Nochmals: Was ist ein Geständnis wert? - Schwedischer Massenmörder widerruft alle Geständnisse

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 16.12.2008

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich finde die Frage, wie es zu falschen Geständnissen kommt, für die strafrechtliche Praxis ebenso bedeutsam wie spannend. Deshalb zu diesem Thema eine aktuelle Meldung (Quelle: FAZ vom 16.12.2008 S. 9):

Der 58 jährige Schwede Thomas Quick, geboren als Sture Ragnar Bergwall, wurde bis zum Jahr 2000 in verschiedenen Verfahren für insgesamt acht Morde begangen zwischen 1976 und 1988 verurteilt und lebenslang in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen - gestanden hatte er bis zu 33 Morde. In allen Verfahren wurde Quick vor allem aufgrund seiner Geständnisse verurteilt, es fehlten die "harten Beweise" und in einem Fall sogar der Leichnam. Jetzt hat er in einer Fernsehdokumentation, die am Sonntagabend in Schweden ausgestrahlt wurde, alle Geständnisse widerrufen. Sein Wissen über die Taten und die Tatorte habe er aus Zeitungen. Seinen Psychiatern wirft er vor, ihm bei Verhören unter Drogen gesetzt zu haben.

Schon oft wurde die Glaubwürdigkeit seiner Geständnisse angezweifelt. Nicht immer stimmten seine Angaben über den Tathergang überein. Der Kriminologie-Professor und bekannte Krimiautor  Leif G.W . Persson wirft der schwedischen Justiz Versagen vor. Einer der Richter habe Quick nahezu geholfen, die Taten richtig nachzuerzählen (solche Vorgehensweisen beschreibt auch Gisela Friedrichsen im Fall Pascal). Einer schwedischen Boulevardzeitung sagte Persson: "Das ist der größte Justizskandal in Schweden seit 100 Jahren."

Quicks Anwalt will die Wiederaufnahme der Mordverfahren beantragen.

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5 Kommentare

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Lieber Herr von Heintschel-Heinegg,

in der Tat ist diese Frage äußerst spannend und extrem wichtig. Zur Zeit arbeitet an meinem Lehrstuhl eine Doktorandin an diesem Thema. Ohne dem Ergebnis vorgreifen zu wollen, ist von den vielen möglichen Gründen für Falschgeständnisse derjenige des Vernehmungsdrucks und der möglichen Suggestion in einer Vernehmung der für die polizeiliche Praxis wohl wichtigste. Die Vernehmer sind - selbst unter Zeitdruck und öffentlichem Druck stehend - sich selten der Gefahr von Falschgeständnissen bewusst; das Geständnis des Beschuldigten gilt immer noch als "Königsweg" zur Überführung; manchmal macht man sich nicht die Mühe, es mit Sachbeweisen abzusichern - manchmal stellt sich heraus, dass angebliches "Täterwissen" schon zuvor (in Vernehmungen oder durch die Presse) bekannt war, also kein Beleg für die Wahrheit des Geständnisses. Die Motive für ein Geständnis werden nicht geprüft, ebenso wenig die für einen Widerruf. Die zeitlich überlastete Justiz ist (zu) schnell zufrieden mit einem Geständnis. Die Absprachenpraxis tut ihr Übriges, wobei auch Verteidiger manchmal eine ungute Rolle spielen. Würde man hier gezielt Fehler vermeiden, könnten Urteile, die auf Falschgeständnissen beruhen, verhindert werden. Im Pascal-Fall waren die Vernehmer äußerst unaufmerksam, obwohl schon in der ersten Phase der Aufklärung zwei Geständnisse (von jugendlichen Mädchen) vorlagen, die sich als offenkundig falsch herausstellten.

Henning Ernst Müller

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Lieber Herr von Heintschel-Heinegg,
Das Geständnis steht bei Absprachen im Mittelpunkt und es ist das zentrale Ziel der Beschul-digtenvernehmung. Seltsamerweise sind die Bedeutung des Geständnisses für die Beweis-würdigung und die Strafzumessung heute wieder unklar (neuerdings näher Hauer, Geständnis und Absprache, 2007; Hsu, Die Bewertung des Geständnisses in der Strafzumessung und in der Beweisaufnahme als Sonderproblem der Urteilsabsprache, 2007, online-Ressource), nach-dem früher mehr Klarheit bestanden hatte (Wimmer ZStW 50 [1930], 538 ff.). Tatgerichte, die eine Urteilsabsprache treffen, prüfen das Geständnis kaum noch nach, vor allem dann nicht, wenn es exakt ihrer Verdachtshypothese entspricht. Das Gefühl, bestätigt zu werden, korrumpiert fast jeden. Die „Überprüfung“ des Geständnisses anhand der Verdachtshypothe-sen des Vor- und Zwischenverfahrens ist jedoch nichts anderes als die Selbsterfüllung der Prophezeiung des Eröffnungsbeschlusses, man werde den Angeschuldigten rebus sic stantibus verurteilen. Die Revisionsgerichte greifen zu selten ein, zumal sie meist ausgeschaltet werden. Eine effektivere Kontrolle müsste als zwingend geboten erscheinen, wenn die Folgen bekannt wären. Fehlurteile sind häufiger als es gemeinhin angenommen wird. Eine wichtige Quelle dafür ist die unkritische Hinnahme von falschen Geständnissen (Hirschberg, Das Fehlurteil im Strafprozess, 1960, S. 17 ff.; Karl Peters, Fehlerquellen im Strafprozess, Bd. 2, 1972, S. 13; Stern StV 1990, 563), die ihrerseits häufiger sind als die meisten Juristen es ahnen (Beneke, Das falsche Geständnis als Fehlerquelle im Strafverfahren usw., 1990, S. 26; Eisenberg, Be-weisrecht der StPO, Rn. 729; Gudjonsson/Sigurdsson, in: Psychology, Crime and Law 1 (1994), S. 21 ff.; Hauer a.a.O. S. 189 ff.; Köhnken, in: Gisela Friedrichsen, Im Zweifel gegen die Angeklagten, S. 222 ff.; Volbert/Böhm, in: Volbert/Steller, Handbuch der Rechtspsycho-logie, S. 253, 255). Gründe sind insbesondere: Angst vor Haft, Vernehmungsdruck, Anpas-sung an die Erwartungshaltung von Verhörspersonen, suggestive Fragen und Vorhalte, Resig-nation, Drohungen oder Versprechungen, die Herstellung und Aufrechterhaltung einer perso-nal-kommunikativen Beziehung zwischen Verhörsperson und Beschuldigtem, Öffentlich-keitsdruck, die Absicht andere Taten oder negative Sachverhaltsteile zur Schadensbegrenzung zu verdecken, die Absicht einem anderen zu schaden oder ihn zu begünstigen und im Einzel-fall der falsche Rat des Verteidigers. Intuitiv wird von Juristen meist davon ausgegangen, dass ein Unschuldiger durch den Selbsterhaltungstrieb daran gehindert werde, ein falsches Ges-tändnis abzulegen. Das ist ein Irrglaube. Die Absprachenpraxis reduziert die Geständnisüber-prüfung auf Null, obwohl der taktische Geständniszweck hier in besonders dubioser Weise darauf ausgerichtet ist, ohne Rücksicht auf materielle Wahrheit den favor iudicis zu erlangen und Nachteile zu vermeiden. Die Quote falscher Geständnisse wurde schon nach den For-schungen von Karl Peters vor der Absprachenpraxis mit mindestens 7 % beziffert (noch höhe-re Quoten bei Gudjonsson). Sie stieg in einem Experiment sogar auf 43 %, wenn ein „Deal“ angeboten wurde (Volbert/Böhm a.a.O. S. 253, 259). Das müsste, wenn es bekannt wäre, ge-nügen, um Überlegungen zur gesetzlichen Gestattung von Urteilsabsprachen ohne empirische Untersuchung zu stoppen.
Ralf Eschelbach

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Nach dem bericht von gisela friedrichsen auf spon:
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,599811,00.html
werden die polizeivernehmer von der strafverteidigung so hart unter druck gesetzt, dass sie jetzt selbst einen zeugenbeistand mitbringen - auf staatskosten!

Nun müssen sie wohl erst recht darauf bestehen, dass der angeklagte ein freiwilliges geständnis abgegeben hat, denn sonst hätten sie sich mit ihren methoden möglicherweise selbst strafbar gemacht. ist wohl einmalig in deutschland, oder?
müsste man nicht - gerade in so wichtigen fällen - alle vernehmungen auf tonband aufnehmen? noch besser filmen?

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