Überfallener 77jähriger erschießt einen flüchtenden Angreifer - Totschlag?
von , veröffentlicht am 28.10.2014An prominenten und weniger prominenten Fällen zeigt sich, dass die Praxis des Notwehrrechts immer wieder gravierende Entscheidungsunsicherheiten birgt, insbesondere wenn Irrtum und/oder Exzess hinzutreten (siehe zuletzt die Diskussion zum Pistorius-Fall).
So auch in dem diese Woche entschiedenen Fall eines norddeutschen Rentners (heutiger SZ-Bericht). Der damals 77jährige und bewegungseingeschränkte Mann wurde in seinem Haus von fünf maskierten jungen Männern in Raubabsicht überfallen (damaliger taz-Bericht). Als die Alarmanlage klingelte, wendeten sich die Täter zur Flucht. Der Rentner schoss einem 16jährigen flüchtenden Täter in den Rücken – mit tödlichen Folgen.
Der Rentner gab an, er habe vorher einen Schuss gehört und habe deshalb selbst geschossen. Indes stellte sich heraus, dass die von den Tätern möglicherweise als Drohmittel mitgeführten Waffen nur geräuscharme Softair-Guns waren und der Rentner als einziger schoss.
Die Staatsanwaltschaft hatte ursprünglich eine Notwehrlage angenommen und das Verfahren eingestellt. Auf Beschwerde der Angehörigen des Opfers wurde dennoch Anklage erhoben; diesmal lehnte aber zunächst die Strafkammer die Eröffnung ab. Erst das OLG Celle ordnete schließlich die Hauptverhandlung an.
Staatsanwaltschaft und Verteidigung forderten vergangene Woche einen Freispruch des mittlerweile 81jährigen Angeklagten. Sie stellten dabei – soweit berichtet wird – auf eine Putativnotwehr (Erlaubnistatbestandsirrtum) ab: Der Rentner meinte in der unübersichtlichen Situation einen Schuss gehört zu haben und habe sich deshalb subjektiv noch in einer gegenwärtigen Notwehrlage befunden. Das Gericht war davon offenbar nicht überzeugt und verurteilte den Rentner nun wegen Totschlags (im minder schweren Fall) zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Da ich die Sachaufklärung in der Hauptverhandlung nicht selbst verfolgt habe, kann ich zu den Einzelheiten hier nicht präzise Stellung nehmen (hier ausführlicher Bericht des NDR mit Video). Dennoch scheint sich an diesem Fall erneut zu zeigen: Während das geschriebene Recht zur Notwehr einschließlich der schuldbefreienden ergänzenden Vorschrift zur Überschreitung derselben (§ 33 StGB) relativ weit ist – in der Lehre meist garniert mit dem Spruch „Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen“, wird die Notwehr in der Rechtspraxis eher eingeschränkt ausgelegt, es sei denn, es handelt sich bei den Beschuldigten um Polizeibeamte.
Hier war auch zu berücksichtigen, dass der Rentner beim Überfall in seinem Haus selbst (nach seinen Angaben) mit Waffen bedroht wurde und sich einer Überzahl von jüngeren und beweglicheren Tätern ausgesetzt sah. Es scheint mir, als seien genügend Hinweise auf eine Notwehrexzess gegeben. So auch das Gericht, nach dem Bericht der SZ:
"Nach Überzeugung des Gerichts gab der Rentner die Schüsse aus Angst um sein Leben bewusst ab, überschritt dabei aber die Grenzen der Notwehr. "Ein gezielter Schuss auf Arme oder Beine wäre ausreichend gewesen und hätte auch den Angreifer gestoppt", sagte der Vorsitzende Richter Berend Appelkamp in seiner Urteilsbegründung."
In einigen Berichten heißt es, die Täter hätten die Geldbörse ihres Opfers bereits an sich genommen - in diesem Fall wäre der Raubangriff bei der Flucht (mit Geldbörse) möglicherweise noch nicht beendet gewesen. Es käme dann (wie im Wortlaut des oben zitierten Berichts angedeutet) ein intensiver Notwehrexzess (Überschreitung der Erforderlichkeitsgrenze) in Betracht. Sieht man den Angriff als nicht mehr gegenwärtig an, dann kommt noch ein extensiver Notwehrexzess (also die Überschreitung der Gegenwärtigkeitsgrenze) in Frage. Indes ist immer noch umstritten, ob der extensive Notwehrexzess in § 33 StGB zu berücksichtigen ist. Mit einer großen Zahl von Strafrechtslehrern (statt vieler: Erb in MüKo-StGB § 33 Rn. 14) bin ich der Ansicht, § 33 StGB müsse auch den extensiven Notwehrexzess berücksichtigen, sofern ein realer rechtswidriger Angriff vorliegt. Die Rechtsprechung (und so offenbar auch das LG Stade) hingegen begrenzt § 33 StGB auf den intensiven Notwehrexzess.
Nach meiner Einschätzung (beruhend auf den Informationen aus der Berichterstattung) wäre ein Freispruch wegen § 33 StGB naheliegend gewesen.
Ergänzung (29.10.): Hier noch der Link zur Entscheidung des OLG Celle. (Dank an den Leser Gloeckner für den Hinweis)
Eine sehr aktuelle Entscheidung des zweiten Senats zum Notwehrexzess in einem anderen Fall findet sich hier: BGH 2 StR 113/14
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43 Kommentare
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Ich (als Examenskandidat) hatte – das noch mitgeführte Portemonnaie als wahr unterstellt – sogar schon eine Rechtfertigung nach § 32 angenommen. Jedenfalls wäre ich aber über § 33 zur Straflosigkeit gekommen. Schön, dass das wohl vertretbar ist. ETBI wäre natürlich auch denkbar.
Name kommentiert am Permanenter Link
Laut diversen Berichten war der Rentner geübter Schütze und hatte ein hell erleuchtetes Schussfeld. Er wusste und sah, wohin er aus zwei Metern Entfernung (!) zielte: nicht auf die Beine.
Wenn man erst nach beendetem Überfall zur Pistole greift und auf Flüchtende - die keine konkrete Gefahr mehr für Leib und Leben darstellen - in "shoot to kill"-Manier feuert, dann ist das Selbstjustiz und kein durch "Verwirrung, Furcht oder Schrecken" ausgelöster Irrtum.
Sicherheit kommentiert am Permanenter Link
In Deutschland spricht man von einem "schneidigen" Notwehrrecht. Es findet bei entsprechender Handlung keine Güterabwägung statt. Einziger Versagensgrund wäre hier ein grob soziales Missverhältnis.
Gerade strittig war, ob der rechtswidrige Angriff beendet war. Der Taterfolg war noch nicht gesichert, demnach war der Angriff auf Eigentum noch gegenwärtig. Somit notwehrfähig als Rechtfertigungsgrund für die Tat.
Notwehr hat im Übrigen auch überhaupt nichts mit Selbstjustiz zu tun. Diesen Begriff gibt es juristisch überhaupt nicht. Sie dürfen sich Ihres Eigentums erwehren. Nicht zuletzt deshalb wurde ein Ermittlungsverfahren mehrmals eingestellt.
Ob man sich nur wehrt, wenn Leib und Leben in Gefahr ist, bleibt eine persönlich moralische Entscheidung. Das hat in einem Urteil nichts verloren. Man darf gespannt bleiben, wie der BGH entscheidet.
Prof. Dr. Henning Ernst Müller kommentiert am Permanenter Link
Sehr geehrter Mein Name,
von hell erleuchtetem Schussfeld etc. habe ich bisher nichts gelesen. Aber dass dies Verwirrung, Furcht und Schrecken ausschließt, halte ich für eine gewagte These. Im Übrigen hat das Gericht dies (s. oben) wohl offenbar auch anders gesehen als Sie. Der Jugendliche war also noch auf dem Grundstück - nur 2 Meter entfernt? Dann habe ich ernsthaft Zweifel daran, dass der Überfall bereits beendet war. Die Täetr können (aus Sicht des Raubopfers) schließlich jederzeit umkehren und ihren Angriff fortsetzen.
Ich halte jedenfalls Bemerkungen, die den Rentner als schießwütigen Rächer darstellen, für wenig überzeugend. Wird dadurch nicht das Opfer eines Raubüberfalls in der eigenen Wohnung zum Täter umgewidmet?
Besten Gruß
Henning Ernst Müller
Lutz kommentiert am Permanenter Link
Ich habe mich mit diesem Fall nicht beschäftigt und kann daher nur aus der Sicht dieses Artikels sprechen. Dieser allerdings scheint um die meines Erachtens nach wichtigste Frage "herum zu tänzeln": Der Beschreibung nach waren die Einbrecher auf der Flucht und der tödliche Schuss erfolgte in den Rücken des Opfers. Zumindest aus diesen Informationen lässt sich meiner Meinung nach nur sehr schwierig eine aktuelle Gefahr für Leib und Leben konstruieren. Meiner (unprofessionellen) Meinung nach sollte der ganze Fall mit diesem einen Punkt stehen und fallen: War das Opfer zum Zeitpunkt des Schusses auf der Flucht und hatte dem Schützen den Rücken zu gewendet oder nicht?
Hannes Mueller kommentiert am Permanenter Link
Lutz: Nein, das ist genau nicht die Frage. Notwehr gibt es nicht nur gegen Angriffe gegen Leib und Leben. Ein Angriff auf das Eigentum ist genauso notwehrfähig, und dieser ist erst beendet, wenn der Täter entweder die Beute zurücklässt oder endgültig entkommen ist. Die Täter waren mit dem Geld geflüchtet, und daher griff noch eine Notwehrlage ein. § 32 StGB erlaubt prinzipiell - auch wenn das kaum jemand glauben mag - die Verteidigung des Eigentums mit tödlichen Mitteln. Verhältnismäßigkeit der Mittel ist - im Gegensatz zu § 34 - eben nicht erforderlich. Einschränkungen werden nur bei einem krassen Missverhältnis gemacht, aber davon würden wir reden, wenn es um einen Apfel gehen würde, nicht um mehrere tausend Euro.
Hannes Mueller kommentiert am Permanenter Link
Und selbst wenn die Täter die Geldbörse nicht an sich genommen hätten - wenn der Schießende davon ausgegangen wäre, befände er sich in (schuldausschließender) Putativnotwehr (nach einer Ansicht) bzw. in einem extensiven Notwehrexzess nach § 33 (nach der im Artikel vertretenen Meinung).
Prof. Dr. Henning Ernst Müller kommentiert am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Lutz,
Sie schreiben:
Ich glaube nicht, dass ich um die entscheidende Frage herumgetänzelt bin. Ihre Frage geht von falschen Voraussetzungen aus. Erstens ist Notwehr nicht begrenzt auf "aktuelle Gefahr für Leib und Leben", sondern kann sich auf alle gegenwärtigen Angriffe und auf jegliches Rechtsgut (auch Eigentum!) beziehen. Zweitens hängt zwar die Frage der Notwehrlage davon ab, ob noch ein gegenwärtiger Angriff bestand, aber für die Strafbarkeit ist ebenso entscheidend, ob ein relevanter Irrtum bestand oder ob ein entschuldigender Notwehrexzess gegeben war. Den "ganzen Fall" allein anhand der Notwehrlage zu beurteilen, geht eben nicht, weil der Angeklagte, selbst wenn keine Notwehrlage bestand, ggf aufgrund von § 33 StGB freigesprochen werden musste.
Insgesamt ergibt sich bei einem Angriff auf Rechtsgüter eines anderen eine (sachgerechte ) Risikoverteilung, bei der der Angreifer auch das Risiko des Irrtums des Angegriffenen bzw. (in gewissen Grenzen, um die es hier im Kern geht) auch von dessen Überreaktionen zu tragen hat. Im vorliegenden Fall: Die Angreifer haben sich bewusst "auf die Seite des Unrechts" begeben und trugen deshalb auch das Risiko, vom Opfer ihres Angriffs (ggf unverhältnismäßig) verletzt zu werden. Die leider in der Rechtsprechung der unteren Gerichte verbreitete Strenge höhlt tendenziell das Notwehrrecht aus, indem der überraschend Angegriffene auch noch das Strafbarkeitsrisiko tragen soll, sich bei Notwehrhandlungen zu irren oder über das Ziel hinauszuschießen. Dies genau erscheint mir eine unangemessene Sichtweise.
Besten Gruß
Henning Ernst Müller
Leser kommentiert am Permanenter Link
Wenn ich die Presseberichte richtig verstehe, soll der Rentner vier Schüsse auf den flüchtenden Täter abgegeben haben. Erst der dritte Schuß traf. So weit kann es also mit der Schießkunst des Rentners nicht her sein. Davon abgesehen wären dann die ersten beiden Fehlschüsse zumindest aus Sicht des flüchtenden Täters als Warnschüsse zu qualifizieren, selbst wenn der Rentner dies nicht so wollte. Reaktion des flüchtenden Täters: KEINE. Sollte sich also der BGH mit der Revision beschäftigen, dürfte einem Freispruch nichts mehr im Wege stehen.
Gloeckner kommentiert am Permanenter Link
Das Kernproblem der Diskussion liegt doch darin, daß wir die tatrichterlichen Feststellungen des jetzigen Hauptverfahrens nicht kennen. Die einzigen derzeit öffentlich verfügbaren validen Informationen über das Tatgeschen finden sich im folgenden Beschluss des OLG Celle:
http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod....
Erstaunlich ist nun, dass das LG Stade die Frage der Erforderlichkeit eines Warnschusses offenbar anders beurteilt als seinerzeit das OLG, s. Abs. 35 des Beschlusses.
Aufgrund anderer Erkenntnisse zum Tatgeschehen oder aber abweichender rechtlicher Würdigung (in guter Tradition der Instanzgerichte zur Erforderlichkeit eines Schusswaffeneinsatzes)?
Prof. Dr. Henning Ernst Müller kommentiert am Permanenter Link
Sehr geehrte/r Herr/Frau Gloeckner,
vielen Dank für Ihren Link zur Entscheidung des OLG Celle. Damit wird vieles klarer, was die Situation beim Überfall angeht und auch, was das OLG dazu bewogen hat, einen hinreichenden Tatverdacht anzunehmen. Zudem wird dort referiert, welche Erwägungen das LG Stade zuvor dazu bewogen haben, die Eröffnung abzulehnen. Entscheidend ist einerseits, dass die Notwehr selbst mangels subjektiven Verteidigungselements abgelehnt wurde: Der Angeklagte habe nicht gewusst, dass die Täter die Geldbörse eingesteckt hatten, habe also nicht zur Verteidigung seines Eigentums geschossen. Das wirft zurück auf die Frage des Notwehrexzesses, die m.E. vom OLG Celle nicht überzeugend beantwortet wird. Auf den extensiven Notwehrexzess geht das OLG überhaupt nicht ein.
Hier noch einmal für die Mitdiskutanten der Link zur Entscheidung des OLG Celle.
Beste Grüße
Henning Ernst Müller
Gloeckner kommentiert am Permanenter Link
Guten Morgen Herr Professor Müller,
ich stimme mit Ihnen überein, daß die Frage des Notwehrexzesses nicht überzeugend behandelt wird. Aus Sicht der generellen Linie der Rechtsprechung aber immerhin konsequent. Es war von vornherein nicht zu erwarten, daß das OLG sich hier auf eine (akademische) Diskussion einlässt oder aber gar eine Wende einleitet.
Ausgehend von den bislang verfügbaren Informationen aus der Presse zur jetzigen Entscheidung des LG Stade (und daher unter gehörigem Vorbehalt) stellen sich mir im Kern auch weniger juristische als vielmehr, wie häufig in Notwehrfällen, Fragen der "fachpraktischen" Kompetenz des Gerichts bzw. der beigezogenen Sachverständigen, die dann die (juristische) Bewertung leiten. Wenn, wie nun kolportiert, im Rahmen der Urteilsverkündung von dem zur Tatzeit 77-jährigen verlangt worden ist, er hätte zunächst einen Warnschuss abgeben sollen, sodann hätte er ggf. lediglich auf die Beine schießen sollen, schließlich sei er Jäger und müsse daher über entsprechende Fertigkeiten verfügen, so zeugt dies von einer schon grotesk anmutenden Unkenntnis dessen, was in einer extrem dynamischen Hochstressituation rein tatsächlich möglich ist.
Abgesehen davon, dass Verteidigungsschießen, zumal auf bewegliche Ziele, weder Inhalt der Jägerausbildung ist noch i.d.R. gemäß WaffG für Privatpersonen überhaupt erlaubt, werden hier Kompetenzen erwartet, die allenfalls von ständig trainierenden Mitgliedern polizeilicher Spezialeinheiten erbracht werden können.
Ein schlichter Eigenversuch des Gerichts auf einem Schießstand würde manche Entscheidung, in der es um die Beurteilung eines Schusswaffeneinsatzes geht, in realistischere Bahnen lenken...
Leser kommentiert am Permanenter Link
Die Beurteilung erscheint mir auch häufig lebensfremd. Ich selbst habe keine Erfahrung mit Schusswaffen oder auch nur intensivere mit "Kampf"situationen überhaupt.
Aber dass dort sehr schnell, wenig kopfgesteuert gehandelt wird, liegt auf der Hand. Eine Überlegung, erst auf die Beine, auf den Arm oder auf den Körper zu zielen, ist in solchen Situationen doch gar nicht möglich. Das funktioniert vermutlich sogar über ganz andere Hirnregionen als denen, die solche Fragen überhaupt artikulieren können. Selbst mit Überlegung aber ist ein Schuss auf den Rumpf doch deutlich einfacher als auf die Beine - und auch ein Beintreffer kann töten. Muss der sich in Notwehr befindliche Schütze dazwischen abwägen?
Später in der Ruhe eines Gerichtsverfahrens dazu hin- und herzuwälzen, ob man einen Warnschuss hätte abgeben können, ob man mit geringerem Schaden und ähnlicher Wirksamkeit nicht auch in die Beine hätten schießen können, ist einfach, aber m. E. nicht fair. Nicht einmal den Polizisten im Fall Eisenberg hat man zugetraut, den "Angreifer" durch nichttödliche Treffer kampfunfähig zu machen. Wieso hätte das hier funktionieren sollen?
Wenn man den Maßstab aus Notwehrfällen auf Kfz-Unfälle anlegt, zeigt sich m. E. die Absurditä. Ein krudes Beispiel sei gebildet wie folgt: Der A nimmt dem B die Vorfahrt. B fährt ihm in die Fahrertür, A wird verletzt. B hatte keine Chance, den Unfall als solchen zu vermeiden. Aber er hätte mehr Gas geben und so den Zusammenstoß beschleunigen können, hätte dann nur die Motorhaube getroffen und die Verletzung des A vermeiden oder verringern können. Würden wir auf die Idee kommen, ihm diese Erkenntnis a.) zuzumuten und b.) ihn als rechtlich verpflichtet dazu anzusehen? Ich glaube nicht.
Name kommentiert am Permanenter Link
Eisenberg bewegte sich auf die Polizisten zu, nicht von ihnen weg.
Das kommt auf die Person des Schützen an. Dieser hier war ausgebildeter Jäger und hatte mehrere Schusswaffen im Haus. An so jemanden können andere Anforderungen gestellt werden als an Sie z.B.. Sie verstehen sie in der Tat nicht richtig bzw. haben sie nicht gelesen: es waren vier Täter, die den Überfall begangen haben und nach dem Alarm geflüchtet sind. Aus diese vier hat der Überfallene geschossen und den letzten von ihnen aus 2 Meter Enternung getroffen. Dass ausgerechnet dieser die Geldbörse hatte, ist - da der Überfallene nicht wusste, dass er beraubt worden war - unerheblich.Jedenfalls erwecken die Falschbehauptungen des Rentners (angeblich gehörte Schüsse der Angreifer - dumm nur, dass es sich um Softair-"Waffen" handelte) sowie die offensichtlich auf seinem Grundstück platzierte, nach der Schneeschmelze gefundene Gaspistole den Eindruck, dass der Mann seine von ihm auch so empfundene Selbstjustiz als Notwehr ausgeben wollte.
Leser kommentiert am Permanenter Link
Im Prinzip ja, aber... ein Jäger hat vielleicht Erfahrung darin, vergleichsweise friedliche Tiere auf Entfernung zu erschießen.
Das erscheint mir "nervlich" und rein praktisch doch sehr anders, als die Auseinandersetzung mit anderen Menschen. Nun mag man zugestehen, dass der Täter das Opfer weglief, vielleicht nicht einmal unähnlich einem aufgescheuchten Jagdwild, wenn man so will. Aber zuvor gab es offenbar eine körperliche Auseinandersetzung. Der Grad an Aufregung und Angst wird angedauert haben.
Und rein praktisch... ich bin weder Schütze noch Jäger, als schießen Jäger nicht auch eher auf den Körper als auf die Beine? Irgendwie scheint es mir nicht unlogisch, einem Jäger vorzuhalten, aufgrund seiner praktischen Erfahrung als Jäger habe er etwas machen müssen, was gerade ein Jäger nicht machen würde.
Von der Frage der Zielsicherheit mit einer Pistole mal abgesehen, zumal wenn man zuvor offenbar eine körperliche Auseinandersetzung hatte: Man mag sich mal mit jemandem prügeln und danach versuchen, ein volles Glas Wasser 10 m weit zu tragen, ohne etwas zu verschütten. Viel Erfolg. :-) Und dann überlegen, in welchem Zustand ein 77jähriger mit Knieverletzung gewesen sein dürfte.
Es ist sicherlich nicht schön, dass jemand erschossen wurde. Vielleicht hätte der Überfallene besser reagieren können. Aber hat er strafrechtliche Pflichten verletzt? Das finde ich dann doch ein sehr hartes Urteil.
@ Mein Name
Bei Ihren Zitierungen ist etwas durcheinander gekommen, glaube ich.
Gast kommentiert am Permanenter Link
Jein. Ein Berufsjäger sollte durchaus auch beherrschen, einen angeschossenen Keiler, der zum (potenziell tödlichen) Angriff ansetzt, mit einer Kurzwaffe abfangen zu können. Das kann man aber nicht allgemein als erlernte Fähigkeit voraussetzen, schon gar nicht bei Freizeitjägern (zu einem Schießkino zur Übung hat auch nicht jeder Zugang).
Ich stimme Ihnen aber zu, dass man keine hohen Anforderungen an die Qualität der Schussabgabe in solchen Situationen stellen kann. Nach dieser wohl länger dauernden Konfrontation im Haus des Rentners ist der Körper voller Stresshormone, der Mann wird stark gezittert haben, die visuelle Wahrnehmung ist verändert. Dabei auf die Extremitäten des Laufenden zu schießen, schließt einen Treffer eigentlich aus und ist daher für mich kein gleich geeignetes Mittel.
Prof. Dr. Henning Ernst Müller kommentiert am Permanenter Link
Sehr geehrter Mein Name,
der Fall Eisenberg ist in Vielem völlig unvergleichbar. Die ersten Kugeln trafen E. von hinten. Wenn man sich etwas wünschen könnte, dann, dass auch im Fall Eisenberg eine Hauptverhandlung stattgefunden hätte, in der das Geschehen von einem neutralen Gericht aufgearbeitet worden wäre. Das Verhalten der Polizeibeamten im Fall E. erschien mir jedenfalls unprofessionell.
Aus der Entscheidung des OLG Celle ergibt sich (zur Korrektur Ihrer Lesefrüchte):
Es waren nicht nur vier, sondern fünf Täter, erst der dritte Schuss des Rentners hat überhaupt getroffen und zwar den vorletzten der Flüchtenden. Die Distanzangabe "2 Meter" findet sich dort nicht. Eine Aussagebewertung der Angaben des Angeklagten möchte ich mir nicht anmaßen. Dass er als von fünf Männern Überfallener Angst empfunden hat, erscheint mir jedenfalls gut nachvollziehbar. Die hier an die Schussgenauigkeit gestellten Anforderungen in einem Notwehrfall würde nach meiner Einschätzung der BGH nicht mittragen.
Besten Gruß
Henning Ernst Müller
Name kommentiert am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Prof. Müller,
die Angabe "2 Meter" findet sich im von Ihnen verlinkten Artikel der taz. Und nach Rn.37 spricht vieles dafür, dass der Getötete nach den ersten zwei Schüssen stehengeblieben ist (womöglich weil er die ersten beiden Schüsse als Warnschüsse interpretiert hat).
Der Überfallene hat also nicht auf einen Flüchtenden geschossen, von dem er wusste, dass er sein Eigentum in Besitz hatte (was Notwehr oder einen Notwehrexzess rechtfertigen würde), sondern auf einen Stehenden, der sich sozusagen "ergeben" hat. Dass überhaupt etwas geraubt wurde, wusste der Schütze zu dem Zeitpunkt nicht (s.a. Rn. 31). Die Angreifer waren laut Rn. 28 nicht bewaffnet und waren nach Rn.10 auch bereits auf der Flucht und verließen das Haus einer nach dem anderen durch die Terrassentür. Der Überfallene hat alle seine Schüsse in Oberkörperhöhe abgegeben (Rn.16). Da noch "Verwirrung, Furcht oder Schrecken" zu unterstellen, übersteigt meine Phantasie.
@ Leser #15: 9 Monate auf Bewährung ist bei Totschlag keine harte Strafe.
Kiddi kommentiert am Permanenter Link
Man darf bei alledem nicht vergessen, dass der Sachverhalt, den das OLG Celle zu beurteilen hatte, nicht auf einer Hauptverhandlung, sondern auf dem Inhalt der Ermittlungsakte beruht. Die Feststellungen des LG Stade können daher durchaus einen anderen Inhalt haben als die Ermittlungsakte und deshalb auch ein anderes juristisches Ergebnis hervorbringen.
Name kommentiert am Permanenter Link
@ Kiddi: falsch, das OLG bezieht sich in Rn. 1-12 auf die Urteilsbegründung des LG Stade.
Prof. Dr. Henning Ernst Müller kommentiert am Permanenter Link
@Mein Name: Nein, das ist nicht zutreffend. Das OLG Celle bezieht sich auf den (damaligen) Nichteröffnungsbeschluss des LG Stade, der ohne Hauptverhandlung zustande gekommen ist. Kiddi hat also Recht: Was im Beschluss des OLG Celle steht, beruht allein auf den in den Akten dokumentierten Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens.
Korrektur: Es handelt sich um Auszüge aus dem Urteil des LG Stade gegen die Mittäter des Erschossenen.
Besten Gruß
Henning Ernst Müller
Röder kommentiert am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Prof. Müller,
die ganze bisherige Diskussion über die Verurteilung des Angeklagten beruht leider auf einer mehr als unsicheren Tatsachengrundlage.
Gloeckner (Kommentar # 9) hat insofern Recht:
„Das Kernproblem der Diskussion liegt doch darin, daß wir die tatrichterlichen Feststellungen des jetzigen Hauptverfahrens nicht kennen.“
So ist es. Wir kennen nur einige Zeitungsberichte über den Prozess, die aber so dürftig sind, dass man sich als Jurist, der die Entscheidung des Gerichts beurteilen will, nicht ernsthaft darauf stützen kann. Auch der Beschluss des OLG Celle im Klageerzwingungsverfahren hilft insofern letztlich nicht weiter. Denn das LG Stade kann zu den für die §§ 32 und 33 StGB maßgeblichen Fragen zusätzliche oder andere Feststellungen getroffen haben als das OLG.
Wenn man die Verurteilung des Angeklagten seriös kommentieren will, muss man also wohl oder übel abwarten, bis das Urteil des Landgerichts (vielleicht) einmal veröffentlicht wird oder bis eine veröffentlichte BGH-Entscheidung vorliegt.
Derzeit müssen wir uns daher meines Erachtens darauf beschränken, die Eröffnung des Hauptverfahrens kritisch zu beleuchten, weil die dafür maßgebliche Entscheidung des OLG Celle mit schriftlicher Begründung vorliegt und öffentlich zugänglich ist.
Zwar erscheint es auf den ersten Blick nicht sonderlich attraktiv, sich mit der Eröffnung des Hauptverfahrens zu beschäftigen, wo diese doch schon durch die viel aktuellere Verurteilung des Angeklagten überholt worden ist. Aber von „Aktualität“ sollten Juristen sich ganz grundsätzlich nicht leiten lassen. Die oberflächliche Befassung mit „aktuellen“ oder gar „top-aktuellen“ Geschehnissen können wir getrost den Medien überlassen. Für eine (Fach)diskussion über interessante Gerichtsentscheidungen ist es in aller Regel gleichgültig, ob die Entscheidung vor zwei Tagen ergangen ist oder vor zwei Jahren.
Mit freundlichen Grüßen
Ralf Röder
Name kommentiert am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Prof. Müller,
ich lese in dem von Ihnen verlinkten Text Folgendes in Rn. 1:
Die Rnrn. 2 bis 12 beziehen sich also eindeutig auf das Urteil dieser HV. Oder wie interpretieren Sie diese Formulierung?
Kiddi kommentiert am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Mein Name,
das Urteil des LG Stade vom 13.07.2011 ist sozusagen Aktenbestandteil des vor wenigen Tagen abgeschlossenen Verfahrens des LG Stade gegen den 77-jährigen Rentner. Das deutsche Strafprozessrecht bringt es mit sich, dass spätere Hauptverhandlungen über ein und denselben Geschehensablauf durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen können. Dies bereits deshalb, weil alle Zeugen erneut vernommen werden müssen und die Verlesung von Zeugenaussagen grundsätzlich unzulässig ist.
Ihrem eigenen Kommentar können Sie bei aufmerksamem Lesen entnehmen, dass das Urteil vom 13.07.2011 nicht jenes sein kann, welches das LG Stade vor einer Woche gesprochen hat. Denn vor einer Woche hatten wir nicht mehr das Jahr 2011.
Deshalb hat das OLG Celle über den vor einer Woche festgestellten Sachverhalt nicht zu Gericht gesessen.
Insoweit ist es erstaunlich, dass Herr Prof. Müller hierauf nicht hingewiesen hat.
Prof. Dr. Henning Ernst Müller kommentiert am Permanenter Link
@Mein Name: Stimmt, das sind Auszüge aus dem Urteil gegen die Mittäter des Erschossenen. Ich habe es oben krorrigiert.
Name kommentiert am Permanenter Link
Sehr geehrter Kriddi,
alles richtig und den genannten Beteiligten durchaus klar - aber ändert nichts daran, dass die Behauptung, das OLG Celle habe den Beschluss nur anhand der Ermittlungsakten erlassen, unzutreffend ist. Tatvorwurf und Angeklagter(r) sind unterschiedlich, der Sachverhalt (d.h. der Geschehnisablauf) jedoch derselbe.
Leser kommentiert am Permanenter Link
Wir sind einer Meinung.
Anmerken möchte ich: Auch wenn man einem Jäger zubilligen mag, die Abwehr eines Abwehrs beherrschen zu müssen, ist ihm nicht abzuverlangen, eine Abwehr des Ebers unter weitgehender Schonung von Leib und Leben des Ebers bewirken zu können. Da ist hier ja sozusagen der Witz: Es wird jemandem, dessen Ausbildung/Erfahrung sich explizit auf das Töten richtet, vorgehalten, diese Ausbildung/Erfahrung habe ihm erlaubt, jemanden gezielt nur zu verwunden. Gerade das er ja nicht gelernt und hätte er auch nicht lernen sollen! Ein Jäger, der Tiere nur anschießt und dann verletzt entkommen lässt, hätte bald ebenfalls strafrechtliche Folgen zu erwarten.
Auch wenn man die Meinung des Gerichtes teilen mag - das Argument mit den Jägerkenntnissen ist schon reichlich unsinnig. Ein Jäger ist doch kein Kunstschütze oder Polizist.
Gloeckner kommentiert am Permanenter Link
Verlinkung in Beitrag #27 funktioniert nicht- daher alternative Quelle:
http://www.haz.de/Nachrichten/Der-Norden/Uebersicht/Toedliche-Schuesse-a...
OG kommentiert am Permanenter Link
Zu den Themen Erforderlichkeit und Notwehrexzeß ist vor kurzem eine BGH-Entscheidung veröffentlicht worden: http://lexetius.com/2014,3611
Prof. Dr. Henning Ernst Müller kommentiert am Permanenter Link
Ja, danke OG, die Entscheidung BGH vom 16. 9. 2014 - 2 StR 113/14 hatte ich auch oben schon verlinkt.
RA Hermann kommentiert am Permanenter Link
Die ursprüngliche Entscheidung der Staatsanwaltschaft und des Gerichts waren richtig, die Entscheidung des OLG ist nicht nachvollziehbar. Es ist auch überhaupt nicht notwendig, einen Notwehrexzeß zu prüfen. Die Notwehrlage ist eindeutig.
Wer einen anderen rechtswidrig angreift, hat Gesundheit und ggf. Leben verwirkt, zumal wenn er zur Nachtzeit in ein fremdes Haus oder eine fremde Wohnung eindringt. Wenn dann das "Opfer" der Notwehr meint, auch noch Neben- oder Schadensersatzklage erheben zu müssen, sage ich als Anwalt im Gerichtssaal das, was Richter nur denken dürfen: "Sie sind ein Verbrecher und eine Heulsuse. Erst andere angreifen und dann nicht Mann genug sein, die Folgen zu tragen. Pfui, pfui, pfui."
Prof. Dr. Henning Ernst Müller kommentiert am Permanenter Link
Sehr geehrter RA Hermann,
nur zwei Anmerkungen:
1. Die Rechtsprechung hat zum Einsatz von Schusswaffen, selbst bei Notwehrlage, einschränkende Kriterien entwickelt. Prinzipiell ist es richtig, diese auch gleichmäßig anzuwenden. In diesem Fall wurden die Kriterien auch m. E. zu eng ausgelegt.
2. Es ist etwas abwegig, einem Toten vorzuwerfen, er sei eine "Heulsuse".
Besten Gruß
Henning Ernst Müller
Name kommentiert am Permanenter Link
Merkzettel: 10a Ks 151 Js 32983/10
Dr. Schebesch kommentiert am Permanenter Link
Bei Schusswaffen gibt es keinerlei einschränkenden Kriterien, da das Notwehrmittel unerheblich bleibt. Die Tat war keineswegs vollendet. Auch dabei ist es völlig irrelevant, in welcher Körperregion getroffen wurde. Rechtsgüter sind Gesundheit Ehre Eigentum? Diese sind nunmal Notwehrfähig. Das mit Mitteln ohne jede Rechtsgüterabwägung. Soziales Missverhältnis oder seöbst herbeigeführte Situationen können dieses Jedermannrecht strafbar bilden. Ob nun Stuhl, Schal, Messer oder Sig Sauer...
Der Erfolg der Tat war nicht gesichert und somit jedes Szenario denkbar. Dieses Urteil wird mit absoluter Sicherheit kassiert.
Prof. Dr. Henning Ernst Müller kommentiert am Permanenter Link
Mittlerweile wurde das Urteil des LG Stade vom BGH bestätigt!
Aus dem Bericht der SZ dazu:
Quelle: http://www.sueddeutsche.de/panorama/bgh-rentner-wegen-totschlags-an-jaeh...
Gast kommentiert am Permanenter Link
Jetzt hat der Einbrecher den Rentner nicht nur überfallen, gefesselt, geschlagen und gequält, die Geldbörse gestohlen und den Rentner in Todesangst versetzt, sondern ihm auch noch eine Bewährungsstrafe angehängt. Immerhin muss der Rentner wegen dieses Lümmels nicht ins Gefängnis.
Insofern hält sich jetzt mein Bedauern über den Tod des Einbrechers sehr in Grenzen. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr empfinde ich den Tod des Einbrechers unter diesen Umständen einer absurden Rechtsprechung als gerechte Strafe, zumindest aber die Notwehr als völlig nachvollziehbar. Ich kann es jedenfalls verstehen, wenn der Rentner unter dem Eindruck gerade erlebter Todesangst etwas irrational und unter Schock handelte.
OGarcia kommentiert am Permanenter Link
Das Urteil ist heute vom BGH veröffentlicht worden: http://dejure.org/2015,34270
Prof. Dr. Henning Ernst Müller kommentiert am Permanenter Link
Zitat aus dem Urteil
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Ger...
Diese entscheidenden Ausführungen des BGH zum Notwehrexzess sind enttäuschend. Sie leiden insbesondere darunter, dass die in der Literatur stark behandelte Streitfrage, ob ein Notwehrexzess auch bei Überschreitung der Gegenwärtigkeitsgrenze (extensiver Notwehrexzess) möglich ist, gar nicht behandelt wird. Der BGH argumentiert so, als habe nie eine Notwehrlage bestanden, behandelt den Fall also als Putativnotwehrexzess. Das zeigt sich etwa an dem Zitat "MüKo/Erb § 33 Rn.18". Dort geht es um den Putativnotwehrexzess. Es wirkt auch nach Meinung von Erb nicht entschuldigend, wenn sich der Täter die ganze Notwehrlage nur eingebildet hat. Anders ist aber nach Erb (MüKo/Erb § 33 Rn. 14!) und einer Reihe weiterer Strafrechtslehrer der Fall zu beurteilen, in dem tatsächlich eine Notwehrlage bestanden hat, aber nicht mehr gegenwärtig ist. Wer hier aus Furcht, Verwirrung, Schrecken quasi verspätet Notwehr leistet, der soll nach dieser - zutreffenden - Auffassung von § 33 StGB profitieren. Die Argumente finden sich in jedem Strafrechtslehrbuch.
OGarcia kommentiert am Permanenter Link
Ein änlicher Fall wurde gerade vom LG Hannover entschieden (http://dejure.org/2015,39154). Aus einem Pressebericht (http://www.taz.de/!5259058):
Wieder: Angst spiele keine Rolle bei diesem Notwehrexzeß. Inwieweit die beiden Fälle insgesamt vergleichbar sind, ist eine andere Frage. Der Rentner aus Sittensen wurde zu neun Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt und Verteidigung, Staatsanwaltschaft und Bundesanwaltschaft beantragten Aufhebung des Urteils. Der Werkstattbesitzer wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.
Ex-W15-er kommentiert am Permanenter Link
Wenn Einbrecher beginnen sich zurückzuziehen, dann beendet dies noch nicht den gegenwärtigen Angriff (u.a. Hausfriedensbruch).
Und solange die Einbrecher ihre zu Bedrohungszwecken mitgeführten Scheinwaffen (egal ob Spielzeugpistolen, Schreckschusspistolen, Erbsenpistolen, Softairpistolen) nicht fallen lassen, dauert auch die Bedrohung an.
In Fällen in denen Polizisten Scheinwaffen führende Kriminelle erschossen ist es nach meinem Kenntnisstand noch nie zu einer Verurteilung der Polizisten gekommen, egal ob die Straftäter sich zurückzogen oder nicht.
Solange die Kriminelle nicht ihre Waffen oder Scheinwaffen wegwerfen und sich ergeben stellen sie weiterhin eine Bedrohung dar.
Wer als Wohnungseinbrecher im Haus des Opfers eine Scheinwaffe mitführt um damit zu drohen, der muss damit rechnen daß seine Drohung ernst genommen wird und das das Opfer zu Notwehrmaßnahmen greift, und gegebenenfalls auch das Feuer eröffnet.
Auf Beine oder Arme zu zielen ist wenig effektiv, da - anders als im Kino - in der Realität solche Schüsse den Anderen keineswegs immer kampfunfähig machen, wie Soldaten die in Feuerkämpfe mit Personentreffern verwickelt waren ohne weiters werden bestätigen können.
Wenn man bloß einen Arm oder ein Bein trifft besteht immer das Risiko das der Andere noch zurückschießt.
Außerdem ist es auch nicht leicht, bei beweglichen Zielen auf Arme oder Beine zu zieglen und zu treffen.
Es ist daher effektiver, auf die Körpermitte zu zielen.
Das lernt eigentlich Jeder in der Grundausbildung, auch wenn er bloß einen kurzen Grundwehrdienst geleistet hat.
yoenn kommentiert am Permanenter Link
Auch wenn es etwas her ist, überrascht mich als juristischer Laie immer noch, warum die Gegenwärtigkeit des Angriffs nicht mehr gegeben sein soll, wenn die Täter sich zur Flucht umgedreht haben. Fünf junge Burschen, die nicht nur in Sekundenbruchteilen die Richtung wechseln können, sondern auch, aus Sicht des Rentners, mit Schusswaffen bewaffnet sind.
Würden die Männer gerade 10 Meter entfernt mit Schusswaffen in den Garten steigen, dürfte der Rentner wohl direkt schießen: Ein Warnschuss wäre ihm nicht zumutbar, weil die Angreifer dann Deckung suchen und ihrerseits das Feuer eröffnen könnten.
Befinden sie sich hingegen in Sprungweite, dann ist ein Schuss nicht gerechtfertigt, wenn sie sich in einer Fluchtbewegung befinden. Dabei könnten sie jederzeit umdrehen oder schießen, ohne dass dem angegriffenen dann noch die Möglichkeit bleibt, sich zu verteidigen.
wären sie in 30 Meter Entfernung, würde ich nachvollziehen können, dass man den Angriff nicht mehr als gegenwärtig betrachtet. In Personen mit Schusswaffen, die mich gerade noch damit bedroht haben, keine Gefahr mehr für mich zu sehen, nur weil sie mir den Rücken zukehren, leuchtet mir nicht ein.
Kann mir jemand darlegen, warum nicht weiterhin die Bedrohung (und damit der rechtswidrige Angriff) gegenwärtig ist, solange die Angreifer in Schussweite sind?
Leser kommentiert am Permanenter Link
Die Einbrecher hatten keine Schusswaffen samt "Schussweite" etc. , sondern nur ungefährliche "Softair-Guns". Und wer nach dem Einsetzen eines Einbruchalarms den Schwanz einzieht und sich "zur Flucht wendet", kann damit sehr wohl die Gegenwärtigkeit seines Angriffs beenden. Wer Fersengeld gibt, greift nicht mehr an, sondern wendet sich dem Gegenteil zu. Zum möglichen Notwehrexzess hat Müller eingangs das Notwendige gesagt.
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@Leser:
Na ja. Eine Softair hatten sie dabei und ein Brecheisen. Das LG geht auch von einem noch gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff aus, weil der Tote noch auf dem Grundstück war und geraubtes Geld (über 2000 €) dabei hatte.
Im Urteil heißt es zur Frage der Bewaffnung zwar
"Am 20. Dezember 2010 wurde bei einer Nachsuche mittels eines Metalldetektors auf dem Grundstück des Angeklagten in dem Bereich, in dem der Leichnam des (…) gelegen hatte, eine dem Angeklagten gehörende Gaspistole Typ Reck-Startpistole P 10 gefunden....Die Kammer hat keine Anhaltspunkte dafür, dass (…) den Angeklagten beim Verlassen des Hauses mit der Gaspistole bedrohte. Schüsse aus der Gaspistole wurden im Nahbereich der Terrasse nicht abgegeben, weitere Waffen aus dem Haus des Angeklagten waren nicht entwendet worden." Das LG schreibt dazu aber (neben einem Gutachten zu Faserspuren) im Wesentlichen nur, dass es nicht von einem Schuss aus dieser Pistole ausgeht, weil keine Hülse gefunden wurde (obwohl man auch das von den Tätern geführte Brecheisen erst Wochen später nach der Schneeschmelze gefunden hat) . Ob die Pistole abgefeuert war, zum Ladezustand und ob ggf. wegen Fehlfunktion eine Hülse im Verschluss geblieben war, dazu steht im Urteil gar nichts.