Anwalt, ISO und der BGH

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 04.01.2011

Die Anwaltskanzlei arbeitet nach dem Qualitätsmanagementsystem EN ISO 9001:2008. In einem an die Angestellten ausgegebenen Handbuch heißt es:

Fristgebundene Schriftsätze an auswärtige Gerichte müssen unter Umständen per Fax vorab geschickt werden. Das jeweilige Sekretariat sollte sich den vollständigen Eingang des lesbaren Fax-Schreibens fernmündlich bestätigen lassen und darüber einen Vermerk anfertigen". …"Bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Fax bietet der "o.k.-Vermerk" im Sendeprotokoll keine sichere Gewähr dafür, dass das Fax vollständig beim Empfänger angekommen ist. Deshalb sollte sich das Sekretariat durch telefonische Nachfrage beim Empfänger den rechtzeitigen und vollständigen Zugang bestätigen lassen.

Die Beschwerdebegründung hätte am 04.01. bei dem OLG eingehen müssen. Der Anwalt übergab den Schriftsatz nach 18.00 Uhr der Sekretärin mit dem Auftrag, ihn an das OLG zu faxen.

Die tat wie ihr geheißen und strich die Frist im Kalender. Wegen der Uhrzeit rief sie jedoch nicht beim OLG an, da sie damit rechnete, dass dort niemand mehr abnehmen werde. Ein Sendeprotokoll druckte sie nicht aus. Der Schriftsatz ging am 05.01. ein …

Wiedereinsetzung abgelehnt.

Die allgemeine Weisung, die Frist erst nach telefonischer Rückfrage bei dem Empfänger und Fertigung eines entsprechenden Vermerks zu streichen, genügt nicht den Anforderungen an eine wirksame Ausgangskontrolle. Diese Anweisung enthält für den Fall, dass der Schriftsatz, wie hier, am letzten Tag der Frist nach Dienstschluss dem Gericht übermittelt werden soll und eine telefonische Bestätigung durch den Empfänger nicht mehr erfolgen kann, keine ausreichenden Vorkehrungen zur Vermeidung einer Fristversäumung. Eine wirksame Ausgangskontrolle kann in diesem Fall nur durch den Ausdruck und die Überprüfung des Sendeprotokolls erfolgen

Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde stellt sich auch nicht die grundsätzliche Frage, ob und inwieweit ein Rechtsanwalt, der seinen Bürobetrieb nach dem Qualitätsmanagementssystem DIN EN ISO 9001: 2008 organisiert hat, auf die Richtigkeit der Anweisungen vertrauen darf. Denn es liegt auf der Hand, dass ein Rechtsanwalt für die ordnungsgemäße Organisation seiner Kanzlei selbst verantwortlich ist.

BGH v 22.09.2010 -XII ZB 117/10 =

BeckRS 2010, 25717
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9 Kommentare

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Was ist so ein Qualitätsmanagementsystem ISO 9001:2008 denn auch wert?

Auch die  Frühstückseier-Verderber haben ein Zertifikat ISO 9001:2008 (vom 13.11.2010!), wenn es sich denn um die Firma handelt, die in den Zeitungen geoutet wurde. Offenbar wird nun einfach der Unsinn, der früher chaotisch gemacht wurde, jetzt einfach systematisch fortgeführt. Alles wird aufgeschrieben, aber nix besser.

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Noch mehr als die BGH Entscheidung zeigt der Kommentar des Herrn Kurz, dass man in einer Kanzlei besser die Finger von Qualitätsmanagementsystem EN ISO 9001:2008 läßt.

Überflüssig Wortreiche Umschreibung von Selbstverständlichkeiten und im Ergebnis denkt keiner mehr mit, kommt keiner mehr nach und macht nicht mehr das, was in jeder anderen Kanzlei üblich ist: Auf das Sendeprotokoll schauen!

Und der Rest der Anweisung: Anrufen, ob das Fax angekommen sei? - lebensfremde Zeitverschwendung

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Der Herr Unternehmensberater muss eben in diesen schweren Zeiten, wo das Geld nicht mehr so locker sitzt, ein wenig Werbung für sich machen - auch wenn der Versuch, eine QM-Beratung für einen fünfstelligen Betrag anzupreisen in die Hose geht angesichts der Alternativen Checkliste und Fristenkontroll- bzw. Posteingangs-/ausgangsbuch. Beides gibt's auch elektronisch und für weitaus weniger Geld als eine DIN/ISO-Zertifizierung. 

Würde man das Geld für eine solche darin investieren, das persönliche Zeitmanagement des Anwalts so zu verbessern, dass ein Schriftsatz nicht erst weniger als 6 Stunden vor Fristablauf fertiggestellt ist, könnte man von einer sinnvollen Investition sprechen. Aber ein QM-Zertifikat macht sich eben gut auf der Homepage, stellt der Kanzleileitung einen Persilschein aus ("wir haben ja alles gemacht") und kostet aufs Jahr gerechnet deutlich weniger als eine Halbtageskraft zur Entlastung der Mitarbeiter...

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Gerade das Beispiel im Ausgangsposting zeigt ja, dass eine QM-Zertifizierung noch lange nicht zu einer professionellen, also Fehler vermeidenden Organisation führt.

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Vermutlich waren die Anwälte mit den extrem wortreichen Ausführungen der Unternehmensberatung zeitlich so beschäftigt, dass die Fristen knapp wurden. Naja, und dann kann man ja mal auf die Idee kommen, die ISO als Ausrede zu benutzen.

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und wieder was dazugelernt: wenn ich mal wieder dampfplaudern und heiße Luft bedeutungsschwer erscheinen lassen möchte, dann benutzte ich fürderhin statt "Einstellung" das management-neudeutsche "mindset".

Danke! Und einen schönen EOB für Ihre staff, aber asap!

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Ihre vielen Worte, Herr Kurz, von denen ich manche noch nicht kannte, können nicht darüber hingwegtäuschen, dass das eingesetzte QMS im vorliegenden Fall schlicht unbrauchbar war.

Wenn es in dem Handbuch heißt, die Angestellte sollte sich fernmündlich rückversichern, so liegt hierin keine klare Handlungsanweisung, insbesondere nicht für den Fall des Faxversands nach den üblichen Bürozeiten.

Hinsichtlich des ok-Vermerks werden unzulässig verschiedene Dinge vermengt. Richtig ist, dass der ok-Vermerk nach noch immer herrschender Rspr. nicht den Beweis für den Zugang des Fax liefert. Dies hat aber mit der Frage der Wiedereinsetzung nichts zu tun.

Interesant wäre es, wenn der betroffene Anwalt nunmehr Schadensersatzansprüche gegen den QMS-Vertreiber gelten machen würde ...

Auch wenn Mechanismen wie diese durchaus auch einen brauchbaren Kern haben, so werden sie doch meistens nur zu Werbezecken oder als "Cover your arse" Kissen verwendet.

So wie in diesem Fall schaffen sie meistens auch nur eine Art Scheinsicherheit, nach dem Motto, "Wir haben ja alles getan. Steht ja hier gerahmt an der Wand."

Der Nachteil an solchen Versuchen, alles regeln zu wollen ist, dass den Leuten das eigenständige Denken abgewöhnt wird.

Das kann man hier, an diesem Fall beobachten, als auch im täglichen Leben mit seinem Regulierungswahn.

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Vielleicht ergänzen wir mal den QM- Vermerk dahingehend, dass "Frist-Faxe" ;-) immer nur vor 12.00 Uhr gefaxt werden, da hier i.d.R. ein parallel erfolgter Anruf möglich sein dürfte.....

 

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