Allgemeinverbindlicherklärung der Sozialkassen-Tarifverträge des Baugewerbes 2008, 2010 und 2014 unwirksam

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 04.10.2016
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht1|5366 Aufrufe

Im Baugewerbe existieren seit Jahrzehnten gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien (SOKA-Bau). Die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse erbringt Leistungen im Urlaubs- und Berufsbildungsverfahren, die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Die beiden Kassen werden von den Tarifvertragsparteien des Baugewerbes (auf Arbeitgeberseite dem Hauptverband der Bauindustrie HDB und dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes ZDB, auf Gewerkschaftsseite der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt IG BAU) gemeinsam getragen.

Finanzierung seit Jahrzehnten durch alle Bau-Arbeitgeber

Ihre Finanzierung erfolgt durch die Arbeitgeber, die an die Versorgungstarifverträge gebunden sind. In der Vergangenheit sind die Tarifverträge stets vom BMAS für allgemeinverbindlich erklärt worden (§ 5 TVG). Dadurch erstreckte sich die Beitragspflicht nicht allein auf die Mitglieder der beiden Arbeitgeberverbände (§ 3 TVG), sondern alle in der Baubranche tätigen Arbeitgeber. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 TVG in der bis zum 15.8.2014 geltenden Fassung durfte die Allgemeinverbindlicherklärung nur erfolgen, wenn die tarifgebundenen Arbeitgeber nicht weniger als 50 % der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Arbeitnehmer beschäftigen.

50%-Quorum des § 5 TVG a.F. war 2008, 2010 und 2014 nicht mehr erfüllt

Diese Voraussetzungen waren zur Überzeugung des BAG in den Jahren 2008, 2010 und 2014 nicht erfüllt. Die/der jeweilige Bundesarbeitsminister/in (Olaf Scholz, Ursula von der Leyen und Andrea Nahles) hätten den Versorgungstarifvertrag daher nicht für allgemeinverbindlich erklären dürfen. Die AVE der Jahre 2008 und 2010 ist zudem deshalb unwirksam, weil die damals amtieren Minister (Scholz und von der Leyen) sich nicht persönlich mit der Sache befasst, sondern die AVE auf Mitarbeiter ihres Ministeriums delegiert hatten.

Das bedeutet an sich, dass die nicht tarifgebundenen Arbeitgeber des Baugewerbes keine Beiträge zu entrichten brauchen.

Tätigkeit der SOKA-Bau durch Änderung des § 5 TVG 2014 künftig aber gesichert

Mit diesen Entscheidungen des 10. Senats des BAG vom 21.9.2016 stünde die Tätigkeit der SOKA-Bau auf tönernen Füßen, wenn nicht das Gericht und der Gesetzgeber Hilfestellung geleistet hätten: Durch das Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie (vom 11.8.2014, BGBl. I S. 1348) ist seit August 2014 das 50%-Quorum in § 5 TVG entfallen. Absatz 1a dieser Vorschrift gestattet es dem BMAS nunmehr, Tarifverträge über Gemeinsame Einrichtungen wie die SOKA-Bau schon dann für allgemeinverbindlich zu erklären, wenn dies „zur Sicherung ihrer Funktionsfähigkeit“ erforderlich ist. Damit kann die/der Bundesarbeitsminister/in künftig die Versorgungstarifverträge des Baugewerbes wieder auf die nicht-tarifgebundenen Arbeitgeber der Branche erstrecken. Für die Vergangenheit hätte die inter-omnes-Wirkung der Urteile des BAG (§ 98 Abs. 4 ArbGG) an sich zur Folge, dass alle Arbeitgeber ihre Beiträge zurückfordern könnten. Hier schiebt das BAG aber selbst zumindest einen kleinen Riegel vor: Rechtskräftig abgeschlossene Klageverfahren über Beitragsansprüche würden von der Feststellung der Unwirksamkeit nicht berührt; eine Wiederaufnahme dieser Verfahren (§ 580 ZPO) sei nicht möglich. Von den Beschlüssen profitieren also unmittelbar nur die Antragsteller der konkreten Verfahren.

Allerdings lässt das Gericht ausdrücklich offen, ob nicht tarifgebundene Arbeitgeber, die (weil sie an die Wirksamkeit der AVE geglaubt haben) Beiträge an die SOKA-Bau entrichtet haben (ohne dazu verurteilt worden zu sein), diese bis zur Verjährungsgrenze zurückfordern können.

BAG, Beschl. vom 21.9.2016 - 10 ABR 33/15 und 10 ABR 48/15, Pressemitteilungen hier

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1 Kommentar

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Das Problem ist bei der SOKA Bau, dass eine vernünftige Abgrenzung zwischen Baugewerbe und Ausbaugewerken nicht besteht. Beispiel: Elektroinstallation ist nicht Baugewerbe, Installation von Solaranlagen schon.

Deshalb versuchte die SOKA Bau schon seit Jahren immer, so vielen Betrieben wie möglich in die Tasche zu greifen, auch wenn die von der Leistung der SOKA Bau gar nicht profitieren konnte. Das ist ihnen jetzt auf die Füße gefallen. Denn Betriebe aus dem Elektro- oder Sanitär/Heizungs-Gewerbe sind nicht in den Arbeitgeberverbänden, welche die Verträge abschließen, auf denen die SOKA basiert. Auf Arbeitnehmerseite ist das genauso, Heizungsbauer und Elektriker sind in der IG Metall, die Verträge schließt die IG Bau. Dadurch ist die 50 %-Quote natürlich nichtmal ansatzweise zu halten.

Das hat bloß das Ministerium immer gekonnt unter den Tisch fallen lassen und die Arbeitsgerichte in Berlin und Wiesbaden (dort führt die SOKA ihre Beitragsprozesse) haben das über Jahre so intensiv ignoriert, dass es schon an Rechtsbeugung grenzt.

Die Änderung des TVG war in diesem Zusammenhang natürlich kein Zufall. Der Prozess läuft ja schon über ein paar Instanzen.

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