StPO-Klassiker: Zeugnisverweigerung und Spontanäußerung (hier: Notruf!)

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 13.10.2011

Ein echter Klassiker: Wann darf eine Aussage eines in der HV das Zeugnis verweigernden Zeugen, die er gegenüber der Polizei getätigt hat in den Prozess eingeführt werden und wann nicht? Hier eine aktuelle Entscheidung des OLG Hamm zu dem Thema:

 

"Soweit gerügt wird, das Landgericht habe die Aussage der Zeugin A., die sich vor der Kammer auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen hat, unter Verstoß gegen § 252 StPO in die Hauptverhandlung eingeführt und verwertet, ist diese in zulässiger Weise erhobene Verfahrensrüge unbegründet.

Zweck des § 252 StPO ist es, dem Zeugen, der zur Zeugnisverweigerung berechtigt ist, bis zu seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung die Freiheit der Entschließung über sein Recht zu erhalten und ihn in den Fällen des § 52 StPO davor zu schützen, voreilig zur Belastung des angehörigen Angeklagten beizutragen (BGH NJW 2000, 596, 597; OLG Hamm, Senatsbeschluss vom 21. September 2010, Az. III – 2 RVs 47 und 48 /10; Sander/Cirener, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, § 252 Rn. 7). Zur weitest möglichen Gewährleistung dieses Schutzes ist § 252 StPO über seinen Wortlaut hinaus daher nicht nur ein Verlesungsverbot, sondern auch ein allgemeines Verwertungsverbot zu entnehmen, mit der Folge, dass in der Hauptverhandlung grundsätzlich auch Verhörspersonen nicht zum Inhalt früherer Vernehmungen des nunmehr sein Zeugnis verweigernden Zeugen gehört werden dürfen (BGHSt 45, 203, 205 m. w. N.; 46, 189, 190; OLG Hamm, StV 2002, 592; OLG Hamm, Senatsbeschluss vom 21. September 2010, a. a. O.).

aa) Die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechtes durch die Zeugin A. führt nicht zur Unverwertbarkeit ihrer Angaben, die sie im Rahmen ihres polizeilichen Notrufs gemacht hat und bei denen von mehrfachen Schlägen des Angeklagten in das Gesicht der Zeugin die Rede war. Nach ständiger höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung handelt es sich bei einem Notruf um keine Vernehmung im Sinne von § 252 StPO, sondern um eine spontane Bekundung aus freien Stücken und ein Verlangen nach behördlichem Einschreiten (BGH NJW 1998, 2229; StV 1988, 46, 47; NStZ 1986, 232; OLG München StRR 2009, 388; OLG Hamm, StV 2002, 592, 593). Auch vorliegend handelte es sich bei dem im angefochtenen Urteil wörtlich mitgeteilten Gespräch anlässlich des abgesetzten Notrufs um keine Vernehmung im Sinne von § 252 StPO. Dem den Notruf entgegen nehmenden Polizeibeamten kam es, wie Inhalt und Verlauf des Gesprächs deutlich machen, bei seinen kurzen Fragen an die Zeugin ausschließlich darauf an, abzuklären, ob ein Notfall vorlag, eine behördliche Hilfeleistung erforderlich war und wo sich Opfer und mutmaßlicher Täter zum Zeitpunkt des Anrufs aufhielten. Einzelheiten zum Tatgeschehen wurden gerade nicht abgefragt.

bb) Zu Recht hat das Landgericht Bochum auch die im Hausflur der ehelichen Wohnung getätigten Äußerungen der Zeugin A. direkt nach Eintreffen der polizeilichen Einsatzbeamten verwertet. Auch insoweit lag keine Vernehmung der Geschädigten i. S. v. § 252 StPO vor, sondern es handelte sich um verwertbare, aus freien Stücken getätigte Spontanäußerungen der Zeugin A. vor Beginn der später im Wohnzimmer durchgeführten Vernehmung (vgl. BGH, StV 1998; 360; BGH StV 1988, 46; BGH NJW 1980, 2142; OLG München, StRR 2009; 203; OLG Saarbrücken, NJW 2008, 1396; OLG Hamm, NStZ-RR 2002, 370). Ausweislich der revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen in dem angefochtenen Urteil hatten die polizeilichen Einsatzbeamten zunächst keine Fragen an die Zeugin A. gestellt. Diese hatte vielmehr spontan in einem „nicht zu bremsenden Redeschwall“ den Einsatzbeamten unmittelbar nach deren Eintreffen und sofort nach Öffnen der Wohnungstür davon berichtet, dass sie von ihrem Mann geschlagen und mit einem Gürtel bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt worden sei. In diesem Zusammenhang hatten die Einsatzbeamten lediglich kurz nach dem genauen Aufenthaltsort des Angeklagten in der Wohnung fragen können, ohne allerdings die Zeugin über das Tatgeschehen zu befragen.

cc) Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht auch die vom gerichtsmedizinischen Sachverständigen S. gefertigten Lichtbilder von den Verletzungen der Zeugin A. beweismäßig verwertet. Insoweit handelt es sich um sog. Befundtatsachen. Diese sind Anknüpfungstatsachen für das Gutachten, die der Sachverständige auf Grund seiner Sachkunde selbst festgestellt hat. Solche (Befund-)Tatsachen sind insbesondere Wahrnehmungen am lebenden Körper (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 79 Rn. 10). Hinsichtlich solcher Befundtatsachen gilt § 252 StPO nicht (BGHSt 11, 97, 99; Meyer-Goßner, StPO, § 252 Rn. 10). Der Sachverständige S. wurde ausweislich der Urteilsgründe allein sachverständig zu den von ihm gefertigten Lichtbildern im Sinne von Befundtatsachen angehört. Eine zeugenschaftliche Vernehmung des Sachverständigen insbesondere zu möglichen Angaben der Zeugin A. ihm gegenüber zum Tatgeschehen und zu den erlittenen Verletzungen fand gerade nicht statt. Soweit die Revision des Angeklagten darüber hinaus die fehlende Belehrung der Zeugin A. vor ihrer Untersuchung durch den Sachverständigen rügt, zeigt dies keinen Rechtsfehler auf, da § 252 StPO im Rahmen körperlicher Untersuchungen nach § 81 c StPO keine Anwendung findet (Meyer-Goßner, StPO, § 252 Rn. 6).

Soweit der Angeklagte mit seiner Revision rügt, der Antrag der Verteidigung vom 12. Oktober 2010, mit dem in der Berufungshauptverhandlung beantragt worden sei, „gemäß § 252 StPO von der Verlesung sämtlicher Aussagen bzw. Äußerungen der Ehefrau des Angeklagten“ einschließlich des Notrufs, der Verlesung des Gutachtens vom Sachverständigen S. und von der Einführung der Lichtbilder in der Hauptverhandlung „Abstand zu nehmen“, sei nicht beschieden worden, begründet der behauptete Vorgang keinen Verfahrensmangel. Bei dem gestellten Antrag handelt es sich der Sache nach um einen Widerspruch gegen die Verwertung der genannten Angaben der Zeugin A. sowie der aufgeführten ergänzenden Beweismittel. Dieser im Rahmen des § 252 StPO rechtlich nicht einmal notwendige Widerspruch in der Hauptverhandlung (vgl. OLG Hamm, StV 2002, 592) bedurfte keiner ausdrücklichen Bescheidung durch die Berufungskammer.

Soweit die Revision weiterhin die gerichtlichen Vorhalte gegenüber der Zeugin F. rügt, ist auch diese Verfahrensrüge unbegründet. Grundsätzlich erstreckt sich das umfassende Verwertungsverbot des § 252 StPO auch auf Vorhalte aus Vernehmungen der zeugnisverweigerungsberechtigten Person. Der Zeugin F. sind aber keine Angaben der Zeugin A. sondern - in rechtlich zulässiger Weise - ihre eigenen Angaben in der von ihr gefertigten Strafanzeige vorgehalten worden.

Auch die weitere Rüge der Revision, die Fotos Bl. 9 und 10 sowie 42 bis 44 d. A. hätten nicht in Augenschein genommen werden dürfen, greift nicht durch. Das Urteil beruht nämlich nicht auf einem damit verbundenen etwaigen Verfahrensverstoß, da das angefochtene Urteil innerhalb der Beweiswürdigung allein auf die vom gerichtsmedizinischen Sachverständigen S. rechtmäßig angefertigten und vom Revisionsführer auch nicht angegriffenen Fotos Bl. 135 d. A. abstellt, die nach dem oben Gesagten in zulässiger Weise von der Kammer verwertet werden durften und die sich im Übrigen vom Darstellungsbild und „Aussageinhalt“ nicht maßgeblich von den beanstandeten Fotos unterscheiden."

 

OLG Hamm: Beschluss vom 24.05.2011 - III-2 RVs 20/11, 2 RVs 20/11    BeckRS 2011, 16996

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