Elternzeit rechtzeitig beantragt?

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 15.08.2024
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|1219 Aufrufe

Es kann auf Minuten ankommen. Der Kläger befindet sich noch in der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG, genießt also keinen allgemeinen Kündigungsschutz. Mit einem auf den 14.11.2022 (Montag) datierten Schreiben begehrt er Elternzeit (ab sofort, was wegen § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BEEG zwar nicht geht, für den Sonderkündigungsschutz aber unerheblich ist) für sein im Juni 2017 geborenes Kind. Am 15.11.2022 erhält die beklagte Arbeitgeberin um 8.16 Uhr von einer Postfiliale die Mitteilung, dass ein Einschreiben für sie zur Abholung bereitliege. Um 9.04 Uhr holt ein Mitarbeiter des mit der Poststelle betrauten externen Dienstleisters den Brief dort ab und legt ihn ungeöffnet in das interne Postfach der Personalabteilung. Dort wird es um 10.40 Uhr entnommen. Bereits 20 Minuten vorher war dem Kläger die ordentliche Probezeitkündigung persönlich ausgehändigt worden.

Zur Überzeugung des LAG Baden-Württemberg verstößt die Kündigung nicht gegen § 18 Abs. 1 BEEG. Der Elternzeitantrag des Klägers sei der Beklagten erst um 10.40 Uhr zugegangen. Der Mitarbeiter der Poststelle sei kein Empfangsvertreter (§ 164 Abs. 3 BGB), sodass es auf die Möglichkeit seiner Kenntnisnahme des klägerischen Elternzeitverlangens nicht ankomme. Ebenso unerheblich war, ob der Kläger Elternzeit tatsächlich beanspruchen konnte, was zur Überzeugung des erstinstanzlichen ArbG Stuttgart nicht schlüssig vorgetragen gewesen war. Darauf ist das LAG gar nicht mehr eingegangen.

1. Nach § 130 I 1 BGB wird eine unter Abwesenden abgegebene Willenserklärung in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie dem Empfänger zugeht. Eine verkörperte Willenserklärung ist zugegangen, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von dem Schreiben Kenntnis zu nehmen.

2. Ist die Willenserklärung (hier: Elternzeitverlangen) bereits in den Machtbereich des Empfängers gelangt, wurde von diesem aber noch nicht zur Kenntnis genommen, so besteht keine Verpflichtung des Empfängers, die Kenntnisnahme zu einem Zeitpunkt zu bewirken, bevor er üblicherweise Kenntnis genommen hätte. Dies gilt auch dann, wenn er vom Erklärenden auf ein mögliches Vorliegen der Willenserklärung im Machtbereich hingewiesen wurde.

3. Etwaige Fehler bei der Beteiligung des Gleichstellungsbeauftragten vor Ausspruch einer Kündigung führen nicht zu einer Unwirksamkeit der Kündigung.

LAG Baden-Württemberg, Urt. vom 8.5.2024 - 4 Sa 35/23, NZA-RR 2024, 412

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