Glücksspiel: Zustellung an Wahlverteidiger ohne echte Vollmacht in der Akte....

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 24.08.2024
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1406 Aufrufe

...ist immer ein Problem. Wenn es in OWi-Sachen darum geht, Verjährungsfallen zu vermeiden, ist die Rechtsprechung kreativ. Eine Meldung als Verteidiger, eine kurze Stellungnahme, ein Akteneinsichtsgesuch und die nachfolgende Entgegennnahme der Zustellung können da schon ausreichen, dass das später damit befasste OLG eine rechtsgeschäftliche Vollmacht annimmt, die sich in der Akte durch die vorbeschriebenen Tätigkeiten manifestiert hat. Will man dem Betroffenen aber mal etwas Gutes tun, so können ganz ähnliche Sachverhalte nicht ausreichen, eine Bevollmächtigung nachzuweisen. So hier:

 

Die .... sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere nicht verfristet. Weder die Zustellung an die Beschwerdeführerin noch jene an den Verteidiger setzte die Beschwerdefrist des § 311 Abs. 2 1. Hs. StPO in Lauf.

 a) aa) Die sofortige Beschwerde ist binnen einer Woche einzulegen; die Frist beginnt mit der Bekanntmachung (§ 35 StPO) der Entscheidung, § 311 Abs. 2 StPO. Bekanntmachungen, durch die eine Frist in Lauf gesetzt wird, sind gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 StPO zuzustellen. Die Zustellung von Entscheidungen ordnet der Vorsitzende an. Die Geschäftsstelle sorgt dafür, dass die Zustellung bewirkt wird (§ 36 Abs. 1 StPO). Wird die Entscheidung durch Zustellung bekanntgemacht und die für einen Beteiligten bestimmte Zustellung an mehrere Empfangsberechtigte bewirkt, so richtet sich die Berechnung einer Frist nach der zuletzt bewirkten Zustellung, § 37 Abs. 2 StPO.

 bb) Gemäß den §§ 37 Abs. 1 StPO, 180 Satz 1 ZPO kann ein Schriftstück in einen zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist. Wohnt der Adressat nicht unter der Anschrift, liegen die Voraussetzungen der Ersatzzustellung nach den §§ 37 Abs. 1 StPO, 180 Satz 1 ZPO nicht vor und die Zustellung ist unwirksam (MüKoStPO/Valerius, 2. Aufl. 2023, StPO § 37 Rn. 61; KK-StPO/Schneider-Glockzin, 9. Aufl. 2023, StPO § 37 Rn. 26; BeckOK StPO/Larcher, 51. Ed. 1.4.2024, StPO § 37 Rn. 29). Ob eine Wohnung am Übergabeort existiert, richtet sich nicht danach, ob jemand unter einer bestimmten Adresse polizeilich gemeldet ist, sondern entscheidend ist, ob der Zustellungsempfänger tatsächlich an der angegebenen Anschrift wohnt und dort schläft, d. h. eine Wohnung des Adressaten an dem Ort, an dem zugestellt werden soll, i.S.d. Zustellvorschriften der §§ 178 ff. ZPO tatsächlich existiert und von dem Adressaten als Lebensmittelpunkt genutzt wird (OLG Hamm, Beschluss vom 13.04.2021 – III-5 Ws 102/21 und 103/21; AG Landstuhl, Beschluss vom 05.05.2021 – 2 OWi 4211 Js 90/21). Die Eigenschaft als Wohnung geht verloren, wenn sich während der Abwesenheit des Zustellungsempfängers auch der räumliche Mittelpunkt seines Lebens an einen neuen Aufenthaltsort verlagert (Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 05.12.2007 – 1 Ss 262/07). Die Zustellungsurkunde erbringt gemäß den §§ 37 Abs. 1 StPO, 418 Abs. 1 ZPO grundsätzlich vollen Beweis für die in ihr bezeugten Tatsache der Zustellung. Nach § 418 Abs. 2 ZPO ist jedoch der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsache zulässig. Dies erfordert die volle Überzeugung des Gerichts von der Unrichtigkeit der in der öffentlichen Urkunde bezeugten Tatsache (Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 14.05.2007 – 1 Ws 97/07). Die Erklärung des Zustellers, dass die Übergabe des Schriftstücks unter der Anschrift, in der der Betroffene wohnt, nicht möglich gewesen sei, ist ein beweiskräftiges Indiz dafür, dass der Adressat am Tag der Zustellung unter der Zustellungsanschrift gewohnt hat. Diese Indizwirkung der Ersatzzustellung und ihrer Beurkundung kann durch eine plausible und schlüssige Darstellung entkräftet werden, wobei das bloße Bestreiten, d. h. die schlichte Behauptung, unter der Zustellungsanschrift nicht zu wohnen, nicht genügt (KG Berlin, Beschluss vom 27.06.2019 – 5 Ws 61/19; OLG Hamm, Beschluss vom 12.11.2015 – III-3 Ws 379/15).

 cc) Der gewählte Verteidiger, dessen Bevollmächtigung nachgewiesen ist, gilt als ermächtigt, Zustellungen und sonstige Mitteilungen für den Beschuldigten in Empfang zu nehmen, § 145a Abs. 1 Satz 1 StPO. Zum Nachweis der Bevollmächtigung genügt dabei gem. § 145a Abs. 1 Satz 2 StPO die Übermittlung einer Kopie der Vollmacht durch den Verteidiger.

 Die Zustellung an den Verteidiger muss, wenn dieser nicht als Pflichtverteidiger bestellt wurde, auf der Grundlage einer Verteidigervollmacht angeordnet werden (BGH, Beschluss vom 24.10.1995, 1 StR 474/95; MüKoStPO/Kämpfer/Travers, 2. Aufl. 2023, StPO § 145a Rn. 5). Die Bevollmächtigung ist nachzuweisen, wofür gemäß § 145 Abs. 1 Satz 2 StPO die Übermittlung einer Kopie der Vollmacht ausreichend ist. Nach der vormaligen, am 01.04.1987 in Kraft getretenen Fassung des § 145a Abs. 1 StPO hieß es „Der gewählte Verteidiger, dessen Vollmacht sich bei den Akten befindet (…)“; seit dem 01.07.2021 lautet die Vorschrift in § 145a Abs. 1 Satz 1 StPO „Der gewählte Verteidiger, dessen Bevollmächtigung nachgewiesen ist“. Die Gesetzesänderung ermöglicht die elektronische Einreichung einer Verteidigervollmacht (BeckOK StPO/Krawczyk, 51. Ed. 1.4.2024, StPO § 145a Rn. 8).

 Die Voraussetzungen des § 145a Abs. 1 Satz 1 StPO können auch im Falle einer mündlich erklärten und im Sitzungsprotokoll beurkundeten Bevollmächtigung des Verteidigers erfüllt sein, wobei sein bloßes Auftreten in der Hauptverhandlung nicht ausreicht (BGH, Beschluss vom 24.10.1995 – 1 StR 474/95; KG Berlin, Beschluss vom 15.06.2020 – (4) 161 Ss 55/20 (59/20); OLG Stuttgart, Beschluss vom 14.06.2002 – 5 Ss 191/2002).

 Die anwaltliche Versicherung ordnungsgemäßer Bevollmächtigung reicht im Falle eines Wahlmandats nicht aus, um daraus eine Ermächtigung i.S. des § 145 a Abs. 1 StPO abzuleiten (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 14.04.2022 – 2 Ws 15/22). Eine insofern unwirksame Zustellung setzt auch die Beschwerdefrist nicht in Lauf (BGH, Beschluss vom 15.11.2021 – 5 StR 90/21). Die Zustellung an einen Verteidiger, dessen Vollmacht sich nicht i.S.v. § 145a Abs. 1 S. 1 StPO bei den Akten befindet, wird auch nicht dadurch wirksam, dass dieser im Anschluss ein von ihm datiertes und unterschriebenes Empfangsbekenntnis zur Akte reicht (BGH, Beschluss vom 15.11.2021 – 5 StR 90/21 noch zur vormaligen Fassung des § 145a Abs. 1 S. 1 StPO).

 b) aa) Die oben zitierte Zustellungsverfügung der Vorsitzenden entspricht den Anforderungen des § 36 Abs. 1 Satz 1 StPO, auch wenn sie die Zustellungsart nicht enthielt. Mängel bei der Anordnung der Zustellung können zwar zu deren Unwirksamkeit führen. Die in Teilen der Rechtsprechung vertretene Meinung, der Vorsitzende müsse auch anordnen, in welcher Form zugestellt werden soll (OLG Celle, Beschluss vom 24.08.1976 – 2 Ss (OWi) 276/76; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.11.1981 – 2 Ss (OWi) 749/81 – 367/81 II; Graalmann-Scheerer in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2016, § 36 Rn. 7; Pollähne in: Gercke/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 7. Auflage 2023, § 36 StPO, Rn. 4) ist mit den zutreffenden Argumenten der Gegenmeinung (BayObLG, Beschluss vom 12.03.1999 – 1St RR 51/99; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.11.1999 – 1 Ws (OWi) 944/99) abzulehnen. Dieser Bereich betrifft die Ausführung der Zustellung nach § 36 Abs. 1 Satz 2 StPO, die der Geschäftsstelle obliegt.

 bb) Zwar wurde der Beschluss der Beschwerdeführerin am 23.04.2024 zugestellt, wonach die Beschwerdefrist am 23.04.2024 zu laufen begonnen und am 30.04.2024 um 24 Uhr, geendet hätte (§ 43 Abs. 1 StPO). Die sofortige Beschwerde mit Schriftsatz des Verteidigers vom 02.05.2024 ging erst am 02.05.2024 um 16:19:23 Uhr bei Gericht ein und mithin nach Ablauf dieser Frist.

 Nach den obigen Vorgaben war die Zustellung an die Beschwerdeführerin aber unwirksam und setzte die Beschwerdefrist nicht in Lauf. 

LG Nürnberg-Fürth Beschl. v. 2.7.2024 – 18 Qs 22/24, BeckRS 2024, 15789

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