Broemel/Westermann, DStR 2024, 1521, 1525) Ausnahmen für Entnahmen und Einlagen nach dem steuerlichen Übertragungsstichtag aufstellt (BFH v. 12.4.2022 – VIII R 35/19, BeckRS 2022, 16593 Rn. 22 ff.).

Die Komplexität besteht damit in vielen Fällen im richtigen Verständnis der „letzten Sekunde“ des steuerlichen Übertragungsstichtags. Die zahlreichen „Gewinne“, die das Umwandlungssteuergesetz kennt, entstehen jedenfalls in diesem Moment, so dass sie noch im „alten“ Veranlagungszeitraum (§ 25 Abs. 1 EStG) bzw. Erhebungszeitraum (§ 14 Satz 2 f. GewStG) zu versteuern sind. Das gilt insbesondere für den „Übertragungsgewinn“ und den „Übernahmegewinn“ (BFH v. 14.3.2024 – IV R 6/21, BeckRS 2024, 8870, Rn. 29). Auch der „Beteiligungskorrekturgewinn“ (§ 4 Abs. 1 Satz 2 UmwStG, „zum steuerlichen Übertragungsstichtag“; BFH v. 30.7.2014 – I R 58/12, BeckRS 2014, 96102, Rn. 11) und der „Übernahmefolgegewinn“ (BMF v. 11.11.2011, BeckVerw 254520, Tz. 04.26; BFH v. 14.3.2024 – IV R 6/21, BeckRS 2024, 8870, Rn. 25, für den „Einbringungsfolgegewinn“) sind umfasst. Am steuerlichen Übertragungsstichtag sind mithin auch die Folgen nach § 29 KStG für die steuerlichen Einlagekonten der beteiligten Körperschaften zu ziehen (FG Düsseldorf v. 13.3.2024 – 7 K 2491/21 F, BeckRS 2024, 8760).

Bezüglich des übergehenden Vermögens kommt es in der letzten Sekunde des steuerlichen Übertragungsstichtags zu einem „doppeltenAusweis, „nämlich sowohl in der steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Gesellschaft als auch in der steuerlichen Jahresbilanz der Übernehmerin“ (BFH v. 29.4.2020 – XI R 39/18, BeckRS 2020, 19813, Rn. 24). Ebenso wird von einer durch die Umwandlung neu gegründeten übernehmenden Gesellschaft bereits eine Körperschaftsteuererklärung sowie ggf. eine Gewerbesteuererklärung und eine Erklärung zur gesonderten Feststellung des steuerlichen Einlagekontos (§ 27 KStG) erwartet (BMF v. 10.11.2021, BeckVerw 563450, Rn. 41).

Die Ergebniszurechnung beginnt hingegen erst ab 1.1. des neues Jahres. Das hat die Klägerin im Urteil des BFH vom 14.3.2024 (IV R 6/21, BeckRS 2024, 8870) zu spüren bekommen. Bei einer Verschmelzung zweier Gesamthände nach § 24 UmwStG hatte sie als übernehmende Gesellschaft den Antrag auf Rückwirkung auf den 31.12.2014 gestellt (§ 24 Abs. 4 2. HS UmwStG iVm § 20 Abs. 5, 6 UmwStG). „Dies ändert aber nichts daran, dass sich die laufende Ergebniszurechnung erst mit Ablauf des steuerlichen Übertragungsstichtags – das heißt am Tag danach (handelsrechtlicher Übertragungsstichtag) – ändert. Die im eingebrachten Betriebsvermögen verwirklichten Sachverhalte werden nur insoweit der übernehmenden Personengesellschaft zugerechnet (und in deren Gewinnermittlung berücksichtigt), als sie auf den Rückwirkungszeitraum entfallen“ (BFH v. 14.3.2024 – IV R 6/21, BeckRS 2024, 8870, Rn. 26). Dieses Ergebnis stellte sich auch für den Gewerbeertrag ein (BFH v. 14.3.2024 – IV R 1/24, BeckRS 2024, 8868).

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