Entscheidung zur passiven Entstrickung bei § 6 AStG ist vertagt - BFH vom 16.4.2024 - IX R 38/21

von StB Dr. Martin Weiss, veröffentlicht am 16.08.2024
Rechtsgebiete: Steuerrecht|3054 Aufrufe

Eine AO-Klausur und eine Prüfung zum Fachberater für Internationales Steuerrecht in einem – dieser Wunsch geht im Urteil des IX. Senats des BFH zur „passiven Entstrickung“ bei Anteilen im Sinne des § 17 EStG in Erfüllung! Allerdings gibt es leider keine endgültige Entscheidung zur Frage, ob eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts an Anteilen im Sinne des § 17 EStG durch eine Änderung eines Doppelbesteuerungsabkommens zu einem einkommensteuerbaren Tatbestand führt (so BMF vom 26.10.2018, BeckVerw 441700; aufrechterhalten in BMF vom 22.12.2023, BeckVerw 632010, Rz. 89).

Zum einen stritten die Beteiligten in der Vorinstanz bereits um Fragen der Änderungsmöglichkeit von Steuerverwaltungsakten (§ 172 AO), bei denen das Finanzamt seiner Ansicht nach den „Bekanntgabewillen“ rechtzeitig aufgegeben hatte. Dass dies möglich ist – darüber sind sich alle einig. Die Aufgabe des Willens der Finanzbehörde zur Bekanntgabe eines Verwaltungsakts führt aber nur dann zu dessen Unwirksamkeit, wenn der Wille aufgegeben wird, bevor der Bescheid den Herrschaftsbereich der Verwaltung verlassen hat; die Rechtzeitigkeit der Aufgabe des Bekanntgabewillens muss in den Akten hinreichend klar und eindeutig dokumentiert sein (AEAO zu § 124, unter 5.). Unabhängig vom Zeitpunkt der Aufgabe des Bekanntgabewillens wird ein Verwaltungsakt aber auch dann nicht wirksam, wenn die Finanzbehörde dem Empfänger vor oder spätestens mit der Bekanntgabe des Verwaltungsakts mitteilt, dieser Bescheid solle nicht gelten (AEAO zu § 124, unter 6.). In diesem Punkt weicht der BFH von der Entscheidung der Vorinstanz (FG Köln vom 17.06.2021 - 15 K 888/18, IStR 2021, 818) ab und sieht eine Änderungsmöglichkeit des FA für den angegriffenen Einkommensteuerbescheid unter § 164 Abs. 2 AO.

In der Prüfung der materiell-rechtlichen Fragen erkennt der IX. Senat dann einige Mängel in der Argumentation der Vorinstanz. Seine Eltern hatten dem Kläger im Jahr 2006 Anteile im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG an einer spanischen Kapitalgesellschaft, deren Aktivvermögen aus spanischem Grundvermögen bestand, unentgeltlich übertragen. Die Eltern behielten sich allerdings den Nießbrauch an den Anteilen vor. Insofern bemängelt der BFH, dass die Vorinstanz hätte klären müssen, ob der Kläger als nießbrauchsbelasteter Inhaber der Anteile an der Kapitalgesellschaft überhaupt Subjekt einer Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG sein kann (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO; zu ähnlichen Fragen bei einer Wertpapierleihe bereits BFH v. 23.11.2022 – I R 52/19, IStR 2023, 181).

Selbst wenn der Kläger unter § 6 AStG idF des Streitjahres 2013 fallen konnte, ist dieser jedenfalls nicht in dem Streitjahr 2013 erfüllt. Die eigentlich interessante Frage, ob eine passive Entstrickung „infolge der erstmaligen Anwendbarkeit eines erstmals abgeschlossenen oder revidierten Doppelbesteuerungsabkommens, welches eine mit Art. 13 Abs. 4 OECD-Musterabkommen vergleichbare Regelung enthält“, in seinem Auffangtatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 EStG a.F. erfüllt sein kann (so BMF vom 26.10.2018, BeckVerw 441700; aufrechterhalten in BMF vom 22.12.2023, BeckVerw 632010, Rz. 89), lässt der BFH leider offen (Nachweise zu den vertretenen Auffassungen in Rz. 40, 41). Auch unter heutiger Rechtslage enthält § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AStG eine solche Regelung, die den „Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile“ zum Anlass der Besteuerung macht.

Jedenfalls sieht der BFH einen denkbaren Besteuerungstatbestand nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 EStG a.F. bereits im Jahr 2012 als eingetreten (§ 3 Abs. 1 AO; § 38 AO). Das revidierte DBA Spanien 2011 wurde durch Gesetz vom 16.01.2012 (BGBl. II 2012, 18) ratifiziert und ist am 01.01.2013 in Kraft getreten (BMF vom 15.1.2024, BeckVerw 633135). Es enthält eine „real-estate-rich-Klausel“ entsprechend Art. 13 Abs. 4 OECD-MA 2017, die nach Auffassung der Finanzverwaltung zur Entstrickung von Anteilen an entsprechenden Kapitalgesellschaften führt. Die Finanzverwaltung will die Rechtsfolgen der Entstrickung im Zeitpunkt der erstmaligen Anwendbarkeit des erstmals abgeschlossenen oder revidierten Doppelbesteuerungsabkommens eintreten lassen (BMF vom 26.10.2018, BeckVerw 441700).

Dies sieht der BFH im Einklang mit Entscheidungen zu dem Grundtatbestand des § 6 AStG a.F. (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG a.F.; „Steuerzugriff in der letzten juristischen Sekunde der unbeschränkten Steuerpflicht des Wegziehenden“, BFH v. 23.9.2008 – I B 92/08, BeckRS 2008, 24003453) anders. Zwischenzeitlich hat der Gesetzgeber dieses Verständnis in § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AStG auch hinterlegt, was der BFH wiederum als Stärkung seiner Argumentation zur Altfassung ansieht („Klarstellung der schon zuvor geltenden Rechtslage“, Rz. 50).

Teilweise dauert es, bis der spannende Kern von Rechtsfragen beim BFH entschieden wird! Man denke an den Frust der Klägerin in BFH v. 26.6.2014 (IV R 5/11, BeckRS 2014, 95990), die gerne die Frage der Bagatellgrenze bei einer Aufwärtsinfektion nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 2. Alt. EStG (BeckOK GewStG/Weiss GewStG § 7 Rn. 342 mwN) geklärt sehen wollte. Der BFH hingegen konnte eine Antwort in diesem Verfahren noch vermeiden, da es an dem notwendigen Bezug von gewerblichen Einkünften aufgrund eines abweichenden Wirtschaftsjahres (§ 4a Abs. 2 EStG) im Streitjahr fehlte. Zwischenzeitlich musste er allerdings „Farbe bekennen“ (BFH v. 6.6.2019 – IV R 30/16, BStBl. II 2020, 649; BFH v. 5.9.2023 – IV R 24/20, DStR 2023, 2491 Rn. 6). Insoweit hoffen wir auch auf einen „besseren Fall“ zu § 6 AStG und passiver Entstrickung…

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