NS-Ermittler warnen vor erneuter Justizpleite im Fall Demjanjuk

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 21.02.2009

Mehr als 15 Jahre nach dem spektakulären Freispruch von Iwan "John" Demjanjuk im Treblinka-Prozess in Israel warnen NS-Ermittler vor einer erneuten Justizpleite. Seit drei Monaten liegen 17 Leitzordner bei der Münchner Staatsanwaltschaft - gefüllt mit Dokumenten, Gutachten und Zeugenaussagen zu dem gebürtigen Ukrainer.

Die Staatsanwaltschaft München, bei der der Fall seit der Übergabe des Vorermittlungsverfahrens angesiedelt ist, verlangt jedoch noch weitere Unterlagen, um anklagen zu können. Dagegen reicht nach Auffassung des Leiters der NS-Fahndungsstelle in Ludwigsburg Kurt Schrimm wie auch von Eli Rosenbaum, Chef der US-Sonderermittlungsbehörde für NS-Verbrechen (OSI), das bereits vorliegende Material aus, um den in den USA lebenden, aber ausgebürgerten 88 Jahre alten Demjanjuk der Beihilfe zum grausamen Mord an 29.000 Juden im Vernichtungslager Sobibor/Polen im Jahr 1943 überführen zu können. Jede weitere zeitliche Verzögerung birgt nach Schrimm die Gefahr, dass der Prozess mit Blick auf das Alter des Beschuldigten scheitert. Für Rosenbaum hat der Fall Demjanjuk zur größten Niederlage des US-Sonderdezernats geführt: Demjanjuk wurde an Israel ausgeliefert und dort 1993 in einem zweiten Verfahren freigesprochen. Daraufhin kehrte er in die USA zurück. Rosenbaum trieb weitere Unterlagen auf, die dazu führten, dass dem Ukrainer 2008 die US-Staatsbürgerschaft aberkannt wurde. 

Indes beharrt die Münchner Justiz auf einer gründlichen Aufarbeitung des Falls - sie hat kein Interesse am Scheitern eines eventuellen Prozesses. Bevor ein Haftbefehl beantragt werden und ein Auslieferungsersuchen folgen könne, müsse "sauber gearbeitet" werden, betont ein Sprecher der Staatsanwaltschaft.

Das Bayerische Landeskriminalamt überprüft derzeit Demjanjuks SS-Dienstausweis, obwohl die NS-Fahndungsstelle in Ludwigsburg  auf drei neue Gutachten verweist, die zweifelsfrei die Echtheit des Dokuments beweisen sollen.

Der heute in Ohio/USA lebende Demjanjuk ist nach den Angaben seines Anwalts nicht vernehmungsfähig.

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11 Kommentare

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Der Begriff "Justizpleite" für einen seinerzeit aus rechtsstaatlichen Gründen - in dubio pro reo - erfolgten Freispruch mutet aus dem Mund eines Strafsenatsvorsitzenden doch recht befremdlich an.

(Und ob man es allein deshalb besser finden soll, weil die Schlagzeile ebenso wie der Rest weitgehend wörtlich - aber ohne Quellenangabe - aus einem Zeitungsbericht [z.B. Leipziger Volkszeitung v. 20.2. 2009] plagiiert worden ist, ist auch sehr die Frage.)

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Im kostenfreien Blog des Verlags stehen den Lesern die Fachnews der Redaktion beck-aktuell aus dem kostenpflichtigen Online-Angebot des Verlags nicht zur Verfügung. Dort ist bereits am 19.2.2009, also vor Erscheinen der Ausgabe der Leipziger Volkszeitung (!), über den Fall mit dieser Überschrift berichtet worden. Mit dem Link können Sie meine Angaben überprüfen. Weil der Fall Demjanjuk im Blog begleitet wird, habe ich die redaktionelle Meldung des Verlags, für den ich tätig bin, gekürzt in den Blog eingestellt; ohne den Artikel in der Leipziger Volkszeitung zu kennen, wie Sie mir jetzt hoffentlich glauben!

Wer die Überschrift unvoreingenommen liest, erkennt, dass das nicht meine Aussage ist, sondern die Herren Schrimm und Rosenbaum betrifft. In den Fachnews wird dies noch näher wie folgt ausgeführt:

>> Schrimm warnt vor einem zweiten Drama. «Dies kann sich die Welt nicht mehr leisten. Demjanjuk ist alt. Jeder Tag zählt.» Jede weitere zeitliche Verzögerung birgt nach Schrimms Auskunft die Gefahr, dass den deutschen Ermittlungsbehörden wieder die Note «mangelhaft» für die Strafverfolgung ehemaliger Nazis gegeben wird. «Wenn ein Prozess gegen Demjanjuk in Deutschland scheitert, dann ist das programmiert.» Besonders Rosenbaum befürchtet eine weitere Schlappe: Schließlich steht Demjanjuk für die größte Niederlage des US-Sonderdezernats.

Den Vorwurf, ich würde von einer Justizpleite sprechen und hätte - ohne Quellenangabe - aus der Leipziger Volkszeitung abgeschrieben, weise ich entschieden zurück.

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Offenbar hat der Beck-Verlag (ebenso wie die Leipziger Volkszeitung und vermutlich noch zahlreiche weitere Publikationen) einen von Tatjana Bojic für dpa erstellte Meldung übernommen, aber mit Quellenangabe [am unteren Rand der Seite]. Sie haben es dann leicht gekürzt erneut übernommen, allerdings ohne Quellenangabe. Ich will den Vorwurf des Plagiats gerne zurück nehmen, aber für korrekt halte ich das trotzdem nicht. Welchen Sinn es haben soll, derartige Meldungen nahezu unverändert als Blogbeitrag erneut in den Verkehr zu bringen, erschließt sich zudem auch dem gutwilligen Blog-Leser eher nicht.

Schrimm warnt offenbar davor, "dass der Prozess mit Blick auf das Alter des Beschuldigten scheitert." Dass das eine "erneute Justizpleite" sei und damit zugleich der seinerzeitige Freispruch auch schon eine, hat er offenbar nicht gesagt (ein "Drama" ist keine "Pleite"). Abgesehen davon davon kann man vielleicht von einem Strafsenatsvorsitzenden verlangen, dass er einen Moment nachdenkt, bevor er sich eine von einem Journalisten entworfene (und bei diesem zweifellos weniger bedenkliche) Schlagzeile zu eigen macht.

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Erst heute abend kam ich dazu, die heutige FAZ zu lesen, der die Staatsanwaltschaft München I bestätigte, dass der Dienstausweis nach einer vorläufigen Analyse des Bayerischen Landeskriminalamts "wohl echt sein dürfte" (S.4).

Bis das Gutachten vorliegt, prüft laut dpa die Staatsanwaltschaft, ob ein Haftbefehl erwirkt und die Voraussetzungen für ein Auslieferungsverfahren vorliegen. Zwischenzeitlich werde auch ein Zeuge ermittlungsrichterlich vernommen.

Zum Streit um die Echtheit des Dienstausweises muss man wissen: Demjanjuk wurde in Israel 1988 zum Tode verurteilt; Überlebende des Konzentrationslagers Treblinka hatten ihn als "Iwan den Schrecklichen" identifiziert. Der Oberste Gerichtshof Israels hob allerdings 1993 die Verurteilung auf, weil nicht mit letzter Sicherheit geklärt werden konnte, dass Demjanjuk identisch ist mit "Iwan dem Schrecklichen". In diesem Verfahren waren seitens des Bundeskriminalamts Zweifel an der Echtheit des Dienstausweises geäußert worden.

Solange sich Demjanjuk allerdings noch nicht in Deutschland befindet, kann ihm eine Anklage nicht förmlich zugestellt und das Hauptverfahren durchgeführt werden.

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@scrat
klar hätte prof. heintschel-heinegg darauf hinweisen können, dass er die info aus einer dpa-meldung hatte die ihm via beck-online bekannt wurde. dies beiseite ist es aber doch völlig in ordnung, wenn blog-leser auf bestimmte interessante ereignisse, entscheidungen etc. hingewiesen werden, um damit zur diskussion angeregt zu werden. ich zum beispiel hatte diese meldung nicht in der zeitung gelesen bzw. hatte sie überlesen.
warum aus dem wort "justizpleite" einen vorwurf an den blog-experten machen?
von einer "justizpleite" sprechen kann man aus sicht derjenigen, die der justiz eine rolle bei der aufarbeitung von ns-verbrechen geben und die dann enttäuscht sind, wenn die für eine entscheidung notwendige klärung im prozess nicht gelingt. ist man überzeugt, jemand habe eine tat begangen, klagt ihn an und gelingt dann der nachweis vor gericht nicht, dann kann man doch salopp auch von einer "pleite" dieser anklage sprechen - in einem blog ja wohl erst recht, ist doch kein priesterseminar hier. aus sicht der justiz ist das natürlich keine "pleite", sondern eine richtige entscheidung, da haben Sie recht, scrat. zum aktuellen konflikt zwischen den ns-ermittlern und der staatsanwaltschaft in münchen scheint es doch erstmal richtig, dass man ein neues verfahren erst beginnt, wenn man sich sicher ist, dass dabei auch ein urteil rauskommt (um eben eine "pleite" wie beim letzten mal zu vermeiden). was ist daran so bedenklich formuliert?

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Die von "Scrat" um 22:30 gestellte Frage, was ein solcher Blogbeitrag bezweckt, möchte ich beantworten mit einem Zitat aus dem Beitrag, auf den eingangs unter "Beiträge zu ähnlichen Themen" verlinkt ist: "Solange die Täter unter uns sind, muss die strafrechtliche Aufarbeitung von NS-Verbrechen weitergehen!"

Und dazu steckt doch einiges in der dpa-Meldung, die zwar viele gelesen haben mögen, dazu aber auch bloggen wollen - vielleicht weil sie sogar über weitere Kentnisse verfügen. Die Äußerung im Blog ist aber erst möglich, wenn im Blog das Thema aufgegriffen wird (und da kann ich nicht voraussetzen, dass jeder die Meldung gelesen hat).

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Sehr geehrter Herr Ruebe,

da bin ich froh, dass immerhin Ihnen die Meldung noch nicht bekannt war, Sie erst durch den Blog darauf aufmerksam wurden und Sie diese für "blogwürdig" halten. Die Sorge von Herrn Schrimm, dass uns Deutschen wiederum die Note "mangelhaft" für die Verfolgung von NS-Tätern gegeben werden könnte (die "Justizpleite"), rüttelte mich auf (mein Beitrag um 18:50). Dazu sollte es nicht kommen!

Mit besten Grüssen
Bernd von Heintschel-Heinegg

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Ich versteh nicht, wieso ihn dann nicht ein Flugzeug der Luftwaffe abholt mit dem sonst Verletzte Soldaten unter ärztlicher Betreuung transportiert werden, oder ein Lazarettschiff der Marine. Die gurken zu Übungszwecken ja auch überall rum und kosten so oder so viel Geld.

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Hier noch mal eine Beschreibung von so einem MedEvac Airbus.

" Die Ausstattung des MedEvac Airbus ist auf dem Stand einer Uni-Klinik", erklärt Hauptfeldwebel Karsten Kaiser.

Da würden ja Bedenken der US-Gerichte mit ausgeräumt werden können, denke ich.

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