Polizist bricht LKW-Fahrer die Hand, um dessen Schlüssel zu bekommen...kein Arbeitsunfall

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 18.08.2024
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1006 Aufrufe

Man staunt immer wieder, was für tolle Fälle es gibt. Toll für`s Beck-Blog! Aber doch sehr unangenehm für die Beteiligten. So hier: Der LKW-Fahrer wurde kontrolliert aufgrund eines Rauschmittelverdachts. Der war aber unbegründet. Die Polizei stellte dann jedoch fest, dass der Führerschein des LKW-Fahrers zur Beschlagnahme ausgeschrieben war. Das tat dann die Polizei auch und wollte sicherheitshalber auch den Fahrzeugschlüssel "konfiszieren". Den Schlüssel hatte der LKW-Fahrer nämlich in der Hand und wollte ihn nicht rausrücken. Die Polizei hat da aber so ihre Mittel. Sie bricht einfach die Hand des Fahrers. Kann ja mal passieren.

Nun aber die Frage: Ist das Noch ein Arbeitsunfall? "Nein", meint das Sozialgreicht.

 

Die Klage wird abgewiesen.

 Kosten sind nicht zu erstatten.

 Tatbestand: 

 Streitig ist die Anerkennung eines Unfallereignisses als Arbeitsunfall.

 Der 1961 geborene Kläger ist polnischer Staatsangehöriger und war am frühen Morgen des 6. April 2019 als Fahrer eines Logistikbetriebes mit einem Lkw-Gespann auf einer Landesstraße in Th. unterwegs. Wegen auffälliger Fahrweise wurde der Kläger von dem Polizeimeisteranwärter H. und dem Polizeihauptmeister I. angehalten. Bei der Kontrolle der Fahrtüchtigkeit ergaben sich keine Anhaltspunkte für den Konsum von Alkohol oder Drogen. Bei der weiteren Überprüfung stellte die Polizei jedoch fest, dass der Führerschein des Klägers am 29. Mai 2018 zur Beschlagnahme ausgeschrieben war. Daraufhin untersagten die Beamten dem Kläger die Weiterfahrt und forderten ihn auf, das Fahrzeug zu verschließen. Nachdem der Kläger dem nachgekommen war, verlangten die Polizisten die Herausgabe des Fahrzeugschlüssels, den der Kläger noch in seiner rechten Hand hielt.

 Hiernach sind die Einzelheiten streitig. Die Polizeibeamten gaben an, der Beamte I. habe nach mehrmaligem Auffordern, den Schlüssel herauszugeben, den rechten Arm des Klägers ergriffen, an dem er den Schlüssel hielt. Der Beamte H. habe den linken Arm ergriffen. Darauf habe der Kläger versucht sich loszureißen, wogegen die Polizisten mit anfänglich leichtem Kraftaufwand entgegen gewirkten hätten. Dies habe den Kläger veranlasst, ebenfalls seinen Kraftaufwand zu erhöhen. Er habe seinen Körper gedreht, den Oberkörper vorgebeugt und die Armmuskulatur angespannt. Dadurch sei es zu einer hörbaren Verletzung am Arm gekommen. Danach habe der Kläger den Widerstand aufgegeben. Der Kläger behauptete, er habe den Fahrzeugschlüssel zunächst nicht herausgeben wollen, weil er den Grund dafür habe in Erfahrung bringen wollen. Er habe vor allem Sorge um das transportierte Gefahrgut gehabt. Daraufhin habe der kontrollierende Polizeibeamte ohne Vorwarnung sofort Kraft aufgewandt, indem er seine rechte Hand ergriffen und diese so verdreht habe, dass sie hörbar gebrochen sei.

 Der Kläger erlitt bei dem Ereignis eine Ellenbogendistorsion rechts mit partiellem Abriss des prozessus coronoideus. Die Erstversorgung erfolgte im Zentralklinikum Suhl mittels Anlage eines Oberarmgipses.

 Nach Anmeldung eines Erstattungsanspruchs durch die Krankenkasse des Klägers leitete die Beklagte Ermittlungen ein und zog die einschlägige Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Meiningen bei.

 Die Staatsanwaltschaft Meiningen hat gegen die Polizisten H. und I. nach Strafanzeige des Klägers ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt eingeleitet und dieses mit Verfügung vom 20. August 2020 (Az.: 182 Js 11545/19) mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Die dagegen eingelegte Beschwerde des Klägers hat die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft mit bestandskräftigem Bescheid vom 30. Oktober 2020 (Az.: 341 Zs 570/20) verworfen. Das ebenfalls gegen den Kläger eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte wurde mit Verfügung vom 21. Juni 2019 eingestellt (Az.: 434 Js 8338/19).

 Mit Bescheid vom 22. September 2020 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Unfallereignisses vom 6. April 2019 als Arbeitsunfall ab. Der Kläger habe sich geweigert, den Polizeibeamten die Fahrzeugschlüssel auszuhändigen und habe aktiv Widerstand geleistet. Somit habe er sich zum Unfallzeitpunkt aus rein privaten Beweggründen in eine Auseinandersetzung mit der Polizei begeben, weshalb keine versicherte Tätigkeit mehr Vorgelegen habe und der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung ausgeschlossen sei.

 Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein und machte geltend, die Polizeibeamten hätten rechtswidrig gehandelt. In einem staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren werde ein strafbares Handeln der Polizeibeamten überprüft. Entgegen der Annahme der Beklagten habe der Kläger den Lkw nach Aufforderung der Polizei abgestellt und abgeschlossen. Die Fahrzeugschlüssel habe er jedoch nicht übergeben, weil er der deutschen Sprache nicht mächtig gewesen sei und daher den Grund des Herausgabeverlangens nicht verstanden habe. Ohne erneute Aufforderung habe einer der Beamten plötzlich seine Hand verdreht und ihm dabei die Hand gebrochen, wobei der Kläger auch keinen Widerstand geleistet habe. Dem Kläger sei ferner nicht bewusst gewesen, dass es ihm aufgrund eines früheren Verfahrens und nach Ablauf der damaligen Sperrfrist untersagt gewesen sei, seinen polnischen Führerschein in Deutschland zu nutzen. Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2020 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung werde bei Verkehrskontrollen bereits beim Aussteigen aus dem Fahrzeug nach polizeilicher Aufforderung wesentlich unterbrochen, da dann private Belange – nämlich die persönliche Verpflichtung, sich den polizeilichen Feststellungen hinsichtlich eines Vergehens im Straßenverkehr zu unterziehen – im Vordergrund stünden. Eine Unterbrechung des Versicherungsschutzes sei ferner dann gegeben, wenn ein Versicherter im Rahmen einer Polizeikontrolle zum Zwecke der Identitätsfeststellung wegen seines Verhaltens zu schaden komme. Bei dem Kläger sei bereits zu Beginn der Polizeikontrolle von eigenwirtschaftlichem, nicht versichertem Handeln auszugehen. Jedenfalls sei Versicherungsschutz bei der Zuwiderhandlung des Klägers gegen die polizeilichen Anordnungen im Rahmen der Sicherung der Fahrzeugschlüssel entfallen.

 Der Kläger hat am 20. Oktober 2020 Klage erhoben. Er behauptet, nicht verstanden zu haben, was die Polizeibeamten von ihm verlangt hätten. Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass ihm im Jahr 2018 die Fahrerlaubnis entzogen worden sei und er somit ohne gültigen Führerschein unterwegs gewesen sei. Daher habe er die Aufforderung der Polizisten, die Fahrzeugschlüssel zu übergeben, aus sprachlichen Gründen nicht verstanden und aus Sorge um das transportierte Gefahrgut seine Hand mit dem Schlüssel auf dem Rücken verborgen. Unvermittelt und vom Kläger nicht provoziert habe dann einer der Polizisten ungerechtfertigt Gewalt angewandt, wodurch es zu seiner Verletzung gekommen sei. Der Kläger ist der Ansicht, eine Unterbrechung seiner betrieblichen Tätigkeit durch die Auseinandersetzung mit der Polizei sei nicht eingetreten, weil die Sicherstellung des Fahrzeugschlüssels durch die Polizisten nicht rechtmäßig gewesen sei. Der Kläger sei von einer unrechtmäßigen Diensthandlung der Polizei ausgegangen und habe wegen des Transport von Gefahrgut geglaubt, sich in einer Notwehrsituation zu befinden. Hätten die Polizeibeamten ihn z.B. nach Hinzuziehung eines Dolmetschers über den Sinn und Zweck der Sicherstellung des Schlüssels aufgeklärt, so hätte der Kläger den Schlüssel ohne Probleme herausgegeben.

 Der Kläger beantragt,

 die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 22. September 2020 und des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2020 zu verpflichten, das Unfallereignis vom 6. April 2019 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

 Die Beklagte beantragt,

 die Klage abzuweisen.

 Sie verweist auf die Begründung der angefochtenen Bescheide.

 Außer den Gerichtsakten hat die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Akte der Staatsanwaltschaft Meiningen zum Ermittlungsverfahren unter dem Aktenzeichen 182 Js 11545/19 Vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten ergänzend Bezug genommen.

 Entscheidungsgründe: 

 Die zulässige Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Arbeitsunfalls.

 Nach § 8 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch (SGB VII), sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Gemäß § 8 Abs. 2 SGB VII sind versicherte Tätigkeiten auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit.

 Diese Voraussetzungen sind für das streitgegenständliche Unfallereignis nicht erfüllt. Die Verrichtung des Klägers zur Zeit des Unfalls ist nicht der versicherten Tätigkeit zuzurechnen.

 Der Kläger befand sich im Zeitpunkt der Verkehrskontrolle am 6. April 2019 auf einem nach § 8 Abs. 1 SGB VII unter Versicherungsschutz stehenden Betriebsweg. Er befuhr als Beschäftigter des Logistikunternehmens J., und damit als versicherte Person nach § 2 Abs. 1 SGB VII, mit seinem Lkw-Gespann eine Landesstraße, um im Auftrag seines Arbeitsgebers Fracht zu transportieren.

 Jedoch ging der Kläger im Unfallzeitpunkt, als die Polizeibeamten die Fahrzeugschlüssel sicherstellten und der Kläger dabei den Gesundheitsschaden erlitt, nicht mehr seiner versicherten Tätigkeit nach. Es stehen nämlich nicht alle Wege, die ein Beschäftigter während der Arbeitszeit oder auf der Arbeitsstätte zurücklegt, unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, sondern nur solche Wege, bei denen ein sachlicher Zusammenhang zwischen der – grundsätzlich – versicherten Tätigkeit und dem Zurücklegen des Weges gegeben ist, weil der Weg durch die Ausübung des Beschäftigungsverhältnisses oder den Aufenthalt auf der Betriebsstätte bedingt ist (vgl. dazu LSG Bayern, Urt. v. 24. September 2020, L 17 U 370/17).

 Auch, wenn es sich vorliegend um einen Betriebsweg handelte und nicht um einen Wegeunfall nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII, können die für die Wege von und zur Arbeit von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze übertragen werden. Danach muss der Weg wesentlich zu betrieblichen Zwecken zurückgelegt werden, die hierauf gerichtete Handlungstendenz muss durch die objektiven Umstände bestätigt werden. Allerdings muss auch die Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses im sachlichen Zusammenhang mit dem versicherten Zurücklegen des Weges, d. h. hier des Betriebsweges, stehen. Bei der Feststellung des inneren Zusammenhangs zwischen dem zum Unfall führenden Verhalten und der Betriebstätigkeit geht es um die Ermittlung der Grenze, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Es ist wertend zu entscheiden, ob das Handeln des Versicherten zur versicherten Tätigkeit gehört. Daraus folgt, dass während Unterbrechungen kein Versicherungsschutz besteht, wenn sie wesentlich allein dem privaten Bereich zuzurechnen sind, so genannten eigenwirtschaftlichen Zwecken dienen (vgl. LSG Bayern, a.a.O.).

 Spätestens in dem Zeitpunkt, als der Kläger seine Hand mit dem Fahrzeugschlüssel auf dem Rücken verbarg und die Polizeibeamten die Arme des Klägers ergriffen, um die Herausgabe des Schlüssels zu erzwingen, trat eine Zäsur ein. Ab diesem Moment diente das Handeln des Klägers, unabhängig davon, ob er den Grund des Herausgabeverlangens wegen fehlender Sprachkenntnisse tatsächlich nicht verstand, ob der Kläger den Polizeibeamten aktiv Widerstand leistete und ob die polizeiliche Maßnahme rechtmäßig war, nicht mehr dem betrieblichen Interesse seiner Arbeitgeberin an einem störungsfreien Zurücklegen des versicherten Weges. Die nach außen hin sichtbare subjektive Handlungstendenz des Klägers mit der Weigerung der Herausgabe und dem Verbergen des Schlüssels in der Hand hinter seinem Rücken unterbrach die versicherte Tätigkeit. Denn die polizeiliche Maßnahme zur Sicherstellung des Fahrzeugs bzw. der Schlüssel, nachdem festgestellt worden war, dass der Kläger nicht im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis war, lag im Interesse der Arbeitgeberin des Klägers. Es konnte nicht im Interesse der Arbeitgeberin sein, dass der Kläger durch die betriebliche Tätigkeit die Straftat des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) begeht und seinen Betriebsweg entgegen der deutlich erkennbaren Untersagung durch die Polizei fortsetzte. Auch, wenn der Kläger Gefahrgut geladen hatte, ist nicht nachvollziehbar, weshalb er davon ausgegangen sein will, dass infolge der Sicherstellung eine Gefahr für das Transportgut oder andere Verkehrsteilnehmer hätte entstehen können. Die Verkehrskontrolle erfolgte auf einer Haltestelle abseits des Verkehrs; für die Annahme, die Polizei, deren Aufgabe u.a. die Gefahrenabwehr ist, werde nicht dafür sorgen, dass das Gefahrgut ordnungsgemäß weitertransportiert werde, gibt es keinen erkennbaren Grund.

 Deshalb widersprach es dem betrieblichen Interesse der Arbeitgeberin des Klägers, die Sicherstellung der Fahrzeugschlüssel und die Fortsetzung des Betriebswegs zu verhindern, so dass das Gericht zu der Wertung kommt, dass sich der Kläger zum Zeitpunkt seiner Verletzung durch die Polizeibeamten von seiner beruflichen Tätigkeit gelöst und eigenwirtschaftlich gehandelt hat.

SG Hannover Urt. v. 10.6.2024 – S 58 U 232/20, BeckRS 2024, 15280

 

 

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