Der schuldunfähige Starker und die "actio libera in causa" im Familienrecht

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 19.12.2011

 

Eine Frau leidet unter einer chronifizierten schizoaffektiven Psychose und muss unbedingt Medikamente einnehmen.

Eines Tages setzt sie diese Medikamente eigenmächtig ab und beginnt damit, einer anderen Frau in erheblichem Maße nachzustellen (Auflauern vor einem Geschäft, Zusenden von Briefen etc).

Die Betroffene stellt bei dem Familiengericht (§ 111 Nr. 6 FamFG) einen Antrag auf Schutzmaßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz gegen die Stalkerin. Das AG entscheidet antragsgemäß.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin zum OLG Celle war im Ergebnis erfolglos.

Das OLG geht aber zutreffend davon aus, dass eine Anordnung einer Gewaltschutzmaßnahme im Sinne von § 1 GewSchG nicht in Betracht kommt, wenn der Täter bei der Begehung der Anlasstaten unzurechnungsfähig gewesen ist (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2010, 1812). Dies sei bei der Antragsgnerin der Fall.

Die in § 1 III GewSchG normierte „actio libera in causa“

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 oder des Absatzes 2 kann das Gericht die Maßnahmen nach Absatz 1 auch dann anordnen, wenn eine Person die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen hat, in den sie sich durch geistige Getränke oder ähnliche Mittel vorübergehend versetzt hat.

komme ebenfalls nicht in Betracht, da davon auszugehen sei, dass das Absetzen der Medikation bereits krankheitsbedingt und damit in schuldunfähigem Zustand erfolgte.

Das OLG bejaht jedoch einen quasi-negatorischen Unterlassungsanspruch in analoger Anwendung der §§ 823, 1004 BGB. Dieser materiell-rechtliche Anspruch setze weder Vorsatz noch Verschulden voraus, so dass im Falle der Unzurechnungsfähigkeit des Täters ein Rückgriff auf den allgemeinen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch analog §§ 823, 1004 BGB außerhalb des Gewaltschutzverfahrens in Betracht komme.

Zur weiter verbleibenden Zuständigkeit des Familiengerichts führt das OLG aus:

Aus der sogenannten rechtwegüberschreitenden Sach- und Entscheidungskompetenz nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG folgt, dass in solchen Fällen in denen ein einheitlicher prozessualer Anspruch auf mehrere, verschiedenen Rechtswegen zugeordnete Anspruchsgrundlagen gestützt wird, das angerufene Gericht zur Entscheidung über sämtliche, auch rechtswegfremde Klagegründe zu verpflichten, sofern nur der Rechtsweg für einen von ihnen gegeben ist. Ob für das Klagebegehren eine Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, die in dem beschrittenen Rechtsweg zu verfolgen ist, ist auf der Grundlage des Klageantrages und des zu seiner Begründung vorgetragenen Sachverhalts zu prüfen, wobei offenkundig nicht gegebene Anspruchsgrundlagen außer Betracht bleiben. Zur Entscheidung über sämtliche Anspruchsgrundlagen ist dann das Gericht des zuerst angerufenen Rechtsweges berufen.

Zum Schluss weist der Senat (etwas resignierend?) daraufhin, dass die Verhängung von Ordnungsgeld oder Ordnungshaft gegen einen schuldlos handelnden Täter wegen der repressiven Elemente von Ordnungsmitteln in jedem Falle ausscheide und deshalb hier wohl nicht in Betracht komme.

 

OLG Celle v. 24.08.2011 – 17 UF 3/11 = BeckRS 2011, 24575

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10 Kommentare

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Welche Möglichkeiten blieben denn bei einem Weg über §§823, 1004 BGB?

Letztlich bleiben zur Vollstreckung doch auch dort nur Ordnungsgeld/Haft, die dann ausscheiden. Ist der Anspruch dann quasi ein Messer ohne Klinge, oder habe ich etwas übersehen?

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Dieser materiell-rechtliche Anspruch setze weder Vorsatz noch Verschulden voraus, so dass im Falle der Unzurechnungsfähigkeit des Täters ein Rückgriff auf den allgemeinen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch analog §§ 823, 1004 BGB außerhalb des Gewaltschutzverfahrens in Betracht komme.

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Justus, Dickerchen, bitte nicht die Klugscheißer-Tour :)

Dass ein Anspruch außerhalb des Gewaltschutzgesetzes nach dem BGB analog besteht, habe ich ja verstanden (und auch noch mal geschrieben). Die Frage richtet sich allein nach der Vollstreckbarkeit. Denn die §§823, 1004 BGB analog werden ja (ebenso wie beim GewSchG nach §96 FamFG) über §890 ZPO mit Zwangsgeld oder Zwanghaft erzwungen.

Wenn aber wg. der repressiven Folgen -so habe ich es verstanden- bei der Schuldunfähigen nicht vollstreckt werden darf, dann müsste dies auch für den Anspruch aus §§823, 1004 analog gelten, unabhängig davon, dass der kein Verschulden verlangt.

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