§ 315b StGB und der öffentlichen Verkehrsraums

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 29.12.2011

Auch wenn diese Konstellation nicht allzu häufig vorkommen wird, sollte man BGH, Beschluss vom 5.10.2011 - 4 StR 401/11 - mal gelesen haben:

 

Hingegen begegnet die Verurteilung wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB durchgreifenden rechtlichen Bedenken, da die Urteilsfeststellungen die von § 315b StGB vorausgesetzte Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs nicht belegen.
a) Geschütztes Rechtsgut der Bestimmung des § 315b StGB ist die Sicherheit des Straßenverkehrs. Sie bezieht sich nur auf den öffentlichen Verkehrsraum. Voraussetzung für eine Strafbarkeit ist daher, dass durch die Tat-handlung in den Verkehr auf solchen Wegen und Plätzen eingegriffen worden ist, die – mit ausdrücklicher oder stillschweigender Zustimmung des Verfü-gungsberechtigten und ohne Rücksicht auf die Eigentumsverhältnisse oder eine
verwaltungsrechtliche Widmung – jedermann oder allgemein bestimmten Gruppen dauernd oder vorübergehend zur Benutzung offen stehen und auch in dieser Weise benutzt werden (st. Rspr.; vgl. Senatsbeschluss vom 9. März 1961 – 4 StR 6/61, BGHSt 16, 7, 9 f.; Senatsurteil vom 4. März 2004 – 4 StR 377/03, BGHSt 49, 128, 129). Jedoch erfüllt nicht jede Tathandlung, die vom öffentlichen Straßenraum ausgeht, den objektiven Tatbestand des gefährlichen Ein-griffs in den Straßenverkehr. Zwar wird die Anwendbarkeit der Strafvorschrift des § 315b StGB nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass die konkrete Gefahr oder gar der Schaden außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums eintritt, etwa, wenn der Täter sein Opfer bereits von der öffentlichen Straße aus mit dem Fahrzeug verfolgt, aber erst außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums erfasst. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass sich das Opfer in dem Zeitpunkt, in dem der Täter zur Verwirklichung des Tatbestandes der Straßenverkehrsgefährdung durch zweckwidrigen Einsatz des Fahrzeugs als Waffe oder Schadenswerkzeug unmittelbar ansetzt, noch im öffentlichen Raum befindet, die abstrakte Gefahr also noch im öffentlichen Verkehrsraum entsteht. Hält sich das Opfer zu diesem Zeitpunkt außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums auf, fehlt es an einer Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs und damit an einer tatbestandlichen Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 315b StGB (Senatsbeschluss vom 8. Juni 2004 – 4 StR 160/04, NStZ 2004, 625 = DAR 2004, 529 m. zust. Anm. König DAR 2004, 656, jeweils m.w.N.; SSW-StGB/Ernemann § 315b Rn. 9 m.w.N.; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. § 315b StGB Rn. 3). So liegt es hier.
b) Nach den Feststellungen befindet sich das Bürogebäude der geschädigten Firma K. im Erdgeschoss eines mehrstöckigen Gebäudes mit einem der Straßenseite abgewandten Eingang, der aus einer zweiflügeligen Glastür mit einer vorgebauten Betonstufe besteht. Zum Tatzeitpunkt hatte der Angeklagte das Mietfahrzeug, das er bei der Firma K. zurückgeben wollte, auf dem durch eine unverschlossene Zufahrt erreichbaren gepflasterten Hof vor dem Eingangsbereich des Büros abgestellt. Als er beschloss, sich für die ihm seitens der Beschäftigten der Firma K. widerfahrene, als ungerecht empfundene Behandlung zu rächen und das Bürogebäude mit dem als Rammbock eingesetzten Fahrzeug zu zerstören, befanden sich die beiden später verletzten Angestellten der Autovermietung, die Zeugin Ko. und der Zeuge S. , außen „unmittelbar vor der Glastür“, mithin auf der Betonstufe vor der Tür.
Danach befand sich zwar der Angeklagte zum Zeitpunkt des unmittelbaren Ansetzens zur Tatbestandsverwirklichung im öffentlichen Verkehrsraum, nämlich auf einem für einen unbestimmten Personenkreis allgemein zugänglichen Kunden- und Besucherparkplatz eines mehrstöckigen Gebäudes (vgl. dazu Senatsurteil vom 4. März 2004 aaO), nicht aber die Geschädigten, die auf der unmittelbar zum Eingangsbereich des Büros der Firma K. gehörenden Treppenstufe standen. Schon wegen des Höhenunterschiedes zu dem vorgelagerten Parkplatz rechnete diese Stufe, die den Zugang zu den Büroräumen der Firma K. ermöglichte und an der nach den Urteilsfeststellungen der erste Zufahrtversuch des Angeklagten scheiterte, nicht mehr zum öffentlichen Verkehrsraum.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

1 Kommentar

Kommentare als Feed abonnieren

Im Ergebnis mag die Entscheidung richtig sein. Aber die Aussage "Schon wegen des Höhenunterschiedes zu dem vorgelagerten Parkplatz rechnete diese Stufe (...) nicht mehr zum öffentlichen Verkehrsraum" ist natürlich dummes Zeug. In § 315b StGB gibt es keine Einschränkung dahingehend, dass die "Sicherheit des Straßenverkehrs" nur in "auch mit dem PKW mühelos zugänglichen Verkehrsräumen" geschützt sein solle. Öffentlicher Verkehrsraum ist selbstverständlich auch jenseits einer Stufe (oder eben nicht). Das auch hier vom BGH benutzte Merkmal "für einen unbestimmten Personenkreis allgemein zugänglich" trifft natürlich auch für viele Plätze und Wege mit Treppen zu. Dass der BGH ausgerechnet hier an der zentralen Stelle so gedankenlos formuliert, ist ärgerliche Windschutzscheibenperspektive und selbst aus Autoperspektive nicht durchdacht: Ist dieselbe Stufe nächstes Mal plötzlich "öffentlicher Verkehrsraum", nur weil ein anderer Fahrer sie mit einem Offroadauto mühelos überwindet?

5

Kommentar hinzufügen